Von Uwe Roth
Der europäische Automarkt scheint die Corona-Krise bereits hinter sich zu haben. Wie der Verband der europäischen Automobilhersteller (ACEA) in dieser Woche mitteilte, wurden im März in der Europäischen Union (EU) insgesamt etwas mehr als eine Million Autos erstmals in den Verkehr gebracht. Das Plus gegenüber dem Vorjahr liegt damit bei 87,3 Prozent. In der Region Stuttgart sind die Nachrichten über die Pkw-Neuzulassungen eher verhalten – aber mit Blick auf Zukunft durchaus positiv. Wolfgang Weil ist Verkaufsleiter beim Autohaus Weller in Bietigheim-Bissingen (unter anderem Opel, Volvo, Ford und Fiat). Er antwortet auf die Frage, ob es nach Corona gelingen könne, an die früheren Verkaufszahlen anzuknüpfen: „Auf jeden Fall, es ist ein erheblicher Nachholbedarf entstanden.“ Er sieht diesen besonders im unteren und mittleren Preissegment. Sven Seeg vom Autohaus Rhein in Asperg ist mit seiner Einschätzung vorsichtiger: „Momentan ist das schwer einzuschätzen, da vor allem im Neuwagenbereich der Absatz auf Grund der Ladenschließung deutliche Defizite ausweist.“
Wie viele Händler reagiert Seeg gereizt, wenn er auf die behördlich verordnete Ladenschließung angesprochen wird. Sollte sich eine Pandemie wiederholen, was nicht auszuschließen ist, will er das Hin und Her bei den Lockdown-Regeln nicht mehr erleben: „Man sollte zwingend darüber nachdenken, warum man Autohäuser mit großen Verkaufsflächen wirklich schließt“, klagt er. Mit Terminvereinbarungen wäre es möglich gewesen, „alles unter Hygiene- und Abstandsregeln bestens abzuwickeln. Man vergisst total, was dies mit der Psyche der Menschen macht, die auf Provision arbeiten. Für mich nicht nachvollziehbar.“
Verkaufsleiter Weil berichtet auch über gute Erfahrungen: Interessenten an einem Neufahrzeug hätten sich im Internet vorab gut informiert und seien bestens vorbereitet ins Verkaufsgespräch gegangen: „Die Kunden kamen gezielt und sehr gut informiert in die Häuser“, sagt er. „Click&Meet ist für die Autohäuser, die in der Regel über sehr viel Fläche verfügen, ein gutes Mittel, die Kunden gezielt und unter Einhaltung der Hygiene Vorschiften zu bedienen.“ Das Autohaus habe aus dem Lockdown die Lehre gezogen und seinen Online-Auftritt und das Online-Leadmanagement (Kundengewinnung) überarbeitet. Werbeausgaben seien verstärkt in Soziale Medien und Online-Projekt investiert worden. Der Online-Handel sei als Baustein wichtiger geworden. „Da wir da auch vor der Pandemie schon sehr gut aufgestellt waren, konnten wir gut umschalten“, sagt Weil. „Allerdings lebt das Automobilgeschäft immer noch von Anfassen, Probesitze und Probefahren.“ Seeg sagt für sein BMW-Autohaus: „Im Neuwagenbereich hat sich der Onlinehandel deutlich gesteigert, in Gebrauchtwagensegment war schon immer ein hohes Niveau da. Da zeigen sich keine großen Veränderungen.“
In der TV-Werbung dominieren aktuell Elektrofahrzeuge. Deren Zulassungszahlen steigen tatsächlich, nachdem sie lange Zeit stagnierten. Dass über Elektromobilität mehr gesprochen wird, insbesondere weil es staatliche Anreize gibt, bekommen die Autohäuser zu spüren. „Klar, wir haben hier viele Kunden, die sich eigentlich nur aufgrund der erhöhten Förderungen des Bundes und der Hersteller für ein E-Fahrzeug interessieren“, hat Weil festgestellt. Seeg vom Autohaus Rhein bestätigt das: „Man merkt auf jeden Fall, dass ein Umdenken stattfindet. Momentan ist das noch nicht in Absatzzahlen an Elektrofahrzeugen erkennbar, da unser Angebot noch zu gering ist. Bei Hybridfahrzeugen gibt es allerdings eine deutliche Steigerung, was für mich die Vorstufe darstellt.“
Nach seiner Meinung sollte es „einen schleichenden Prozess zu den neuen Antriebsmethoden geben“. Noch seien Elektrofahrzeuge zu teuer, um den Prozess zu beschleunigen. Auch die Infrastruktur passe nicht. Diese müsse kompatibel zu anderen Ländern, um mit dem E-Auto im Ausland Urlaub machen zu können. „Es gibt noch so viele Parameter, die hier noch nicht passen“, seufzt er und fügt ein „leider“ hinzu. Auch Weil sieht Nachholbedarf bei der Ladeinfrastruktur. „Da muss dingend aufs Tempo gedrückt werden, sonst ist die Freude der Elektromobilität gleich getrübt“, lautet seine Meinung. Grundsätzlich glaubt er schon, dass Corona, Fördermittel und der Klimawandel das Mobilitätsverhalten schleichend verändern. Weil macht diese Entwicklung „an den alternativen Fortbewegungsmitteln wie E-Bike und E-Roller im Nahbereich“ fest. Es werde häufiger das Auto stehengelassen. Seeg sagt dazu: „Privat könnte das zutreffen, im Business glaube ich es nicht.“ In vielen Geschäftsbereichen seien seit Ausbruch von Corona persönliche Treffen vor Ort auf der Strecke geblieben. „Dies kann man durch Onlinemeetings nicht auf Dauer ewig so weitermachen. Vor allem im Vertrieb nicht“, ist er überzeugt