
Von Ayhan Güneş
Ludwigsburg / Stuttgart – Die Industrielandschaft der Region Stuttgart befindet sich in einem schleichenden Wandel. Die klassischen Auto-Zulieferbetriebe, die sich auf Verbrennungsmotoren spezialisiert haben, spüren zunehmend, dass sie an Bedeutung verlieren. Der Elektromotor hingegen basiert auf einer schlanken und modernen Technologie, die mit deutlich weniger Komponenten auskommt als herkömmliche Benzin- oder Dieselmotoren. Dieser Umbruch macht sich als Erstes bei den Fabrikbeschäftigten bemerkbar, wenn ihnen die Geschäftsleitung das bevorstehende Ende ihres Arbeitsplatzes verkündet.
Kürzlich übermittelte Ludwigsburgs Oberbürgermeister Matthias Knecht der Öffentlichkeit eine bedeutende Nachricht nach seinem Besuch bei BorgWarner im Westen der Stadt: “Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht”, erklärte Knecht nach einem Gespräch mit dem Vice President und General Manager Chris Walsh. “165 von 431 Arbeitsplätzen am Standort bleiben erhalten. Allerdings wird die Produktion mit 266 Arbeitsplätzen voraussichtlich im vierten Quartal 2024 eingestellt.” Diese Ankündigung bedeutet einen herben Einschnitt für Ludwigsburg und ist äußerst bedauerlich für die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Als Gründe für diese Entscheidung nannte BorgWarner, dass das Werk Ludwigsburg schon seit längerer Zeit stark vom Wandel in der Automobilindustrie betroffen sei und bereits in den vergangenen Jahren mit einem stark rückläufigen Absatz von Produkten für Verbrennungsmotoren zu kämpfen gehabt habe. Aufgrund des weiterhin deutlich sinkenden Marktanteils an Dieselfahrzeugen und des damit zusammenhängenden Umsatzrückgangs in Ludwigsburg sei eine zukunftsfähige Aufrechterhaltung des Werkes Ludwigsburg nicht möglich, erklärte die Unternehmensleitung. BorgWarner ist ein Weltkonzern mit rund 50.000 Beschäftigten. Die Zentrale hat ihren Sitz in den USA. Im Jahr 2005 hatte BorgWarner die Fabrik in Ludwigsburg aufgekauft, die damals BERU AG hieß. Die 1912 gegründete Firma hatte sich bis 2012 auf Glühkerzen spezialisiert, die in einem Elektromotor keine Verwendung mehr haben.
Die Autoindustrie in der Region war ein Jahrhundert eine gute Kundin. Dass das nicht so bleiben wird, realisierte die Firma Mann & Hummel bereits vor einigen Jahren. Die Unternehmensleitung hat die Produktion der Autofilter am Standort Ludwigsburg Ende vergangenen Jahres eingestellt. Rund 400 Arbeitsplätze gingen verloren. Doch das ist bereits Schnee von gestern: Auf dem Fabrikgelände entsteht ein Gewerbepark, der nach Ankündigung der Investoren mehr Jobs bringen könnte als verloren gingen. Der frühe Anschluss ans Schienennetz der Württembergischen Eisenbahn in den 1830er Jahren hatte zahlreiche Industriebetriebe ins Stadtgebiet von Ludwigsburg gebracht, die nach und nach verschwinden. Zuletzt schloss der Nestlé-Konzern sein Caro-Kaffee-Werk direkt am Bahnhof (Franck-Gelände).
Doch unterm Strich leidet die Stadt nicht unter den Werksschließungen, denn im Westen entsteht Neues: die Firma Lapp (Kabel und Steuerleitungen) eröffnete erst vor wenigen Jahren ein Werk an der Autobahn und möchte sich bereits nach kurzer Zeit vergrößern. Gleiches haben Hahn & Kolb (Werkzeuge und Betriebseinrichtungen) sowie Roche (Medizintechnik) vor. Die Waiblinger Firma Stihl hat bereits seit Jahrzehnten Werke in der Ludwigsburger Weststatt, die aktuell von Grund auf modernisiert werden. In ehemaligen Fabriken entlang der Grönerstraße residieren heute Start-ups. Viele Jungunternehmen hätten Platz im Wüstenrot-Hochhaus in der Südstadt. Das steht nun leer, seit die Mitarbeiter in den benachbarten neuen W&W-Firmencampus gewechselt sind. Was aus dem heimlichen Wahrzeichen der Stadt wird, muss sich erst noch zeigen.
Der unaufhaltsame Wandel wirft einen Schatten auf die Zukunft der traditionellen Automobilindustrie und lässt erahnen, dass sich die Branche grundlegend verändern wird. Ludwigsburg steht vor großen Herausforderungen, doch auch Chancen für einen Neuanfang werden sichtbar. Die Stadt und ihre Unternehmen werden sich auf die Elektromobilität einstellen und innovative Lösungen für die grüne Zukunft entwickeln müssen. Es ist ein Weg des Wandels, der sowohl Entbehrungen als auch neue Perspektiven mit sich bringt. Ludwigsburg und seine Industrie stehen vor einer wegweisenden Zukunft: Die Elektromobilität eröffnet eine faszinierende Reise, die gerade erst am Anfang steht.