Zum Protest gegen den Ukraine-Krieg – raus aus der Komfortzone

Ein Gedankensplitter von Uwe Roth

An diesem Donnerstag haben sich erneut ein paar Hundert Menschen auf dem Ludwigsburger Marktplatz versammelt. Sie zeigten – auch in Gebeten – Solidarität mit der Bevölkerung in der Ukraine. Solche friedlichen Aktionen gegen Russland sind wichtig. Auch wenn man davon ausgehen kann, dass dies die Verantwortlichen im Kreml in keiner Weise beeindruckt. Putin schonmal gar nicht. Den Menschen im Kriegsgebiet hilft es wenig, wenn Eltern und ihre Kinder mit Ökokreide Friedenszeichen auf öffentliche Flächen in Ludwigsburg malen und danach die Bilder in den sozialen Netzwerken verteilen. Ein solcher Aufruf war in Facebook zu lesen.

Die Lage hat sich in dieser Woche dramatisch zugespitzt, dass man diese provokante Frage stellen darf: Wer will mit seinem Handeln tatsächlich etwas ändern? Oder wem geht es nur darum, mit den eigenen Ängsten vor einem möglichen Krieg klarzukommen. Helfen, ohne die geliebte Komfortzone zu verlassen, bringt in diesem Stadium der Krise nur noch wenig. Dazu zählt beispielswiese das Spenden von Klamotten, die man sowieso nicht mehr tragen will. Ein Helfer an der polnisch-ukrainischen Grenze hat flehentlich in die Kamera gesagt, wir sollen keine Textilien mehr schicken… Wer helfen will, der soll Geld an Organisationen überweisen, die dafür kompetent sind. Wer Flüchtende ein Zuhause gibt, zeigt seine Bereitschaft, die Wohlfühlzone zu verlassen.

Es gibt drei Formen des Handelns: Aktionen, die symbolischer Natur sind und letztlich nichts verändern. Da sind zum anderen humanitäre Hilfen aller Art für die ukrainische Bevölkerung und zum dritten der persönliche Verzicht, der in der Summe Putin schwächen kann. Man darf gespannt sein, wer alles bereit ist, freiwillig seine Komfortzone zu verlassen, wenn die Verbraucherkosten weiter durch die Decke gehen. Es ist nicht nur fehlendes Erdgas, das unser Leben verteuert, sondern auch ausbleibendes Getreide aus Russland und der Ukraine.

Echter Verzicht darf ruhig wehtun. Muss wehtun. Am 25. November 1973 hat es wegen der damaligen Ölkrise den ersten autofreien Sonntag gegeben. Die Straßen waren vollkommen leer! Gut, es war eine staatliche Anordnung. Aber die Autofahrer*innen haben diese ohne Murren befolgt. Es wäre ein öffentlich wahrnehmbares Zeichen gegen Putin, wenn wir ihm Bilder von leeren Straßen senden könnten. Wir brauchen dein blutgetränktes Gas nicht! Wir finanzieren nicht deinen Krieg an unseren Tankstellen! Oder über horrende Gasrechnungen, weil immer noch zu vielen glauben, jeden Tag duschen zu müssen und kuschelig in der Wohnung beginnt bei weit über 20 Grad.

Wenn es darum geht, sich wesentlich einzuschränken (was immer noch ein Klacks im Vergleich zu dem wäre, was die ukrainische Bevölkerung aushalten muss), kommen weinerliche Mimimi-Ausreden. Das Fernsehen zeigt Autofahrer, für die das Vehikel aus beruflichen Gründen unverzichtbar ist. Es zeigt Politiker, die eine Senkung der Energiesteuer fordern. Medien berichten über den Autokorso, der durch Ludwigsburg fährt, um gegen Corona-Regeln zu protestieren. Das Auto ist für viele zur Droge geworden, von der sie nicht so leicht loskommen.

In Baden-Württemberg hat die Umweltministerin einen autofreien Sonntag ins Gespräch gebracht. Doch ein solcher wäre im März 2022 im Gegensatz zu dem vor 50 Jahren alles andere als autofrei. Schließlich will man auf die Sonntagsbrötchen nicht verzichten. Dabei wäre es so wichtig, aus eigenem Antrieb die eigene Komfortzone zu verlassen und nicht darauf zu warten, bis einen die äußeren Zwänge (zum Beispiel staatliche Anordnungen) aus dieser verdrängen. Das schafft nur weiteren Frust und bringt neue Querdenker hervor.

“Es ist Eure Wahl” – Ein Kommentar von Ayhan Güneş

Die erste Runde der Präsidentschaftswahl in der Türkei am 14. Mai 2023 ist vorbei, und am 28. Mai steht die Stichwahl bevor. Im Vorfeld dieser Wahlen haben sich zahlreiche führende Politikerinnen und Politiker aus Deutschland deutlich gegen die aktuelle türkische Regierung positioniert und für einen Machtwechsel plädiert. Dieses Eingreifen in den Wahlkampf eines anderen souveränen Landes wirft wichtige Fragen auf und erfordert eine sorgfältige Betrachtung.

Spulen wir kurz zurück: Vor dem eigentlichen Wahldatum wurden türkische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, die in Deutschland leben, dazu aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Die Wahlbeteiligung war hoch, und laut den vorläufigen Zahlen der türkischen Wahlbehörde gaben rund 730.000 Personen in Deutschland ihre Stimme ab. Die Wahlbeteiligung bundesweit lag bei etwa 48,8 Prozent.

Nachdem knapp 98 Prozent der Wahlurnen geöffnet wurden, steht laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu fest: Der amtierende Präsident konnte in Deutschland mehr als 65 Prozent der Stimmen für sich verbuchen, was mehr als 460.000 Wahlberechtigten entspricht. Auf den Herausforderer entfielen knapp 33 Prozent der Stimmen.

Das Eingreifen ausländischer Politiker in die Wahlen anderer Länder ist eine kontroverse Angelegenheit. Befürworter argumentieren, dass politische Akteure ihre Meinung frei äußern können sollten, insbesondere wenn es um Menschenrechte, Demokratie oder andere grundlegende Werte geht. Sie könnten behaupten, dass das Eingreifen in den türkischen Wahlkampf eine Möglichkeit für deutsche Politiker war, ihre Unterstützung für Oppositionskandidaten zum Ausdruck zu bringen und sich für ihre politischen Überzeugungen einzusetzen.

Auf der anderen Seite könnten Kritiker argumentieren, dass ausländische Politiker sich nicht in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes einmischen sollten. Einige könnten dies als Einmischung in die Souveränität und die demokratischen Prozesse des Landes betrachten. Darüber hinaus könnte argumentiert werden, dass das Eingreifen ausländischer Politiker die innenpolitische Dynamik und den Wahlprozess eines Landes beeinflussen könnte.

Es ist verständlich, dass politische Akteure ihre Unterstützung für demokratische Werte und Menschenrechte zum Ausdruck bringen möchten. Insbesondere in Fällen, in denen grundlegende Prinzipien und Freiheiten in Frage gestellt werden, verspüren politische Führungspersonen den Drang, ihre Stimme zu erheben und Solidarität mit der Opposition zu zeigen. Dies könnte als Ausdruck des Glaubens an universelle Werte und des Engagements für eine gerechtere Zukunft betrachtet werden.

Dennoch ist es wichtig, die möglichen Auswirkungen einer solchen Einmischung zu bedenken. Wahlempfehlungen aus dem Ausland könnten zu Reaktionen bei den Wählerinnen und Wählern führen, die sich von den politischen Entscheidungsträgern in Deutschland bevormundet fühlen könnten. Der Widerstand aus Trotz oder der Wunsch nach Unabhängigkeit könnten dazu führen, dass einige Wählerinnen und Wähler bewusst das Gegenteil von dem tun, was empfohlen wurde.

Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass eine starke Einmischung aus dem Ausland die innenpolitische Dynamik eines Landes beeinflusst und das Vertrauen der Wählerschaft untergräbt. Die Souveränität eines Landes sollte respektiert werden, und die Entscheidungen über politische Führungspersonen sollten vor allem von den Wählerinnen und Wählern im Inland getroffen werden.

Es ist daher wichtig, dass politische Mandatsträger die Balance zwischen dem Ausdruck ihrer Überzeugungen und dem Respekt vor den demokratischen Prozessen anderer Länder finden. Die Meinungsfreiheit ist ein grundlegendes Recht, aber auch die möglichen Konsequenzen einer Einmischung in einen Wahlprozess müssen bedacht werden. Eine verantwortungsvolle und respektvolle Herangehensweise ist erforderlich, um das Vertrauen in demokratische Prozesse zu wahren und den Wählern die Freiheit zu lassen, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen – unabhängig davon, wie diese aussehen mögen.