Wer zahlt und wer erhält wie viel vom Sozialstaat?

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Der Sozialstaat steht für Solidarität. Rund 1,6 Billionen Euro betrugen die deutschen Staatseinnahmen im Jahr 2020. Nun hat das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln nachgerechnet: Wer zahlt ein, wer nimmt raus?

Ein großer Teil der Einnahmen entsteht durch Steuern und Abgaben an den Sozialstaat wie Einkommensteuer, Mehrwertsteuer, Renten- und Pflegeversicherungsbeiträge. Hiervon wiederum müssen die Leistungen des Sozialstaats finanziert werden: Dazu zählen beispielsweise Renten, Arbeitslosen- oder Kindergeld, aber auch Sachleistungen wie Bildung oder Gesundheit.

Wie viele Abgaben die Deutschen an den Staat zahlen und wie viel sie erhalten, hängt stark vom Alter ab. Kinder und Jugendliche erhalten vor allem Bildungs- und Gesundheitsleistungen. Erst im Erwerbsleben dreht sich die Bilanz allmählich, denn mit dem Erwerbseinkommen steigen Einkommensteuer, Sozialversicherungsbeiträge und weitere Abgaben. Deswegen zahlen erwerbstätige Personen in der Regel mehr an den Staat, als sie an Leistungen beziehen.

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Mit Mitte 50 zahlen Deutsche die höchsten Abgaben an den Staat: 20.500 Euro jährlich sind es durchschnittlich, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zusammengerechnet. Mit dem Renteneintritt kehrt sich das Verhältnis von Abgaben und Zahlungen wieder um: Die Deutschen erhalten nun Renten, Pensionen und Leistungen aus dem Gesundheitswesen.

Das IW zeigt darüber hinaus, wie sich Abgaben und Leistungserhalt anhand persönlicher Merkmale unterscheiden. Unterschieden werden kann nach Geschlecht, Region, Wohnort, Einkommensklasse und Bildung. Auch der demografische Wandel lässt sich anhand des Tools nachvollziehen. Ab dem 85. Lebensjahr erhalten Deutsche durchschnittlich rund 30.500 Euro jährlich vor allem aus den Sozialversicherungen.

Durch die steigende Lebenserwartung steigt jedoch der Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung. “Für den Fiskus wird das zu einem rechnerischen Problem”, sagt IW-Ökonom Martin Beznoska, der die Werte für das Tool berechnet hat: “Wegen des demografischen Wandels wird es immer dringender, die Sozialsicherungssysteme zu reformieren.”

An dieser Stelle gibt es allerdings Widerspruch von gewerkschaftlicher Seite: Derartige Warnungen beruhten auf anfechtbaren Annahmen, sagt beispielsweise das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) Düsseldorf, eine Einrichtung der Hans-Böckler-Stiftung.

Die Kritik an Beitragssatzerhöhungen in der Rentenversicherung baue fast immer “auf denselben neoklassischen Modellannahmen” auf, schreiben die IMK-Forscher. Darin würden Sozialbeiträge hauptsächlich als Kostenfaktor betrachtet, während die Nachfrage- und Umverteilungseffekte übersehen würden oder unterbelichtet seien.

Es werde in manchen Modellen weitgehend ignoriert, dass die zusätzlichen Einnahmen der Rentenversicherung nach einer Beitragsanhebung sofort weitergegeben werden und sich dadurch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage sogar erhöhe. Das Geld, das Rentnerinnen und Rentner erhalten, fließe zurück in den privaten Konsum, was wiederum das Wirtschaftswachstum steigere. Das makroökonometrische Modell des IMK berücksichtigt den Nachfrageeffekt und weitere Faktoren stärker als beispielsweise das arbeitgebernahe IW.

Lars Wallerang / glp