Vertrauen mit Verzögerung: So reagiert Ludwigsburgs Politik auf Merz’ Kanzler-Wahl

Von Ayhan Güneş

Berlin/Ludwigsburg – Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik ist ein designierter Bundeskanzler nicht im ersten, sondern erst im zweiten Wahlgang vom Bundestag gewählt worden. Friedrich Merz erhielt am Mittwoch nach einem turbulenten Vortag die Kanzlermehrheit – ein historischer Vorgang, der die Fragilität des neuen Regierungsbündnisses und den enormen Erwartungsdruck an das schwarz-rote Projekt schon zum Auftakt offenlegte. Auch die Bundestagsabgeordneten aus dem Landkreis Ludwigsburg bewerten das Geschehen in Berlin – mit Erleichterung, scharfer Kritik oder klaren Erwartungen an die neue Regierung.

Hier die Reaktionen:

CDU-Politiker Steffen Bilger, frisch gewählter Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, steht nun im Zentrum des Berliner Politikbetriebs – und sieht nach dem verpatzten Auftakt vor allem Handlungsbedarf: „Es ist gut, dass Friedrich Merz nun im zweiten Wahlgang mit klarer Mehrheit zum Bundeskanzler gewählt wurde. Sicherlich hätten wir uns den heutigen Tag der Kanzlerwahl anders gewünscht, aber wir leben in politisch äußerst herausfordernden Zeiten. Schuldzuweisungen bringen uns jetzt daher auch nicht weiter, nun ist es erst recht geboten, dass sich alle in der Koalition zügig an die Arbeit machen. Ein halbes Jahr nach dem Ampel-Ende braucht Deutschland und Europa endlich wieder eine handlungsfähige Bundesregierung. Mit dem heutigen Tag kann die Regierung ihre Arbeit aufnehmen und sich um die drängenden Probleme in unserem Land und um gute Zukunftslösungen kümmern.“

Auch sein CDU-Kollege Fabian Gramling (Wahlkreis Neckar-Zaber) betont die Bedeutung des Neuanfangs: „Auch wenn es etwas länger gedauert hat als erwartet: Die Wahl von Friedrich Merz ist ein wichtiges Zeichen. Viele Menschen erwarten einen Politikwechsel – heute ist dafür der Startschuss gefallen. Die neue Regierung muss mit Mut und Verantwortung die notwendigen Reformen anpacken. Denn nur ein starkes Deutschland kann Verantwortung für Europa übernehmen und unseren Sozialstaat dauerhaft tragen.“

Für den SPD-Bundestagsabgeordneten Macit Karaahmetoğlu war der zweite Wahlgang ein Akt der politischen Vernunft – trotz persönlicher Vorbehalte gegenüber Merz: „Ich bin erleichtert, dass Friedrich Merz im 2. Wahlgang zum Bundeskanzler gewählt wurde. Nicht weil er mein Wunschkanzler ist, sondern weil Deutschland in dieser schweren Zeit eine stabile neue Bundesregierung braucht. Eine weitere Hängepartie wäre völlig unverantwortlich gewesen und hätte den antidemokratischen Kräften in unserem Land noch mehr Aufwind gegeben. Es war ein Stolperstart für den neuen Bundeskanzler, ich bin aber guter Dinge, dass die Regierungskoalition mitsamt den dazugehörigen Bundestagsfraktionen nun sehr schnell den Blick nach vorn richtet. Alles andere können wir uns nicht erlauben, es gibt zu viel zu tun.“

Grünen-Politikerin Dr. Sandra Detzer richtet ihren Blick hingegen kritisch auf die Ursachen der Unsicherheit – und spart dabei nicht mit deutlichen Worten: „Noch nie brauchte ein Bundeskanzler in der Geschichte der Bundesrepublik einen zweiten Anlauf, um gewählt zu werden. Nun sind wohl alle demokratischen Kräfte erleichtert, dass es doch noch geklappt hat. Ich gratuliere dem neuen Bundeskanzler in jedem Fall sehr herzlich.

Das Wahldesaster ist ein klares Signal an die CDU-Führungsriege: Es ist Zeit für Einbindung und Interessensausgleich, nicht für Kraftmeierei und Mackertum. Markige Sprüche sichern keine Mehrheiten, wie heute auch der Parlamentarische Geschäftsführer Steffen Bilger lernen musste. Ich hoffe sehr, dass der Bundeskanzler und seine Führungsriege aus diesem Tag lernen.“

Für Martin Hess (AfD) markiert der Tag hingegen einen politischen Tiefpunkt – seine Kritik an Friedrich Merz und der schwarz-roten Koalition ist grundlegend: „Die heutige Wahl ist ein persönliches Fiasko für Friedrich Merz – und das völlig zu Recht. Wer – koste es, was es wolle – Kanzler werden will, wer unmittelbar nach der Wahl entscheidende Versprechen bricht und damit um der Macht Willen bereitwillig eigene Werte über Bord wirft und mit sozialistischen Ideologen wie Klingbeil und Esken politische Bündnisse eingeht, darf sich nicht wundern, wenn er dafür die Quittung erhält.

 

 

Bundeskanzler Scholz in Ludwigsburg: Wahlkampf für die eigene Basis – vage Antworten zu drängenden Themen

Von Ayhan Güneş

Ludwigsburg – Es ist kalt an diesem Freitagmorgen in der Barockstadt, doch das hält die ersten Besucher nicht ab. Schon um 8 Uhr stehen sie vor dem Scala und warten auf Einlass – zwei Stunden vor Beginn der Veranstaltung. Die Tickets für den Auftritt von Bundeskanzler Olaf Scholz waren binnen eineinhalb Tagen vergriffen.

Das Interesse ist groß, die Erwartungen hoch

Drinnen: volles Haus, prominente Gäste. Auf der Bühne neben Scholz sitzt SPD-Bundestagsabgeordneter Macit Karaahmetoğlu, der die Veranstaltung moderiert. Auch die lokale Politprominenz ist vertreten: Ludwigsburgs OB Matthias Knecht, Gemeinderatsmitglieder und Bundestagskandidaten aus der Region haben in der ersten Reihe Platz genommen.

Fokus auf eine bewährte Wählergruppe

Scholz setzt früh auf ein Thema mit hoher Symbolkraft: die doppelte Staatsbürgerschaft. Gökay Sofuoğlu, Vorsitzender der Türkischen Gemeinschaft in Deutschland, nutzt die Gelegenheit, um Scholz zu danken: „Ich will Ihnen danken, dass Sie sich trotz der vielen Krisen in den vergangenen Jahren für die doppelte Staatsbürgerschaft eingesetzt haben.“ Scholz spricht von einer „riesigen Errungenschaft“ – ein Thema, das er nicht nur gegen die AfD, sondern auch gegen die Union verteidigen will.

Doch während Scholz hier klare Positionen bezieht, bleibt er an anderer Stelle ungewöhnlich vage. Wie will Deutschland mit den USA umgehen? „Wir wollen auch in Zukunft gute Beziehungen.“ Wie soll die Wirtschaft gestärkt werden? „Wir müssen Möglichkeiten schaffen, wo sich Menschen und Firmen finden.“

Einzig der „Made in Germany Bonus“ hebt sich als konkrete Maßnahme hervor. Unternehmen, die in Deutschland investieren, sollen steuerlich entlastet werden – ein Gegengewicht zur Idee der Union, allgemeine Steuersenkungen für Firmen zu fordern.

Kritik an Trump – mit diplomatischer Zurückhaltung

Während Scholz in Ludwigsburg für Zusammenhalt wirbt, sorgt eine Äußerung aus den USA für Unruhe. Donald Trump schlägt vor, den Gazastreifen zu „übernehmen“ und die dort lebenden Palästinenser umzusiedeln. Scholz reagiert ungewöhnlich direkt: „Was Präsident Trump da in den Raum gestellt hat, findet meine komplette Ablehnung. Wir dürfen nicht die Bevölkerung von Gaza umsiedeln nach Ägypten.“

Eine klare Absage an Trumps Vorschlag – aber keine grundsätzliche Abkehr von der transatlantischen Partnerschaft. Scholz weiß, dass Deutschland außenpolitisch auf die USA angewiesen ist, besonders in der Ukraine-Frage. Eine offene Konfrontation mit Trump wäre riskant. Also bleibt Scholz bei einer formellen Zurückweisung, ohne die Beziehungen zu gefährden.

Zwischen Wahlkampf und Erwartungsmanagement

Das Publikum ist Scholz gewogen. Doch reicht das, um eine Wahl zu gewinnen? In den jüngsten Umfragen stagniert die SPD bei knapp 15 Prozent. Bei der Bundestagswahl 2021 lag sie noch bei fast 26 Prozent.

Scholz verlässt sich auf bewährte Strategien: klare Abgrenzung zur Union, vorsichtige Außenpolitik, Fokus auf Stammwähler. Doch der Wahlkampf wird nicht im Scala entschieden, sondern in jenen Gruppen, die noch unentschlossen sind.

Während Scholz Applaus für die doppelte Staatsbürgerschaft erhält, bleiben viele der drängenden Fragen des Landes unbeantwortet. In einem früheren Wahlkampf hätte das gereicht. Heute könnte es zu wenig sein.

Bericht: Friedrich Merz wird Kanzlerkandidat der Union – Söder zieht zurück

Berlin – Die Entscheidung ist gefallen: CDU und CSU haben sich offenbar auf Friedrich Merz als Kanzlerkandidaten für die kommende Bundestagswahl geeinigt. Mehrere Medien und Agenturen berichten übereinstimmend, dass sich die Parteispitzen auf Merz verständigt haben. Diese Nachricht markiert das Ende der wochenlangen Spekulationen um die sogenannte „K-Frage“ in der Union.

Nach Informationen aus Parteikreisen zieht sich der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder zurück und lässt Friedrich Merz den Vortritt. Beide Parteivorsitzenden hatten wiederholt erklärt, im Spätsommer eine Entscheidung zu treffen, und die Wahl Merz’ galt bereits seit Wochen als wahrscheinlich.

Am Dienstagmittag soll es einen gemeinsamen Pressetermin mit Merz und Söder geben, um die Entscheidung offiziell zu verkünden. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, der ebenfalls als möglicher Kandidat gehandelt wurde, hatte bereits im Vorfeld auf die Kanzlerkandidatur verzichtet und damit den Weg für Merz frei gemacht.

red