Scharfe Kritik: Jobcenter-Personalräte warnen vor Folgen der Kindergrundsicherung

Nürnberg – Die Personalräte der Jobcenter haben sich wegen ihrer Bedenken bei der Umsetzung der Kindergrundsicherung nun direkt an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gewendet. Der vorliegende Gesetzentwurf konterkariere die mit ihm verbundenen Ziele “auf absurdeste Weise” und werde für die Betroffenen “verheerende soziale und finanzielle Folgen haben”, heißt es in einem Brief an den Kanzler, der auf diesen Freitag datiert ist und über den der “Spiegel” berichtet.

In dem Schreiben kritisieren die Personalvertreter, die geplante Verwaltung der Sozialleistung sei “in dieser Form schlicht realitätsfremd und nicht umsetzbar”. Im Ergebnis müssten Familien, die heute noch Leistungen aus einer Hand im Jobcenter erhalten, “diese künftig bei bis zu fünf verschiedenen Behörden realisieren (Familienservice, Wohngeldstelle, Agentur für Arbeit, Kommune und Jobcenter)”.

Zudem würde die Kindergrundsicherung das grundgesetzlich gebotene Existenzminimum absehbar in vielen Fällen nicht decken. “Der Sozialstaat wird langfristig irreparablen Schaden nehmen”, so die Personalräte.

Harsche Kritik üben die Personalvertreter der Jobcenter in diesem Zusammenhang an den jüngsten Aussagen von Familienministerin Lisa Paus (Grüne), es würden am Ende doch weniger als 5.000 zusätzliche Stellen benötigt. In Wirklichkeit sei der Bedarf eher zu gering bemessen, auch weil durch die neuen Doppelzuständigkeiten keine Stellen bei den bisherigen Behörden eingespart werden könnten, so die Personalräte der Jobcenter.

red

Kindergrundsicherung beschlossen: Mehr Geld und weniger Bürokratie für Familien

Nach monatelangem Streit in der Ampel-Koalition hat das Bundeskabinett am Mittwoch den Gesetzentwurf zur Kindergrundsicherung beschlossen. Der sieht vor, bisherige finanzielle Förderungen, wie das Kindergeld, die Leistungen für Kinder und Jugendliche im Bürgergeld und der Sozialhilfe, den Kinderzuschlag und Teile des Bildungs- und Teilhabepaketes durch die neue Leistung “Kindergrundsicherung” zu ersetzen. “Schon dieses Jahr haben Familien mit der größten Kindergelderhöhung seit Mitte der 90er Jahre rund 750 Euro mehr pro Jahr für die ersten beiden Kinder in der Tasche”, sagte Familienministerin Lisa Paus (Grüne) am Mittwoch.

Zukünftig werde mit der Kindergrundsicherung das Kindergeld, das dann “Kindergarantiebetrag” heißen soll, für alle Kinder automatisch an die Preisentwicklung angepasst. Den Kinderzusatzbetrag der Kindergrundsicherung sollen insgesamt rund 5,6 Millionen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in Anspruch nehmen können – darunter auch die 1,9 Millionen Kinder, die aktuell Bürgergeld beziehen. Ebenso sollen auch Kinder aus Familien mit geringen Einkommen den Kinderzusatzbetrag erhalten.

“Dabei achtet die Bundesregierung darauf, dass ausreichend Erwerbsanreize gegeben sind”, sagte Paus. Schließlich sollen Familien künftig direkt vom Familienservice über mögliche Ansprüche informiert und die Berechnung und Auszahlung der Leistungen werden einfacher. Damit schaffe die Kindergrundsicherung einen Systemwechsel – weg von der Holschuld von Bürgern hin zu einer “Bringschuld des Staates”, sagte Paus.

red

Streit um Kindergrundsicherung: Familienministerin Paus erhält deutlich weniger als gefordert

Familienministerin Lisa Paus (Grüne) soll für die Einführung der geplanten Kindergrundsicherung von 2025 an zunächst zwei Milliarden Euro pro Jahr erhalten. Das geht laut eines Berichts der “Süddeutschen Zeitung” aus der Finanzplanung des Bundes für den Zeitraum 2025 bis 2027 hervor, die das Kabinett am Mittwoch gemeinsam mit dem Haushalt für 2024 verabschieden will. Die Zahl liegt nicht nur deutlich unter der Forderung, die Paus bei Finanzminister Christian Lindner (FDP) geltend gemacht hatte, sie steigt über die Jahre auch nicht an.

Paus hatte bei voller Einführung aller Komponenten mit zwölf Milliarden Euro pro Jahr kalkuliert. Die Frage, wie viel Geld für das Projekt der Grünen zur Verfügung steht, war der letzte Streitpunkt im monatelangen koalitionsinternen Konflikt um die Finanzplanung für die nächsten Jahre. Paus scheiterte mit ihren Wünschen letztlich nicht nur an Lindner, sondern auch an Kanzler Olaf Scholz (SPD), der den Finanzminister in dieser Frage stützte.

Beide, Scholz wie Lindner, wollen von 2024 an die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse wieder in vollem Umfang einhalten. Zusätzliche Ausgaben in einer Größenordnung, wie sie der Familienministerin vorschweben, sind da dem Vernehmen nach kaum machbar, solange nicht andernorts kräftig gespart wird. Offen blieb zunächst, ob sich Paus, Vizekanzler Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock mit den Zugeständnissen der Koalitionspartner zufriedengeben.

Denkbar ist auch, dass die Minister der Grünen ihren Unmut am Mittwoch in einer Protokollerklärung öffentlich machen oder bei der Kabinettssitzung mit Nein stimmen. Zwar könnten Haushalt und Finanzplanung auch mit der Mehrheit der übrigen Minister verabschiedet werden, politisch aber wäre der Schaden für die Ampelkoalition kaum mehr gutzumachen. Mit ihrem Konzept will Paus alle Kinder, vor allem jedoch solche aus finanzschwachen Verhältnissen, umfassend vor Armut schützen.

Dazu sollen Leistungen gebündelt und neu strukturiert werden. Zugleich sind die Ämter gehalten, Familien proaktiv über ihre Ansprüche zu informieren. Unter anderem will die Ministerin das Kindergeld, das heute vom Gehalt der Eltern abhängt, durch einen einkommensunabhängigen Betrag ersetzen.

Ärmere Familien erhielten dann noch eine Zusatzleistung. Der Streit über die Kindergrundsicherung dürfte spätestens bei den Beratungen zum Haushalt 2025 wieder aufflammen, die bereits in sechs Monaten beginnen werden. Dabei rollt schon das nächste heftige Problem auf die Koalition zu: der Verteidigungsetat.

Sollte das 100 Milliarden Euro schwere Sondervermögen zur besseren Ausstattung der Bundeswehr tatsächlich 2027 aufgebraucht sein und bleibt Kanzler Scholz zugleich bei seiner Zusage, die Höhe der Verteidigungsausgaben dauerhaft am Nato-Ziel von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung zu orientieren, müsste der Wehretat von 2027 auf 2028 massiv erhöht werden – nach Informationen der SZ um 25 Milliarden Euro. Wo dieses Geld herkommen soll, ist völlig ungewiss.

red