„Wer ist hier eigentlich der Chef hier bei den Grünen?

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Eine Kolumne von Swantje Sperling, Gemeinderätin der Stadt Remseck am Neckar, Sprecherin des Kreisvorstands der BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN im Landkreis Ludwigsburg

„Wer ist hier eigentlich der Chef hier bei den Grünen?“ – Ich stehe dem Fragenden, immerhin einem politischen Mandatsträger, etwas ratlos gegenüber: „Wie meinen Sie das?“ Antwort: „Naja wer ist denn der Vorsitzende der Grünen im Kreis?“.
Der Groschen fällt: „Bei uns nennt sich das Sprecher*in. Wenn Sie das mit Chef meinen, dann bin ich das.“

Eine Erfahrung, die so keiner meiner Vorgänger, die hier ihre Gedankensplitter veröffentlichen durften, mit mir teilt. Das ist erklärlich. Wenn sie danach gefragt werden, wer denn hier der Chef, der Abgeordnete oder der Entscheidungsträger ist, dann sind es die Herren ja meist sie selbst. Sie erleben weitaus seltener Diskriminierung, auch keine sprachliche.

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Empfindsamkeit für Ungerechtigkeit entsteht meist, wenn man sie selbst erlebt oder zumindest nachfühlen kann. 75 Prozent der systemrelevanten Berufe  – vom Gesundheitswesen über die Altenpflege und den Einzelhandel bis zur Kita – werden von Frauen ausgeübt, meist massiv unterbezahlt. Das hat viele Gründe, wird aber trotz des öffentlichkeitswirksamen Klatschens nicht wirklich bekämpft. Für mich liegt einer der Gründe in der mangelnden Repräsentanz der Frauen in unseren Parlamenten. Dort, wo die Rahmenbedingungen für gerechte Entlohnung und die Aufwertung von Berufsgruppen unter anderem gelegt werden. Über drei Jahrzehnte waren männliche Abgeordnete in Bund und Land fast unter sich. Mehrheitlich ein Herrenclub – noch immer. Der Landtag von Baden-Württemberg ist das einzige deutsche Landesparlament, in dem noch nie ein Anteil von wenigstens 30% weiblichen Abgeordneten erreicht wurde. Keine gute Lobby für die 75 % hart arbeitenden systemrelevanten Frauen. Dabei möchte ich ausdrücklich nicht, dass Geschlechtergerechtigkeit alleine den Frauen als Thema überantwortet wird. Weibliche Repräsentanz alleine bedeutet nicht automatisch eine geschlechtergerechte Politik. Die politischen Führerinnen der Welt, von Margaret Thatcher bis Angela Merkel, machen es vor – auch als Frau kann man geschlechterspezifische Problemlagen ignorieren

Was hier zu tun ist – nicht weniger als ein gesamter struktureller Wandel. Im Denken wie im Handeln. Vor allem im Bereich der bezahlten wie auch unbezahlten (da privaten) Care-Arbeit, also des sich „um Andere Kümmerns“.

Jegliches Handeln beginnt allerdings mit Sprache. Und diese Sprache bestimmt, wie wir unsere Umgebung und andere Menschen wahrnehmen und bewerten. Sie bestimmt unser Denken und unser Handeln, sogar unsere Körperbewegung. Und dabei sind Wörter nur die Spitze des Eisbergs – hinter einzelnen Ausdrücken konstruiert unser Gehirn einen ganzen Deutungsrahmen, der aus unseren Erfahrungen mit der Welt resultiert. Abhängig von unserer Wortwahl werden bestimmte Fakten und Realitäten hervorgehoben. Andere treten in den Hintergrund.

Ein konkretes Beispiel sind die Wörter „Klimawandel“ und „Klimakrise“. Eigentlich drücken sie das gleiche aus. Die Erwärmung unseres Klimas mit allen Konsequenzen. Doch mit zwei völlig unterschiedlichen Deutungsrahmen. Das Wort Wandel ist von jeher sprachlich neutral, im häufigeren Sprachgebrauch positiv besetzt. Ja, oft geschieht ein Wandel auch von selbst, ohne menschliche Einwirkung.
Das Wort „Krise“ ist hingegen nie positiv besetzt.

Was ich mir wünsche: dass wir unsere gesamte Sprachwahl überdenken. Und zwar nicht nur, wenn einzelne eine Freude daran zu haben scheinen, sich über Gendersternchen und eine vermeintliche Verschandelung der Sprache zu echauffieren. Vor allem, wenn sie zuvor selbst nicht durch besondere Spracheleganz aufgefallen sind. Wenn dies dazu führt, dass wir grundsätzlich über die Deutungsmacht von Sprache nachdenken – dann wäre diese Debatte ein Gewinn.
Es geht um unseren gesamten Sprachgebrauch und unseren Blick auf die Welt.
Blicken wir gemeinsam darauf!