„Die Menschen wollen leben, nicht überleben” – Ludwigsburger Stadträtin Shoaleh über den Krieg und seine Folgen

Der militärische Konflikt zwischen Israel und dem Iran stellt die iranische Gemeinschaft in der Region Ludwigsburg vor eine Zerreißprobe. In einem exklusiven Gespräch mit unserer Zeitung gewährt die Grünen-Stadträtin Arezoo Shoaleh, selbst mit iranischen Wurzeln, einen tiefen Einblick in die Ängste und Sorgen der Menschen, die zwischen der vermeintlichen Sicherheit in Deutschland und der dramatischen Lage ihrer Heimat zerrieben werden. Die emotionale Dauerbelastung, die der Krieg mit sich bringt, prägt den Alltag vieler Iraner in Ludwigsburg – und doch bleibt auch die Hoffnung. 

Interviewfragen von Ayhan Güneş

LB24: Frau Shoaleh, wie nehmen Sie die aktuelle Situation im Iran aus der Ferne wahr? Waren Sie von dem Angriff überrascht?

Arezoo Shoaleh: Die Lage im Iran ist äußerst besorgniserregend. Stromausfälle, Versorgungsengpässe und wachsende Unsicherheit prägen das Leben der Menschen. Es herrscht eine Atmosphäre der Angst, gepaart mit der Hoffnung, dass sich etwas ändern wird.

Der Angriff selbst war einerseits nicht völlig überraschend – die Spannungen zwischen den Ländern waren spürbar. Doch als es dann tatsächlich passierte, fühlte es sich irgendwie surreal an. Man erwartet es, aber ist emotional nicht darauf vorbereitet.

LB24: Haben Sie Familie im Iran?

Arezoo Shoaleh: Ja, der Großteil meiner Familie lebt im Iran, und ich habe einen sehr engen Bezug dorthin. Ich mache mir täglich Sorgen um ihre Sicherheit und ihr Wohlergehen. Aber es geht mir nicht nur um meine Familie. Millionen Menschen sind betroffen – auf beiden Seiten. Im Krieg leidet immer die Zivilbevölkerung am meisten, die keine politische Macht hat, aber den höchsten Preis zahlt. Das macht die Situation umso schwerer.

LB24: Haben Sie in Erwägung gezogen, in den Iran zu reisen, um nach Ihrer Familie zu sehen?

Arezoo Shoaleh: Ja, daran gedacht habe ich jeden Tag, jede Minute. Aber es ist derzeit keine realistische Option. Die Lage ist zu gefährlich und unübersichtlich, und ein Besuch würde niemandem wirklich helfen, so sehr mein Herz auch dort ist.

LB24: Wie kommunizieren Sie aktuell mit Ihrer Familie im Iran, wenn das Internet landesweit immer wieder ausfällt?

Arezoo Shoaleh: Ja, das stimmt – das Internet ist oft stark eingeschränkt oder komplett unterbrochen. Es macht es extrem schwer, mit meiner Familie in Kontakt zu bleiben. Jede kleine Nachricht, auch durch andere, ist eine Erleichterung. Diese Ausfälle verschlechtern jedoch auch die allgemeine Informationslage. Viele Menschen erfahren nicht, was passiert, und können Warnungen vor Gefahren nicht rechtzeitig erhalten. Das Internet ist nicht nur ein Kommunikationsmittel, sondern ein Überlebensinstrument. Wenn es ausfällt, steigt die Unsicherheit und Angst.

LB24: Israel hat kürzlich die Menschen in Teheran aufgefordert, die Stadt zu verlassen. Was denken Sie über diesen Aufruf? Wie reagieren die Menschen darauf?

Arezoo Shoaleh: Das ist in Wahrheit ein Ding der Unmöglichkeit. Man muss sich das einmal vor Augen führen: Teheran hat etwa 15 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner – das ist mehr als Belgien, mehr als Portugal. Wie soll eine ganze Millionenstadt innerhalb kurzer Zeit evakuiert werden? Wohin sollen die Menschen überhaupt fliehen?

Die Realität sieht so aus: Die Straßen sind überfüllt, die Autobahnen sind verstopft, an den Tankstellen bilden sich kilometerlange Schlangen. Bei fast 40 Grad Hitze stehen die Menschen stundenlang an, um gerade mal 20 Liter Benzin zu bekommen Das reicht kaum, um die Stadt zu verlassen, geschweige denn in Sicherheit zu kommen.

Viele Menschen können sich das Verlassen der Stadt weder leisten noch organisieren. Familien mit kleinen Kindern, ältere Menschen – sie haben schlicht keine Möglichkeit, irgendwohin zu fliehen. Es herrscht Panik, aber auch Resignation. Menschen fühlen sich allein gelassen mit dieser Bedrohung, in einer Situation, für die es keinen Ausweg gibt.

Dazu kommt, dass es auch keine sicheren Orte gibt. Wohin soll man gehen, wenn das ganze Land unter Spannung steht? Der Aufruf, die Stadt zu verlassen, klingt vielleicht sinnvoll – aber in der Realität ist er für die meisten schlicht nicht umsetzbar. Es ist ein Aufruf, der mehr Angst auslöst als tatsächliche Hilfe.

LB24: In dieser schwierigen Zeit, wie geht es Ihnen persönlich mit der Situation im Iran um?

Arezoo Shoaleh: Es tut gut, wenn inmitten all der politischen Analysen und Diskussionen auch Raum bleibt für das Persönliche. Genau das sollten wir viel öfter tun: in solchen Momenten einander fragen, wie es uns wirklich geht. Denn wir sind nicht alle Politiker:innen – aber wir sind alle Menschen.

Und menschlich gesehen ist diese Situation kaum auszuhalten. Es ist ein ständiges Auf und Ab von Gefühlen – zwischen Angst, Wut, tiefer Ohnmacht, manchmal auch Schuldgefühlen, weil ich hier in Sicherheit lebe, während die Familie und so viele andere dort unmittelbar betroffen sind.

Aber trotz allem bleibt auch Hoffnung – und das immer wieder. Hoffnung, dass es nicht weiter eskaliert. Hoffnung, dass die Menschen überleben. Es ist eine emotionale Dauerbelastung, mit der ich und viele andere, die wie ich, irgendwie klarkommen muss – und gleichzeitig bin ich innerlich zerrissen. Und diese Mischung aus Nähe und Entfernung, aus Hilflosigkeit und Verantwortung, ist sehr schwer zu tragen.

LB24: Wie erleben Sie als Stadträtin die Sorgen und Ängste der iranischen Gemeinde in Ludwigsburg?

Arezoo Shoaleh: Die Wut und Verzweiflung vieler Menschen aus der iranischen Gemeinschaft richtet sich ganz klar gegen das Terrorregime im Iran, gegen das System, das seit Jahrzehnten Unterdrückung, Gewalt und Angst über die Bevölkerung bringt. Es ist dieses Regime, das den Iran in eine Lage geführt hat, in der sich das Land nun in einem Krieg befindet.

Die Menschen im Iran – und auch hier in Ludwigsburg – wollen kein Leid, keinen Krieg. Sie wollen Freiheit, Sicherheit und Würde. Und ich hoffe sehr, dass sich die iranische Gemeinschaft hier in Ludwigsburg weiterhin ihrer Verantwortung bewusst ist.

Als Stadträtin haben mich bisher keine konkreten Ängste oder Bedrohungsszenarien erreicht. Aber ich erlebe viel Mitgefühl, ehrliches Interesse, aufmerksames Nachfragen und auch Verständnis – von Menschen hier in Ludwigsburg und in meinem Umfeld.

LB24: Was wünschen Sie sich von der internationalen Gemeinschaft und der Politik, um den Menschen im Iran zu helfen?

Arezoo Shoaleh: Ich wünsche mir Ehrlichkeit und Konsequenz. Die internationale Gemeinschaft hat viel zu lange zugesehen, wie das iranische Regime Menschenrechte verletzt und brutal unterdrückt – ohne klare Haltung, solange es geopolitisch nicht störte. Es braucht endlich einen entschlossenen Einsatz für die Menschenrechte, politischen Druck und Sanktionen gegen die Verantwortlichen. Die Menschen im Iran brauchen keine Mitleid, sondern Verbündete und Unterstützung für ihren Kampf um Freiheit und Gerechtigkeit.

LB24: Befürworten Sie einen Regimewechsel im Iran?

Arezoo Shoaleh: Ich bin keine Politologin, aber ich weiß, dass jeder militärische Angriff immer Leid, Tod und Zerstörung mit sich bringt. Kriege dürfen niemals als Lösung angesehen werden, denn letztlich sind es immer die Menschen, die die Konsequenzen tragen müssen. Dieses Regime hat in den letzten 47 Jahren unermessliches Leid über die Bevölkerung im Iran gebracht – es hat Generationen zerstört, die Rechte der Frauen unterdrückt, Freiheitskämpfer gefoltert und das Land in Angst und Isolation geführt. Die Forderung nach einem Regimewechsel ist nicht einfach ein politischer Wunsch, sondern die Hoffnung und der Hilfeschrei von Millionen Iranern, die sich nach Freiheit, Würde und Frieden sehnen. Ich befürworte die Hoffnung der Menschen – sie wollen befreit werden, sie wollen leben, nicht überleben. Sie haben jedes Recht darauf

Frau Shoaleh, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Özdemir verurteilt pro-palästinensische Demonstrationen: “Sie würden keinen Tag im Iran aushalten”

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir übt scharfe Kritik an den pro-palästinensischen Demonstranten, die gestern in Berlin den iranischen Angriff auf Israel gefeiert haben. Er verurteile dies “in aller Schärfe”, sagte er bei “Welt-TV”.

Außerdem hätten die Demonstranten Unrecht, denn: “Der Iron Dome hat funktioniert. Unsere Solidarität gilt Israel, gar keine Frage. Und der Iran hat gezeigt, dass es eine sehr wackelige Diktatur ist”, so Özdemir.

Außerdem hätte er noch eine weitere Botschaft an die Demonstranten, sagte der türkischstämmige Politiker: “Diejenigen, die da demonstrieren, würden es keinen Tag im Iran aushalten. Sie wären die ersten, die dem Iran den Rücken kehren würden. Die Menschen im Iran – mehrheitlich Muslime – wünschen sich Demokratie, westliche Werte und Menschenrechte. Sie verachten das, wofür diese Leute in Neukölln demonstriert haben. Insofern sollten sie nicht so tun, als hätten sie irgendetwas mit dem zu tun, wofür die Menschen im Iran stehen. Sie wollen wie Menschen leben und nicht unter einer barbarischen Diktatur.”

red

Israel plant Gegenschlag auf Militäranlagen im Iran

Berlin/Jerusalem – Der israelische Botschafter in Deutschland Ron Prosor hat deutlich gemacht, dass Israel nicht auf einen Gegenschlag gegen den Iran verzichten wird.

“Von unserer Seite ist es klar, dass wir reagieren werden”, sagte er am Dienstag dem Sender “Welt-TV”. Zivile Ziele werde man dabei nicht angreifen: “Wir haben kein Problem mit Zivilisten, das hatten wir nie in der Vergangenheit. Das werden wir auch nie in der Zukunft tun. Aber eine Reaktion wird da sein. Wann, wo und wie – das wird unser Kriegskabinett entscheiden.”

Prosor wehrte sich dagegen, einen solchen Akt der Selbstverteidigung Israels als “Vergeltungsschlag” zu bezeichnen. “Israel hat die Pflicht und das Recht, sich selbst zu verteidigen”, so Prosor. Es müsse klar sein, dass diejenigen, die Israel angreifen, “auch den Preis dafür bezahlen”. Israel werde man keine zivilen Ziele angreifen, obwohl die Angriffe Teherans sehr wohl auch zivilen Zielen gegolten hätten, so Prosor.

Die israelische Antwort werde sich nur “gegen diese militärischen Einrichtungen von den Mullahs und den Ayatollahs” richten, so Prosor. Darauf könne man aber nicht verzichten: “Wir müssen darauf reagieren. Es ist auch wichtig für die Region, dass diese Abschreckung – auch in dieser Region – ganz klar ist.”

Den Besuch von Außenministerin Annalena Baerbock in Israel begrüßte Prosor grundsätzlich. Er erwartet allerdings auch Verständnis für die israelische Position und härtere Sanktionen: “Erstmal hören wir zu – unseren Freunden – also den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Deutschland. Aber ich möchte in Erinnerung rufen, dass Iran gegen Israel ohne Provokation jetzt über 300 Raketen geschossen hat, um alles zu tun, wirklich, um israelische Zivilisten zu töten. Und wir müssen darauf reagieren. Und das heißt nicht `Eskalation`. Im Gegenteil. Das ist `Klare Kante`-Zeigen.” Prosor mahnte, “Frau Baerbock und Europa” sollten Sanktionen gegen die Revolutionsgarden verhängen “und dieses Mullah- und Ayatollah-Regime wirklich angehen”.

Prosor sieht Teheran als Drahtzieher aller anti-israelischer Allianzen im Nahen Osten. “Dieses Mullah- und Ayatollah-Regime, das ist wie ein Oktopus mit Tentakeln.” Syrien und der Libanon, Hamas und Hisbollah seien die Tentakel, doch “der Kopf liegt in Teheran”, so Prosor. Iran sei nicht nur eine Gefahr für Israel, sondern auch für Jordanien, Saudi Arabien und andere arabische Staaten. “Es ist ein Verständnis bei den pragmatischen sunnitischen Staaten, dass Iran eigentlich ein Terrorregime ist”, so Prosor. Man müsse auch verstehen, dass im Hintergrund zwei Lager stünden: Europa und die USA an der Seite Israels – und der Iran mit Russland und China auf der anderen.

Die USA wähnt Prosor nach den Unstimmigkeiten der vergangenen Wochen nun auf der Seite Israels: Die Vereinigten Staaten und Biden seien “die besten Freunde, die Israel haben kann”. Natürlich könne es unter Freunden schon mal Meinungsverschiedenheiten geben. “Aber es ist ganz klar, dass die Vereinigten Staaten und Biden klare Kante gegenüber Iran gezeigt haben.”

red

G7 verurteilen Irans Attacke auf Israel und fordern Zurückhaltung

Berlin – Die G7-Staaten rufen nach der iranischen Attacke auf Israel zu Zurückhaltung auf. “Mit seinem Vorgehen hat der Iran einen weiteren Schritt zur Destabilisierung der Region getan und riskiert, eine unkontrollierbare Eskalation in der Region zu provozieren, das muss vermieden werden”, hieß es am Sonntag von den Staats- und Regierungschefs der G7 nach einem virtuellen Treffen.

“Wir werden weiter daran arbeiten, die Situation zu stabilisieren und eine weitere Eskalation zu vermeiden. In diesem Sinne fordern wir den Iran und seine Stellvertreter auf, ihre Angriffe einzustellen, und wir sind bereit, weitere Maßnahmen zu ergreifen, jetzt und als Reaktion auf weitere destabilisierende Initiativen”, hieß es weiter.

Man verurteile den “direkten und beispiellosen Angriff Irans gegen Israel aufs Schärfste”. “Wir bekunden Israel und seinem Volk unsere volle Solidarität und Unterstützung und bekräftigen unser Engagement für seine Sicherheit.”

Zudem kündigten die G7 an, die Zusammenarbeit zur Beendigung der Krise im Gazastreifen zu intensivieren. So werde man unter anderem auf einen “sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand” und die Freilassung der Geiseln durch die Hamas hinarbeiten sowie die humanitäre Hilfe für die Palästinenser verstärken.

red

Friedensnobelpreis 2023 geht an Menschenrechtlerin Narges Mohammadi

Oslo – Das norwegische Nobelkomitee gab am Freitag in Oslo bekannt, dass der Friedensnobelpreis dieses Jahr an Narges Mohammadi verliehen wird. Die Entscheidung würdigt vor allem ihren mutigen Kampf gegen die Unterdrückung von Frauen im Iran.

Das Komitee betonte auch ihren unermüdlichen Einsatz für “Menschenrechte für alle”. Narges Mohammadi wird nicht nur für ihre persönliche Hingabe geehrt, sondern auch stellvertretend für all jene, die in den letzten Monaten gegen das repressive Regime im Iran auf die Straße gingen. Es wurde darauf hingewiesen, dass sie derzeit inhaftiert ist.

Narges Mohammadi, eine Menschenrechtsaktivistin, begann ihre Karriere als Journalistin nach ihrem Studium der Physik. Sie setzt sich seitdem insbesondere für die Rechte der Frauen ein. Aufgrund ihres Engagements wurde sie wiederholt zu Haftstrafen und sogar Peitschenhieben verurteilt.

Aus dem Gefängnis heraus informiert sie die Welt über die schrecklichen Haftbedingungen im Iran und zuletzt über die Inhaftierung von Frauen, die an den Protesten nach dem Tod von Mahsa Amini beteiligt waren. Der Friedensnobelpreis ist mit elf Millionen schwedischen Kronen dotiert, was etwa 945.000 Euro entspricht. Der Nobelpreis gilt als eine der höchsten Auszeichnungen in den jeweiligen Disziplinen und wird traditionell am 10. Dezember, dem Todestag von Alfred Nobel, verliehen. Die Preisverleihung findet in Oslo statt, während die anderen Nobelpreise in Stockholm übergeben werden.

red