„Hier bin ich zu Hause, aber im Herzen bin ich auch immer noch Spanier“ – Luciano Moral im Gespräch mit Ludwigsburg24

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Mitten im Ditzinger Industriegebiet steht ein unauffälliges, weißes Häuschen, hinter dessen Haustür sich das kreative Reich des spanischen Malers Luciano Moral befindet. Hier lebt und arbeitet der fast 74-jährige Künstler aus Avila, seit er vor knapp sieben Jahren Stuttgart verlassen hat. In seinem Atelier entstehen Bilder, die die Gedanken- und Gefühlswelt des Malers sehr expressiv widerspiegeln. „Ich male ausschließlich Menschen. In meinen Bildern beschäftige ich mich mit deren Emotionen und Geschichten und mache dabei oftmals auf die Vielgesichtigkeit und Maskierung im Umgang miteinander aufmerksam“, beschreibt Moral seine Kunst, die von einer Begegnung im jungen Alter von 14 Jahren mit dem spanischen Künstlergenie Pablo Picasso inspiriert ist. Sein guter Freund Matthias Kleinert, einst Regierungssprecher von Lothar Späth, beschreibt den Stil von Moral wie folgt: „Es ist eine Mischung aus Symbolismus und Kubismus, ich würde seinen Stil aber eher als Moralismus bezeichnen.“ Moral gefiel das so gut, dass er diesem Begriff für seine Malerei treu geblieben ist.

Dass er neben Talent auch noch ein großes Herz hat, beweist Moral schon seit mehr als zwanzig Jahren. Regelmäßig macht er Kunstprojekte mit benachteiligten Kindern in einer Ditzinger und einer Kornwestheimer Förderschule. Bewegt erzählt er im Interview, warum er mit den Jugendlichen arbeitet und welch wichtige Rolle die Kunst in deren Leben inzwischen spielt.

Ein Interview von Patricia Leßnerkraus

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Patricia Leßnerkraus: Herr Moral, für viele Maler ist Malen eine brotlose Kunst. Können Sie von Ihrer Malerei leben?

Inzwischen kann ich von der Malerei leben, aber das eine oder andere Bild habe ich die letzten 50 Jahre auch schon verschenkt. Ich gebe zu: Was meine eigenen Bilder anbelangt, bin ich ein schlechter Händler. Für andere Menschen kann ich tolle Preise herausholen, für meine eigenen Sachen bin ich ein miserabler Verkäufer. Inzwischen habe ich eine reizende Agentin, die sich für mich um alles kümmert. Sie sagt immer: „Luciano, Du sollst malen, vom Geschäft hast Du keine Ahnung.“

Wie entstehen Ihre Bilder? Stehen Sie morgens auf und haben eine Idee im Kopf?

Ich habe in der Regel ein Thema, wie z.B. zuletzt „Die Umarmung“, woraus ich eine Serie gemacht habe. Dann fange ich einfach ein Bild an und habe überhaupt keine Ahnung, wie es am Ende aussehen wird. Es hängt immer davon ab, in welchem emotionalen Zustand ich mich befinde und den versuche ich auf der Leinwand zu verwirklichen. Wenn das Bild fertig ist, kann es manchmal sogar sein, dass ich von meinem Thema ganz weit weg bin.

Heißt das, dass man Ihnen gar keinen konkreten Auftrag geben kann?

Ich nehme schon Auftragsarbeiten an, egal ob für Bilder oder für Weinetiketten. Aber die Erwartungen des Auftraggebers dürfen nicht zu konkret sein. Am besten ist, der Kunde sagt: „Luciano, ich weiß, wie Du malst, ich brauche von Dir ein Bild für mein Wohnzimmer.“ Dann male ich, aber ich muss in meiner Gestaltung frei und unabhängig sein dürfen.

Ich male auch Porträts, am liebsten von Frauen. Aber ich male sie nicht so, wie sie tatsächlich aussehen, sondern so, wie ich sie sehe. Dafür sollte ich die betreffende Person allerdings ein bisschen kennen.

Angeblich sollen Sie von Ihrem Kunstprofessor erst gelobt worden sein, als sie wutentbrannt ein fieses Porträt über ihn gemalt haben.

Ja, das stimmt. Egal, welches Bild ich auch malte und ihm vorlegte, er war nie zufrieden. Er schaute drauf, sagte lapidar „schön“ und zerriss es dann vor meinen Augen. Ich war irgendwann so wütend darüber, dass ich ihn mit all meinen hochkochenden Gefühlen so richtig fies auf Papier verewigt habe. Ich habe das Bild dann bei ihm aufgehängt und gedacht, dass er mich vor Zorn umbringen wird. Aber er reagierte ganz anders, sagte: „Genau so musst Du malen, das wollte ich erreichen. Vergiss alles, was Du bisher gemacht hast. Du musst malen, was aus Deinem Bauch kommt. Ich will Dir nicht das Malen beibringen, sondern ich will Dir zeigen, wie Du Dich selbst findest, damit Du weißt, was Du malen willst.“ Das war für mich die Initialzündung gewesen. Seither kommen alle Werke aus der Tiefe meines Innersten. Ich bin in jedem Bild drin, in der Form, in der Farbe, im Thema.

Steckt ein Teil von Ihnen auch in dem Bild mit dem Harlekin?

Ja, darin steckt auch sehr viel Luciano. Als ich 14 Jahre alt war, bin ich von daheim weggelaufen, weil ich mich in eine Tänzerin eines ungarischen Zirkus verliebt hatte. Fünf Monate habe ich mich diesem Zirkus angeschlossen, habe mich dort nützlich gemacht und bin mit von Ort zu Ort gezogen. Der Harlekin symbolisiert genau diese Lebensphase von mir.

Auf vielen Ihrer Werke sieht man mehr oder weniger direkt eine Uhr und/oder einen Stuhl. Was haben diese Motive zu bedeuten?

Das sind in der Tat meine ganz typischen Symbole, die fast auf jedem Bild zu finden sind. Die Uhr ist das Leben, der Stuhl steht für Freundschaft oder Geduld. Aber mein Hauptmotiv sind und bleiben Menschen. Ich zeige in meinen Bildern ihre vielen unterschiedlichen Gesichter. Von daher hat meine Malerei durchaus auch etwas Entlarvendes.

Sind Sie kritisch den Menschen gegenüber?

Meine Haltung den Menschen gegenüber ist immer gut. Mir selbst gegenüber bin ich jedoch kritisch. Ich liebe mich selbst und bin durchaus stolz auf mich, aber eben auch kritisch. Mein Anspruch ist, immer das Beste aus mir rauszuholen.

Was bei Ihren Werken noch auffällt, ist die Wahl Ihrer Farben. Sie arbeiten immer in verschiedenen Weiß-Grau-Schwarz und Rottönen, bisweilen kombiniert mit variierenden Brauntönen. Andere Farben findet man so gut wie nie, warum?

Meine Symbolfarben sind Rot und Schwarz, die spanischen Farben, das Heimweh, das mir geblieben ist. Schwarz ist die Schwermut und Trauer, Rot symbolisiert das Temperament. So bin ich auch immer angezogen, komplett in Schwarz und dazu irgendein roter Akzent. Bei meinen Werken in Braun überwiegen Terracottatöne.

Wie haben Sie die Corona-Pandemie überstanden? Haben Sie während dieser Zeit überhaupt Bilder verkauft?

Mich hat Corona bislang verschont und ich bin auch zweifach geimpft. Das ist erstmal das Wichtigste. Als Künstler war Corona hart, denn mir wurden sieben oder acht Ausstellungen abgesagt, durch die ich meine Bilder hätte verkaufen können. Zum Glück verkaufe ich auch privat, z.B. wenn ich Gäste zu spanischen Tapas-Abenden ins Atelier einlade. Manche kommen und genießen nur den Abend, andere nehmen dann auch gleich noch ein Bild mit. Diese Einladungen waren natürlich während Corona kaum der Fall, aber gelegentlich habe ich trotzdem mal ein Bild verkauft. Sagen wir so: Ich konnte leben, musste weder mein Auto verkaufen noch hier ausziehen. Deshalb beklage ich mich nicht.

Als Privatmann kann ich der Pandemie sogar positive Seiten abgewinnen. Ich hatte sehr viel Zeit für mich und habe mich gefunden. Ich rauche jetzt fast zwei Jahre nicht mehr, höre viel und intensiv Musik, wofür ich vorher nie Zeit hatte. Jeden Tag mache ich Gymnastik und anderen Sport und ich nehme mir Zeit zum Essen, decke den Tisch ein mit Serviette und Weinglas, richte meinen Teller schön. Ich genieße mein Leben jetzt anders.

Hat Corona Sie als Künstler verändert?

Nein, als Künstler hat mich Corona überhaupt nicht verändert. Mein Stil und meine Lust zu malen sind geblieben. Die Pandemie hat mich nur als Mensch etwas verändert.

Ein Künstler bekommt seine Impulse in der Regel von dem, was er sieht, was er hört, was er erlebt. Wo kamen Ihre Impulse während des langen Lockdowns her?

Ich bin Künstler durch und durch, brauche meine Theater-, Oper- und Ballettbesuche. Das ging während Corona nicht, also habe ich vermehrt gelesen und aus den Büchern meine Impulse erhalten. Und natürlich durch die Menschen, mit denen ich befreundet bin. Mit ihnen mache ich Karaoke, wir spielen Spiele und führen gute Gespräche. Das Wichtigste dabei ist aber der Humor und das gemeinsame Lachen. So kommen die Impulse automatisch, die ich dann in mir trage. Außerdem träume ich viel, selbst wenn ich nur ganz kurz schlafe, und die Träume finden sich dann ebenfalls wieder in meinen Bildern. Deshalb habe ich stets genügend Leinwände bei mir im Atelier, damit ich immer sofort malen kann, wenn ich einem Impuls folgen muss.

Wie lange malen Sie, bis Sie ein Werk vollendet haben?

In der Regel schaffe ich ein Bild an einem Tag, aber dann muss ich schon durchmalen. Will ich ein Doppelbild oder eine Trilogie fertigen, muss ich die Bilder parallel malen wegen der Farben. Dadurch, dass ich die Farben aus Tusche, Tempera oder Acryl selbst mische, bekomme ich den Farbton ein paar Tage später sonst nicht mehr exakt hin.

Was wäre aus Ihnen geworden, wenn Sie von der Malerei nicht hätten leben können?

Die Frage lässt sich leicht beantworten, denn dann wäre ich garantiert Gastronom geworden, so wie alle anderen Mitglieder meiner Familie. Mein Vater hatte noch zehn Geschwister, alle waren Gastronomen mit eigenem Restaurant. Meine Mutter hatte sechs Geschwister, von denen auch jeder ein eigenes Lokal hatte. Meine Eltern hatten ein Traditionslokal mit sechzehn Mitarbeitern. Aber keines ihrer Kinder wurde Gastronom.

Hätte Ihnen denn Gastronomie als Alternative gefallen?

Als ich jung war, hätte ich mir das nicht vorstellen können, obwohl die Leute mich immer mochten, wenn ich bei meinen Eltern im Service geholfen habe. Aber ich wollte frei und ungebunden sein und nicht wie meine Eltern morgens um 6.00 Uhr aufstehen und bis in den späten Abend arbeiten. Heute würde ich hier gerne ein Lokal aufmachen, aber auf meine Art. Klein, fein und ganz locker, mit spanischem Käse und Schinken, ab und zu eine Paella oder Tortilla, dazu leckeren Wein.

Aber Ihr Vater war doch bestimmt stolz auf Sie, als er von Ihren Erfolgen als Maler erfahren hat.

Nein, er hat ziemlich wenig von mir gewusst. Er war ein resoluter Geschäftsmann, ein kleiner Diktator. Ich war das einzige seiner Kinder, das ihm energisch entgegengetreten ist und gesagt hat: „Stopp, ich bin achtzehn, jetzt brems Dich mal bitte.“ Ich habe ein Stipendium bekommen und bin von daheim weggegangen. Ich habe zunächst in Avila, Barcelona und Madrid studiert, bevor ich nach Paris gegangen bin. Als Künstler hat er mich nie akzeptiert, denn für ihn bedeutete das Künstlerdasein, eine Bohème zu sein. Für ihn war Maler kein richtiger Beruf.

Sie arbeiten ehrenamtlich mit Jugendlichen zusammen. Um was geht es dabei konkret?

Ich arbeite insgesamt mit 50 benachteiligten Kindern und Jugendlichen im Alter von acht bis fünfzehn. Seit 20 Jahren in der Wilhelmschule in Ditzingen und zusätzlich seit rund 18 Jahren in der Eugen-Bolz-Schule in Kornwestheim, beides sind Förderschulen. Ich unterrichte aber nicht, weil ich kein Lehrer bin. Ursprünglich habe ich jeweils für den Nachmittag eine Kunst AG gegründet. Doch das Engagement kam so gut an, dass ich in Ditzingen inzwischen jeden Mittwoch von 9.00 Uhr bis 14.00 Uhr bin und mit allen Klassen an verschiedenen Projekten arbeite.

Um welche Projekte geht es dabei?

Ich habe mit den Schülern beispielsweise schon eigene Bilderbücher gestaltet mit ihrem Autorenfoto auf dem Buchrücken. Jetzt in der Vorweihnachtszeit basteln wir wieder schöne Weihnachtskarten, die wir dann an Freunde, Schüler oder Lehrer verkaufen. Von dem eingenommenen Geld gehe ich mit den Kindern hinterher Pizza essen. Darüber freuen sie sich immer sehr.

Was ist Ihre Intention für dieses Engagement?

Es handelt sich dabei meist um Kinder mit Migrationshintergrund, die zum Teil Schreckliches erlebt haben, die traumatisiert sind und auch vom Elternhaus nicht gefördert werden. Deshalb möchte ich ihnen das Gefühl geben, dass auch sie wertvoll sind, obwohl sie vielleicht nicht perfekt lesen, schreiben, rechnen oder malen können. Sie sollen durch die verschiedenen Projekte zudem die Möglichkeit haben, sich zu öffnen und ihre eigenen Emotionen, Gedanken und Ängste auszudrücken, ohne Worte benützen zu müssen. Aber ich bringe ihnen auch ein gewisses Grundwissen über Farben und ihr Zusammenwirken bei.

Warum sind Sie eigentlich 1970 nach Deutschland gekommen?

Ich war Student der 68er in Madrid, habe massiv gegen Staatschef Franco demonstriert. Gemeinsam mit anderen Studenten wurde ich festgenommen und als Strafe hat der Staat uns allen das Studium gestrichen. Daraufhin ging ich nach Paris und konnte als Gast der Kunstakademie, also ohne Immatrikulation, mein Studium beenden. In dieser Zeit habe ich meine erste Frau kennengelernt. Sie war Spanierin wie ich und war in der Nähe von Rottweil in Deutschland Sprachlehrerin für Gastarbeiterkinder. Ich selbst hatte dort ein Angebot als Karikaturist bekommen, welches ich annahm. Die Beziehung zerbrach leider bereits nach zwei Jahren, weil wir wahrscheinlich noch zu jung waren.

Sie sind trotzdem in Deutschland geblieben und nicht wieder nach Spanien zurück?

Ich wäre auf keinen Fall nach Spanien zurück, da Franco zu diesem Zeitpunkt noch lebte. Und solange er lebte, galt ich als Revolutionär, sowohl in Spanien als auch beim spanischen Konsulat in Deutschland. Aber ich bin natürlich auch der Liebe wegen in Rottweil geblieben, denn ich hatte eine Ärztin kennengelernt, die ich dann geheiratet habe. Sie ist die Mutter meiner ältesten Tochter.

Es scheint, Sie lieben die Frauen…

Frauen sind in meinem Leben das Allerwichtigste. Jeder erfolgreiche Mann hat eine Frau hinter sich, egal ob Ehefrau, Freundin, Mutter oder Schwester. Ich kann mir ein Leben ohne Frauen definitiv nicht vorstellen und komme mit allen Frauen gut aus. Frauen sind für mich als Künstler die Musen, ohne, dass ich sie malen muss.

Nach langen 50 Jahren in Deutschland haben Sie inzwischen sicherlich die deutsche Staatsangehörigkeit?

Nein, ich hätte sie beantragen können, vor allem, weil ich hier wirklich zu Hause bin. Meine Kinder leben in Deutschland, ebenso meine ganzen Freunde. Aber im Herzen bin ich doch immer auch noch Spanier.

Was ist denn typisch spanisch an Ihnen und was typisch deutsch?

Das Spanische an mir ist, dass ich ein sehr stolzer Mensch bin, nicht arrogant, aber stolz. Doch ich fühle mich zu achtzig Prozent als Deutscher. Ich träume auf Deutsch, denke auf Deutsch und bin ein sehr korrekter, sehr pünktlicher Mensch und erwarte dies umgekehrt von anderen Menschen. Die Pünktlichkeit habe ich zu hundert Prozent von den Deutschen übernommen, denn Spanier kommen typischerweise immer eine Stunde später.