Im Ukrainekrieg braucht es wieder Diplomatie

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Nur Waffen zu liefern führt in eine gefährliche Sackgasse! Ein Gastbeitrag von Konrad Seigfried – ehemaliger Erster Bürgermeister der Stadt Ludwigsburg.

Der menschverachtende Angriffskrieg von Russland gegen die Ukraine hat eine riesige Welle der Hilfsbereitschaft ausgelöst: die Aufnahme von mittlerweile rund einer halben Million geflüchteter Menschen allein in Deutschland, humanitäre Hilfe und jede Menge bürgerschaftliches Engagement, wirtschaftliche Unterstützung und auch die Bereitstellung von Waffen und Munition. Alles geleitet von humanitären Überlegungen und der klaren Überzeugung, dass ein Land seine Souveränität verteidigen darf und muss. Das ist allemal unsere Unterstützung wert, ob auf privater oder staatlicher Ebene.

STOP WAR, STOP PUTIN, stand with Ukraine“ lautete die große gemeinsame Botschaft. Jetzt ist der Krieg aber bereits im dritten Monat und zunehmend stellt sich mir die Frage: was ist denn im Augenblick das Ziel unserer Unterstützung? Moralisch ist das eindeutig, politisch sehe ich aber derzeit keine Initiative. Was sind die Ziele unseres Landes und der westlichen Alliierten? STOP WAR braucht doch erreichbare Ziele, braucht Gespräche, braucht vor allem Verhandlungsgrundlagen. Über was soll verhandelt werden? Waffenstillstand? Der vollständige Rückzug Russlands aus der Ukraine, also auch von der Halbinsel Krim? Wenn ich mir die Verlautbarungen der ukrainischen Regierung anschaue ist das wohl das Ziel. Aber was ist unser Ziel?

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Deutschland ist jetzt die Zielscheibe geworden für immer umfassendere Forderungen nach schweren Waffen, also Panzer und Artillerie. Der unsägliche ukrainische Botschafter Andrej Melnik (Ist er eigentlich Botschafter oder Waffenlobbyist, Chefankläger oder Stichwortgeber für geneigte Medien?), der den Präsidenten des Landes in dem er akkreditiert ist, beleidigt, sich über den Bundeskanzler lustig macht, läuft mit einer ganzen Bestellliste an Waffen umher, die wir der Ukraine angeblich schulden.

Während jetzt (fast) alle Politiker/innen von einem Zeitenwechsel sprechen und sich für die Politik der letzten Jahrzehnte entschuldigen, freue ich mich über Stimmen, wie die des Publizisten Theo Sommer. In einer Kolumne für die Wochenzeitung Die Zeit schreibt er unter anderem: “Die Entspannungspolitik war keine Lebenslüge. Außerdem ist Diplomatie, obwohl keine Friedensgarantie, nie eine Zeitverschwendung. Schließlich war Putin nicht von Anfang an der „nihilistische Desperado“ und: „Die Kombination von Abschreckung und Diplomatie hat uns fünf Jahrzehnte Frieden beschert.“

An diplomatischen Impulsen fehlt es zur Zeit völlig. Putin und Russland wollen die Ukraine „entnazifizieren“, was nichts anderes bedeutet, als zumindest zum Teil zu erobern. Die Ukraine möchte die vollständige Wiederherstellung seiner Souveränität, was nichts anderes heißt, als die Krim und die Ostprovinzen. Das wird nicht funktionieren. Hier wird einer verlieren.

Wer den Krieg jetzt wirklich stoppen will, braucht Vorschläge, wie die aktuell ausweglos scheinende Situation befriedet werden kann. Das ist eigentlich die Stunde der Diplomatie. Stattdessen reisen immer mehr westliche Politiker/innen ziemlich zweckfrei nach Kiew, um sich vor Ort vom Schrecken des Krieges zu überzeugen. Solidarität ist wichtig, aber ist das Solidarität oder nicht eher die medienwirksame Produktion von Bildern? Den Schrecken des Krieges kann man an vielen Stellen der Welt erleben. Wer hat zuletzt die Kurdengebiete im Irak oder Syrien besucht, wenn unser NATO-Partner Türkei mal wieder dort einmarschiert ist oder bombardiert hat?

Außenpolitik ist leider, wie es Willy Brandt einmal klug bemerkte:“ der illusionslose Versuch zur friedlichen Lösung von Problemen“ Genau diese illusionslosen Versuche braucht es weiter.

Wenn die Ukraine nach immer mehr und besonders nach schweren Waffen ruft, dann müssen wir klar machen, dass es dafür Bedingungen gibt: nämlich die Bereitschaft zu Verhandlungen mit Russland, der Verzicht darauf diese Waffen für Angriffe in Russland einzusetzen und eine Rückgabeverpflichtung nach Beendigung des Krieges*. Und gegenüber Russland muss klar gemacht werden, dass wir die Ukraine mit schweren Waffen unterstützen, wenn die Angriffe fortgesetzt werden.

Direkte Gespräche führen, verhandeln, Kompromisse suchen, Interessen ausgleichen, Vertrauen aufbauen waren die Erfolgsfaktoren, um den kalten Krieg zu überwinden. Das ist die Aufgabe unserer Regierungen und Diplomaten. Nur mehr Waffen zu liefern ist keine Lösung.

Bei allem was wir heute wissen, ist doch eines klar: Russland wird die Krim nicht mehr aufgeben (die dortige Bevölkerung will auch mit großer Mehrheit zu Russland, wie wir aus unserer Partnerstadt Jewpatoria leider schon lange wissen) und für die östlichen Provinzen der Ukraine, braucht es ein Mandat, dass einen dauerhaften Waffenstillstand (wenn nicht Frieden) sichert. Das könnte zum Beispiel ein UN-Mandat mit einer Volksabstimmung nach 10 oder 15 Jahren sein.

Wenn nicht endlich wieder Diplomatie in den Vordergrund tritt und Lösungen – so schwierig sie auch sind – gesucht werden, steuern wir nahezu ungebremst in einen großen Krieg, vielleicht in einen atomaren oder Weltkrieg. Und sage keiner, das hätte man nicht voraussehen können!

Russland und die Ukraine müssen jetzt an den Verhandlungstisch gezwungen werden. Waffenlieferungen allein sind keine Lösung!

* Unter den europäischen Staaten belegen laut Transparency international in 2019 Russland dicht gefolgt von der Ukraine die Spitzenplätze mit der höchsten Korruption. Was passiert eigentlich mit Waffen und Munition, wenn diese nicht mehr gebraucht werden?