Ludwigsburg begegnet Verkehrsinfarkt mit digitaler Technik

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Von Uwe Roth

Ludwigsburg erstickt im Stau – mehr als andere Städte im Umkreis. Diese Feststellung der Stadtverwaltung wiederholt sich seit Jahren, ohne dass sich augenscheinlich etwas ändert. Während der Rushhour morgens und abends bricht öfter mal der Verkehr zusammen. Die Anwohner in den Nebenstraßen verzweifeln am Schleichverkehr. Das ist besonders in der Südstadt und der Weststadt der Fall. Inzwischen hat die Stadtverwaltung für zwölf Millionen Euro ihr Verkehrsleitsystem digitalisiert, das Besserungen bringen soll. Das Projekt ist nach Mitteilung der Stadt soweit abgeschlossen. Die Hälfte der Kosten trug die Bundesregierung. Digitalisiert bedeutet, Techniker rüsteten den Computer an jeder Ampelanlage im Stadtgebiet entsprechend auf. Die Recheneinheit steckt in einem grauen Schaltkasten am Straßenrand und war zum Teil über 30 Jahre alt.

Nun ist sie auf dem neuesten Stand und mit dem städtischen Verkehrsrechner verbunden. Zudem wurden Kontaktschleifen in den Straßenbelag gelegt. Nun hat die Stadtverwaltung jederzeit auf dem Bildschirm, wie viele Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs sind. Anhand der Daten ermittelt der Verkehrsrechner den besten Mix aus Rot- und Grünphasen. Im Ergebnis verbessert sich der Verkehrsfluss. Die Leittechnik hat außerdem die Aufgabe, Busse und Rettungsfahrzeuge im Einsatz über eine entsprechende Änderung der Lichtsignale gegenüber dem anderen Verkehr zu bevorzugen. Das System ist selbstlernend. Es soll nach und nach erkennen, an welchen Stellen es Verbesserungsbedarf gibt und die Verkehrslenkung nachjustieren.

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Soweit die Theorie. In der Praxis wäre ein zähfließender Verkehr bereits ein Erfolg anstatt der tatsächlichen Anhäufung von Staus. Bürgermeister (BM) Michael Ilk ist in der Stadt für die Mobilität zuständig ist. Er sagt, die Wirkung der Digitalisierung auf den Verkehrsfluss dürfe nicht unterschätzt werden. „Was die Technik bewirken kann, zeigt sich erst, wenn die digitale Technik ausfällt“, stellt er fest. Im analogen Modus ginge dann gar nichts mehr. „Das System funktioniert recht gut“, versichert Ilk. Und liefert nützliche Daten für die Planung: Bislang mussten die Verkehrsmengen geschätzt oder aus einer klassischen Verkehrszählung durch Menschenhand abgeleitet werden. Nun geben die Kontaktschleifen ein tagesaktuelles Bild. Beim Studium aktueller Zahlen musste Oberbürgermeister Matthias Knecht einigermaßen frustriert feststellen, dass Ludwigsburgs Straßen schon wieder genauso verstopft sind wie vor dem ersten Lockdown, ausgelöst von der Corona-Pandemie.

Von der Hoffnung der Rathausspitze, dass der wochenlange Stillstand das Mobilitätsverhalten der Bürger zumindest etwas verändert, sie davon abringt, jede kurze Strecke mit dem Auto zu fahren, ist nichts geblieben. Vor der Corona-Krise lag die Zahl der Fahrzeuge in der Schlossstraße bei täglich über 50000. In den Tagen des Lockdowns sank sie teilweise auf 30000. Also rund 20000 Autos und Lkw weniger. Seit Mitte September werden die 50000 wie gewohnt überschritten. „Nach unseren Zahlen hat der Individualverkehr wieder deutlich zugenommen. Das schließt den Radverkehr mit ein. Es sind einige aufs Rad umgestiegen. Der Busverkehr ist leider eindeutig der Verlierer“, stellt BM Ilk fest. Seine Vermutung ist, dass Menschen vom Bus aufs Auto umgestiegen seien, da sie sich in ihrem Pkw vor einer Infektion geschützter fühlten.

Ilk verweist darauf, dass im Moment die Verkehrslage außergewöhnlich sei, da die verdichtete Zahl von Baustellen die Staus in die Länge zöge. Dies seien aber nicht nur städtische, sondern auch die des Regierungspräsidiums, das die Sperrung der Autobahnabfahrt Ludwigsburg-Süd verantwortete. Auch diese Großbaustelle bringe zusätzlichen Verkehr in die Stadt. „Die Autobahn ist täglich eingestaut. Die Stadt leidet unter dem Ausweichverkehr.“ Kritiker der städtischen Verkehrspolitik verweisen hingegen darauf, dass nicht nur die Autobahn und die temporären Baustellen die Ursache für den vermehrten Staus seien, sondern die neuen dauerhaft eingerichteten Busspuren und Tempo 40 auf einigen Hauptstraßen.

Ilk hält dagegen, dass schlicht die Verkehrsmenge für die Stadt zu hoch und jenseits der Schmerzgrenze sei. Verkehrsexperten bestätigen das: Beseitige man auf den Straßen sämtliche Hindernisse, würde der Verkehr nicht automatisch flüssiger. Denn es kämen noch mehr Autos mit noch höheren Geschwindigkeiten in die Stadt. Die grundlegenden Fehler der städtischen Verkehrspolitik reichen auch in Ludwigsburg in die 1960er und 1970er zurück, als die Baumalleen in der Friedrichstraße und der Stuttgarter Straße/Schlossstraße rigoros dem Verkehr geopfert wurden. Mit zunehmenden Kfz-Zulassungszahlen wuchs nicht nur der innerstädtische Verkehr, sondern vor allem der Durchgangsverkehr von Ost nach West und von Nord nach Süd.

Gegen den Fehler, aus Ludwigsburg eine Auto-gerechte Stadt zu machen, kämpft die Stadt seit 50 Jahren an. Mit wenig Erfolg: Wer aus dem Remstal mit dem Pkw oder mit dem Lkw zur Autobahn strebt, wird vom Navi unweigerlich durch die Innenstadt geleitet. Die digitale Technik beeinflusst das Mobilitätsverhalten der Menschen nur bedingt, zeigt sich spätestens nach Ende des (ersten) Lockdowns. Ludwigsburg kämpft gegen den Verkehrsinfarkt mit digitaler Technik, wird diesen letztendlich aber kommunalpolitisch verhindern müssen.