Vettel und Ferrari: Desaströse Abschiedstour droht

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Die Szene war symptomatisch, denn Mattia Binotto suchte und suchte. Der Ferrari-Teamchef ging in den ersten Container, dann in den zweiten. Dann zuckte er mit den Schultern und gab die Suche nach seinen beiden Fahrern auf. Sebastian Vettel und Charles Leclerc erklärten da gerade das peinliche Doppel-Aus beim zweiten Formel-1-Saisonrennen in Spielberg in der Steiermark.

Während Vettel nach Leclercs Rammstoß auf große Vorwürfe verzichtete und der Teamkollege die Schuld auf sich nahm, fielen Binotto nur Durchhalteparolen ein. “Jetzt geht es darum, zusammenzuhalten und zu reagieren. Wir müssen nach vorne blicken. Ich bin sicher, dass wir die richtigen Leute haben, um das Auto zu verbessern.”

Dass Ferrari als unrühmlichen Schlusspunkt auch noch die übliche Medienrunde absagte, passte ebenfalls ins Bild. Binotto bewies einmal mehr: Er mag vielleicht ein guter Ingenieur sein, ein guter Teamchef ist er schon länger nicht mehr. Klar ist: Ferrari fehlt eine Führungsfigur. Jetzt, wo das Team orientierungslos taumelt, wird das endgültig offensichtlich.

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Noch ein Beispiel: Es ist klar, wer die Verantwortung dafür trägt, aber jetzt ist nicht die Zeit für Schuldzuweisungen”, sagte Binotto. Vor einer Woche, als Vettel ein Fehler unterlief, war Binotto schnell dabei, das Kind beim Namen zu nennen.

Es ist ein jämmerliches und dilettantisches Bild, das Anlass zur Sorge gibt, ob der einst so stolze Rennstall die Kurve noch bekommt. Die Scuderia 2020: nur noch ein Scherzartikel. Ein Mythos als Mysterium, denn der SF1000 ist nicht konkurrenzfähig, und Lösungen sind nicht in Sicht, nachdem sich erste Updates als nicht hilfreich erwiesen. Chaos statt Kult, Lachnummer statt Legende.

Bei Sebastian Vettel wächst so vor allem die Sorge, dass sich der 33-Jährige sang- und klanglos aus der Königsklasse verabschieden muss. Denn während Ferrari in eine dicke Krise schlittert, weil man sportlich nicht in der Lage ist, vorne mitzufahren und Binotto es nicht hinbekommt, den Laden auf Kurs zu bringen, muss Vettel zugleich einsehen: Seine Optionen für 2021 sind sowieso sehr dünn. Es droht der Abstieg in die sportliche Bedeutungslosigkeit, während das Karriereende ein immer realistischeres Szenario wird.

Es ist ein Teufelskreis, denn angesichts des Ferrari-Chaos wird es schwierig, noch einmal Duftmarken zu setzen, zu zeigen, was er noch kann. Die Bewerbungsfahrt droht zum Debakel zu werden. “Wir müssen sicherstellen, dass wir uns nicht zu sehr runterziehen, damit uns das Aufstehen nicht so schwer fällt”, meinte Vettel. Doch gleichzeitig handelt er sich eine Absage nach der anderen ein. Mercedes schob einem Wechsel einen Riegel vor, will auf Weltmeister Lewis Hamilton und Valtteri Bottas setzen.

Vettels Flirt mit Ex-Arbeitgeber Red Bull, mit dem er zwischen 2010 und 2013 seine vier WM-Titel holte, endete vorerst abrupt mit einer Absage. Das einstige Weltmeister-Team vertraut neben Max Verstappen auf Nachwuchsmann Alex Albon. “Bei uns ist kein Platz für Vettel. Wir sind mit Albon besetzt und auch zufrieden mit ihm. Albon ist zur Hälfte Thailänder, und Red Bull gehört zu 51 Prozent Thailändern”, sagte Red Bulls Motorsportberater Helmut Marko.

Gespräche mit Renault wurden nie wirklich konkret, denn Vettel will ein Sieger-Cockpit, will 2021 nicht einfach nur dabei sein, sondern mittendrin. Da gibt es in der Formel 1 aktuell kaum Möglichkeiten.

Racing Point vielleicht noch, die 2021 zum Aston-Martin-Werksteam werden. Teamchef Otmar Szafnauer: “Wir haben langfristige Verträge mit unseren beiden Fahrern, daher wäre es nur logisch, dass wir keinen Platz haben.” Wäre? Selbst ein Konjunktiv muss inzwischen als Hoffnungsschimmer herhalten.

Und was meint Vettel? Vorzeitig flüchten wird er nicht . “Nein, das glaube ich nicht. Ich lauf nicht einfach davon. Ich habe noch etwas zu beweisen, vor allem mir gegenüber. Und deshalb bin ich hier”, sagt er: “Die nächsten Wochen und Monate werden Aufschluss geben. Dann wird sich zeigen, ob’s was wird oder nicht.” Vettel setzt sich bei der Suche nicht unter Druck. Er hat allerdings auch längst keine Wahl mehr.

Andreas Reiners / mid