Istanbul – Nach dem tödlichen Anschlag im Zentrum Istanbuls haben deutsche Türkei-Experten Zweifel an der Darstellung der türkischen Regierung zu den Hintergründen der Tat. “Während türkische Sicherheitskräfte auch den Islamischen Staat (IS) als möglichen Täter nicht ausschließen, spricht der Innenminister sofort und ausschließlich von der PKK und ihrem syrischen Ableger, der PYD”, sagte der Türkei-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Günter Seufert, dem “Redaktionsnetzwerk Deutschland” (Dienstagausgaben). Innenminister Süleyman Soylu hatte am Montag außerdem gesagt, dass der Befehl für die Tat aus der nordsyrischen Kurdenhochburg Kobane gekommen sei.
Seufert sagte: “Die türkische Regierung kündigt seit Monaten an, bald in Kobane, das von der PYD gehalten wird, einzumarschieren, und hat das bisher nur aufgrund des Widerstandes von Russland und den USA unterlassen.” Aus Sicht des SWP-Experten wäre ein Anschlag in der Türkei besonders aus Sicht der PYD und ihrer Miliz YPG unlogisch: “Der Anschlag erleichtert es der Regierung, eine erneute Intervention in Syrien international zu rechtfertigen. Deshalb macht ein solcher Anschlag für die Kurden in Syrien keinen Sinn”, sagte Seufert.
Unklar bleibe, wer hinter der Tat stecke. “Man kann nur spekulieren.” Auch der Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in der Türkei, Kristian Brakel, äußerte sich skeptisch über die Darstellung der Regierung.
Bei einer früheren Anschlagserie in den Jahren 2015 und 2016 habe die PKK eine klare Motivation gehabt, die Lage zu eskalieren, sagt Brakel dem RND. “Der Friedensprozess mit der türkischen Regierung war kollabiert, man sah sich auf der Gewinnerspur in Syrien und im Irak, wo die PKK durch den Kampf gegen den IS großes Renommée in den USA und Europa erworben hatte, da hoffte man auf internationale Unterstützung auch für den Kampf in der Türkei”, so Brakel. “In der aktuellen Lage finde ich es schwierig, nachzuvollziehen, aus welcher Motivation die PKK operieren sollte.”
red