Henriette Reker, Oberbürgermeisterin von Köln, und Harald Rau, Umweltdezernent der Großstadt am Rhein, geben sich keinen Illusionen hin. Um die schlechte Luft in der Metropole, in der über eine Million Menschen leben, in den Griff zu bekommen, halten sie Dieselfahrverbote für unvermeidlich. Darüber wird das Verwaltungsgericht Köln am 8. November auf Betreiben der Deutschen Umwelthilfe (DUH) urteilen und gleichzeitig auch über das Schicksal der Dieselautos in Bonn entscheiden.
Sollten die Richter der DUH-Klage stattgeben, wäre dies das neunte beziehungsweise zehnte Urteil, mit dem eine Kommune verpflichtet wird, Dieselfahrverbote für den Fall zu verhängen, dass die Stickstoffdioxid (NO2)-Grenzwerte mit anderen Maßnahmen kurzfristig nicht einzuhalten sind. Derweil streiten Wissenschaftler heftig über die Sinnhaftigkeit des Stickstoffdioxid-Grenzwerts von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter (µg/m3) Luft im Straßenverkehr, und Politiker suchen nach einem Schlupfloch, um Dieselfahrverbote auch dann zu verhindern, wenn der Grenzwert nicht eingehalten wird.
Im Kölner Stadtgebiet werden die europaweit geltenden Stickstoffdioxid-Grenzwert seit Jahren an sechs Straßen deutlich überschritten. NO2-Highspot ist der Clevische Ring auf dem sich die Autos täglich vor roten Ampeln stauen und über den sich zusätzlich der Fernverkehr ergießt, wenn es auf der benachbarten A3 zu größeren Verkehrsbehinderungen kommt. Mit 62 µg/m3 ist der Clevische Ring Spitzenreiter in Nordrhein-Westfalen. Im Kölner Stadtgebiet stellt sich die Situation nicht viel besser dar. Nach München und Stuttgart zählt Köln zu den Städten mit den höchsten NO2-Konzentrationen.
Das wissen natürlich auch die Verantwortlichen im Kölner Rathaus und haben deshalb das Strategiepapier “Köln mobil 2025” mit dem Ziel verabschiedet, dass bis 2025 zwei Drittel des Verkehrs zu Fuß, mit dem Rad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln abgewickelt werden. Der Ausbau des Stadtbahnnetzes und der Radverkehrsinfrastruktur, E-Bikesharing, E-Scootersharing und die Umstellung der öffentlichen Busflotte auf E-Antrieb sind Eckpunkte des Strategiepapiers. “Diese Maßnahmen zielen darauf ab, dass Bürgerinnen und Bürger ihren (Zweit-) Pkw abschaffen können, da sie eine vollwertige Mobilitätsalternative erhalten”, schreibt Jürgen Müllenberg, Sprecher der Stadt Köln, auf eine entsprechende mid-Anfrage. Die Elektromobilität sei ein wichtiges Element zur Senkung der Luftschadstoffbelastung, müsse aber mit einer Mobilitätswende einhergehen.
Ob die Richter des Kölner Verwaltungsgerichts der Stadt am 8. November so lange Zeit geben, bis die Maßnahmen von “Köln mobil 2025” wirken, ist unwahrscheinlich. Berlin, Frankfurt, Stuttgart, Aachen, Mainz, München und Düsseldorf haben die Gerichte enge zeitliche Fristen gesetzt. Wenn es ihnen bis 2019 nicht gelingt, die NO2-Grenzwerte auf andere Weise einzuhalten, sind Dieselfahrverbote fällig. Hamburg praktiziert sie bereits. Noch sieht sich die Stadt außer Stande, Aussagen über die Wirkungen zu treffen. Man müsse ein Jahr abwarten.
Köln und andere betroffene Kommunen kämen um das Dieselfahrverbot wohl auch dann nicht umhin, wenn das Bundesemissionsschutzgesetz novelliert würde. Bundeskanzlerin Angela Merkel überraschte mit dieser Idee kurz vor der Landtagswahl in Hessen. Sie machte sich dabei den Hinweis der bisherigen Rechtsprechung zu eigen, dass Dieselfahrverbote verhältnismäßig sein müssten. Aber was ist verhältnismäßig? Merkels Antwort: “Dort, wo der Grenzwert um weniger als zehn Mikrogramm überschritten wird, sind Fahrverbote unverhältnismäßig, weil wir ja eine Vielzahl von zusätzlichen Maßnahmen unternehmen.” Gleichzeitig stellte die Kanzlerin klar: “Wir schrauben nicht am Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter. Der gilt. Das ist europäisches Recht.” Das verstehe, wer will.
Wenn Merkel von einer Vielzahl von zusätzlichen Maßnahmen spricht, um die NO2-Grenzwerte einzuhalten, denkt sie auch an die Automobilindustrie und Hardwarenachrüstungen. “Wir sind der Meinung, dass die Nachrüstungen von der Automobilindustrie bezahlt werden müssen”, sagt sie. Bei den Herstellern sei “betrogen worden, dort ist Vertrauen verspielt worden, und das ist etwas, was wiedergutgemacht werden muss”. Dabei vergisst sie freilich, dass von den Fahrverboten auch die Dieselautos betroffen wären, an denen nicht herumgepfuscht worden ist und die “artig” die Schadstoffnormen Euro 1 bis 5 erfüllen. Darüber geht die Politik gern schnell hinweg. Schließlich hat sie die Normen, die sich heute als kritisch erweisen, verabschiedet und in Gesetze gepackt.
Nach Köln, Bonn, Darmstadt und Wiesbaden zieht die Deutsche Umwelthilfe aktuell in 34 weiteren Städten für Dieselfahrverbote zu Felde. Die Motivation der Organisation, der Kritiker vorwerfen, sich zum Abmahnverein zu entwickeln: “NO2 ist gesundheitsschädigend. Die Europäische Umweltagentur EFA hat im Herbst 2017 die gesundheitlichen Folgen der NO2-Verschmutzung mit jährlich 12.800 vorzeitigen Todesfällen allein in Deutschland beziffert.”
Nach Ansicht von Prof. Dr. med. Köhler, ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie, ist das Quatsch. “Für die gültigen Grenzwerte zu NO2 gibt es keine ausreichende wissenschaftliche Basis. Insbesondere die immer wieder publizierten vorzeitigen Todesfälle sind methodologisch unsinnig”, schreibt er im Deutschen Ärzteblatt. Andere verweisen darauf, dass die NO2-Grenzwerte am Arbeitsplatz mit 950 µg/m3 fast 25mal höher sind als im Straßenverkehr. In der Schweiz sind es 6.000 µg/m3. Nach einer Studie führt eine Kerze in einem normal belüfteten Zimmer zu einer NO2-Konzentration von 100 µg/m3. Das wäre eine schlechte Nachricht vor Advent und Weihnachten.
Selbst Wissenschaftler, die an der renommierten Technischen Universität München tätig waren beziehungsweise sind, sind sich über Sinn und Unsinn des Grenzwerts von 40 µg/m3 nicht einig. Während Professor Dr.med. Helmut Greim, ehemaliger Leiter des Instituts für Toxikologie der TU München, die wissenschaftliche Basis des festgelegten Grenzwerts bestreitet und den Vorschlag von Seuchenkundlern, den Grenzwert auf 20 µg/m3 zu senken, als Schmarrn bezeichnet, hält Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann, Direktorin am Institut für Umweltmedizin der TU München, die empirisch festgestellte Zahl von 6.000 frühzeitigen Todesfällen durch NO2-Belastung in Deutschland für realistisch. Für den Menschen sei jede toxische Substanz in jeder Konzentration schädlich. Deshalb hält die Medizinerin Fahrverbote für zu kurz gedacht und plädiert für langfristige Maßnahmen wie intelligente Mobilität.
Das bevorstehende Urteil des Verwaltungsgerichts Köln wird voraussichtlich zeigen, dass das eine das andere nicht ausschließt.
Rainer Strang / mid mid/rs