„Der Sturm in mir”: Wie Sven Seeg seine Lebenskrise als Chance erkannte

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Sven Seeg startete seine Karriere als talentierter Jugendfußballer beim VfB Stuttgart und VfR Heilbronn. Doch der Weg zum Erfolg war steinig, und der Druck, der auf ihm lastete, war schon im Jugendalter enorm. Nachdem er seine sportliche Karriere beendet hatte, startete er seinen beruflichen Laufbahn und leitete fünf Jahre lang als Niederlassungsleiter das Autohaus Rhein in Ludwigsburg. Doch der immense Leistungsanspruch, den er an sich selbst stellte, forderte einen hohen Preis: eine persönliche Krise, die ihn in eine Klinik führte.

Heute ist er Niederlassungsleiter in Heilbronn. Im Interview spricht der 47-jährige Familienvater aufrichtig und offen über den Weg aus der Schattenzeit, den Druck, den Leistung sowie äußere und vor allem eigene innere Erwartungen mit sich bringen, und den Mut, sich zu öffnen und seine Geschichte zu teilen. Es geht um Selbstfindung, die Suche nach innerer Ruhe und Zufriedenheit, die er nach Jahren des Kampfes wiedergefunden hat.

Ein Interview von Ayhan Güneş

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LB24: Erst einmal – Herzlichen Glückwunsch zum 100-jährigen Jubiläum von Herrmann und Rhein! Wie lief die Jubiläumsveranstaltung?

Sven Seeg: „Es waren zwei sehr besondere Veranstaltungen – eine mit unseren 1200 Mitarbeitern und eine mit 680 Kunden. Der Aufwand war enorm, aber es hat sich wirklich gelohnt. Für mich persönlich war es ein Moment des Innehaltens. 100 Jahre sind eine lange Zeit, und während des Jubiläums habe ich das erste Mal wirklich reflektiert, wie viel hinter dem Erfolg der Firma in all den Jahren steckt. Ich habe mir früher weniger erlaubt, solche Momente aufmerksam zu genießen. Immer war der nächste Schritt, das nächste Ziel das Wichtigste. Heute weiß ich, dass es genau diese Momente sind, die zählen, und die man nicht immer einfach abhaken sollte.“

LB24: Gehst du mit einem so wichtigen Event anders um als in den Jahren zuvor?

Sven Seeg: „Absolut. Früher war ich oft getrieben von der Angst, etwas zu verpassen oder nicht genug zu leisten. Es gab immer diesen inneren Druck, mehr zu erreichen. Aber mit den letzten Jahren habe ich gelernt, mich selbst zu entlasten. Ich gehe heute viel bewusster mit solchen Momenten um, nehme mir die Zeit, sie zu genießen und wertzuschätzen. Der Erfolgsdruck ist zwar immer noch da, aber ich weiß nun, dass das Leben mehr ist als nur die nächsten Erfolge. Die wahre Herausforderung liegt darin, Erfüllung in den ruhigeren Momenten zu finden.“

LB24: Wie laufen aktuell die Geschäfte?

Sven Seeg: „Die Geschäfte laufen gut, aber wir stehen natürlich auch vor großen Herausforderungen, vor allem in der Automobilbranche. Mini steckt gerade noch in einer schwierigen Phase mit dem Agenturmodell, und noch nicht jedes Modell kommt bei allen gut an. Aber es gibt auch Lichtblicke, zum Beispiel das neue Mini Cabrio, das bei den Kunden sehr gut ankommt. Bei BMW sind wir im Jahresendspurt, aber was die Zukunft bringt, ist schwer vorherzusagen. Der Erwartungsdruck, der auf uns allen lastet – ob im Job oder im Privatleben – wird immer größer, und ich merke, wie diese Anspannung in Phasen auch an mir zerrt. Aber ich habe gelernt, diese Belastungen besser zu managen und nicht zuzulassen, dass er mich übermannt.“

LB24: Wann hast du wieder öfters Freude und Lebensfreude gespürt? Gab es einen Wendepunkt, an dem du das Gefühl hattest, endlich Licht am Ende des Tunnels zu sehen?

Sven Seeg: „Es war nicht dieser eine dramatische Moment, der plötzlich alles verändert hat. 2019 war der Wendepunkt, als ich auf eigenen Wunsch in die Klinik bin. Der wahre Wendepunkt kam, als ich lernte, mich vom permanenten und zwanghaften Denken zu lösen. Bis zu dem Zeitpunkt lebte ich immer wieder mit Höhen und Tiefen bis zur nächsten Auszeit, zum nächsten Urlaub, vom nächsten Erfolg. Doch Erholung fand ich nie wirklich, weil mein Geist nie zur Ruhe kam. Der Wendepunkt kam, als ich begann, Meditation zu praktizieren, als ich das erste Mal spürte, dass es wirklich einen kurzen Moment der inneren Ruhe und der Gedankenfreiheit geben kann – und diese Momente waren wie das Aufatmen nach einer langen, dunklen Zeit.“

LB24: Wie hast du es geschafft, wieder Vertrauen in dich selbst zu finden?

Sven Seeg: „Es war ein sehr langer Prozess, aber er begann mit einem klaren Bekenntnis zu mir selbst. Ich musste lernen, meine Ängste und Zweifel zu akzeptieren und anzunehmen, anstatt sie immer bekämpfen oder verdrängen zu wollen. Die Disziplin, die ich aus dem Sport mitbrachte, half mir, jeden Tag wieder aufzustehen, um zu üben, auch wenn es sich an manchen Tagen anfühlte, als würde ich wieder zwei Stufen zurückfallen. Was mir geholfen hat, war die Entscheidung, mir jeden Tag feste Zeiten für mich einzuplanen, um zu meditieren und zu entspannen. Ich hatte das Gefühl, dass ich oft gegen mich selbst ankämpfte. Heute verstehe ich, dass dieser Kampf nur im eigenen Kopf stattfindet. Mein Vertrauen wuchs, als ich erkannte, dass ich nicht immer perfekt sein muss und wahre Erfüllung nicht in der Vergangenheit und Zukunft zu finden ist.“

LB24: Wann hast du gemerkt, dass du für dich selbst leben musst und auf die Suche nach dem wahren Selbst gehen darfst?

Sven Seeg: „ Ich wusste schon früh, dass tief in mir etwas fehlte, aber ich konnte es nie wirklich mit Worten benennen. Im Sport war es der innere Leistungsdruck, der mir nie die Erfüllung brachte, die ich mir erhoffte. Später im Berufsleben übernahm ich diese Ansprüche an mich selbst und versuchte, diesem Gefühl mit Arbeit und Ergebnissen nachzugehen. Doch es wurde immer klarer, dass ich nie wirklich zufrieden war. Die Erkenntnis kam dann nach meinem Tiefpunkt: Wahre Erfüllung kann nur kommen, wenn man in sich ein Zuhause hat und dorthin jederzeit zurückkehren kann, was von all dem stetigem Wandel unberührt bleibt. Es war eine der größten Herausforderungen, sich von den eigenen Erwartungen an sich selbst zu lösen, um den eigenen Weg zu finden. Aber dieser Schritt hat mir mehr innere Ruhe und Zufriedenheit gebracht als jeder Erfolg.“

LB24: Das heißt, du hast sie gefunden?

Sven Seeg: „Ja, ich habe sie gefunden. Diese Sehnsucht nach innerer Ruhe und Unabhängigkeit war immer da, nur habe ich sie lange überhört. Durch das ständige Streben nach mehr, nach Erfolg und Anerkennung, habe ich sie ignoriert. Heute weiß ich, dass wahre Erfüllung in der Stille und der Achtsamkeit liegt. Ich habe gelernt, meine Gedanken zu beruhigen, die permanente Unruhe zu stoppen und mich auf das Wesentliche zu konzentrieren – zu Sein.“

LB24: Glaubst du, dass es auch ohne Medikamente möglich ist, aus einer schwierigen Phase herauszukommen?

Sven Seeg: „Ich bin fest davon überzeugt. Der Weg zur Heilung ist nicht in einer Pille zu finden. Medikamente können sicherlich kurzfristig helfen, aber langfristige Heilung kommt von innen. Was wirklich zählt, ist der Wille zur Veränderung, die Bereitschaft, an sich selbst zu arbeiten. Aber das ist nicht immer einfach, besonders in einer Gesellschaft, die so schnelllebig ist, im ständigen Vergleich lebt und keine Zeit für Pausen lässt. Ich hatte das Glück und die Fügung, die richtige Unterstützung zu finden, aber für viele ist der Weg ohne diese Hilfe viel schwieriger.“

LB24: Wie gefährlich ist Leistungsdruck für Kinder und Jugendliche, sowohl im Sport als auch in der Schule?

Sven Seeg: „Der Druck war schon zu meiner Zeit hoch, aber heute beginnt er noch viel früher. Ich sehe es im Fußball, wie schon in der E-Jugend Leistungsgruppen gebildet werden. Kinder sind oft nicht in der Lage, mit diesem Druck umzugehen. Der Leistungsdruck im Sport ist brutal, und die psychische Belastung, die auf den jungen Athleten lastet, wird oft unterschätzt. Heute werden schon Kinder unter enormen Druck gesetzt, immer besser zu sein, und das kann langfristig große Schäden verursachen.“

LB24: Was würdest du Eltern raten, die ihre eigenen Träume auf ihre Kinder projizieren?

Sven Seeg: „Eltern müssen sich bewusst machen, dass ihre eigenen Wünsche und Erwartungen nicht die Wünsche ihrer Kinder sind. Das Problem entsteht oft unbewusst, wenn Eltern ihre unerfüllten Träume auf ihre Kinder übertragen. Diese Projektion führt dazu, dass die Kinder sich ständig unter Druck gesetzt fühlen, etwas zu erreichen, was sie gar nicht wollen und können. Es ist wichtig, den Kindern Raum zu geben, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und ihren eigenen Weg zu gehen, ohne die Last der Erwartungen zu tragen.“

LB24: Nachwuchsleistungszentren wie der VfB Stuttgart setzen Mental-Coaches ein, um die Jugend speziell zu unterstützen. Ist das eine gute Idee, um den Leistungsdruck zu erkennen und besser damit umzugehen?

Sven Seeg: „Ja, absolut. Ich habe mich schon früh mit Mentaltraining beschäftigt, aber leider gab es damals niemanden, der mich wirklich angeleitet hat. Ich habe es selbst versucht, mit Meditation und Entspannungsübungen, als ich 15 oder 16 war. Heute ist es im Profisport normal, Mental-Coaches zu haben, wie zum Beispiel bei Dortmund oder Bayern. Diese Coaches helfen den Spielern, nicht nur zu meditieren, sondern auch Instrumente zu entwickeln, um mit stressigen du schwierigen Situationen besser umzugehen. So etwas hätte mir damals sehr geholfen. Es ist nicht nur wichtig, den Körper zu trainieren, sondern auch den Geist. Mental-Coaching sollte genauso selbstverständlich sein wie körperliches Training. Und je früher man damit beginnt, desto besser. Denn Kinder und Jugendliche, besonders im Leistungsbereich, brauchen Unterstützung dabei, mit Druck, Stress und Ängsten umzugehen, die sie oft gar nicht richtig einordnen können.“

LB24: Denkst du, dass soziale Medien wie Facebook, Instagram und TikTok – mit dem ständigen Vergleich der eigenen Leistungen und der Notwendigkeit, sich ständig zu präsentieren – zunehmend zu einem Stressfaktor für Menschen werden ?

Sven Seeg: „Ja, soziale Medien sind ein enormer Stressfaktor. Sie bieten eine ständige Vergleichsmöglichkeit und schaffen das Gefühl, dass man immer präsent sein muss, immer etwas Neues leisten muss. Die Sucht nach Bestätigung, durch Likes und Kommentare, verstärkt die Unsicherheit und den Druck. Was früher als private Angelegenheit galt, wird heute öffentlich gemacht. Besonders bei Jugendlichen ist das gefährlich, weil sie sich in dieser ständigen Sichtbarkeit verlieren können. Man sieht nur das, was andere zeigen, aber nie das, was hinter den Kulissen wirklich passiert. Das erzeugt eine Illusion von Perfektion, die für viele nicht erreichbar ist, was zu stressigen, negativen und dann oft zwanghaften Gedanken führt.“ So entsteht Abhängigkeit und das Gedankenkarusell beginnt.

LB24: Es gibt also noch Hoffnung?

Sven Seeg: „Ja, es gibt immer Hoffnung. Der Weg, den ich gegangen bin, war nicht einfach, und ich habe viele Rückschläge erlebt, aber es gibt immer einen Ausweg, wenn man bereit ist, was für sich zu tun. Der Schlüssel liegt in der Selbstreflexion sowie der Annahme und Akzeptanz von dem, was ist. Inneren Widerstand aufzugeben gegen etwas, was man sowieso nicht ändern kann, ist eine wahre Wohltat. Ich habe auf dem Weg viel lernen dürfen und möchte diese Erfahrungen an diejenigen gerne weitergeben, die sich dafür interessieren. Es ist wichtig, sich nicht von äußeren Erwartungen leiten zu lassen, sondern wieder mehr auf die eigene Intuition, das Bauchgefühl zu hören. Wir können uns selbst helfen, aber dazu müssen wir lernen, die richtigen Fragen an uns selbst zustellen. Das ist ein Weg, der uns langfristig wirklich zu einem erfüllteren Leben führen kann.“

Lieber Sven, ich danke Dir für das Gespräch!


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Transparenz-Hinweis: Der Podcast wurde von  “Originalteile – Der Leute-Podcast aus Heilbronn & Region” – Robert Mucha geführt.