Ein Interview von Patricia Leßnerkraus und Ayhan Güneş
Sein Vorstrafenregister ist ellenlang: Wegen 100-facher Körperverletzung sowie 157-facher räuberischen Erpressung wurde er bereits verurteilt. Die Rede ist von Mustafa Arpacik. In der Szene besser bekannt als, „Der Boxer“. Der in Ludwigsburg geborene Speditionskaufmann ist der ehemalige Chef der größten Ludwigsburger Gang, die seinerzeit sehr oft im Konflikt mit den Gesetzeshütern stand und regelmäßig für Schlagzeilen sorgte.
Der heutige Familienvater von zwei Kindern erzählt im Exklusiv-Interview mit Ludwigsburg24, wie er auf die falsche Bahn geriet, weshalb er sich als Robin Hood sieht und warum er aus seiner Sicht der Polizei mehr Rechte geben würde.
Ludwigsburg24: Mustafa, in Ludwigsburg bist Du kein Unbekannter. Du bist hier geboren, aufgewachsen und hast Dir als junger Mann einen Ruf erarbeitet, der für viel Aufmerksamkeit gesorgt hat. Warst Du schon als Kind ein “Bad Boy” ?
Mustafa Arpacik: Nein, so würde ich das nicht sehen. Ich war auch später nicht wirklich ein böser Bube. Laut meiner Mutter war ich bis einschließlich erster Klasse eher zurückhaltend bis ängstlich. Aber schon in der zweiten Klasse habe ich gespürt, dass ich größer und kräftiger bin als meine Mitschüler. Ich kann zurecht behaupten, dass ich schon in der Schule der Stärkste war. Irgendwann während der Grundschulzeit fing ich dann mit Kampfsport an: Judo beim MTV und Karate bei Dieter Wolf. Das war nicht nur gut für den Körper, sondern ebenso fürs Selbstbewusstsein.
Wie waren eure familiären Verhältnisse, was hat Dich geprägt?
Ich habe noch einen älteren Bruder und eine ältere Schwester, war also das Nesthäkchen. Meine Eltern gehörten zur ersten Generation Einwanderer und waren einfache Leute. Mama war 30 Jahre bei Mann+Hummel beschäftigt, Papa hat über 20 Jahre immer wieder durch Gelegenheitsjobs auf verschiedenen Baustellen gearbeitet, beide sind jetzt in Rente. Mal sind sie hier, mal leben sie in der Türkei. Wir hatten nie besonders viel Geld, aber mir ging es trotzdem nicht schlecht, auch wenn meine Eltern sich nicht übermäßig mit mir beschäftigen konnten. Trotzdem sind meine Geschwister und ich anständig erzogen worden. Wir können uns benehmen, sind höflich und hilfsbereit und haben Werte mit auf den Weg bekommen.
Wie verlief Deine schulische Karriere?
Das war zunächst die klassische Laufbahn eines Sohnes von Einwanderern. Ich habe die Grund- und anschließend die Hauptschule absolviert. Dann bin ich sogar weiter auf eine Wirtschafts-Realschule und danach noch aufs Berufskolleg I, wo ich mein Fachabitur abgelegt habe. Im Anschluss habe ich bei Kühne&Nagel eine solide Ausbildung zum Speditionskaufmann durchlaufen.
Du hast sogar mal ein Studium begonnen…
Stimmt, ich habe angefangen Produktion und Logistik zu studieren, habe dann aber abgebrochen. Zum einen hatte ich wenig Lust dazu, zum anderen war ich damals schon verlobt und brauchte dringend Geld.
Das hört sich eigentlich alles ganz normal an. Doch irgendwann muss es einen Wendepunkt in Deinem Leben gegeben habe. Wann war der und wie kam es dazu?
Als ich ungefähr 15 oder 16 Jahre alt war, habe ich gemerkt, dass ich einfach extrem viel Kraft und Energie habe. Ich konnte sehr früh schon Gewichte stemmen, bei denen selbst ein gut trainierter Erwachsener Probleme hatte. Dadurch bin ich dann bereits in sehr jungen Jahren in die Türsteherszene reingerutscht. Mein Freund Yüksel hatte bereits mehr als 10 Jahre Erfahrung im Nachtleben, er hat mich behutsam in die Szene eingeführt, mich mit Rat und Tat unterstützt und mir Taekwondo beigebracht. So habe ich mir langsam meinen Namen erarbeitet, man wusste irgendwann, wer ich bin. Irgendwie habe ich mich zu einer Respektsperson entwickelt, der man nicht gerne widersprach. Nicht umsonst bin ich inzwischen einschlägig wegen 100-facher Körperverletzung vorbestraft. Für mich war es egal, wer vor mir stand, ich war so durchtrainiert, dass ich es immer mit jedem aufnehmen konnte.
Wer nicht spurte, der bekam also eine auf die Zwölf?
Das wäre zu einfach ausgedrückt. Wir waren Sportler, weshalb wir beispielsweise nichts mit Drogen zu tun haben wollten. Auch Zuhälterei war nicht unser Ding. Wer das alles nicht kapierte, musste halt irgendwie vermittelt bekommen, dass er bei uns falsch war. Wir verstanden uns als klassische Türsteher, die den Club aus Überzeugung beschützten.
Was haben Deine Eltern zu Deinem Job gesagt?
Meine Eltern haben lange nichts gemerkt. Sie dachten einfach, ich gehe abends aus. Mein Bruder kam irgendwann dahinter und sagte nur zu mir: „Als Bruder bin ich nicht dabei, also musst du auf deinen Hintern selbst aufpassen. Wenn du das kannst, mach weiter. Kannst du es nicht, lass es.“ Ich war mir meiner Kraft bewusst, zudem musste ich das Geld als Türsteher mitnehmen, denn ich war arbeitslos. Neben diesem Job habe ich mit Boxen begonnen. Schnell stellte sich heraus, dass ich absolut talentiert bin. Da war ich Anfang 20. Dann mit Mitte 20 hatte ich auf einmal verstanden, dass ich eine absolute Respektsperson geworden war, und gründete auf Wunsch eines damaligen Kumpels eine Gruppe, man kann dazu türkische Mafia sagen, deren alleiniger Chef ich war. Die Gruppe umfasste Ludwigsburg, Markgröningen und einen Teil von Stuttgart.
Wer wurde in die Gang aufgenommen?
Jeder, der dazugehören wollte, war willkommen, unabhängig von Nationalität oder Religion. Wichtig innerhalb der Gruppen waren aber Eigenschaften wie Hilfsbereitschaft, Loyalität und korrekter Umgang miteinander. Allerdings kamen nicht alle mit den gleichen Erwartungen dorthin. Es kamen halt auch welche, die ihre eigenen Probleme mitgebracht haben und dachten, sie könnten diese mithilfe der Gruppe lösen.
Irgendwann schmolz deine Gang mit einer noch größeren Gruppe zusammen.
Richtig, ich einigte mich mit deren Präsidenten und wir traten seiner Gang bei. So wurde ich Chef einer Gruppe mit auf einmal 300 bis 400 Mitgliedern und einem eigenem Club-Haus. Das war alles so um 2010/2011 ab.
Was war das Ziel oder die Aufgabe der Gang?
Meine Mentalität kam der von Robin Hood gleich. Ich hatte die Absicht, Leute von der Straße aufzunehmen und sie auf einen guten Weg zu lenken: z.B. den Schulabschluss und eine Ausbildung zu machen. Aber meine Absicht war leider nicht die Realität. Jeder wollte plötzlich dazugehören, selbst der Dümmste oder der Schwächste. Das war mir aber anfangs ziemlich egal, denn für mich war vor allem die Mitgliederanzahl und die Menge an Mitgliedsbeiträgen interessant. Das war ein Fehler, denn plötzlich hatten wir u.a. auch Drogendealer in unseren Reihen. Das lag mit daran, dass ich mir nebenher noch einen Autohandel aufgebaut hatte und mich bei der Gruppe nicht mehr um alles selbst kümmerte. Es wurde alles zu viel und ich hatte keinen Einblick mehr in die Details, weil ich vieles an einen Club-Kollegen abgegeben hatte. Der setzte dann halt die Arbeit auf seine Art fort.
Warst Du mit seiner Arbeit nicht zufrieden?
Na ja, was soll ich dazu sagen? Eines Tages bekam ich einen Anruf von einem Hauptkommissar, der sagte: „Arpacik, komm mal bei mir vorbei, wir müssen sprechen“. „Mit der Polizei gibt es nichts zu sprechen“, antwortete ich nur kurz und knapp. „Wenn du nicht kommst, dann kommen wir“, erklärte er knapp. Ich bin dann zwar hin, war aber ziemlich brachial. Im Rückblick frage ich mich, wie blöd, wie dumm kann man sein, aber damals hatte ich die absolute Power und war der Meinung, mir kann keiner was. Ich bin dann zu ihm ihn, wurde sogar mit Kaffee empfangen. Seine Aussage war deutlich: „Arpacik, das hier ist meine Stadt, da hat sich jeder an Regeln zu halten. Ich habe ein Auge auf Dich.“ Ich Idiot habe leider geantwortet: „Pass auf wie du mit mir redest, sonst kommst du nicht nach Hause.“ Nach diesem Satz von mir hat er das Gespräch sofort beendet. Bis heute bereue ich meine dumme Aussage, aber leider lässt sie sich nicht rückgängig machen.
Was ist passiert?
Die Konsequenz für mich folgte prompt, denn man kannte mich bei der Polizei und erkannte meine aufgemotzten Autos jederzeit und überall. Bei jeder Polizeikontrolle wurde ich sofort raus gewunken. Teilweise hatte ich Kontrollen mit bis zu 24 Polizeifahrzeugen. Sie haben das volle Programm abgezogen inklusive Ganzkörperkontrolle. Heute kann ich das Vorgehen nachvollziehen und finde es richtig, denn ich habe schließlich versucht, mich mit der Staatsgewalt anzulegen. Inzwischen weiß ich, dass Polizisten keine Feinde, sondern Freunde sind. Damals fühlte ich mich aber einfach nur von ihnen gemobbt. Und dann kam der Haftbefehl, es war ein Dienstag, genauer gesagt der 25. Oktober 2011. In den frühen Morgenstunden, also um 6.00 Uhr, wurde gegen unsere Tür geknallt, um mich in einem Großeinsatz abzuholen.
Wie lief die Festnahme ab? Angeblich sollen laut eines damaligen Presseberichts der LKZ 450 teils vermummte Beamte zeitgleich 22 Wohnungen im Kreis Ludwigsburg und Stuttgart durchsucht haben.
Ja, über 400 Beamte waren unterwegs und sogar Helikopter waren dafür im Einsatz. Ich dachte, gleich fliegt das Haus weg. Viele der Beamte stürmten in unsere recht kleine Wohnung, Scharfschützen hielten mir Laser vors Gesicht und schrien: „Beweg dich nicht!“. Manche hatten Kabelbinder dabei. Es war gespenstisch und meine arme Frau und meine vier Monate alte Tochter waren mittendrin.
Warum war der Aufwand der Polizei so immens, du warst doch kein gefährlicher Terrorist oder Massenmörder?
Aber mein Täterprofil, das die Polizei von mir angefertigt hatte, war entsprechend. Ich galt als gefährlich, als Kampfsportler, der sich knallhart zur Wehr setzt. Dafür hatten sie sogar das SEK aus Sachsen-Anhalt eingeflogen. Zum Glück war meine Wohnung zu klein, so dass der Großteil der Polizisten vor dem Haus warten musste. Der erste Polizist, der mit Schild reinstürmte, warf sich auf mich, dann sind wir in die Bettkante gestürzt und ich lag plötzlich auf ihm. Die andern dachten, der Arpacik wehrt sich, also haben sie mich sofort mit Kabelbindern gefesselt und ich hatte überall Knie und Fäuste auf meinem Körper. Mit Fußfessel, Handfessel und verpackt wie einer in der Zwangsjacke wurde ich abgeführt. Das war ganz großes Kino.
Was wurde Dir vorgeworfen?
Vorgeworfen wurde mir Bedrohung und räuberische Erpressung sowie Körperverletzung. Ebenso der Besitz von 7 Kilo Kokain, Drogenhandel und Hehlerei, wofür ich aber dann in beiden Punkten freigesprochen wurde, da ich damit definitiv nichts zu tun hatte. Aber einige Gruppenmitglieder hatten damit zu tun und haben behauptet: „Mein Präsident weiß über alles Bescheid.“ Das stimmte aber nicht, denn bei über 300 Mitgliedern weiß ich nicht im Detail, was jeder Einzelne tut. Mir war immer nur wichtig zu wissen, dass jeder seinen Beitrag zahlt, damit wir das Clubhaus und unser Essen und die Getränke finanzieren konnten. Das war leider nur geschäftlich und von daher falsch gedacht.
Welche Anklagepunkte waren denn berechtigt?
Den Vorwurf der 100-fachen Körperverletzung sowie der 157-fachen räuberischen Erpressung kann ich nicht abstreiten. Allerdings habe ich diese Dinge nie aus Streitlust und für mich selbst getan. Ich habe es nur getan, um anderen Menschen zu helfen. Ein Beispiel: Ein Ehepaar hatte einem Freund Geld geliehen, das zahlte er ihnen einfach nicht mehr zurück. Sie brauchten das Geld aber dringend und benötigten Hilfe. Dann kamen wir ins Spiel. Und statt 5.000 Euro haben wir halt 7.000 Euro von ihm geholt. Schließlich musste unsere Gruppe auch von etwas leben, deshalb haben wir die Angst des Schuldners ausgenutzt. Dafür bin ich jetzt einschlägig vorbestraft. Und dass, obwohl ich mich mit 18, 19 Jahren selbst bei der Polizei beworben hatte. Die wollten mich nicht, da habe ich die Seiten gewechselt.
Was ist danach passiert?
Man brachte mich in die JVA Karlsruhe, wo ich in Einzelhaft kam. Das bedeutete für mich 23 Stunden einsitzen in der Zelle, 1 Stunde Einzel-Ausgang. Die Justizvollzugsbeamten habe ich immer höflich und respektvoll behandelt, so dass die irgendwann merkten, dass ich gar nicht so böse bin wie behauptet wurde, weshalb ich endlich beim Ausgang immerhin mit zwei anderen Insassen herumlaufen durfte. Der eine saß wegen Zuhälterei, ihn kannte ich vom Namen. Der andere saß wegen Ehrenmord. Später kam noch ein Dritter aus Anatolien hinzu, der in der Türkei gefälschte Glücksspiele verkauft hatte, aber in Deutschland dafür festgenommen wurde. Dem habe ich sogar meine Hausschuhe gegeben, weil er selbst keine hatte. War ein armer Kerl, der mir allerdings noch eine Menge Ärger einbrachte.
Inwiefern?
Während wir unsere Runden drehten, sagte der eine Insasse: „Ich hau hier bald ab.“ Woraufhin ich erwiderte: „Wenn Du abhaust, haue ich auch ab, mir wurden nämlich neun Jahre angedroht.“ Und was macht der Penner aus der Türkei? Der speicherte sich anscheinend unser Gespräch ab, denn kurze Zeit später musste ich zum Anstaltsleiter. Ich freute mich, denn ich dachte, nun bekomme ich nach 9 Monaten U-Haft in der Einzelzelle endlich eine Erleichterung, darf vielleicht wieder Sport treiben oder etwas einkaufen. Ich sollte mich vorher aber noch ordentlich anziehen, dann wurden mir sogar Handschellen angelegt. Doch statt einer Erleichterung bekam ich einen neuen Haftbefehlt wegen versuchten Mordes und versuchten Ausbruchs. Wieder alle Eliteeinheiten sowie Helikopter vor Ort, Hand- und Fußfessel im Einsatz so wurde ich nach Stammheim verlegt. Normalerweise darf kein SEK-Beamter mit Waffen in eine JVA, in meinem Fall gab es eine Ausnahme. Und wieder kam ich in Einzelhaft. Insgesamt saß ich 1 Jahr und 2 Monate in U-Haft und bin verurteilt wegen einer leeren Flasche Anabolika, wegen mehrfacher räuberischer Erpressung, von denen lediglich zwei bewiesen werden konnten und nur auf Bewährung rausliefen, da sie nicht vollendet waren. Und der letzte Haftbefehl war der wegen einer Schlägerei.
Welchen Weg hast Du nach dem Gefängnis eingeschlagen und wie hat Dich diese Zeit geprägt?
Ende 2012 wurde ich entlassen, mein erster Wunsch war ein richtig guter Döner. Ich wurde draußen zwar noch immer als Chef anerkannt, auch wenn es die Gruppe als solche nicht mehr gab. Weil der Kopf im Gefängnis war, gingen viele ihren eigenen Weg. Das Gefängnis war eine sehr lehrreiche Zeit, weil man da merkt, wer wirklich für einen da ist und sich um die Familie kümmert. Ansonsten sah es nach der Entlassung zunächst trüb aus für mich. Ich war arbeitslos, bezog Hartz IV. Und natürlich habe ich weiterhin anderen Menschen geholfen, die in Schwierigkeiten steckten, die benachteiligt waren oder unterdrückt wurden. Mein Robin Hood-Syndrom hat dann zu einer zweiten Verhaftung geführt.
Wie kam es dazu und wann war das?
Das war 2016, da wurde ich für acht Wochen wegen Bedrohung einer anderen Person eingebuchtet. Ich selbst hatte aber nichts gemacht, war nur anwesend, als ein Kollege einen anderen Mann bedrohte. Deshalb wurde ich am Ende freigesprochen. Zu dieser Zeit machte ich gerade meinen LKW-Führerschein, denn ich hatte zwischenzeitlich eine Partnerschaft mit einem kleinen Unternehmen, das für Ikea Möbel fuhr.
Hast Du die Gründung der Gang und Deine Taten bereut? Schließlich hast Du dadurch Deine Familie in Schwierigkeiten gebracht…
Hätte ich die Gang nicht gegründet, dann hätte es irgendein anderer getan mit einem weniger guten Herzen. Ich war mit der Gang prinzipiell nicht auf Krawall gebürstet, allerdings sind wir bei Ärger nicht davongelaufen. Wenn ich etwas bereue, dann nur, dass ich mich für die falschen Leute eingesetzt habe. Auch heute würde ich jederzeit Menschen helfen, die es verdient haben, wenn sie mich um Hilfe bitten. So bin ich nun mal, das sitzt tief in mir drin. Aber ich würde es heute natürlich anders machen, denn nach zwei Gefängnis-Aufenthalten wird man durchaus schlauer. Man ändert sein Auftreten und auch die Ausdrucksweise.
Wie hast Du Dich zu Deinen Gang-Zeiten gefühlt, wenn Du durch Ludwigsburg gelaufen bist?
Ich bin nie mit meiner Kutte durch die Stadt gelaufen, denn man kannte mich ja als „der Boxer“, „der Türsteher“ oder „der mit dem Porsche“. Allerdings fühlte ich mich unantastbar, weil wir so eine große Gruppenstärke hatten. Man läuft draußen rum mit der Einstellung: „Wer unbedingt paar aufs Maul haben will, der soll sich melden.“ Natürlich hatten die Leute Respekt vor mir. Das gilt bis heute. Es gab sogar Gerüchte, dass selbst die Polizisten sich noch nicht mal getraut hätten, mir einen Strafzettel für falsches Parken zu verpassen. Das stimmt zwar so nicht, denn ich durfte immer hohe Summen abdrücken. Aber wahr ist, dass ich nie einen von den Brüdern gesehen habe. Die haben den Strafzettel zwar ans Auto geklemmt, waren dann aber sofort verschwunden. Begegnen wollte mir wohl niemand. Aber es gibt auch enge Freunde, die sich von mir abgewendet haben, weil sie mit mir nicht gesehen werden wollen. Ich akzeptiere das und es hat mich zum Nachdenken gebracht. Würde ich jetzt die Zeit zurückdrehen können, würde ich dem Mustafa von damals sagen: Mach Deine Schule, mach eine gute Ausbildung und halte dich fern von den falschen Leuten, die du vielleicht gar nicht mal wirklich magst.
Fühlst Du Dich von Polizei und Justiz ungerecht behandelt oder falsch verstanden?
Nein, im Gegenteil, die Bestrafung hat gutgetan. Diese Erfahrungen haben mich zu der Person gemacht, die ich jetzt bin – erfolgreich und finanziell gut gestellt. Heute sage ich sogar: Die Polizei hat viel zu wenig Macht, sie darf zu wenig. Bis es hier zu einem Haftbefehl kommt, dauert es ewig. In Ludwigsburg ist für meinem Geschmack zu wenig Polizeipräsenz, auch wenn die Stadt im Vergleich zu vielen anderen Orten relativ sicher ist.
Wie geht Deine Frau mit Deiner Vergangenheit und dem heutigen Mustafa um?
Meine Frau Demet, sie arbeitet übrigens als Zahnarzthelferin, hat natürlich viel mit mir mitgemacht, aber sie hat immer hinter und zu mir gestanden, was sicherlich nicht immer einfach für sie war. Sie hat mir für die schwierigen Zeiten die nötige Kraft gegeben, alles durchzustehen und auf den richtigen Weg zu kommen. Ihr danke ich von ganzem Herzen für ihre uneingeschränkte Liebe und Unterstützung.
Was hat Dich bewogen, umzudenken und Dein Leben neu zu ordnen?
Ich wollte das für meine Familie tun. Denn inzwischen habe ich sogar zwei Töchter, eine mit 11 Jahren und die andere ist 3. Das ist der eine Punkt. Der andere Grund war schon zu Kinderzeiten ein großer Wunsch von mir: Ich wollte immer finanziell unabhängig und gut gestellt sein. Ich komme aus einfachen Verhältnissen, bin nicht im Wohlstand aufgewachsen und bekam erst ein Fahrrad, als mein Bruder für seines zu groß geworden war. Ich hatte keinen Nintendo oder andere Dinge, die bei anderen Kindern selbstverständlich waren. Mein Umdenken hat nach dem zweiten Gefängnis-Aufenthalt eingesetzt und von da ab habe ich mein Wunschziel verfolgt.
Wie ist Dir das gelungen?
Ich hatte anfangs Menschen, die mir vertraut und mich unterstützt haben. Ihnen bin ich ebenfalls dankbar. Mit einem LKW und Aufträgen der Spedition Schenker habe ich angefangen und habe meine Flotte Stück für Stück ausgebaut. Inzwischen besitze ich eine Spedition in Heilbronn mit 60 Mitarbeitern vor Ort und insgesamt 200 bundesweit und bin finanziell bestens abgesichert. Mit Stolz sage ich: Ich habe mich zu einem guten Geschäftsmann und wichtiger noch zu einem verantwortungsbewussten, liebevollen Familienvater entwickelt. Ich behaupte sogar, ich bin reich. Denn reich ist man, wenn man teilen kann. Und genau das tue ich. Momentan lebe ich die schönste Phase meines Lebens und kann nachts reinen Gewissens ins Bett gehen.
Mustafa, wir danken Dir für das Gespräch!