„Krieg und Frieden“ – Ein Gedankensplitter von Oberbürgermeister Matthias Knecht

„Jeder denkt daran, die Welt zu verändern, aber niemand denkt daran, sich selbst zu verändern“, hat der russische Schriftsteller Leo N. Tolstoi einmal geschrieben. Der russische Staatspräsident Wladimir Putin zitiert gerne und häufig aus den Schriften Tolstois, der das Jahrhundertwerk „Krieg und Frieden“ im 19. Jahrhundert verfasst hat.

Diese beiden im Titel enthaltenen größten Gegensätze, die die Menschheitsgeschichte überhaupt aufweist, sind in unfassbar trauriger Art und Weise seit kurzer Zeit wieder omnipräsent. Mit dem Start militärischer Aktionen gegen die Ukraine in der Nacht auf Donnerstag hat die russische Regierung einen tiefgreifenden Völkerrechtsbruch begangen, der Leid, Zerstörung und Verzweiflung nach sich zieht und weiter ziehen wird. Bilder, die den Beschuss der ukrainischen Hauptstadt Kiew zeigen, machen fassungslos. Man fragt sich, ob das nicht ein böser, seinen Ursprung in der Vergangenheit besitzender Traum ist: Aber es ist das 21. Jahrhundert und damit die Gegenwart.

Auch an uns, den Menschen in Ludwigsburg, gehen diese Tage nicht spurlos vorbei. Mit dem Hissen der Flaggen der Ukraine und der EU am Donnerstag haben wir ein klares Zeichen gesetzt, auf welcher Seite wir in diesem Konflikt stehen – noch nie haben wir in so kurzer Zeit so viele betroffene und nachdenkliche Rückmeldungen über die sozialen Medien erhalten. Das am Abend organisierte Friedensgebet auf dem Marktplatz besuchten trotz der geringen Vorlaufzeit über 300 Menschen. Die unglaubliche Solidarität Menschen aller Nationen für das unerträgliche Leid der Ukrainerinnen und Ukrainern ist überall spürbar.

Es liegt jetzt an unserer politischen Führung und ihrer Verbündeten, Russland und seine Regierung mit so weitreichenden Sanktionen zu belegen, dass die Diplomatie wiederaufgenommen wird und die Vernunft siegen kann: Der Weg zum Frieden wird niemals über Waffen und Krieg begangen werden können, sondern über das gesprochene Wort, über Empathie und Rücksichtnahme aufeinander: Das Handeln eines Einzelnen und seiner wenigen Verbündeten darf das gegenseitige Verständnis der Menschen in Europa nicht gefährden. Und so ist es mir auch ein Anliegen, dass wir nicht alle Russinnen und Russen für das unsägliche Geschehen verantwortlich machen. Wir dürfen nicht ein gesamtes Volk verurteilen: Es ist das Machtstreben eines Autokraten, der in der Welt von heute eine Gefahr sieht und nicht bemerkt, dass er selbst die größte Bedrohung darstellt.

Hoffen wir darauf, auch wenn es völlig undenkbar erscheint, dass der russische Präsident zur Einsicht kommt: Dass er es ist, der sich ändern muss, damit wieder Frieden herrscht.

Dr. Matthias Knecht Oberbürgermeister der Stadt Ludwigsburg am 25.2.2022 .

“Es ist Eure Wahl” – Ein Kommentar von Ayhan Güneş

Die erste Runde der Präsidentschaftswahl in der Türkei am 14. Mai 2023 ist vorbei, und am 28. Mai steht die Stichwahl bevor. Im Vorfeld dieser Wahlen haben sich zahlreiche führende Politikerinnen und Politiker aus Deutschland deutlich gegen die aktuelle türkische Regierung positioniert und für einen Machtwechsel plädiert. Dieses Eingreifen in den Wahlkampf eines anderen souveränen Landes wirft wichtige Fragen auf und erfordert eine sorgfältige Betrachtung.

Spulen wir kurz zurück: Vor dem eigentlichen Wahldatum wurden türkische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, die in Deutschland leben, dazu aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Die Wahlbeteiligung war hoch, und laut den vorläufigen Zahlen der türkischen Wahlbehörde gaben rund 730.000 Personen in Deutschland ihre Stimme ab. Die Wahlbeteiligung bundesweit lag bei etwa 48,8 Prozent.

Nachdem knapp 98 Prozent der Wahlurnen geöffnet wurden, steht laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu fest: Der amtierende Präsident konnte in Deutschland mehr als 65 Prozent der Stimmen für sich verbuchen, was mehr als 460.000 Wahlberechtigten entspricht. Auf den Herausforderer entfielen knapp 33 Prozent der Stimmen.

Das Eingreifen ausländischer Politiker in die Wahlen anderer Länder ist eine kontroverse Angelegenheit. Befürworter argumentieren, dass politische Akteure ihre Meinung frei äußern können sollten, insbesondere wenn es um Menschenrechte, Demokratie oder andere grundlegende Werte geht. Sie könnten behaupten, dass das Eingreifen in den türkischen Wahlkampf eine Möglichkeit für deutsche Politiker war, ihre Unterstützung für Oppositionskandidaten zum Ausdruck zu bringen und sich für ihre politischen Überzeugungen einzusetzen.

Auf der anderen Seite könnten Kritiker argumentieren, dass ausländische Politiker sich nicht in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes einmischen sollten. Einige könnten dies als Einmischung in die Souveränität und die demokratischen Prozesse des Landes betrachten. Darüber hinaus könnte argumentiert werden, dass das Eingreifen ausländischer Politiker die innenpolitische Dynamik und den Wahlprozess eines Landes beeinflussen könnte.

Es ist verständlich, dass politische Akteure ihre Unterstützung für demokratische Werte und Menschenrechte zum Ausdruck bringen möchten. Insbesondere in Fällen, in denen grundlegende Prinzipien und Freiheiten in Frage gestellt werden, verspüren politische Führungspersonen den Drang, ihre Stimme zu erheben und Solidarität mit der Opposition zu zeigen. Dies könnte als Ausdruck des Glaubens an universelle Werte und des Engagements für eine gerechtere Zukunft betrachtet werden.

Dennoch ist es wichtig, die möglichen Auswirkungen einer solchen Einmischung zu bedenken. Wahlempfehlungen aus dem Ausland könnten zu Reaktionen bei den Wählerinnen und Wählern führen, die sich von den politischen Entscheidungsträgern in Deutschland bevormundet fühlen könnten. Der Widerstand aus Trotz oder der Wunsch nach Unabhängigkeit könnten dazu führen, dass einige Wählerinnen und Wähler bewusst das Gegenteil von dem tun, was empfohlen wurde.

Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass eine starke Einmischung aus dem Ausland die innenpolitische Dynamik eines Landes beeinflusst und das Vertrauen der Wählerschaft untergräbt. Die Souveränität eines Landes sollte respektiert werden, und die Entscheidungen über politische Führungspersonen sollten vor allem von den Wählerinnen und Wählern im Inland getroffen werden.

Es ist daher wichtig, dass politische Mandatsträger die Balance zwischen dem Ausdruck ihrer Überzeugungen und dem Respekt vor den demokratischen Prozessen anderer Länder finden. Die Meinungsfreiheit ist ein grundlegendes Recht, aber auch die möglichen Konsequenzen einer Einmischung in einen Wahlprozess müssen bedacht werden. Eine verantwortungsvolle und respektvolle Herangehensweise ist erforderlich, um das Vertrauen in demokratische Prozesse zu wahren und den Wählern die Freiheit zu lassen, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen – unabhängig davon, wie diese aussehen mögen.