Ein Kernmodell, viele Ableger: McLaren kopiert erfolgreich das Geschäftsmodell des Porsche 911. Neuester Wurf ist der 600 LT. Gründe, warum die einst so mächtige britische Auto-Industrie heute marginalisiert oder in ausländischer Hand ist, mag es viele geben. Für Ron Dennis, langjähriger Boss von McLaren, zählt vor allem einer: “Die Gewerkschaften haben sie ruiniert”.
Mag sein. Für den Formel-1-Rennstall und die Sportwagen-Manufaktur, die im englischen Woking residieren, sind die – mittlerweile ohnehin kräftig gezähmten – Unions aber kein Problem: Die Arbeit in den hellen, klinischen reinen Entwicklungsbüros und der Produktionshalle gilt unter den gut 3000 Beschäftigten als Traumjob.
Die McLaren-Gruppe ist heute das größte britische Unternehmen in Privatbesitz – aktuell indes mit eher einer zweischneidigen Bilanz. 2017 schrieb man Verluste, McLaren Racing fährt in der Formel 1 hinterher. Immerhin brummt es beim anderen Geschäftszweig, bei McLaren Automotive, dem Hersteller von Straßen-Sportwagen. Er produziert und mehr als 3000 Autos pro Jahr, bis 2025 soll sich die Zahl verdoppeln. In einer Dekade hat sich das Unternehmen vom Frickler von Kleinst-Serien auf BMW- und Mercedes-Basis zum ernsthaften Herausforderer für Ferrari und Lamborghini hochgearbeitet. Vorbild bei der Modell-Ausweitung ist dabei ein weiterer, deutlich größerer Sportwagen-Hersteller: Porsche.
Denn so, wie die Volkswagen-Tochter ihr Kernmodell 911 in immer weitere Varianten aufsplittet und erfolgreich an den Mann (oder die Frau) bringt, so versteht es McLaren, eine einzige technische Basis in mehrere Typen, ja sogar Modellreihen zu fächern. Vom Basis-Renner, dem 570S, bis zum extremen Senna reicht die Palette. Jedes der zweisitzigen Coupés oder Spider entwickelt seinen eigenen Charakter – und greift jeweils andere Konkurrenten an.
Die neueste Entwicklung, der 600 PS starke 600 LT, nimmt drei Wettbewerber ins Visier: den Ferrari 488 GTB, den Lamborghini Huracan Performante – und für die deutsche Fraktion den Porsche 911 GT2 RS. Der bringt mit 700 PS zwar derer 100 mehr mit als der Engländer, aber auch über 100 Kilogramm mehr auf die Waage. Kein Wunder angesichts des Karosserie-Materials: Stahlblech in Stuttgart, Carbon in Woking. Bei den Fahrleistungen nehmen sich die Kontrahenten vom Kontinent und der Insel unterm Strich also nichts. Beeindruckende Zahlen sind das allemal: Unter drei Sekunden schießen sie auf Tempo 100, knapp über acht auf 200.
Vom 570S unterscheidet sich der McLaren 600LT – abgesehen vom höheren Preis von 230 000 Euro – vor allem durch sein um 47 Millimeter verlängertes Heck: LT steht für Longtail. Die so optimierte Aerodynamik erhöht den Anpressdruck um 100 Kilo. Weitere Plus-Punkte gegenüber dem Basismodell: 30 Mehr-PS, 100 Minder-Kilo, eine überarbeitete Abgas-Anlage, deren Endschalldämpfer spektakulär himmelwärts aus dem Heck ragen. Außerdem Modifikation an Fahrwerk, die Bremsen des noch teureren 720, und so weiter und so fort. 23 Prozent aller Teile, erklärt McLaren, seien gegenüber dem 570S modifiziert.
Soweit die Papierform. In der Praxis steht sie für einen schier unglaublichen Vorwärtsdrang, den der McLaren in der typisch britisch präzisen, fast schon britisch-unterkühlten Art und Weise performt. Die Charakteristik gilt schon für das “Einstiegsmodell”, den 570S – und für den 600LT erst Recht: Ein Werkzeug der Geschwindigkeit, aber keine Krawall-Maschine.
Mit einem präsenten Motorsound, der vor allem dank der Endschalldämpfer im Nacken des Fahrers durchaus spektakulärer klingt als der des 570S, schießt der 600er auf die Rennstrecke. Der V8 baut ab mittlerem Drehzahlbereich mächtig Druck auf, dreht spontan und ohne spürbare Turbo-Verzögerung hoch. Mit einer messerscharfen Präzision lässt sich der Wagen durch Kurven und Kehren dirigieren, folgt sofort jedem Bremsbefehl, bremst auf den Punkt.
In der Summe seiner Eigenschaften ist der 600LT näher am Extremsportler Senna als am Einstiegs-McLaren 570S. Er ist eine Fahrmaschine für die Rennstrecke – ohne allerdings für eine Rennserie zugelassen zu sein. Wer echten Motorsport in einem McLaren betreiben will, muss dann eben zum McLaren 720S GT3 greifen – oder sich um einen Cockpit-Platz beim Formel-1-Team bewerben.
Marcus Efler / mid
Technische Daten McLaren 600LT:
Supersportwagen mit zwei Flügeltüren, Carbon-Monocoque-Chassis und Carbon-Karosserie, zwei Sitzplätze, Länge 4604 mm, Breite 2095 mm, Höhe 1191 mm, Gewicht 1247 kg.
Motor: V8-Mittelmotor, zwei Turbolader, Hubraum 3799 ccm, 7-Gang-Doppelkupplungs-Getriebe, Leistung 441 kW/600 PS bei 7500 U /min, Drehmoment 620 Nm bei 5500 bis 6500 U/min, 0 – 100 km/h 2,9 Sekunden, 0 – 200 km/h 8,2 Sekunden, Höchstgeschw. 328 km/h, Verbrauch 16,3 l/100 km, Preis 230 000 Euro. mid/me