Beschäftigte in Ludwigsburg kämpfen um Jobs – Mann+Hummel ist ein Beispiel von vielen

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Von Uwe Roth

Kurzarbeitergeld, Abfindungen, betriebsbedingte Kündigungen: In immer mehr Großunternehmen der Region scheint sich der schrittweise Vorgang zum Abbau von Arbeitsplätzen oder sogar Schließungen von Produktionsstätten zu wiederholen. Bei Mann+Hummel ist der letzte Schritt offensichtlich eingeleitet. Am Dienstag standen ab 4.30 Uhr bis um 15 Uhr Beschäftigte und IG Metall-Funktionäre vor den Toren des Automobilzulieferers in Ludwigsburg. Ende Juli hatte die Geschäftsführung verkündet, dass die bestehenden Fertigungsaufträge auslaufen oder verlagert werden. Für die Produktion am Firmensitz Ludwigsburg bedeutet dies das Aus für das Werk. Es geht es um rund 430 von insgesamt 1500 Arbeitsplätze. Weltweit hat das Unternehmen 22.000 Beschäftigte. Die Arbeitgeberseite betrachtet die getroffene Entscheidung als alternativlos. Der Betriebsrat ist fassungslos: „Wir sind ein Betrieb“, betonte Arbeitnehmervertreter Werner Bühler. „Wir haben zusammen das Unternehmen stark gemacht. Und so sehen wir uns auch als Familie“, sagte er bei der Protestaktion.

Die betroffenen Mitarbeiter klammern sich ans Prinzip Hoffnung. Immer mal wieder war bei Mann+Hummel von Produktionsverlagerungen die Rede, die aber bislang ohne Folgen blieb. Hoffnung setzten sie daher auf das erste Gespräch am Mittwoch mit der Geschäftsführung. Matthias Fuchs, Geschäftsführer IG Metall Ludwigsburg sagte im Anschluss dazu: „In Verhandlungen gibt es immer zwei Wege: Es gibt den konstruktiven Weg. Ich denke, da werden wir viele konstruktive Vorschläge einbringen.“ Gleichzeitig drohte er: „Und es gibt den anderen Weg. Wenn der Arbeitgeber sich nicht auf den ersten Weg einlässt, werden wir auch den zweiten Weg gehen und das bedeutet dann Kampf.“

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Die Geschäftsleitung von Mann+Hummel hält sich dagegen eher bedeckt. Auf Anfrage, wie der jüngste Stand der Verhandlung sei, teilte eine Sprecherin mit: „Im Anschluss an die Ankündigung Ende Juli haben wir sehr zügig vertrauensvolle Gespräche mit dem Betriebsrat zum Abschluss eines Interessenausgleichs aufgenommen. Unser Anliegen ist es, den mit der unternehmensseitig geplanten Werksschließung einhergehenden Stellenabbau so sozialverträglich wie möglich zu gestalten.“ Nähere Informationen hierzu könne das Unternehmen erst mitteilen, wenn die Verhandlungen mit dem Betriebsrat abgeschlossen seien.

Im Juli hatte Aufsichtsratsvorsitzender Thomas Fischer erklärt: „Die Entscheidung ist uns nicht leichtgefallen, denn das Werk besteht bereits seit 1954 in Ludwigsburg.“ Mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens sei diese aber nötig. Zurück bleibt der Firmensitz mit der Forschungs- und Entwicklungszentrale. „Wir werden weiter in das Technologiezentrum investieren. Wir stehen zum Standort Ludwigsburg“, so Fischer.

Erst zwei Wochen davor hatten die Ludwigsburger Funktionäre Gewerkschaft mit Bosch-Beschäftigten in Bietigheim-Bissingen protestiert. Dort sind 290 Stellen gefährdet, weil der Konzern bis Ende kommenden Jahres die Produktion von Lenksystemen in Ausland verlagern will. Die Rede ist von Ungarn. Etwa 400 Menschen bildeten eine Menschenkette rund um das Werksgelände. Nicht weit entfernt hatte das Unternehmen Dürr in Bietigheim-Bissingen den Abbau von 450 Stellen in Deutschland angekündigt. Dürr ist ein führender Hersteller von Lackieranlagen. Für 2019 hatte der Vorstand noch einen Jahresüberschuss von 61 Millionen Euro gemeldet. „Der Dürr-Konzern hat im Jahr 2019 neue Höchstwerte bei Auftragseingang und Umsatz erzielt“, hieß es. Seine „unterjährig angepassten Ergebnisziele“ seien übertroffen worden. Nun wird der Umsatzrückgang in der weltweiten Corona-Krise begründet. Doch schon Mitte vergangenen Jahres hatte das Handelsblatt berichtet, dass der Konzern seine Prognose für 2019 wegen schlechter China-Geschäfte habe kappen müssen.

Dass die Automobilbranche insbesondere in der Region Stuttgart in eine gefährliche Schieflage geraten könnte, wollte man lange nicht öffentlich wahrnehmen. Die Gewinne der Unternehmen waren bis vor wenigen Jahren für ein solches Szenario einfach zu gut. Erst als am 23. September Pläne des Daimler-Vorstands bekannt wurden, im Stammwerk in Stuttgart-Untertürkheim in den kommenden fünf Jahren 4000 Stellen abzubauen, wurden auch harte Kritiker des Elektromotors hellhörig und verunsichert. Die Begründung lautete, Untertürkheim sei als Standort viel zu teuer. Außerdem würden die Daimler-Kompetenzen im konventionellen Antrieb in den nächsten Jahren zunehmend an Bedeutung verlieren. Deshalb müsste der Konzern Stellen abbauen.

Frank Hahn ist seit 30 Jahren Rechtsanwalt für Arbeitsrecht und Partner in der Stuttgarter Kanzlei Kasperknacke. Der Stuttgarter Zeitung sagte er: „Mein Eindruck ist, dass viele Unternehmen Corona und die damit einhergehenden Auftragsrückgänge nutzen, um sich für die Zukunft besser aufzustellen.“ Das hätten Unternehmen in der Vergangenheit, als es wirtschaftlich besser lief, nicht so auf dem Schirm gehabt. „Wenn alles läuft und man hat zu viele Leute an Bord, ist die Notwendigkeit zum Handeln nicht so da“, sagte er.