Trotz Trend zum Home-Office: Büromieten bleiben in der Region Stuttgart hoch – Zukunft unbestimmt

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Von Uwe Roth

Seit Monaten stehen Büroräume gähnend leer. Vereinzelnd kommen Mitarbeitende vorbei, um an ihren Schreibtischen stundenweise zu arbeiten oder sich in einem Konferenzzimmer zu besprechen – selbstverständlich unter Beachtung der Abstandsregeln und mit Mund-Nasen-Schutz. Bei der Wüstenrot & Württembergische (W&W) AG mit ihrem Hauptsitz in Ludwigsburg sind nach Angaben einer Sprecherin derzeit 80 Prozent der Beschäftigten des Innendienstes im Home-Office. In der W&W-Gruppe arbeiten 13.000 Menschen. Allein in diesem Unternehmen sind es Tausende von Pendlern, die aktuell nicht auf die Straße und zu ihrem Arbeitsplatz fahren müssen.

Die Frage stellt sich, wie es nach der Covid19-Pandemie weitergeht, wenn die Beschränkungen des Lockdowns (weitgehend) aufgehoben sind. Werden die Arbeitgebenden ihre Mitarbeiter im Home-Office belassen, wenn diese es wünschen? Oder wird das Arbeiten von Zuhause wie vor Corona wieder zu einer Randerscheinung werden? Die Einschätzungen sind sehr unterschiedlich.

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Wer von Süden auf der Bundesstraße 27 nach Ludwigsburg kommt, sieht Richtung Westen eine Großbaustelle mit zahlreichen Kränen. Dort baut W&W auf einem großzügig angelegten Firmencampus mehrere Bürogebäude. Seit 2018 ist der erste Bauabschnitt fertig. 1.200 Beschäftigte haben dort ihren neuen Arbeitsplatz bereits bezogen. Bis zur endgültigen Fertigstellung 2023 sollen es 4.000 Arbeitsplätze werden. Der W&W-Vorstand hat die Pläne vor Corona verabschiedet. Dass die Arbeitsabläufe funktionieren, wenn 80 Prozent von Zuhause und nicht in den Firmengebäuden arbeiten, dürfte bei der Kalkulation neuer Büroflächen wohl keine Rolle gespielt haben. Was alles geht, hätte vor Corona sicher keiner für möglich gehalten.

Die Frage, ob W&W ein bescheideneres Nutzungskonzept entworfen hätte, hätte es die Lockdown-Erfahrungen schon gegeben, beantwortet die Unternehmenssprecherin mit einem Nein: „Das Konzept für den W&W-Campus bleibt bestehen: Wir werden die Unternehmen der W&W-Gruppe an einem Standort bündeln und dort moderne, flexible und zukunftsfähige Arbeitsplätze bieten“, stellt sie fest. W&W werde die neu entstehenden Büros „komplett nutzen“. Die Eckpfeiler des Campus-Konzepts seien moderne Büros – „verbunden mit Desksharing, fallweise mobilem Arbeiten und Telearbeit“. 30 Prozent der Belegschaft sollen sich die Schreibtische teilen. Ziel seien flexible Arbeitsformen, die eine „individuelle, selbstbestimmte Gestaltung des Arbeitstages förderten“. Die Beschäftigten sollten dort arbeiten, wo sie am produktivsten seien.

In der Immobilienbranche gehen Schätzungen davon aus, dass in Zukunft 30 Prozent weniger Büroflächen benötigt werden. Für David Grun, einer der Geschäftsführer in der Pflugfelder Unternehmensgruppe, ist diese Annahme „graue Theorie“. Die Praxis werde sich erst in den kommenden zwei bis drei Jahren zeigen, ist er überzeugt. Was ihn nicht wundert: „Die Auswirkungen der Coronakrise sind bisher noch nicht so spürbar, wie sie in Wirklichkeit sind. Bisher leiden nur Teile der Wirtschaft wie zum Beispiel der Einzelhandel, Kunst und Kultur oder die Gastronomie.“ Durch Staatshilfen und vorübergehende Gesetzesänderungen werde die tatsächliche Situation verzerrt. Wie viele Firmen Corona nicht überleben werden und Insolvenz anmelden müssen, werde sich erst in den nächsten zwölf bis 24 Monate so richtig abzeichnen. Bis dahin blieben Prognosen vage, sagt er, zumal es für diverse Probleme unterschiedliche Lösungsszenarien gebe.

Die Pflugfelder-Gruppe hat in Ludwigsburg und Stuttgart insgesamt drei Standorte mit 85 Mitarbeitenden. Über die Hälfte arbeiten derzeit im Home-Office. Corona habe die Digitalisierung im Unternehmen vorangetrieben und die Zusammenarbeit verändert, sagt er. Die Entwicklung sei nicht abgeschlossen. Das dürfte auch in vielen anderen Betrieben der Fall sein. Die Arbeitgeber haben überwiegend noch keine Entscheidungen getroffen, wie sie die Arbeit ihrer Mitarbeiter zukünftig organisieren, wenn die Lockdown-Beschränkungen aufgehoben sind.

Aus einigen großen Unternehmen hat Grun vernommen, dass Home-Office-Arbeitsplätze in jedem Fall bestehen blieben und verstärkt hybride Arbeitsformen geschaffen würden. Das heißt: Die Mitarbeiter verlassen regelmäßig ihr Home-Office, um sich im Unternehmen in ihren Teams zu treffen. Für die wenigsten sei vorstellbar, ausschließlich Zuhause zu arbeiten. Manche wollten und könnten nicht dauerhaft in der Wohnung ihre Aufgaben erledigen. Ihnen müssten die Arbeitgeber weiterhin einen Büroarbeitsplatz anbieten. Es könnte ebenso sein, dass Unternehmen aufgrund der Erfahrungen mit Corona jedem Büroarbeitsplatz wieder eine größere Fläche zuwiesen und die Schreibtische weiter auseinanderstellten, und so der Flächenbedarf genauso hoch ist wie bisher auch.

Dass sich dennoch auf dem Immobilienmarkt einiges ändern wird, davon geht der Pflugfelder-Geschäftsführer aus. „Corona ist ein Katalysator, der Entwicklungen nun viel schneller vorantreibt“, sagt Grun. Das betrifft aus seiner Sicht vor allem den stationären Einzelhandel, der sich von Corona nicht vollständig erholen werde. Was mit leerstehenden Ladenflächen in den Innenstädten geschehen solle, darüber könne im Moment nur spekuliert werden. „Es gibt gute Ideen für Alternativnutzungen“, überlegt er. Diese müssen jedoch auch einer wirtschaftlichen Betrachtung standhalten.

Ladenflächen in Co Working Space umzuwandeln, ist für ihn „grundsätzlich vorstellbar“. Co Working Spaces sind Büro- und Besprechungsräume, die stunden- bis wochenweise unkompliziert wie ein Hotelzimmer angemietet werden können. Vor allem junge Leute aus Startups könnten sich dort zusammenfinden, um regelmäßig ihre Projekte von Angesicht zu Angesicht zu besprechen. In Stuttgart existieren solche Konzepte. Quadratmeterpreise für Ladenflächen seien in den Toplagen im Moment aber noch um einiges höher als für Büroflächen, gibt Grun zu bedenken. Viele Investoren, die ihre Immobilien erst vor Kurzem erworben haben, hätten dies auf der Basis der bisherigen Mieten getätigt und die Immobilien auch so finanziert. Müssten sie auf einen Teil der Miete verzichten, brächte sie das in wirtschaftliche Schwierigkeiten.

Auch bei W&W beschäftigt man sich mit dem Immobilienmarkt: Dort beobachtet man, dass dort aktuell eine eher unsichere Gemengelage herrsche. „Zögerliches Verhalten seitens der Nachfrager und Umsatzeinbrüche bei Bürovermietungen bestimmen den Markt“, teilt die Sprecherin mit. Die Volatilität habe wieder zugenommen. So sei zu beobachten, dass Umzüge oder räumliche Vergrößerungen teilweise verschoben würde. Andererseits führe der Druck auf effiziente und digitale Betriebsabläufe und Kostensenkung im Verwaltungsbereich zur Zusammenlegung bislang verstreuter Geschäftseinheiten.

„Auch wenn nach rund zehn Jahren Boom ein vorläufiges Zyklusende nahe scheint, ist das Angebot an modernen und flexiblen Flächen in guten Lagen immer noch gering“, stellt sie fest. Jedoch müsse die gute Lage nicht mehr zwingend „die zentralste Citylage“ sein. So eröffneten sich Chancen, dass „neue, multistrukturierte Cluster aus Büro, angewandter Forschung, Produktion, Lagerung entstehen werden“. Nicht nur die Pandemie, sondern auch weiterhin die demografische Entwicklung würden den Themen Gesundheit, Hygiene, Bio- und Medtec einen Katalysatoreffekt mitgeben. Dieser werde die bis dato auf das Automobil konzentrierte Wirtschaftsstruktur der Region positiv diversifizieren.