
Istanbul – Die politische Lage in der Türkei spitzt sich dramatisch zu: Der Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu muss in Untersuchungshaft. Ein türkisches Gericht ordnete am Sonntag die Inhaftierung des prominenten CHP-Politikers an. Laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu wird dem 53-Jährigen vorgeworfen, Anführer einer kriminellen Organisation zu sein. Weitere Anschuldigungen betreffen Bestechung, Manipulation von Ausschreibungen und die angebliche Unterstützung der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK.
Neben Imamoglu wurden etwa 100 weitere Personen festgenommen. Der Bürgermeister, der als aussichtsreichster Herausforderer von Präsident Recep Tayyip Erdogan gilt, war bereits am Mittwoch in Gewahrsam genommen worden. Seine geplante Nominierung als Präsidentschaftskandidat der oppositionellen CHP am Sonntag soll dennoch wie geplant erfolgen.
Massive Proteste und Polizeieinsatz
Die Verhaftung Imamoglus löste nicht nur im In- und Ausland Bestürzung aus, sondern auch landesweite Proteste in der Türkei. Vor allem in Istanbul gingen Tausende Menschen auf die Straße, um gegen die Inhaftierung ihres Bürgermeisters zu demonstrieren. Bei Zusammenstößen setzte die Polizei Gummigeschosse und Pfefferspray ein.
Kritik aus Deutschland
Auch in Deutschland stößt die Festnahme auf scharfe Kritik. Der SPD-Bundestagsabgeordnete und Präsident der Deutsch-Türkischen Gesellschaft, Macit Karaahmetoğlu, zeigte sich nicht überrascht: „Die heutige Bestätigung der Inhaftierung Imamoglus überrascht mich in keinster Weise. Man kann in der Türkei nicht mehr von einer freien, unabhängigen Justiz sprechen. Man darf begründete Zweifel daran haben, dass Imamoglu ein faires Verfahren zuteil wird.“
Gleichzeitig würdigte er die starke Reaktion der türkischen Zivilgesellschaft: „Die Proteste nach der Verhaftung am Mittwoch waren die größten seit zehn Jahren. Ich bin der Überzeugung, die Menschen der Türkei werden heute ein starkes, friedliches Zeichen für ihren Wunsch nach Demokratie und Rechtstaatlichkeit in die Welt senden. Ich würde mir sehr wünschen, dass Behörden und Sicherheitskräfte diese Stimmen zulassen.“
Politische Dimension weit über Istanbul hinaus
Die Verhaftung Imamoglus gilt als schwerer Schlag gegen die Opposition. Der 53-Jährige hatte sich in den vergangenen Jahren als charismatischer Rivale Erdogans etabliert und war als Hoffnungsträger der CHP für die anstehenden Präsidentschaftswahlen vorgesehen. Beobachter befürchten, dass die Inhaftierung auch als gezielter politischer Schachzug Erdogans angesehen werden könnte, um einen gefährlichen Gegner auszuschalten.
Mit der Entscheidung des Gerichts droht die ohnehin angespannte politische Lage weiter zu eskalieren. Internationale Stimmen fordern die türkische Regierung bereits zu mehr Rechtsstaatlichkeit und Transparenz auf. Ob die Proteste anhalten und welche Folgen die Verhaftung für die Präsidentschaftswahl hat, bleibt abzuwarten.
red