“Platzt die GroKo, gehe ich von Neuwahlen aus” – Steffen Bilger im großen Interview mit Ludwigsburg24

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Ein Gespräch mit Steffen Bilger (40), CDU Bundestagsabgeordneter und Parlamentarischer Staatssekretär für Verkehr und digitaler Infrastruktur, über die Abwahl von Ludwigsburgs OB Werner Spec, die aktuelle Krise der SPD, wer aus der CDU Kanzlerin Angela Merkel beerben könnte und seine Prognose bei möglichen Neuwahlen im Bund.

 

Herr Bilger, Sie leben als Politiker die Woche über in Berlin, privat in Ludwigsburg. Welche Stadt liegt Ihnen mehr?

Berlin ist eine tolle, lebenswerte Stadt, dennoch bin ich lieber in Ludwigsburg. Hier ist alles etwas übersichtlicher und in den Teilorten gibt es noch eine dörfliche Struktur mit viel Natur. Wir haben den Neckar, Weinberge, Felder und Wiesen und trotz der Nähe zur Großstadt Stuttgart haben wir alles, was man braucht. Mit meiner Familie wohne ich nahe dem Blühenden Barock. Es ist einfach wunderschön, dass wir dort durch den herrlichen Garten gehen können und so viele blühende Blumen mitten in der Stadt haben.

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Was sind Ihre Lieblingsplätze in Ludwigsburg?

Dazu gehört neben dem Blühenden Barock selbstverständlich auch der Märchengarten. Beide habe ich schon als Kind häufig besucht, heute gehe ich mit meinen eigenen Kindern hin. Nicht zu vergessen sind das Schloss und unser wunderschöner Marktplatz. Für mich gehört er zu den schönsten in Deutschland.

Im Moment ist die Stadt im Wandel. Hat Sie die Abwahl von Oberbürgermeister Werner Spec überrascht?

Werner Spec ist ein sehr visionärer, offener Mensch, der Ludwigsburg bestens aufgestellt hat. Ich habe mit ihm sehr gut zusammengearbeitet bei meinen Themen Nachhaltigkeit, Mobilität und Zukunft. Die Wahlentscheidung der Bürger wurde jedoch nicht anhand solcher Themen getroffen. Ich habe eine Wechselstimmung in der Stadt wahrgenommen, weshalb mich das Ergebnis nicht wirklich überrascht hat. Es war spürbar, dass die häufigen Berichte über Streit zwischen Oberbürgermeister und Landrat Dr. Rainer Haas oder mit dem Gemeinderat bei vielen zu Unzufriedenheit geführt hat und die Menschen mehr Ruhe wollten. Vielleicht war es auch manchen zu viel Veränderung innerhalb kurzer Zeit. Das fände ich bedauerlich, denn wenn man sich weiterentwickeln will, dann gehören gelegentliche Baustellen dazu. Es kann nicht immer alles nur rund verlaufen. Ich hoffe, dass Ludwigsburg auch mit dem neuen Gemeinderat weiterhin gestalten und nicht nur verwalten will.

Oberbürgermeister Spec hat extrem von seinem großen, bundesweiten Netzwerk gelebt und sich außerhalb der Stadtgrenze einen guten Ruf erarbeitet. Wird das der Stadt künftig fehlen?

Auch unabhängig von der Person Spec genießt Ludwigsburg einen ausgezeichneten Ruf. Ich werde in Berlin oft auf Ludwigsburg angesprochen als nachhaltigste Stadt Deutschlands, wegen der Mobilitäts- und Zukunftsthemen, wegen Institutionen wie die Filmakademie. Das gute Standing der Stadt hat sicherlich viel mit der Rathausspitze zu tun, aber auch mit der Tatsache, dass der Oberbürgermeister in seiner Stadtverwaltung ein gutes Team hat. Dieses erfahrene, verlässliche und kompetente Team sowie dessen Kontakte nach Berlin bleiben ja erhalten.

Welche Erwartungen haben Sie an Nachfolger Matthias Knecht?

Ich hoffe, dass es mit Matthias Knecht genauso zukunftsorientiert, innovativ weitergeht. Dabei geht es neben dem Thema Verkehr auch um bezahlbaren Wohnraum und andere Infrastrukturthemen. Natürlich hat er keine klare bürgerliche Mehrheit mehr im Gemeinderat, deshalb wird es durchaus eine Herausforderung werden, Grüne, SPD bis hin zur CDU alle als Unterstützer bei der Stange zu halten. Das wird nur gelingen, wenn er versucht, auszugleichen und nicht mit Lagerdenken in die Diskussion zu gehen, sondern ergebnisorientiert. Wenn er auch die Stadtverwaltung weiterhin in seiner Arbeit mitnimmt, dann wird er die anstehende Aufgabe gut hinkriegen.

In ein paar Monaten wird ein neuer Landrat gewählt. Wie wichtig wird es sein, dass der neue Landrat und der OB mit einer Stimme sprechen.

Da ich nicht nur Bundestagsabgeordneter für die Stadt Ludwigsburg bin, sondern auch für fünfzehn weitere Gemeinden, merke ich immer wieder, dass es unter den Gemeinden gewisse Missstimmungen gibt. Die große Stadt darf nicht alles dominieren, sie muss auch an die Nachbarn denken. Hier müssen Landrat und Oberbürgermeister wieder zusammenführen und mehr Gemeinschaftssinn stiften, indem man rechtzeitig miteinander die anstehenden Dinge bespricht und gemeinsam versucht, Lösungen zu finden.

Wie zufrieden sind Sie als Parlamentarischer Staatssekretär für Verkehr und digitale Infrastruktur bezüglich der Zusammenarbeit mit Ludwigsburg?

Mit Ludwigsburg kann man sehr gut an Zukunftslösungen arbeiten. Wir gehörten hier einst zu den fünfzehn am meisten durch Luftreinhalteprobleme belasteten Städten Deutschlands. Ludwigsburg hat dann wirklich alle möglichen Maßnahmen ergriffen, um das in den Griff zu bekommen. Mittlerweile liegt die Stadt mit dem Stickoxidwert unter der kritischen Grenze von 50 Mikrogramm. Das läuft leider nicht in allen belasteten Städten so. Ludwigsburg hat dagegen bei der Problemlösung bisher keine noch so große Hürde gescheut.

Wie erklären Sie sich dieses Engagement?

Die Stadt identifiziert frühzeitig wichtige Themen und weiß auch, wo es ideelle und materielle Förderung gibt. Ludwigsburg ist regelmäßig Gast bei uns im Ministerium, wenn Förderbescheide übergeben werden. Beispielsweise soll hier bald ein Modellprojekt zum neuen Mobilfunkstandard 5G entwickelt werden. Ein anderes, bereits umgesetztes Beispiel dafür ist die frühzeitige Digitalisierung im Verkehr, die es in einem ersten Schritt bei einem Feuerwehreinsatz möglich macht, durch eine intelligente Vernetzung der Ampelanlagen alle Ampeln für den Einsatzweg auf Grün zu schalten, um einen ungehinderten und vor allem schnellen Einsatz zu gewährleisten.

Aber auch die Klassiker wie der Schleusenausbau auf dem Neckar zur Entlastung des Güterverkehrs auf der Straße müssen jetzt konsequent angegangen werden, ebenso der Straßenausbau wie der heiß diskutierte Nord-Ost-Ring. Das ist natürlich mit viel Emotionalität bei den Menschen verbunden, weil jede bauliche Maßnahme mit Belastungen einhergeht. Gerade beim Nord-Ost-Ring ist es jetzt richtig und wichtig, dass alle Beteiligten in einen Dialogprozess eintreten, um Lösungen auszuarbeiten, die die Menschen akzeptieren können. Der Nord-Ost-Ring ist das wirtschaftlichste Projekt im ganzen Bundesverkehrswegeplan bei den Bundesstraßen, was bedeutet, dass man viel Geld investieren kann, um wirklich intelligente sowie zufriedenstellende Lösungen zu finden.

Als Politiker sind Sie viel unterwegs. Welchen persönlichen Beitrag leisten Sie zum Thema Verkehrsberuhigung und Umweltschutz?

Schon immer versuche ich möglichst umweltfreundlich unterwegs zu sein. Wenn möglich fahre ich Bus und Bahn, ich bin aufgrund meiner vielen Termine aber auch oft mit dem Auto unterwegs. Und ich stehe dazu, dass ich die Strecke Stuttgart-Berlin fast immer fliege. Am Ende einer Sitzungswoche komme ich erst freitagnachmittags in Berlin los. Wenn ich dann noch meine Kinder sehe und einen Wahlkreistermin wahrnehmen möchte, muss ich mit dem Flugzeug die schnellere Möglichkeit nutzen.

Kommen wir zu einem anderen Thema. Als Landeschef der Jungen Union haben Sie sich früher mit den Parteifreunden in Berlin angelegt und selbst vor der Kanzlerin mit Kritik nicht haltgemacht. Wie ist ihr Verhältnis heute zu Angela Merkel?

Ich habe ein gutes Verhältnis zur Kanzlerin. Damals habe ich wohl unterschätzt, dass alles, was ich als JU-Vorsitzender im Ländle gesagt habe, sehr wohl bis nach Berlin gedrungen ist. Als ich in den Bundestag eingezogen bin, war es dann schon so, dass ich gelegentlich zu klärenden Gesprächen vom Generalsekretär Hermann Gröhe einbestellt wurde. Mit ihm verstehe ich mich inzwischen super. Und Angela Merkel hat mir anscheinend meine Kritik nicht krumm genommen, denn sie hat ja entschieden, dass ich Staatssekretär werde. Was nicht bedeutet, dass ich heute schweige. Im persönlichen Gespräch oder in kleiner Runde sage ich ihr weiterhin, wenn ich anderer Meinung bin, ohne dass sie mir das übel nimmt.

Was schätzen Sie an der Kanzlerin?

Auch wenn ich nicht immer mit allem zufrieden war, macht Angela Merkel ihren Job über diesen langen Zeitraum ganz hervorragend und mit wenigen Fehlern im täglichen Geschäft. Bedenken Sie, wie viele Journalisten gerade in Berlin jeden Halbsatz sezieren, um eine Schlagzeile daraus zu entwickeln. Annegret Kramp-Karrenbauer macht damit gerade so ihre Erfahrungen. Aber Angela Merkel übt ihr Amt nahezu fehlerfrei, ruhig und besonnen aus. Das ist bemerkenswert. Ich mag ihren trockenen Humor und bin verblüfft, wie interessiert und gut informiert sie trotz ihren hohen Arbeitspensums bei Zukunftsthemen wie Digitalisierung ist. Sie kann mit jedem Digitalexperten in Deutschland auf höchstem Niveau diskutieren. Bei ihr kann man sich zudem darauf verlassen, dass sie integer ist und nicht nach ihrer Karriere zu russischen Gas-Konzernen wechseln wird. Geld ist für sie keine Motivation.

Wer passt einmal aus der CDU in Merkels große Fußstapfen?

Als Angela Merkel Parteichefin und Kanzlerin wurde, haben ihr wohl die wenigsten Menschen zugetraut, so lang und so erfolgreich auch auf internationaler Ebene die Herausforderung zu bewältigen. Sie hat sich in der langen Zeit entwickeln können. Wir müssen uns davon lösen, die Nachfolgerin oder den Nachfolger an der Amtsinhaberin zu messen.

Wer also wäre für die Merkel-Nachfolge geeignet?

Wir haben als CDU mit der Wahl zur neuen Parteivorsitzenden eine Entscheidung getroffen. Annegret Kramp-Karrenbauer ist nicht zu unterschätzen. Sie hat sich knapp, aber aus guten Gründen in dem Dreikampf mit Friedrich Merz und Jens Spahn durchgesetzt. Sie ist in der CDU als erfolgreiche Ministerpräsidentin sehr anerkannt. Es sind zwar in den letzten Wochen ein paar Dinge unglücklich gelaufen, aber sie kann noch lernen, zumal sie erst vor kurzem aus der Landes- in die Bundespolitik gewechselt ist.

Gibt es noch andere Kandidaten?

Friedrich Merz, der einen ganz anderen Politikstil mitbringt und sehr erfahren ist, hat auch ohne bedeutendes Amt eine wichtige Rolle in der CDU. Er bringt sich jetzt aktiv in die Wahlkämpfe ein. Und mit Jens Spahn bin ich schon seit einigen Jahren befreundet. Ich finde, er macht seinen Job als Gesundheitsminister sehr gut, hat in kürzester Zeit schon fast den ganzen Koalitionsvertrag in seinem Zuständigkeitsbereich abgearbeitet. Damit gehört er zu den erfolgreichsten Ministern in der Regierung. Auch mit ihm wird in der Zukunft zu rechnen sein. Alle drei haben durchaus die Fähigkeit, in die Fußstapfen der Kanzlerin reinwachsen zu können.

Sie sind noch jung für einen erfolgreichen Politiker. Könnte einer der kommenden Kanzler Steffen Bilger heißen?

(lacht) In der Politik kann man eine Karriere weder planen noch selbst beeinflussen. Hätte mein Vorgänger im Wahlkreis Matthias Wissmann nicht eines Tages entschieden aus der Politik auszusteigen, wäre ich vielleicht heute noch in dem Unternehmen, in dem ich zuvor beschäftigt war. Ich versuche, meine Arbeit gut zu machen. Bisher hat es geklappt, so dass sich für mich mehr Möglichkeiten ergeben haben. Wir werden sehen, was noch passiert.

Die SPD steckt in der größten Krise ihrer Geschichte. Zerreißt das Theater um den neuen Vorsitzenden die Partei?

Um die Sozialdemokraten mache ich mir ernsthaft Sorgen, denn wir brauchen eine Partei wie die SPD. Sie gehört zu den ältesten Parteien in Europa und hat viel geleistet in der Geschichte der Bundesrepublik. Man steht wirklich fassungslos davor, was da gerade abgeht. Eine Zeitung schrieb, dass die CDU nach dem Rückzug Merkels vom Parteivorsitz am nächsten Tag drei Bewerber hatte, die um den Posten kämpften. Die SPD dagegen hatte innerhalb eines Tages fünf potentielle Kandidaten, die sagten, dass sie es nicht machen wollen. Und jetzt hat sie sich für einen nicht nachvollziehbaren Prozess der Selbstzerfleischung entschieden, um endlich zu einem neuen Bundesvorsitzenden zu kommen.

Wird die GroKo in Berlin halten?

Der SPD hilft es keinesfalls, die Große Koalition ständig schlechtzureden. Sie ist wesentlich besser als ihr Image derzeit. Aber wir sind daran selber schuld, weil wir nur den Streit pflegen und nicht über die Leistungen reden, die leider keiner mitbekommt. In der SPD herrscht die nackte Angst, weshalb es keine rationalen Entscheidungen mehr gibt. Wir werben nicht um den Verbleib der SPD in der Koalition, sondern machen unsere Arbeit und lassen die SPD ihre eigenen Entscheidungen treffen. Lässt sie die Koalition platzen, wird sie dafür von den Wählern die Quittung bekommen.

Gehen Sie von Neuwahlen aus, falls die GroKo platzt?

Die Wahrscheinlichkeit, dass die SPD die Koalition verlässt, ist auf jeden Fall gegeben, um nicht zu sagen relativ hoch. Eine Minderheitsregierung klingt relativ attraktiv, aber ich bezweifele, dass wir damit Deutschland durch die Herausforderungen der nächsten Jahre führen können. Jamaika halte ich für unwahrscheinlich, das hat die FDP verbockt. Außerdem werden die GRÜNEN nicht für acht Prozent in eine Koalition eintreten, wenn sie in Umfragen derzeit bei 25 Prozent liegen. Also für mich ist klar, dass es dann recht schnell Neuwahlen geben wird.

Wie schätzen Sie bei Neuwahlen die Chancen der CDU ein?

Ich denke, wir haben alle Chancen, wieder stärkste Fraktion zu werden und eine Regierung zu bilden. Auch gehe ich davon aus, dass die GRÜNEN im nächsten Wahlkampf deutlich entzaubert werden können, denn laut einer Allensbach-Analyse haben die GRÜNEN ihre Hochzeiten immer nur zwischen den Bundestagswahlen, weil sie dann sowohl von den Journalisten wohlwollend begleitet werden, als auch von den anderen Parteien – die CDU selbstkritisch eingeschlossen -nicht wirklich angegriffen werden.

Am 1. September wählt Sachsen. Die AFD liegt mit 24 Prozent nur sechs Prozent hinter der CDU. Laut Umfragen ist derzeit nur ein Bündnis aus CDU, SPD und Grünen möglich. Oder eines aus CDU und AFD…

Ein Bündnis mit der AFD hat Ministerpräsident Michael Kretschmer ganz klar ausgeschlossen. Über diese klare, konsequente Linie bin ich sehr froh. Sie führt auch dazu, dass die CDU in den Umfragen wieder zulegt. Im Bundestag erlebe ich die AFD als eine Partei, in der es viele hasserfüllte Menschen gibt, die eine ganz andere Republik wollen, welche mit dem Werteverständnis meiner Partei rein gar nichts zu tun hat. Die AFD ist für die CDU ein Gegner, zu dem eine deutliche Abgrenzung aus inhaltlichen Gründen dringend geboten ist.

Warum macht Ihnen Politik Spaß?

Zugegeben, sie hat schon mal mehr Spaß gemacht als derzeit. Aber ich setze mich gerne für andere Menschen ein. Und es gefällt mir, etwas bewegen und verändern zu können, damit auch meine Kinder eine schöne Zukunft haben. In der Politik braucht man jedoch einen langen Atem. Erst nach ein paar Jahren im Deutschen Bundestag habe ich an das eine oder andere Projekt einen Haken machen können. Aber ich habe dabei gelernt, dass es sich tatsächlich lohnt, fünf Jahre oder länger überzeugt an einem Thema dranzubleiben.

Herr Bilger, wir danken Ihnen für das ausführliche Gespräch.

 

Das Interview führten Chefredakteurin Patricia Leßnerkraus und Geschäftsführer Ayhan Günes.