„Eigentlich wollte ich Landschaftsgärtner werden“ – Ludwigsburg24 im Gespräch mit Martin Hettich

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Er führt 700 Mitarbeiter, machte 2019 einen Ertrag von rund 20 Millionen Euro und ist ein Chef zum Anfassen: Martin Hettich, Vorstandschef der 530.000 Mitglieder starken Sparda-Bank Baden-Württemberg mit Hauptsitz in Stuttgart. 38 Filialen zählte die Sparda-Bank vor dem Lockdown, jetzt wo die Banken wieder öffnen dürfen, hat sich Martin Hettich schweren Herzens von einer trennen müssen. An seiner Ludwigsburger Zweigstelle, einer der größten, die mit 14 Mitarbeiter 50.000 Kunden betreut, hält der Spitzenbanker auf alle Fälle fest, wie er im Interview mit Ludwigsburg24 verrät.

Ein Interview von Patricia Leßnerkraus und Ayhan Güneş

Herr Hettich, Ihre Ludwigsburger Zweigstelle feiert in diesem Jahr 25-jähriges Jubiläum. Wie zufrieden sind Sie mit dem Standort Ludwigsburg?

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Ludwigsburg ist eine unserer ersten und neben Freiburg und Ulm eine der größten Filialen im Ländle. Die Filiale hat sich gut entwickelt, wird täglich stark frequentiert und hat ihren Bestand in den 25 Jahren rund verzehnfacht. Die Kollegen vor Ort betreuen ein großes Kundenvolumen, sind sehr stark involviert in das Thema Baufinanzierung und haben auf diesem Gebiet ein gutes Standing. Wir haben ein leistungsstarkes Team in Ludwigsburg und ich muss sagen, dort einen Standort zu eröffnen ist rückblickend eine sehr erfolgreiche Entscheidung gewesen.

Das heißt, Sie werden auch weiterhin auf Ludwigsburg zählen?

Wir zählen absolut auf den Standort Ludwigsburg und die Region! Den Kornwestheimer Kundenstamm deckt Ludwigsburg durch die enge räumliche Anbindung mit ab. Ludwigsburg ist eine Filiale mit der Perspektive, dauerhaft Nutzen zu erzeugen und wichtiger noch, mit den Kunden im direkten Kontakt zu sein.

Sie unterstützen in Ludwigsburg Events wie das Straßenmusikfestival. Dieses Jahr müssen jedoch alle großen Events abgesagt werden. Wie sehr schmerzt das?

Das schmerzt natürlich sehr, weil ein super Jahr vor uns lag mit rund 600 Projekten, die wir fördern u.a. auch in Schulen oder Kitas in ganz Baden-Württemberg. Jetzt wirken natürlich unsere Impulse, vor allem was die Veranstaltungen angeht, nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben. Wir bedauern auch sehr, dass durch die vielen Absagen der großen Events der Mehrwert für unsere Sparda-Kunden wegfällt, vergünstigte Eintrittspreise oder eine Überraschung vor Ort erhalten zu können.

Was bedeutet das in der Praxis für Ihre Projektpartner?

Zu unserem Geschäftsmodell gehört, dass wir eine Bank sind, die in der Region Verantwortung trägt. Deswegen fördern wir die unterschiedlichsten Projekte über unseren Gewinnsparverein und über unsere Stiftungen. Trotz aller Absagen wegen Corona unterstützten wir auch in diesem Jahr unsere Projektpartner, vor allem, wenn sie für die Vorbereitung des geplanten Projekts schon Ausgaben hatten. Ihnen soll so wenig finanzieller Schaden wie möglich entstehen. Und selbstverständlich stehen wir auch im kommenden Jahr wieder als Partner zur Verfügung. Zusätzlich haben wir gerade eine neue Stiftung „Umwelt und Natur“ ins Leben gerufen. Sie ergänzt unsere Bildung- und Sozialstiftung, die Kunst- und Kulturstiftung und die Kinderturnstiftung als weitere Stiftung. Wir haben viele Ideen, wie wir Kinder, Jugendliche, junge Menschen helfen können, das Verständnis zur Natur, zur Umwelt, für das eigene Verhalten durch entsprechende Fördermaßnahmen und entsprechende Bildungs-.und Aufklärungsprojekte näher zu bringen und weiterzuentwickeln. Unser gemeinnütziges, soziales und ökologisches Engagement gehört auch weiterhin zu unserer Geschäftspolitik.

In Ludwigsburg engagieren Sie sich als Bank auch für den Sport, unterstützen vor allem die MHP-Riesen, die es dieses Jahr ins Finale um die Deutsche Meisterschaft geschafft haben. Erfüllt Sie das mit Stolz?

Wann immer es mein Zeitplan erlaubt, schaue ich bei den Spielen der MHP-Riesen vorbei und fiebere mit. Das Engagement für die MHP-Riesen liegt schon sehr lange zurück. Damals waren sie noch in der Rundsporthalle, heute haben sie ihre eigene Arena, dazu kommt der sportliche Erfolg. Auf diese tolle Entwicklung, übrigens auch dank eines guten Managements, sind wir schon stolz. Umso glücklicher macht es uns, die MHP Riesen bei dieser Entwicklung begleitet haben zu dürfen. Die Vizemeisterschaft ist eine sensationelle Leistung von Spielern, Trainer und Verein, vor allem wenn man die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mit den großen Vereinen wie Brose Bamberg oder Bayern München vergleicht. Worauf ich ebenfalls stolz bin und was mir auch immer sehr wichtig war, ist die Förderung der Basketball-Akademie. In diesem Jahr konnten tatsächlich einige der jungen Nachwuchsspieler auf diesem hohen Leistungsniveau im Endturnier mitspielen. Das ist super, so könnte es gerne weitergehen.

Vizemeister ist tatsächlich eine grandiose Leistung. Was hat Sie sonst noch in Ihrem Engagement bei den MHP-Riesen bestärkt.

Mir ist in dieser Saison besonders positiv aufgefallen, dass sehr viel Leidenschaft sowie Teamgeist in der Mannschaft steckt. Darauf legen wir als Genossenschaftsbank ebenfalls größten Wert im Umgang mit unseren Mitgliedern sowie Kunden, im Team mit den Mitarbeitern oder Führungskräften. Gerade auch diese beiden erwähnten Eigenschaften haben viel zum Erfolg beigetragen und die Chance ermöglicht, sich jetzt auf internationaler Bühne zu beweisen, wodurch wir natürlich auch unsere Markenwahrnehmung steigern.

Sie stehen für eine agile Unternehmensstruktur, das ist für eine Bank geradezu revolutionär. Haben Sie sich da etwas aus dem Sport abgeschaut?

Unternehmer orientieren sich am Mannschaftssport, denn die Leistung im Kundenkontakt, das gute Produkt, eine gute Serviceleistung und unsere Konditionen sowie Preise werden gemeinsam erzeugt. Bei uns arbeiten 700 Menschen, was die Verantwortung für möglicherweise 700 Familien bedeutet. Gleichzeitig tragen wir ebenso Verantwortung fürs Unternehmen sowie die Verantwortung, unseren Kunden etwas zu bieten, was uns leistungs- und wettbewerbsfähig macht. Und das alles entsteht nur im Team. Was nutzt es, wenn ich als Vorstand Vorgaben mache, die die Mitarbeiter nicht umsetzen können. Erfahrungsgemäß ist jeder Mensch dort am besten, wofür er eine Leidenschaft mitbringt, was kombiniert mit der Vernetzung der Mitarbeiter dann einen Mehrwert schafft.

Wie sieht Ihr Sparda-„Mannschaftssport“ in der Praxis aus?

Wir haben klassische Arbeitsteilung. In der Filiale wird beraten, hier in der Zentrale wird abgearbeitet, was beispielsweise im Kreditgeschäft anfällt. Das funktioniert nur, wenn die Teams aufeinander abgestimmt arbeiten, damit es keine Reibungsverluste gibt und Übergänge entstehen. Die erste Teamarbeit beginnt bereits in den Filialen. Nehmen wir Ludwigsburg mit dem Filialleiter Herrn Bley und 13 weiteren Kolleginnen und Kollegen. Jeder von ihnen hat seine Aufgabenstellungen innerhalb des Teams zu erledigen. Der eine Mitarbeiter ist eben perfekt im Schnellgeschäft und dem direkten Umgang mit dem Kunden, andere Mitarbeiter sind spezialisiert auf Anlageberatung oder Baufinanzierung. Es ist immer wichtig zu erkennen, was der Kunde genau wünscht und entsprechend übergibt man das an den jeweiligen Kollegen im Team. So erzeugen wir alle gemeinsam Leistung.

Sie legen großen Wert darauf, dass Ihre Mitarbeiter Leidenschaft und Freude an Ihrem Job haben. Warum ist Ihnen das so wichtig?

Als ich 1979 meine Ausbildung begann und 1984 zur Sparda-Bank in Karlsruhe kam, war es so, dass ganz oben einer saß und sagte, wie es geht. Das wurde dann über die Linienfunktion einfach immer weitergegeben, bis es schließlich ganz unten ankam und ohne Hinterfragen umgesetzt wurde. Das hat sich zum Glück über die Jahre verändert, denn Menschen wollen sich entwickeln, sie wollen teilhaben, mitgestalten und auch mitverantworten. Insofern haben wir jetzt hier bei uns im Haus mehr und mehr Aufgaben so delegiert, dass in Teams Dinge je nach Stärke und Leidenschaft verteilt erledigt und eigenverantwortlich entwickelt werden.

Ist Ihnen dieser Prozess leichtgefallen?

Am Anfang ist es nicht so einfach, denn man gibt ja ab. Agil arbeiten wirft durchaus Fragen auf: Hätte ich es genauso gemacht? Ist es jetzt die Lösung, die ich präferiere? Ist es auch die richtige Lösung? Aber man kann dann wiederum auf die sogenannte Schwarmintelligenz bauen und darauf setzen, dass die Summe der Ideen, Gedanken, Anregungen und Lösungen von mehreren vielleicht doch besser sind als meine direkte, unmittelbare und eventuell engstirnigere Art zu entscheiden oder Dinge zu regeln. Und ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wir sind vier Vorstände und jeder hat seine eigene Meinung zu dem Thema agile Unternehmenskultur. Dem einen Vorstand gefällt das, dem anderen eher weniger. Vertriebler sagen: Ja, machen wir. Der Controller, der eher klar strukturiert vorgeht, der hat mit Abweichungen eventuell seine Schwierigkeiten.

Ihren Führungsstil würden Sie kurz und knapp wie folgt definieren: Vertrauen schenken und eigenverantwortliches Arbeiten zulassen?

Ja, das stimmt so, aber es bewegt sich durchaus innerhalb von Leitplanken. Agilität wird oft verstanden als „Jeder kann alles.“ Das ist aber nicht so. Anfangs einigt man sich schon, in welchem Rahmen man sich bewegt, da weder Geld noch Ressourcen unendlich vorhanden sind. Auch die Regulatorik im Bankkontext – beispielsweise bei Kreditverträgen – stellt bestimmte Anforderungen. Aber es ist schon so, dass ich im Spannungsbogen lebe, Verantwortung zu übergeben und dann auch mit den Ergebnissen zurechtzukommen. Das setzt ein maximales Vertrauen voraus. Ich bin vom Typ her schon immer wieder stark nachfragend, kontrollierend, hinterfragend und als Spiegel mitdenkend. Das ist eine innere Spannung, mit der ich zurechtkommen muss.

Weshalb sind Sie bereit, diesen Spannungsbogen zuzulassen?

Mir selbst wurde in meinem Berufsleben auch immer Vertrauen geschenkt und ich durfte gestalten. Wir als Vorstände und Führungskräfte können die Arbeit nicht allein machen. Deshalb haben wir die agilen Arbeitsweisen und -methoden seit zweieinhalb Jahren so richtig initiiert, haben entsprechend die Arbeitsbereiche verändert und stellen fest, dass es den Menschen unheimlich gut tut, sich selber einzubringen und zu entwickeln. Wir haben viele Kolleginnen und Kollegen zu agilen Coaches ausgebildet, haben Methoden trainiert, damit sich bei allen auch im Kopf die Kultur verändert und in der Praxis umgesetzt werden kann. Das heißt, die Mitarbeiter müssen sich trauen, sich spontan zusammenzusetzen, hierarchische Strukturen zu durchbrechen, ad hoc übergreifende Arbeitsgruppen zu bilden, um Lösungen zu finden. Das muss alles angenommen und gelebt werden. Das ist in der kurzen Zeit noch nicht überall angekommen, aber wir sind auf einem guten Weg.

Sie wirken sehr offen und locker. Wie reagieren Sie, wenn mal was nicht so läuft wie vorgestellt?

Ja, ich bin schon locker, aber auch sehr genau und es fuchst mich schon, wenn es nicht funktioniert. Dann reagiere ich durchaus streng. Ich hole mir den entsprechenden Mitarbeiter zum Gespräch, gleiche ab und frage, wo wir die Abweichung vom Soll-Profil haben. Dann geht es mir darum, gemeinsam Lösungsansätze zu finden, um wieder zum Soll-Profil zu kommen. Oder aber ich muss erkennen, dass wir uns etwas vorgestellt haben, was nicht eins zu eins zu erreichen ist. Dann muss ich mit diesem Ergebnis leben.

Das heißt, Sie diskutieren auf der sachlichen Ebene über das Problem, aber Sie brüllen Ihren Ärger gegenüber dem Mitarbeiter nicht raus?

Ich brülle so gut wie nie. Aber es ist so, dass mich so einiges kümmert. In der Regel habe ich die Ruhe weg, aber wenn es mich total fuchst, kann ich mal lauter werden, wobei ich versuche, immer bei der Sache zu bleiben. Es gab aber durchaus schon Kollegen, die mir rückgespiegelt haben, dass ich mit meiner Kritik zu nah, zu direkt an ihnen dran war. Dann fällt es mir jedoch leicht, auf die betreffende Person zuzugehen und mich zu entschuldigen. Es ist doch wie im Sport, da müssen in manchen Situationen ebenfalls die Emotionen raus. Dann gibt es vielleicht kurz mal Ärger, aber danach rückt das Team wieder zusammen.

Wie oft müssen Sie Ihrem Ärger Luft machen?

Natürlich läuft bei uns noch nicht alles rund. Wenn ich jedoch merke, dass die Mitarbeiter wollen, sich den Herausforderungen stellen, offen und ehrlich mit mir diskutieren, auch rückkoppeln, dass ich mit meiner Meinung vielleicht auf dem falschen Weg bin, dann finden wir durchaus Lösungsansätze. Es geht doch vor allem darum, nach vorn zu schauen und zu einer Unterscheidung von anderen Wettbewerbern zu kommen. Damit der Kunde spüren kann, die Sparda-Bank Baden-Württemberg ist eine Spur direkter, einfacher in der Entscheidungsfindung, vielleicht auch in der Konditionierung besser, persönlicher, jederzeit erreichbar und vieles mehr. Wir müssen unseren Kunden in allen Bereichen eine gute Heimat bieten, das ist unser Auftrag. Letztendlich geht es immer um die Sache.

Sie sind ein Chef zum Anfassen…

Natürlich, denn ich komme ja selbst von ganz unten, bin 1984 als Filialleiter eingestiegen in der Sparda-Bank in Karlsruhe, hatte verschiedene Zwischenetappen, war dann Bereichsleiter für mehrere Filialen, war Generalbevollmächtigter. 2010 wurde ich Vorstand und 2014 schließlich Vorstandsvorsitzender. Ich bin sehr glücklich über diese Karriere und wollte auch nie zu einer anderen Bank, weil ich 1984 von diesem Sparda-Virus infiziert wurde. Ich fühle mich hier nachwievor sehr, sehr wohl. Doch die Nähe zu den Mitarbeitern nimmt ab, wenn Sie Vorstand werden. Sie können zwar ein Büro mit offener Tür haben, aber Sie sind natürlich Stück für Stück weiter weg. Als Filialleiter kannte ich alle Mitarbeiter, als Bereichsleiter mit zehn Filialen auch noch alle, da wurde es als Generalbevollmächtigter schon schwierig, als Vorstand noch schwieriger und als Vorstandsvorsitzender hat man dann am Ende des Tages hoffentlich noch Kontakt über alle Hierarchiestufen. Ich bin schon nahbar, allerdings ist meine Anwesenheit vor Ort durch meine Aufgaben und die vielen Auswärtstermine nur sehr eingeschränkt.

Fehlt Ihnen dieser direkte Kontakt?

Manchmal fehlt mir der direkte Kontakt schon. Es gibt einzelne Kontakte, die nie abgebrochen sind, weil es über die Zeitreise hinweg und durch die vielen verschiedenen Funktionen überall noch irgendwelche Kolleginnen und Kollegen gibt. Trifft man sich, redet man auch intensiver. Aber es ist nun mal ein Teil meiner Aufgabenstellung, dass ich mich nicht mehr um alles kümmern soll.

Sie haben sich nach Ihrer Banklehre und dem Wechsel zur Sparda-Bank vom einfachen Bankangestellten bis an die absolute Vorstandsspitze hochgearbeitet. Eine beachtliche Leistung. Ist heute ein solcher Werdegang ohne Studium überhaupt noch denkbar?

Mit 16 Jahren habe ich eine zweieinhalbjährige Ausbildung zum Bankkaufmann absolviert. Innerhalb des genossenschaftlichen Ausbildungswesens kann man sich nebenher in mehreren Aufbaustufen weiterbilden. Dabei werden verschiedene Themen verfestigt wie Rechnungswesen, Vermögensberatung, Steuern, Wirtschaftsrecht und am Ende mündet das Ganze im Bank-Diplom bei der Akademie Deutscher Genossenschaften. Es ist insofern ein nebenberufliches Studium mit der Qualifikation zur Ausübung meines jetzigen Jobs, aber ein klassisches Studium habe ich nicht absolviert. Um zu Ihrer Frage zurückzukommen: Diese Ausbildung gibt es noch, aber meinen Weg heute so zu gehen, halte ich eher für schwierig. Die meisten unserer Auszubildenden entscheiden sich anschließend doch noch für ein klassisches Studium oder machen nebenher ein Studium an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie.

In den 80er und 90er Jahren gab es noch viel mehr Spielraum für einen Karriereweg wie meinen. Und es gehört auch eine Portion Geduld dazu, um so weit zu kommen. Bei mir war die Verbindung mit der Bank auch immer ein Stück weit die Energie für die Geduld.

Was hat Sie als 16-Jähriger gereizt, eine Banklehre anzutreten?

Es war die schlichte Not, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Es war eine Verlegenheitslösung, denn ursprünglich wollte ich Landschaftsgärtner werden, weshalb ich auch nie ans Abitur gedacht habe. Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen und hatte deshalb die Verbindung zu Tieren, zu Pflanzen, zur Natur. Als ich zehn war, stellten mir meine Eltern hinterm Haus ein kleines Eckchen vom Grundstück zur Verfügung gestellt, das ich bearbeiten durfte. Dort habe ich aus dem Kern raus Kirsch- und Pfirsichbäume und vieles mehr gezüchtet.

Warum sind Sie nicht bei Ihrem Wunschberuf geblieben, sondern haben sich für die Bank entschieden?

Als die Berufswahl anstand, wurde mir ein Unfall als achtjähriger Junge zum Verhängnis. Ich habe damals mein Gehör verloren und bin auf dem linken Ohr taub. Mein Ohrenarzt hat mir von dem Beruf als Landschaftsgärtner dringend abgeraten, weil ich in diesem Beruf mit großen, sehr lärmenden Baumaschinen zu tun gehabt hätte, was für das noch gesunde Ohr eine große Belastung mit möglichen Konsequenzen gewesen wäre. Also blieb nur noch die Dienstleistungsbranche als Berufswahl übrig. Ich habe mich dann bei Versicherungen, Banken, dem Finanzamt sowie IT-Dienstleistern beworben. Aber ich war mit meinen Bewerbungen zu spät dran, die meisten Lehrstellen waren bereits vergeben. Es kam eine Absage nach der anderen. Durch Zufall ist bei der örtlichen Raiffeisenbank ein Lehrling abgesprungen, so dass ich wegen meines guten Zeugnisses die Chance für ein Bewerbungsgespräch bekam und tatsächlich genommen wurde.

Was hat Ihnen in der Ausbildung so Spaß gemacht, dass sie danach dabeigeblieben sind und so eine Karriere hingelegt haben?

Mich hat die Erkenntnis überzeugt, dass man in diesem Beruf etwas gestalten kann, denn die Entwicklung von Menschen hat im übertragenen Sinn etwas mit aufbauen, mit pflanzen, mit fördern, mit gießen und düngen zu tun. Letztlich hat meine Leidenschaft meine erste Ausbildungspatin entfacht. Wir waren eine klassische Ein-Mann-Filiale auf dem Dorf und ich hatte keine Ahnung. Sie sagte zu mir: „Bub, ich zeig dir jetzt zwei Wochen lang wie es geht. In dieser Zeit hast du das so gelernt, dass du hinterher fit bist und alles allein kannst. Ich kümmere mich derweil um die Beratertätigkeit. Wenn ein Kunde ein interessantes Thema hat, dann holst du mich dazu und ich übernehme ihn.“ Ich hatte anfangs immer großen Bammel, ob die Kasse abends stimmt. Aber sie hat mir vertraut, mich gefordert und gefördert, und hat dadurch meine Leidenschaft für diesen Beruf geweckt. Das war mein großes Glück, denn schon 1984, als ich mich 1984 bei der Sparda-Bank bewarb, wurde ich sofort als Filialleiter eingestellt.

Stichwort Corona: Welche Auswirkungen hat Covid-19 für die Bank?

Corona ist ein einschneidendes Ereignis, das uns voraussichtlich dauerhaft beschäftigen wird. In der Bank habe ich positive Erfahrungen gemacht, weil die Mitarbeiter sich alle sehr flexibel gezeigt haben. Sie haben sich auf Wechselschichtbetrieb von morgens 5.00 Uhr bis abends 22.00 Uhr in festen Gruppen eingelassen, um mögliche Infektionsketten durchbrechen zu können. Auch haben sie schnell von stationärer auf mobile Arbeit umgeschaltet. Dadurch habe ich erfahren, dass wir als Unternehmen Prozesse haben, die mobil erledigt werden können, die wir aber noch nie genutzt haben. Ich bin sicher, dass unser Verständnis für mobile Arbeit durch Corona zugenommen hat. Ich bin ebenfalls sehr froh darüber, dass wir bislang nur fünf Infizierte hatten, die alle wieder gesund wurden. Wir hatten gut zu tun in den sechs Wochen des Shutdowns, obwohl unsere Filialen leider vier Wochen davon geschlossen waren. Im Call-Center hatten wir aufgrund vermehrter Anrufe Engpässe, aber durch unsere generelle Erreichbarkeit ein positives Feedback unserer Kunden. Wir konnten durch Videoberatung alle Bankgeschäfte von der Kontoeröffnung über die Baufinanzierung bis hin zur Anlageberatung beibehalten. Dennoch ist geschäftlich nicht absehbar, was die Corona-Krise für die Bank bedeutet, das wird sich im zweiten Halbjahr oder auch erst 2021 zeigen. Eventuell müssen wir mit einer größeren Arbeitslosigkeit rechnen, weil manche Firmen und Branchen regelrechte Alarmsignale senden.

Und was bedeutet die Corona-Krise für Sie und Ihre Familie?

Meiner Lebenspartnerin, meinen Kindern, meiner Enkelin und mir geht es zum Glück gut, wir sind alle gesund. Für mich persönlich hat es dazu geführt, dass viele Termine und Reisen weggefallen sind und ich plötzlich wieder Zeit hatte, dreimal pro Woche eine große Runde zu joggen. Die weggefallenen Reisen sind aber nicht tragisch, weil sich alles in Video- oder Telefonkonferenzen in der Hälfte der Zeit erledigen lässt. Manchmal fehlt mir die Bindung der persönlichen Kontakte und der persönlichen Konferenzen, und je länger diese Zeit der Videokonferenzen dauert, umso mehr gewinne ich den Eindruck, man verliert die Interaktion und Verbundenheit zu Menschen, weil es viel formaler zugeht.

Werden Sie für Ihr Berufsleben etwas aus der Corona-Zeit für sich mitnehmen?

Ja, ich werde Reisen ablehnen, bei denen die Reisezeit länger dauert als die Sitzung selbst. Wenn ich eine zweistündige Routine-Sitzung in Berlin habe, dafür aber sechs Stunden unterwegs bin, dann fordere ich in Zukunft entweder die Zusammenlegung von zwei Terminen für den Tag in Berlin ein oder die Umwandlung der Sitzung in eine Telefon- oder Videokonferenz. Ausgenommen sind natürlich Termine, für die ein persönliches Zusammentreffen wichtig ist. Ich stelle fest, dass das Verständnis für solche Entscheidungen wächst und auch durchaus andere Menschen diese Überlegungen anstellen. Das Thema mobiles Arbeiten werden wir künftig intensivieren, denn die Corona-Zeit hat gezeigt, dass es funktioniert. Wir werden unseren Mitarbeitern auch nach Corona das Vertrauen entgegenbringen, dass sie auch von Zuhause aus ihre Arbeit entsprechend zuverlässig und verantwortungsbewusst erledigen. Außerdem haben wir einige Arbeitsweisen neu entdeckt, die wir künftig nutzen möchten, beispielsweise interaktiv und digital am gleichen Thema zu arbeiten und es weiterzuentwickeln.

Wird sich für Ihre Kunden etwas ändern?

Mit unseren Kunden sind wir inzwischen mehr und mehr in digitaler Kommunikation, weil es von ihnen verstärkt gewünscht wird. Außerdem werden wir die eine oder andere einfache Serviceleistung, die bisher stationär, aber immer seltener genutzt wird, digitalisieren. Dazu gehört zum Beispiel die Einführung des digitalen Ausdrucksarchivs, in dem wir dem Kunden seine Auszüge zehn Jahre archivieren und er sie selbst bei Bedarf abrufen und ausdrucken kann. Wir haben die TEO-Banking-App fürs Smartphone eingeführt, mit der noch mehr Interaktion möglich ist. Dennoch möchte ich betonen, dass wir keine Internetbank sein wollen und weiterhin großen Wert auf den direkten Kontakt mit den Kunden legen und auf persönliche Nähe in unseren Filialen sowie mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Call-Centern setzen.

Wird es durch mehr Digitalisierung zum Filialen-Sterben kommen?

Nein, es wird nicht zum Filialen-Sterben kommen, gleichwohl die Branche Ertragsdruck hat durch die negative Zinslandschaft bei der EZBDas heißt, es gibt für Geld kein Entgelt, als keinen Zins mehr und das wird voraussichtlich leider noch jahrelang anhalten. Was bedeutet, dass man sich seine Filialpolitik ganz genau überlegen muss. Ich kann Genossenschaftsbanken und Sparkassen verstehen, die nach Corona ein Viertel oder gar Drittel ihrer Filialen nicht mehr öffnen, weil die Krise bewiesen hat, dass es auch ohne diese Filialen geht. Wir hatten in Baden-Württemberg vor der Krise 38 Filialen, jetzt haben wir 37 wieder aufgemacht. Bei einer einzigen Filiale in Karlsruhe haben wir uns dagegen entschieden, weil die nächste nur zwei Kilometer entfernt liegt. Das fünfköpfige Mitarbeiter-Team konnten wir aufteilen auf andere Filialen, so dass kein Mitarbeiter entlassen wurde. Aber jede Filiale, deren Mitvertrag ausläuft, wird auf dem Prüfstand stehen. Ob sie bleibt oder nicht, entscheiden die Kunden insofern mit, wie sie die Filiale frequentieren und mit der Bank Geschäfte machen.

Erstmals in der 124-jährigen Geschichte der Sparda-Bank müssen Ihre Kunden Kontoführungsgebühren zahlen. Ein Schock für viele, denn gerade das kostenfreie Konto war ein Plus und Unterscheidungsmerkmal für Ihre Bank. Warum haben Sie sich zu diesem einschneidenden Schritt entschieden?

Glauben Sie mir, wir haben uns diese Entscheidung alles andere als leicht gemacht und lange sowie intensiv über diesen Schritt nachgedacht. Wir haben seit der Finanzkrise eine zunehmende Regulierung.  Dadurch entstanden zunehmende IT-Kosten sowie Kosten und Aufbau für Personal, um diese Regulatorik beherrschen zu können. Dann haben wir die digitale Transformation, die zwar in großen Teilen hervorragend ist, aber zuerst muss man mal eine Menge an Geld in die Hand nehmen, um die Transformation umsetzen zu können, also um u.a. eine App zu produzieren, Online-Banking einzurichten, die IBAN-Realisierung vorzunehmen. Ein Girokonto zur Abwicklung des Zahlungsverkehrs, also der privaten Buchhaltung, war schon immer kostenintensiv bezüglich Technik und Personal sowie der Kosten für das Betreiben der Filiale. Die Aufwendung der Bank, für Kunden-Überweisungen per Abbuchung, Dauerauftrag oder Lastschrift digital und beleglos zu erledigen, haben wir bisher aus den Zinserträgen finanziert, die wir aber jetzt nicht mehr haben. Dazu kommt, dass die Menschen mittlerweile Leistungen sehr differenziert nutzen. Wer bei uns sein Girokonto hat, muss nicht zwangsläufig alle Angebote unserer Bank nutzen. Seit 2008 haben wir durch die Regulatorik jährlich 15 Millionen an Mehrkosten und sie werden weiter steigen, da neue Regulierungen hinzukommen. Unsere Kreditmarge dagegen ist von 3,5 % auf 1% gesunken, das heißt 2,5% sind futsch. Wir wollen derzeit eines definitiv nicht: Filialen schließen, Personal abbauen, Negativzins einführen, Verwahr-Entgelder einführen. Da blieb uns als einziger Spielraum die Einführung der Kontoführungsgebühr. Das ist ein gravierender Einschnitt in unsere Unternehmenspolitik, weil wir unser Steckenpferd Gebührenfreiheit aufgeben müssen. Diese Entscheidung ist mir persönlich sehr, sehr schwergefallen und ich habe seit letztem Sommer Monate mit mir gerungen. Aber ich sehe keine Besserung in der Zinspolitik und sage Ihnen auch, dass bei diesem Schuldenstand spätestens nach Corona die öffentlichen Haushalte keine Zinsen mehr zahlen können – weder Städte und Kommunen, noch das Land oder der Bund.

Wie ist die Einführung der Kontogebühren bei Ihren Kunden angekommen?

Die Kunden sind per Brief vor einigen Tagen informiert worden, die Mitgliedervertreter zehn Tage vorher. Wenn Kunden oder Vertreter mich persönlich anschreiben, nehme ich das zum Anlass für ein Telefonat, in dem ich unsere Entscheidung erkläre. Bis jetzt sind die Anrufe vom Aufwand und Umgangston her noch gut zu bewältigen. Die Reaktionen reichen von absolutem Unverständnis, weil es eine Gewohnheit, ein Selbstverständnis, ein genossenschaftlicher Wert war, bis hin zu Verständnis, weil es von einigen erwartet wurde. Dennoch gehen einige der Verständnisvollen jetzt zu einer Direktbank, weil ihnen die Gebühr zu hoch ist. So ungern wir uns für die Gebühr entschieden haben, sie ist leider alternativlos. Manchmal habe ich den Eindruck, dass einige Menschen ausblenden, in welch einer finanziellen Schieflage sich die Welt befindet. Wenn ein Staat seine Zinsen nicht mehr bezahlen kann oder vielmehr nur mit Nullzinsen operieren kann, dann ist etwas in Schieflage. Wenn Geld nichts wert ist, dann sind die ganzen Geschäftsmodelle, die an Geldverzinsung dranhängen, natürlich früher oder später weg. Deshalb müssen wir uns umorientieren und machen die Konten kostenpflichtig.

Was kostet ein Girokonto jetzt bei Ihnen?

Alle Konteninhaber bis zum 31. Geburtstag zahlen auch weiterhin nichts, damit wir für junge Leute als Bank attraktiv bleiben, denn im Altersbereich von sieben bis Ende zwanzig wird die Zukunft in den Geschäftsbeziehungen entschieden. Ab dem 31. Geburtstag berechnen wir für jeden Kunden pauschal 5 Euro pro Konto, die EC- sowie Master-Karte sind inkludiert und kosten somit nichts mehr. Das ist fair und transparent.

Zusätzliche Gebühren fallen nicht an, außer, wenn sich Kunden ihre Auszüge unbedingt zuschicken lassen wollen, dann berechnen wir ihnen das Porto. Und jeder Überweisungsbeleg, der in die Filialen gebracht wird, kostet pro Auftrag 1,50 Euro. Das wird kritisch betrachtet von denjenigen, die sich dem Online-Banking, den Apps wegen Sicherheitsbedenken verweigern. Weniger als 20 % der Überweisungen unserer Kunden landen in Papierform in den Bankbriefkästen, aber dafür müssen wir einen großen manuellen Aufwand betreiben und das muss eben künftig bezahlt werden. Häufig handelt es sich bei der beleghaften Buchung ganz oft um regelmäßige Zahlungen, die, werden sie in eine Lastschrift oder einen Dauerauftrag umgewandelt, sofort kostenfrei sind.

Fürchten Sie als Bank Konsequenzen?

Meiner Meinung nach werden drei Effekte entstehen. 1. Es wird ein Bewusstsein entstehen, dass ein Girokonto einer Sparda-Bank einen Wert und eine Leistung hat, die man bepreisen darf. 2. Die Menschen werden bewusster mit Konten umgehen, sie eher zusammenlegen. 3. Wir werden Kunden verlieren. Ich habe mit einem Kunden telefoniert, der hat nur ein Zahlungsverkehrskonto bei uns, seine Kinder lediglich die Zweitbankverbindungen für den Zahlungsverkehr. Ihm habe ich offen und ehrlich gesagt: „Wenn Sie die Bank verlassen, ist der Bank geholfen.“ Denn ein reines Zweitkonto verschafft der Genossenschaft Sparda-Bank Baden-Württemberg keinen Nutzen, vor allen Dingen nicht, wenn es nichts kostet. Wir haben nämlich auch Kunden, die uns nutzen, benutzen, ausnutzen, da ist es höchste Zeit einen Preis als Entgelt zu verlangen, schon aus Gerechtigkeit gegenüber den anderen Sparda-Kunden mit einer gesunden, vollwertigen Geschäftsverbindung.

Herr Hettich, wir danken Ihnen für das Gespräch!