Weltbevölkerung wächst trotz sinkender Geburtenrate

Wiesbaden – Trotz des sinkenden Geburtenniveaus wächst die Weltbevölkerung weiter an. Gegenwärtig bekommen Frauen im globalen Durchschnitt 2,2 Kinder, wie nach Angaben des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung aus Berechnungen der Vereinten Nationen (UN) hervorgeht, die am Donnerstag veröffentlicht werden.

Demnach dauert es aufgrund der Trägheit demografischer Prozesse dennoch bis 2084, bevor die Weltbevölkerung bei knapp über zehn Milliarden Menschen ihr Maximum erreicht. Danach wird erwartet, dass die sinkende Zahl an Geburten durch die wachsende Zahl an Sterbefällen überholt wird und die Weltbevölkerung nicht nur altert, sondern auch zu schrumpfen beginnt.

Bis dahin wird, nach der mittleren Variante der UN-Vorausberechnung, die absolute Zahl der Menschen weltweit aber weiterhin ansteigen. Hierfür sieht Frank Swiaczny vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) Subsahara-Afrika als Schlüsselregion.

Während eine steigende Zahl an Ländern Sterbeüberschüsse verzeichneten, liege das Geburtenniveau dort noch immer bei durchschnittlich 4,3 Kindern je Frau, so Swiaczny. Bis zum Ende des Jahrhunderts werde die Region als Folge des hohen Geburtenniveaus von heute 1,2 auf 3,4 Milliarden Menschen weiter anwachsen, selbst wenn das Geburtenniveau in diesem Zeitraum auf zwei Kinder je Frau sinken sollte. “Die Zukunft der Weltbevölkerung hängt wesentlich von der Entwicklung in Subsahara-Afrika ab”, so Swiaczny.

Der Grund dafür liege in der extrem jungen Altersstruktur, sagte Jan Kreutzberg, Geschäftsführer der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW). In dieser Weltregion, wo über 40 Prozent der Menschen unter 15 Jahre alt sind, bekämen viele Mädchen immer noch sehr früh und in der Folge häufig mehr Kinder, als sie adäquat versorgen können. Zudem bedeuteten Teenagerschwangerschaften in sehr vielen Fällen das Ende der Schullaufbahn, womit Frauen und Mädchen die Chancen auf eine Ausbildung und ein eigenständiges Einkommen genommen wird.

“Dabei birgt der weibliche Teil der Bevölkerung, immerhin die Hälfte von acht Milliarden Menschen, ein enormes Potenzial”, so Kreutzberg. “Investitionen in Ausbildung, Aufklärung und den Zugang zu Verhütungsmitteln sind immer auch eine Investition in Stabilität und Sicherheit.”

Catherina Hinz, Direktorin des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, sieht die Gleichberechtigung von Frauen nicht nur in Subsahara-Afrika als zentral für eine nachhaltige Bevölkerungsentwicklung an: “Nur, wenn Mädchen und Frauen einen gleichberechtigten Zugang zu Bildung, Arbeit und Gesundheitsversorgung haben, können sie ein selbstbestimmteres Leben führen, nicht zuletzt in Sachen Familienplanung.”

Auch in Regionen mit niedrigen Geburtenraten muss sich die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern weiter verbessern. Hinz unterstreicht: “Nach wie vor stecken mehrheitlich Frauen bei der Erwerbstätigkeit zurück, um Kinder und Ältere zu betreuen, zu erziehen und zu pflegen. Eine gerechtere Verteilung der Sorgeverantwortung ist nicht nur aus Gründen der Geschlechtergerechtigkeit wichtig, sondern auch, um besser für eine alternde Bevölkerung gewappnet zu sein.”

red

Warum die Geburtenrate in Deutschland dramatisch sinkt

Wiesbaden – Die Geburtenrate in Deutschland ist innerhalb der vergangenen beiden Jahre deutlich zurückgegangen. Sie fiel von 1,57 Kindern pro Frau in 2021 auf rund 1,36 im Herbst 2023 – damit ist das Fertilitätsniveau so niedrig wie seit über zehn Jahren nicht mehr, wie das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BIB) am Mittwoch mitteilte.

Der beobachtete starke Rückgang der Fertilität innerhalb von zwei Jahren sei deshalb ungewöhnlich, da sich Phasen sinkender Geburtenraten in der Vergangenheit eher langsamer vollzogen haben, so das Institut. Die Zahlen basieren auf einer Veröffentlichung des BIB und der Universität Stockholm.

Die Autoren der Studie führen das rapide Absinken der Geburtenrate auf verschiedene mögliche Ursachen zurück: Sie sehen den abrupten Einbruch im Januar 2022 auf 1,4 zunächst als Reaktion auf die beginnende Impfkampagne gegen das Coronavirus neun Monate zuvor. Demnach könnte es sein, dass viele Frauen angesichts der damals für Schwangere nicht zugelassenen Impfstoffe den Kinderwunsch aufgeschoben haben, um sich erst impfen zu lassen. Den verstärkten Geburtenrückgang ab Herbst 2022 führen die Forscher dann auf weitere andere Krisen zurück, die sich in der Endphase der Pandemie entwickelt haben und die sich negativ auf den Kinderwunsch ausgewirkt haben könnten.

“Der Krieg in der Ukraine, die gestiegene Inflation oder auch der fortschreitende Klimawandel haben die Menschen zusätzlich zur Pandemie verunsichert”, sagte Martin Bujard vom BIB, Mitverfasser der Studie. “In einer solchen Zeit multipler Krisen setzen viele ihren Kinderwunsch nicht um.”

Inwiefern die neuen Zahlen einen generellen Trend zu sinkenden Geburtenzahlen in Deutschland einleiten oder nur einen temporären Effekt abbilden, ist dem Bundesinstitut zufolge derzeit noch nicht absehbar. Dauerhaft niedrige Geburtenraten tragen demnach zu einer alternden Gesellschaft bei. Im Zusammenspiel mit zahlreichen anderen Faktoren ergäben sich daraus Herausforderungen unter anderem durch den Rückgang potenzieller Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt und für die Sozialsysteme.

Dennoch zeigt auch die langfristige Betrachtung einen Rückgang der Fertilität nach einem zwischenzeitlichen Hoch: Die Geburtenrate in der Bundesrepublik pendelte nach 1975 für vier Jahrzehnte im Bereich zwischen 1,2 bis 1,4 Kindern pro Frau und gehörte lange Zeit zu den niedrigsten in Europa. Von 2015 bis 2021 lag sie dann deutlich höher mit Werten von 1,5 bis 1,6. Dieser Anstieg wird mit familienpolitischen Reformen wie dem Elterngeld und dem Ausbau der Kindertagesbetreuung in Verbindung gebracht.

Auch die gestiegene Anzahl von Frauen mit Migrationshintergrund in Deutschland spielt wohl eine Rolle, die, sofern sie noch nicht lange in Deutschland leben, im Mittel mehr Kinder bekommen. “Während die Geburtenrate in Deutschland in den 2010er-Jahren anstieg, haben einige europäische Länder einen Rückgang der Geburtenraten erlebt. Seit 2015 lag die Geburtenrate in Deutschland im europäischen Mittelfeld”, so Bujard.

Dass der starke Rückgang der Fertilität seit 2022 kein rein deutsches Phänomen darstellt, zeigt der Blick nach Skandinavien: In Schweden ist die Geburtenrate in den vergangenen beiden Jahren ebenfalls deutlich zurückgegangen. Hier fiel sie von rund 1,67 in 2021 auf nunmehr 1,45 Kindern pro Frau in 2023 ab – und damit auf den niedrigsten Wert seit Beginn der statistischen Erhebung.

Obwohl die politischen Rahmenbedingungen in dem skandinavischen Land als besonders familienfreundlich gelten, ist die Geburtenrate hier bereits seit 2011 im Rückgang begriffen. Damals hatten Frauen durchschnittlich knapp zwei Kinder bekommen. Mit der aktuellen Entwicklung hat sich in Schweden der langfristige Rückgang der Fertilität nochmals beschleunigt.

Auch in anderen europäischen Ländern macht sich der Geburtenrückgang bemerkbar: Im EU-Durchschnitt lag die Geburtenrate im Jahr 2022 nach Angaben der europäischen Statistikbehörde Eurostat bei 1,46 – und ist damit identisch mit dem deutschen Wert.

“Wir sehen nicht nur in Deutschland, sondern in vielen europäischen Ländern sowohl eine große Verunsicherung durch die zahlreichen internationalen Krisen als auch einen Geburtenrückgang”, sagte Bujard. In den wenigen Ländern, in denen die statistischen Ämter bereits Daten für das Jahr 2023 berechnet haben, sind die Werte weiter gesunken. Die Forscher gehen davon aus, dass sich das Muster des fallenden Fertilitätsniveaus auch in weiteren europäischen Ländern zeigen wird.

Der plötzliche und unerwartet starke Rückgang der Geburtenrate in Deutschland könnte unterdessen zu einer heftigen Diskussion über die Familienpolitik der Ampel-Regierung führen: Der rapide Absturz der Geburtenrate zeige einmal mehr die Verunsicherungen bei Familien, ausgelöst durch internationale Krisen und Inflation, sagte die familienpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Silvia Breher (CDU), der “Welt”.

“Der Absturz verdeutlicht aber auch, dass das Vertrauen der Familien in die Politik massiv verloren gegangen ist. Die Ampel schafft es mit ihrer undurchdachten und ideologisch geprägten Gesellschaftspolitik nicht, den Familien Vertrauen zurückzugeben.” So würden wichtige familienpolitische Maßnahmen wie die Investitionshilfen für den Ausbau von Kita-Plätzen “einfach aufkündigt”, große Reformprojekte wie die Ganztagsbetreuung im Grundschulalter dauerten ewig, beklagte Breher. “Was wir brauchen, ist eine pragmatische und bedarfsgerechte Familienpolitik. Nur mit einer verlässlichen Familienpolitik schaffen wir es, die Geburtenrate wieder zu steigern.”

Im Familienministerium werden die neuen Zahlen noch mit Vorsicht aufgenommen: “Festzuhalten ist: Menschen setzen ihren Kinderwunsch aktuell seltener um”, sagte eine Sprecherin. “Die Post-Corona-Zeit sowie die aktuellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krisen verlangen den Menschen viel ab. In unsicheren und wirtschaftlich angespannten Zeiten verschieben die Menschen ihre Familienplanung lieber. Das sehen wir gerade.”

Umso wichtiger sei es, Familien bedarfsgerecht zu unterstützen: finanziell, durch eine qualitativ hochwertige und flächendeckende Kinderbetreuung und die Unterstützung partnerschaftlicher Vereinbarkeit von Familie und Beruf, so die Sprecherin. “Hier müssen wir gerade jetzt in eine fortschrittliche Familienpolitik investieren, um Familien und künftigen Eltern Sicherheit zu geben und den Menschen Mut für Familiengründung zu geben.”

red