Streit um Tempo 30: Kommunen drängen auf mehr Autonomie

Berlin – Die Kommunen haben auf mehr Freiheit bei der Einführung von Tempolimits gepocht und die Ampelkoalition zur Anrufung des Vermittlungsausschusses aufgefordert. “Wir brauchen mehr kommunalen Entscheidungsspielraum bei der Verkehrsplanung und Verkehrssteuerung vor Ort”, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, dem “Redaktionsnetzwerk Deutschland” (Mittwochausgabe). “Deshalb appellieren wir an Bundestag und Bundesregierung, einen Neustart für die dringend nötige Novelle des Straßenverkehrsgesetzes zu wagen und endlich den Vermittlungsausschuss anzurufen.”

Er erwarte, dass auch die Länder zur konstruktiven Mitarbeit an einem neuen Kompromiss bereit sind, so Dedy. “Wir wollen Tempo 30 in bestimmten Gebieten oder auch für einzelne Straßen anordnen können, ohne dafür wie bisher aufwendig besondere Gefahrensituationen nachweisen zu müssen.”

Auch der Städte- und Gemeindebund forderte einen Kompromiss. Verbandschef Andre Berghegger (CDU) appellierte an Bund und Länder, “die Hängepartie bei der Novelle des Straßenverkehrsgesetzes schnell zu beenden und den Vermittlungsausschuss anzurufen”. Die Kommunen benötigten einen erweiterten Rechtsrahmen “für mehr Sicherheit im Straßenverkehr und damit für mehr Lebensqualität vor Ort”, sagte Berghegger dem RND. Eine Reform sei “überfällig”.

Die Novelle des Straßenverkehrsgesetzes, die unter anderem mehr Tempo 30 in den Kommunen ermöglichen sollte, war Ende vergangenen Jahres überraschend im Bundesrat gescheitert. Nun können die Bundesregierung oder der Bundestag den Vermittlungsausschuss anrufen.

Laut Weltgesundheitsorganisation liegt eine sichere Geschwindigkeit auf Straßenabschnitten mit möglichen Zusammenstößen zwischen Autos und ungeschützten Verkehrsteilnehmern bei 30 Kilometern pro Stunde. Auf Abschnitten mit Kreuzungen, an denen seitliche Kollisionen nur zwischen Fahrzeugen auftreten können, sollte demnach das Tempo auf 50 km/h begrenzt werden. Sind lediglich frontale Zusammenstöße möglich, empfiehlt die WHO 70 Stundenkilometer. Auf Straßen, auf denen sowohl seitliche als auch frontale Zusammenstöße ausgeschlossen sind, liegt eine sichere Höchstgeschwindigkeit bei 100 km/h.

red

Einsparpotenzial durch Tempolimit überschätzt ?

Das Einsparpotenzial bei russischen Öl-Importen durch die Einführung eines allgemeinen Tempolimits in Deutschland wird deutlich überschätzt. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung des Erfurter Ökonomen Dominik Maltritz, über die die “Welt am Sonntag” berichtet. In der öffentlichen Debatte werde mit “falschen, stark überhöhten Zahlen argumentiert”, kritisierte er.

So rechnet beispielsweise Greenpeace damit, dass ein allgemeines Tempolimit von 130 Stundenkilometern auf der Autobahn den Kraftstoffbedarf um zwei Millionen Tonnen pro Jahr senken würde. Diese Einsparung entspreche 2,1 Prozent der deutschen Ölimporte. Bezogen auf den russischen Anteil der Importe sprechen Experten wie Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung von Werten zwischen fünf und acht Prozent.

Maltritz‘ Berechnungen zufolge ist das Einsparpotenzial höchstens halb so hoch. Er kommt für ein Tempolimit von 130 Stundenkilometern auf 0,3 bis 0,37 Prozent weniger Rohölbedarf. Bei Tempo 100 würden die Gesamtimporte um höchstens 1,12 Prozent sinken.

Umgerechnet auf den russischen Importanteil würde das maximal 3,16 Prozent der russischen Öllieferungen ausmachen.

red / dts

Verkehrsminister Wissing lehnt Forderungen nach Tempolimits ab

Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat Forderungen zurückgewiesen, wegen der drohenden Energieknappheit neue Tempolimits zu beschließen. “Tempolimits und autofreie Sonntage helfen niemandem, das Problem der hohen Preise zu bewältigen”, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Donnerstagausgaben). “Das können jetzt nicht die Akutmaßnahmen sein, die wir brauchen. Wir haben uns in der Koalition darauf verständigt, nicht mit Tempolimits zu arbeiten, sondern andere Wege zu gehen, um Energie zu sparen und Klimaschutz zu erreichen.” Wissing sprach sich zugleich dagegen aus, Energieverbrauch zum Schutz des Klimas zu verteuern. “Ich habe nie Gefallen daran gefunden, Dinge gezielt zu verteuern, weil sie einigen zu günstig sind”, sagte er.

“Diese Debatte habe ich immer mit äußerster Verwunderung gesehen. Preise – ob für Fleisch oder für das Fliegen – sollten sich marktwirtschaftlich bilden.”

red / dts