Im Ukrainekrieg braucht es wieder Diplomatie

Nur Waffen zu liefern führt in eine gefährliche Sackgasse! Ein Gastbeitrag von Konrad Seigfried – ehemaliger Erster Bürgermeister der Stadt Ludwigsburg.

Der menschverachtende Angriffskrieg von Russland gegen die Ukraine hat eine riesige Welle der Hilfsbereitschaft ausgelöst: die Aufnahme von mittlerweile rund einer halben Million geflüchteter Menschen allein in Deutschland, humanitäre Hilfe und jede Menge bürgerschaftliches Engagement, wirtschaftliche Unterstützung und auch die Bereitstellung von Waffen und Munition. Alles geleitet von humanitären Überlegungen und der klaren Überzeugung, dass ein Land seine Souveränität verteidigen darf und muss. Das ist allemal unsere Unterstützung wert, ob auf privater oder staatlicher Ebene.

STOP WAR, STOP PUTIN, stand with Ukraine“ lautete die große gemeinsame Botschaft. Jetzt ist der Krieg aber bereits im dritten Monat und zunehmend stellt sich mir die Frage: was ist denn im Augenblick das Ziel unserer Unterstützung? Moralisch ist das eindeutig, politisch sehe ich aber derzeit keine Initiative. Was sind die Ziele unseres Landes und der westlichen Alliierten? STOP WAR braucht doch erreichbare Ziele, braucht Gespräche, braucht vor allem Verhandlungsgrundlagen. Über was soll verhandelt werden? Waffenstillstand? Der vollständige Rückzug Russlands aus der Ukraine, also auch von der Halbinsel Krim? Wenn ich mir die Verlautbarungen der ukrainischen Regierung anschaue ist das wohl das Ziel. Aber was ist unser Ziel?

Deutschland ist jetzt die Zielscheibe geworden für immer umfassendere Forderungen nach schweren Waffen, also Panzer und Artillerie. Der unsägliche ukrainische Botschafter Andrej Melnik (Ist er eigentlich Botschafter oder Waffenlobbyist, Chefankläger oder Stichwortgeber für geneigte Medien?), der den Präsidenten des Landes in dem er akkreditiert ist, beleidigt, sich über den Bundeskanzler lustig macht, läuft mit einer ganzen Bestellliste an Waffen umher, die wir der Ukraine angeblich schulden.

Während jetzt (fast) alle Politiker/innen von einem Zeitenwechsel sprechen und sich für die Politik der letzten Jahrzehnte entschuldigen, freue ich mich über Stimmen, wie die des Publizisten Theo Sommer. In einer Kolumne für die Wochenzeitung Die Zeit schreibt er unter anderem: “Die Entspannungspolitik war keine Lebenslüge. Außerdem ist Diplomatie, obwohl keine Friedensgarantie, nie eine Zeitverschwendung. Schließlich war Putin nicht von Anfang an der „nihilistische Desperado“ und: „Die Kombination von Abschreckung und Diplomatie hat uns fünf Jahrzehnte Frieden beschert.“

An diplomatischen Impulsen fehlt es zur Zeit völlig. Putin und Russland wollen die Ukraine „entnazifizieren“, was nichts anderes bedeutet, als zumindest zum Teil zu erobern. Die Ukraine möchte die vollständige Wiederherstellung seiner Souveränität, was nichts anderes heißt, als die Krim und die Ostprovinzen. Das wird nicht funktionieren. Hier wird einer verlieren.

Wer den Krieg jetzt wirklich stoppen will, braucht Vorschläge, wie die aktuell ausweglos scheinende Situation befriedet werden kann. Das ist eigentlich die Stunde der Diplomatie. Stattdessen reisen immer mehr westliche Politiker/innen ziemlich zweckfrei nach Kiew, um sich vor Ort vom Schrecken des Krieges zu überzeugen. Solidarität ist wichtig, aber ist das Solidarität oder nicht eher die medienwirksame Produktion von Bildern? Den Schrecken des Krieges kann man an vielen Stellen der Welt erleben. Wer hat zuletzt die Kurdengebiete im Irak oder Syrien besucht, wenn unser NATO-Partner Türkei mal wieder dort einmarschiert ist oder bombardiert hat?

Außenpolitik ist leider, wie es Willy Brandt einmal klug bemerkte:“ der illusionslose Versuch zur friedlichen Lösung von Problemen“ Genau diese illusionslosen Versuche braucht es weiter.

Wenn die Ukraine nach immer mehr und besonders nach schweren Waffen ruft, dann müssen wir klar machen, dass es dafür Bedingungen gibt: nämlich die Bereitschaft zu Verhandlungen mit Russland, der Verzicht darauf diese Waffen für Angriffe in Russland einzusetzen und eine Rückgabeverpflichtung nach Beendigung des Krieges*. Und gegenüber Russland muss klar gemacht werden, dass wir die Ukraine mit schweren Waffen unterstützen, wenn die Angriffe fortgesetzt werden.

Direkte Gespräche führen, verhandeln, Kompromisse suchen, Interessen ausgleichen, Vertrauen aufbauen waren die Erfolgsfaktoren, um den kalten Krieg zu überwinden. Das ist die Aufgabe unserer Regierungen und Diplomaten. Nur mehr Waffen zu liefern ist keine Lösung.

Bei allem was wir heute wissen, ist doch eines klar: Russland wird die Krim nicht mehr aufgeben (die dortige Bevölkerung will auch mit großer Mehrheit zu Russland, wie wir aus unserer Partnerstadt Jewpatoria leider schon lange wissen) und für die östlichen Provinzen der Ukraine, braucht es ein Mandat, dass einen dauerhaften Waffenstillstand (wenn nicht Frieden) sichert. Das könnte zum Beispiel ein UN-Mandat mit einer Volksabstimmung nach 10 oder 15 Jahren sein.

Wenn nicht endlich wieder Diplomatie in den Vordergrund tritt und Lösungen – so schwierig sie auch sind – gesucht werden, steuern wir nahezu ungebremst in einen großen Krieg, vielleicht in einen atomaren oder Weltkrieg. Und sage keiner, das hätte man nicht voraussehen können!

Russland und die Ukraine müssen jetzt an den Verhandlungstisch gezwungen werden. Waffenlieferungen allein sind keine Lösung!

* Unter den europäischen Staaten belegen laut Transparency international in 2019 Russland dicht gefolgt von der Ukraine die Spitzenplätze mit der höchsten Korruption. Was passiert eigentlich mit Waffen und Munition, wenn diese nicht mehr gebraucht werden?

 

Ukraine-Krieg: Unsere Freunde – wo sind sie geblieben? Ein Gastbeitrag von Dr. Rainer Haas

Bis zum 24. Februar dieses Jahres waren wir nur von Freunden umgeben – und jetzt ist Krieg! Über Jahrzehnte hatten wir uns an den Frieden gewöhnt. Der Zweite Weltkrieg lag über 75 Jahre zurück, Europa gewährte uns ein Leben in Freiheit, die Mauer fiel, in der Europäischen Union stritt man sich über Schulden, Brexit, Flüchtlingsverteilung und Corona, und die Nato wurde als hirntot bezeichnet. Das alles hat uns blind gemacht, vor allem auch die politischen Ebenen bis hin zur Europäischen Union. In Deutschland wurden die Verteidigungsausgaben heruntergefahren und die “Wehrpflicht” abgeschafft. Die Wirtschaft florierte und trieb Handel weltweit. Produktion und Fertigung lebenswichtiger Medikamente und zentraler Komponenten unserer Industrie wurden in Länder außerhalb Europas verlagert, wo die Löhne am niedrigsten und die Preise am günstigsten waren, und die für einen Wirtschaftsstandort à la Bundesrepublik dringend notwendige Energie wurde zu einem immer größeren Teil aus Russland bezogen. Heute ist es fast nicht mehr vorstellbar, dass unsere Abhängigkeit von russischem Gas bis noch vor wenigen Wochen durch Nordstream II weiter zementiert werden sollte und dies bedeutende Politiker/innen standhaft als rein wirtschaftliches Projekt bezeichnet hatten. Deutschland bemühte sich darin, allen zu gefallen und entgegenzukommen. Es war die Zeit der “Appeasement-Politik”.

Was für ein böses Erwachen! Niemand auf der politischen Ebene, aber offensichtlich auch nicht in den maßgeblichen Wirtschaftskreisen hatte der Tatsache, dass der russische Präsident die Milliarden-Einnahmen aus dem Verkauf von Kohle, Erdöl und Gas an Deutschland und andere Staaten der Europäischen Union besonders gerne in Waffen und seine Armee investierte, die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt. Seine “militärischen Operationen” in Tschetschenien, Georgien waren zu weit weg, um bei uns größere Aufmerksamkeit zu erregen, der gelegentliche “Todesfall” eines Regimekritikers eher unbedeutend, und nicht einmal die Besetzung der Krim stand dem Nordstream II- Projekt entgegen!

Doch jetzt hilft es wenig, über die in der Vergangenheit gemachten Fehler zu lamentieren. Nach der nun eingetretenen “Zeitenwende” können wir nur nach vorne blicken und rasch die notwendigen Konsequenzen ziehen.

Ganz Europa befindet sich im Krieg! Der russische Präsident hat unserer europäischen, freiheitlich-demokratischen Grundordnung, der Art, wie wir leben, den Kampf angesagt. Diesen Kampf führen für uns die Ukrainerinnen und Ukrainer unter der Führung von Präsident Wolodymyr Selenskyj. Wenn sie den Krieg verlieren sollten, weiß niemand, was der russische Präsident als nächstes plant zur Umsetzung seiner auf langer Hand geplanten Großmacht-Phantasien. Neben der Aufnahme von ukrainischen Kriegs-Flüchtlingen sind wir Europäer auch im eigenen Interesse zu konsequenten Sanktionen gegenüber Russland und Waffenlieferungen an die Ukraine verpflichtet. Es ist zu hoffen, dass beides erfolgt und nicht zu viel davon in politischen Debatten zerredet wird.

Deutschland kann nicht umhin, wieder einen deutlich größeren Verteidigungs-Beitrag zu leisten. Auf Amerika können wir uns nicht mehr verlassen. Das wissen wir seit der Amtszeit von Präsident Trump, aber wir wissen nicht, wie es in Amerika nach Präsident Biden weitergehen wird. Wir sollten – nicht nur deshalb – auch die Situation bei uns in Deutschland überdenken. Die Einführung eines sozialen Jahres für alle jungen Menschen – in einer sozialen Einrichtung in Deutschland, einem europäischen Mitgliedstaat oder aber in der Armee – sowie die stärkere Thematisierung der Bedeutung unseres Staatswesens und Europas im Schulunterricht würden die Verbindung zwischen Bürger und Staat/Europa stärken. Die Politik sollte auch im Übrigen nicht davor zurückschrecken, ihren Bürger/innen außer Ansprüchen und Rechten gelegentlich auch Pflichten aufzuerlegen. Und anstatt in immer größerem Maße Partikularinteressen Beachtung zu schenken, sollte dem Interesse der Allgemeinheit wieder mehr Bedeutung zugemessen werden. Dies ist für die Handlungsfähigkeit eines Staates unabdingbar. Dazu gehört auch die ehrliche Ansage an die Bevölkerung, dass der Krieg in der Ukraine Folgen haben wird für Deutschland und die Staaten der Europäischen Union – nicht nur in emotionaler und politischer Hinsicht, sondern auch wegen seiner finanziellen Konsequenzen. Dies wird auch Einschränkung und Verzicht bedeuten. Man sollte den Menschen nicht vorgaukeln, der Staat könne alles bezahlen und alles laufe weiter wie bisher.

Die letzten Skeptiker müssen endlich erkennen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht weiter auf die lange Bank geschoben werden darf! Als wäre die drohende Klimakatastrophe nicht schlimm genug, ist jetzt hoffentlich die geo-strategische Bedeutung der Energiegewinnung allen Verantwortlichen klar vor Augen geführt worden. Durch den Kauf fossiler Energien über zu viele Jahre haben wir totalitäre Staaten stark gemacht. Deutschland – und in der Folge Europa – muss energetisch autark werden. Der Ausbau von Windkraft und Photovoltaik muss konsequent und energisch vorangetrieben und darf nicht länger in politischen Hinterzimmern verzögert werden. Parallel dazu müssen wir auch in die Datensicherheit investieren. Spätestens die Abstimmung bei den Briten über den Brexit und die Trump-Wahl in den USA haben uns deutlich gemacht, dass heute von außen versucht wird, auf Abstimmungen und Wahlen auf digitalem Weg Einfluss zu nehmen. Schon lange ist im Netz ein Cyber-Krieg in vollem Gange. Auch sollte es nicht sein, dass die großen Provider vor allem in Amerika sitzen!

Wir alle in Europa müssen uns wieder auf die politisch-strategische Bedeutung der Europäischen Union und der Nato zurückbesinnen! Die Situation in einer von Großmächten dominierten globalen Welt, die drohende Klimakatastrophe, Corona und jetzt der Angriffskrieg auf die Ukraine haben uns eindrücklich vor Augen geführt, welche Rolle Deutschland, aber auch die übrigen europäischen Mitgliedstaaten – jeder für sich – spielen würden ohne das Gewicht der europäischen Gemeinschaft. Deutschland muss bereit sein, in der Europäischen Union mit Freunden und bewährten Partnern, wie den großen EU-Gründerstaaten Frankreich und Italien, eine Führungsrolle zu übernehmen. Mehr Mehrheitsentscheidungen sind das Gebot der Stunde, um Blockaden durch einzelne Mitgliedstaaten zu verhindern. Die Weiterentwicklung der Europäischen Union im Sinne einer immer engeren Zusammenarbeit, wenigstens im Rahmen eines “Europas der zwei Geschwindigkeiten”, ist heute wichtiger denn je – allerdings auch eine klare Kante gegenüber jenen Staaten, die von der Rechtsstaatlichkeit und anderen europäischen Werten abweichen. Europäisches Geld darf es hier nicht geben!

Der Angriffskrieg des russischen Präsidenten auf die Ukraine kann – neben allem furchtbaren menschlichen Leid – auch eine Chance sein. Nutzen wir sie mit unseren europäischen Freunden!

 

„Alle die zur Freiheit nicht die Unfreiheit der anderen brauchen, sollen aufstehn“

Am Sonntag fallen die Masken – geht’s noch? Ein Gastbeitrag von Konrad Seigfried – ehemaliger Erster Bürgermeister der Stadt Ludwigsburg.

Am 2. April enden fast alle Beschränkungen, die mit der noch immer grassierenden Corona-Pandemie zusammenhängen. Nur für Kranken- und Pflegeeinrichtungen gelten noch besondere Regeln und nur noch im öffentlichen Personennahverkehr sind Masken noch Pflicht.

Ich reibe mir die Augen. Hat die aktuelle Infektionswelle nicht gerade ihren Höhepunkt erreicht? Stecken sich nicht gerade immer mehr Menschen an, auch die, die sich immer vorsichtig verhalten haben? (1.800 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner).

Sterben nicht noch täglich mehr als 300 Menschen an oder mit Corona? Seit dem Beginn der Pandemie sind es bereits 130.244 (Quelle: Zeit Online).

Sind die Infektionszahlen nicht so hoch, wie noch nie in dieser nun schon zwei Jahre andauernden Pandemie?

Nun haben glücklicherweise die beiden Omikron-Varianten leichtere Verläufe, als anfangs erwartet. Eine Überlastung der Intensivstationen ist nicht, wie befürchtet, eingetreten. Aber ist das Grund genug (fast) alle Vorsichtsmaßnahmen aufzuheben?

Ehrlich, ich versteh das nicht. Abstand halten und Masken tragen ist nun wirklich keine allzu große Belastung. Warum warten wir mit der Aufhebung dieser Regeln nicht bis die aktuelle Welle abgeflaut ist? Vielleicht noch vier Wochen.

Manche feiern jetzt gar einen Freedom-Day, einen Tag der Freiheit. Welche Hybris! Ich finde das nachgerade schamlos, angesichts eines parallel stattfindenden brutalen Eroberungskrieges von Russland (oder Putin) gegen die Ukraine, angesichts von Menschen in vielen Staaten (ich nenne nur China, Afghanistan, Saudi-Arabien …), die wirklich und unter massiven Bedrohungen für ihre Freiheit kämpfen. Freedom-Day – so verkommen Begriffe.

In welcher Blase leben wir eigentlich? Wir können es uns erlauben, den Wegfall von vernünftigen Maßnahmen zur Bekämpfung einer Pandemie, wie dem Abstandsgebot und der Pflicht zum Masken tragen, als Wiedergewinn unserer Freiheit zu feiern. Absurd! Ich habe in der letzten Woche das Kino besucht, vor zwei Wochen ein Basketballspiel angeschaut, im Restaurant gesessen und Kultur genossen. Immer unter Beachtung der erforderlichen Regelungen. Meine Freiheit war jedenfalls nicht besonders eingeschränkt.

Und die Leidtragenden? Unsere Pandemiebekämpfung hat sich in den zurückliegenden beiden Jahren immer an den besonders Schutzbedürftigen ausgerichtet. Alte Menschen und Vorerkrankte haben und hatten das höchste Risiko lebensbedrohlich zu erkranken. Für sie und natürlich zu unserem eigenen Schutz und zur Bekämpfung einer weltweiten Pandemie haben wir viele Einschränkungen ertragen. Die Lockdowns waren die schlimmsten. Das bisherige Verhalten und die Impfungen habe dazu beigetragen, diese Pandemie ziemlich gut zu bewältigen. Für diese besondere gefährdeten Menschen wird es jetzt darum gehen sich noch mehr selbst zu schützen. Sie sind es jetzt, die beim Einkaufen zusätzlich gefährdet werden. Sie sind es, die jetzt nicht mehr an Veranstaltungen teilnehmen können und Sie sind es, die sich auch privat noch mehr einschränken müssen!

Wie hat der österreichische Sänger Georg Danzer in seinem Lied „Morgenrot“ schon vor vielen Jahren geschrieben: „Alle die zur Freiheit nicht die Unfreiheit der anderen brauchen, sollen aufstehn“. Die neue große Freiheit von Beschränkungen bedeutet für viele alte Menschen und Menschen mit einer Vorerkrankung einen Verlust ihrer Freiheit.

Warum wir jetzt diesen Öffnungsschritt machen, weiß wohl nur die FDP. Die Bundesregierung hat auf ihr Betreiben das Infektionsschutzgesetz so geändert, dass kaum noch Auflagen möglich sind. „Eigenverantwortung“, ist jetzt das Zauberwort. Das Freiheitsverständnis der Liberalen ist nicht geprägt von Verantwortung, denn Freiheit ohne Verantwortung belastet immer andere. Hoffentlich fällt uns das jetzt nicht auf die Füße und wir stehen bald wieder vor härteren Einschränkungen.

Alle ernst zu nehmenden Virologen sagen deutlich: die Pandemie ist nicht vorbei. Und spätestens im Herbst ist wieder mit einer erneuten bedrohlichen Welle zu rechnen. Wer jetzt zu früh lockert und damit falsche Signale versendet, ist mit dafür verantwortlich, wenn die Impfpflicht nicht kommt und wenn wir im Herbst wieder neue Einschränkungen erleben. Was bleibt ist nichts als Hoffnung.

 

Zum Protest gegen den Ukraine-Krieg – raus aus der Komfortzone

Ein Gedankensplitter von Uwe Roth

An diesem Donnerstag haben sich erneut ein paar Hundert Menschen auf dem Ludwigsburger Marktplatz versammelt. Sie zeigten – auch in Gebeten – Solidarität mit der Bevölkerung in der Ukraine. Solche friedlichen Aktionen gegen Russland sind wichtig. Auch wenn man davon ausgehen kann, dass dies die Verantwortlichen im Kreml in keiner Weise beeindruckt. Putin schonmal gar nicht. Den Menschen im Kriegsgebiet hilft es wenig, wenn Eltern und ihre Kinder mit Ökokreide Friedenszeichen auf öffentliche Flächen in Ludwigsburg malen und danach die Bilder in den sozialen Netzwerken verteilen. Ein solcher Aufruf war in Facebook zu lesen.

Die Lage hat sich in dieser Woche dramatisch zugespitzt, dass man diese provokante Frage stellen darf: Wer will mit seinem Handeln tatsächlich etwas ändern? Oder wem geht es nur darum, mit den eigenen Ängsten vor einem möglichen Krieg klarzukommen. Helfen, ohne die geliebte Komfortzone zu verlassen, bringt in diesem Stadium der Krise nur noch wenig. Dazu zählt beispielswiese das Spenden von Klamotten, die man sowieso nicht mehr tragen will. Ein Helfer an der polnisch-ukrainischen Grenze hat flehentlich in die Kamera gesagt, wir sollen keine Textilien mehr schicken… Wer helfen will, der soll Geld an Organisationen überweisen, die dafür kompetent sind. Wer Flüchtende ein Zuhause gibt, zeigt seine Bereitschaft, die Wohlfühlzone zu verlassen.

Es gibt drei Formen des Handelns: Aktionen, die symbolischer Natur sind und letztlich nichts verändern. Da sind zum anderen humanitäre Hilfen aller Art für die ukrainische Bevölkerung und zum dritten der persönliche Verzicht, der in der Summe Putin schwächen kann. Man darf gespannt sein, wer alles bereit ist, freiwillig seine Komfortzone zu verlassen, wenn die Verbraucherkosten weiter durch die Decke gehen. Es ist nicht nur fehlendes Erdgas, das unser Leben verteuert, sondern auch ausbleibendes Getreide aus Russland und der Ukraine.

Echter Verzicht darf ruhig wehtun. Muss wehtun. Am 25. November 1973 hat es wegen der damaligen Ölkrise den ersten autofreien Sonntag gegeben. Die Straßen waren vollkommen leer! Gut, es war eine staatliche Anordnung. Aber die Autofahrer*innen haben diese ohne Murren befolgt. Es wäre ein öffentlich wahrnehmbares Zeichen gegen Putin, wenn wir ihm Bilder von leeren Straßen senden könnten. Wir brauchen dein blutgetränktes Gas nicht! Wir finanzieren nicht deinen Krieg an unseren Tankstellen! Oder über horrende Gasrechnungen, weil immer noch zu vielen glauben, jeden Tag duschen zu müssen und kuschelig in der Wohnung beginnt bei weit über 20 Grad.

Wenn es darum geht, sich wesentlich einzuschränken (was immer noch ein Klacks im Vergleich zu dem wäre, was die ukrainische Bevölkerung aushalten muss), kommen weinerliche Mimimi-Ausreden. Das Fernsehen zeigt Autofahrer, für die das Vehikel aus beruflichen Gründen unverzichtbar ist. Es zeigt Politiker, die eine Senkung der Energiesteuer fordern. Medien berichten über den Autokorso, der durch Ludwigsburg fährt, um gegen Corona-Regeln zu protestieren. Das Auto ist für viele zur Droge geworden, von der sie nicht so leicht loskommen.

In Baden-Württemberg hat die Umweltministerin einen autofreien Sonntag ins Gespräch gebracht. Doch ein solcher wäre im März 2022 im Gegensatz zu dem vor 50 Jahren alles andere als autofrei. Schließlich will man auf die Sonntagsbrötchen nicht verzichten. Dabei wäre es so wichtig, aus eigenem Antrieb die eigene Komfortzone zu verlassen und nicht darauf zu warten, bis einen die äußeren Zwänge (zum Beispiel staatliche Anordnungen) aus dieser verdrängen. Das schafft nur weiteren Frust und bringt neue Querdenker hervor.

“Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung”: Ein Gastbeitrag von Martin Pfaff

Gastbeitrag von Martin Pfaff:

Ich wurde in einem Umfeld groß, in welchem man seine Meinung sagen und vertreten durfte. Das hat auch zu Spannungen geführt, jedoch wurde um die Fakten gerungen und nicht um die Klassifizierung der Person, welche eine andere Meinung vertritt.

Was möchte ich damit ausdrücken? Mit großer Sorge beobachte ich die Entwicklung der letzten Jahre, dass Menschen zu kritischen Themen schweigen! Sie haben Angst mit einem Label versehen zu werden, das mit dem Thema zwar nichts zu tun hat, aber die Person diskreditiert und ausgrenzt. Angst vor freier Meinungsäußerung darf es in unserer Demokratie aber nicht geben.

Leider haben sowohl Politiker verschiedenster Parteien als auch viele Medien vergessen, dass eine andere Meinung, gedeckt durch unser Grundgesetz, zulässig ist. Stattdessen wird derjenige durch Standardlabels (rechts-/linksradikal, ausländerfeindlich, unsozial, Querdenker, Verschwörungstheoretiker etc.) lautstark mundtot gemacht.

Eine ältere Dame sagte mir kürzlich, sie hätte Angst davor, ob wir weitere Flüchtlinge so integrieren können, dass es nicht zu weiteren Parallelgesellschaften kommt. Sie traue sich aber nicht das laut zu sagen, da sie dann sofort als „fremdenfeindlicher N…“ abgestempelt werden würde.

Oder aktuell immer wieder zu hören, dass Menschen einfach Angst davor haben sich impfen zu lassen, jedoch die Diskussion dazu scheuen, weil Sie dann sofort in die Schublade der „unsozialen Impfverweigerer und Verschwörungstheoretiker“ gesteckt werden.

Ich rede hier nicht von den „Spinnern“, die extreme, teilweise weltfremde Positionen vertreten. Dabei bitte aber daran denken, die hatten wir schon immer in allen Lagern, rechts, links und auch in der Mitte.

Man muss sich mit diesen Meinungen in einem konstruktiven Dialog auseinandersetzen. Jedoch wird dies lieber durch pauschale Stigmatisierung ersetzt. Der Dialog wird willentlich unterdrückt, da er scheinbar anstrengend und unangenehm ist. Man versucht damit seine eigene Meinung als alleingültige Wahrheit zu etablieren. Es wird nicht mehr differenziert zwischen unverbesserlichen „Spinnern“ und den Menschen, welche man mit einem offenen Dialog mitnehmen könnte.

Dadurch wird aber das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung massiv eingeschränkt.

Die Ansprache an die Bürger, welche aktuell von bestimmten Politikern verwendet wird, kennt nur noch das Extreme in der Bezeichnung von Menschen, die anders denken. Das wird leider mit denselben Worten in den Medien weitergereicht. Dadurch entsteht das Bild, dass alle die nicht auf der Linie der vorgegebenen Meinung liegen, unrecht haben.

Leider mit einer fatalen Folgewirkung! Das Verhalten findet sich mittlerweile in allen gesellschaftlichen Bereichen wieder. Ein Beispiel: Arbeitskollegen „prügeln“ verbal auf den anderen ein, weil er sich noch nicht hat impfen lassen. Das Warum ist völlig egal, er wird dem Sprachgebrauch der Politik und Medien folgend beschimpft und ausgegrenzt. Seine Argumente und Gründe werden beiseite gewischt mit einem der allgegenwärtigen Totschlagargumente. Die Beispiele ließen sich endlos fortsetzen.

Die Pandemie hat uns allen sehr, sehr viel abverlangt. Lassen Sie uns aber trotzdem nicht vergessen, wir sind eine freie Gesellschaft, welche auf bestimmten Werten und Rechten aufbaut. Daher gehen sie mit jedem respektvoll um und suchen das Gespräch. Verpassen Sie ihrem Gegenüber nicht pauschal einen Stempel, nur weil sie vielleicht keinen Konsens finden.

Druck und Zwang ohne offenen Diskurs führen zu Gegendruck und Widerstand, zu einer Spaltung unserer Gesellschaft! Und letzten Endes bleibt dann das Risiko, dass die, die sich unterdrückt fühlen, irgendwann tatsächlich radikal werden. Dann hat man sie „endlich“ in der Ecke, in welche man sie von Anfang an gestellt hat. Ist das wirklich das Ziel?

Als Schlusswort: Es geht hier nicht um Impfen ja oder nein, es geht nicht darum, wie viele Asylanten können wir integrieren etc. etc.

Es geht nur darum, wie wir mit komplexen Sachverhalten umgehen, wie wir miteinander umgehen und GEMEINSAM einen Weg finden ohne dabei unbequeme, weil anderslautende Meinungen, zu unterdrücken.

Ihr Martin Pfaff