So ungesund ist Zeitdruck

ANZEIGE

Die wohl häufigste Klage im Alltag lautet: Zu viel Arbeit, zu wenig Zeit. Doch was macht der Zeitdruck tatsächlich mit uns, welche Auswirkungen hat der ganze Stress? Der Psychologe Christian Müller vom Medizinisch-Psychologischen Institut des TÜV Nord in Köln berichtet Überraschendes aus der Forschung.

“Bei einem vollen Terminplan kann sich auch die Freizeit wie Arbeit anfühlen”, sagt Müller. Eine Analyse von 13 Studien ergab: Wer sich für einen Kinobesuch oder eine Kaffeepause Termine setzt, hat weniger Freude daran, als wenn sie spontan stattfinden.

Der typische Fall von Zeitdruck sieht allerdings anders aus. Es geht um Deadlines und darum, dass die anstehenden Aufgaben in der verfügbaren Zeit nicht zu schaffen sind. Der finnische Ingenieur Ari Putkonen untersuchte, wie sich Zeitdruck auf die Arbeit von Teams auswirkt. Sein Fazit: Kurzfristig steigt die Leistung zwar, doch langfristig droht geistige Ermüdung. Die Qualität der Arbeit, die Produktivität und das Engagement sanken.

ANZEIGE

Zeitdruck löst eine akute körperliche Stressreaktion aus, die einem uralten, bewährten Programm folgt: Das Angstzentrum im Gehirn – die Amygdala – alarmiert die Kommandozentrale für das autonome Nervensystem, den Hypothalamus. Dieser signalisiert den Nebennieren, den Körper mit Botenstoffen wie Adrenalin und Noradrenalin zu fluten. Herz und Atem nehmen Fahrt auf, Blutdruck und Muskelspannung steigen.

Bei akuter Gefahr für Leib und Leben stellt sich der Körper so auf Kampf oder Flucht ein. Unseren Vorfahren sicherte diese Reaktion das Überleben. Allerdings leidet darunter die Aufmerksamkeit für andere Dinge, die nicht mit der akuten Bedrohung zu tun haben. Was sonst noch um uns herum passiert, nehmen wir in dieser Situation nur noch eingeschränkt wahr. Für die meisten Aufgaben ist es deshalb am besten, wenn das Gehirn zwar aktiviert ist, aber nicht zu sehr.

Im Straßenverkehr etwa kann die eingeschränkte Wahrnehmung gefährlich werden. Zeitnot führt außerdem zu ungeduldigem, riskantem Fahren und vermehrten Regelverstößen.

Wer sich gar nicht erst unter Druck setzen lassen will, kann auf mehreren Wegen gegensteuern. Zum Beispiel mit Gedankenkraft, wie eine Studie nahelegt: “Es geht nicht um den Zeitdruck selbst, sondern um die Wahrnehmung von Zeitdruck”, sagt Psychologe Michael DeDonno von der Case Western Reserve University. Er ließ Versuchspersonen Karten ziehen, wobei sie mit der richtigen Strategie Geld gewinnen konnten. Eine Gruppe bekam gesagt, es wäre genügend Zeit, während eine weitere informiert wurde, dass die Zeit eigentlich zu knapp sei. Tatsächlich aber hatten alle gleich viel Zeit, nämlich 100 Durchgänge. Das Ergebnis: Die Gruppe, die nicht genug Zeit zu haben glaubte, schnitt schlechter ab.

Manche Termine kann man absagen, andere verschieben. Aber an einigen lässt sich nichts ändern. Hier bleibt nur, sich davon nicht allzu sehr unter Druck setzen zu lassen. Nur wie? Der Psychologe Christian Müller von TÜV Nord empfiehlt, den Fokus der Aufmerksamkeit zu verschieben: “Sich weniger auf die Zeit und mehr auf die Aufgaben konzentrieren.”

Andreas Reiners / glp