„Wir haben Sie zurückgeholt, Sie hatten einen Herzstillstand”: Society-Fotograf Christof Sage im Interview

Er ist bekannt wie ein bunter Hund und eine der schillerndsten Persönlichkeiten in Stuttgart. Christof Sage, gefragter Society-Fotograf, Herausgeber eines Hochglanzmagazins, gern gesehener Partygast und auf Du und Du mit den VIPs dieser Welt. Der 68-Jährige aus Filderstadt hat sein berufliches Leben stets auf der Überholspur gelebt, doch im September stand seine Welt für ein paar Sekunden plötzlich still. Ludwigsburg24 erzählt er, wie er diesen gesundheitlichen Einschlag erlebt hat und wie er nun seine Zukunft gestalten will.

Ein Interview von Ayhan Güneş 

LB24: Herr Sage, Sie hatten vor nicht allzu langer Zeit schwere gesundheitliche Probleme. Wie geht es Ihnen heute?

Sage: Mir geht es – Gott sei Dank – wieder gut, nachdem ich im September sprichwörtlich einen vor den Bug bekommen habe. Im August war ich noch auf den Malediven, war topfit und agil, bin gelaufen, Fahrrad gefahren, habe alles gemacht. Wenn mir damals jemand gesagt hätte, dass ich mal Probleme mit dem Herzen haben werde, hätte ich das weit von mir gewiesen mit den Worten: ‚Ich doch nicht! Seit mehr als 45 Jahren laufe ich auf Hochtouren, ohne auch nur einmal was am Herz zu haben.‘ Nie hätte ich geglaubt, dass es mir doch passieren könnte.

LB24: Was genau war passiert?

Sage: Mich hat es voll erwischt, obwohl es harmlos begann. Mir war morgens schwindelig und ich bin mit meiner Frau direkt freiwillig ins Krankenhaus, weil ich spürte, dass mit meinem Körper irgendwas nicht stimmt. Im Krankenhaus kam ich sofort an alle Geräte und die Ärzte stellten fest, dass mein Herz nur noch 22-30 Schläge in der Minute macht, normal sind zwischen 70-90. Daraufhin musste ich im Krankenhaus bleiben, hatte mehrere Untersuchungen und bekam schließlich einen Herzschrittmacher der neuesten Generation, der das Herz wieder angekurbelt hat.

LB24: Stimmt es, dass Ihr Herz zwischenzeitlich einmal komplett stillstand?

Sage: Nachdem ich morgens eingeliefert und dann auf die Intensivstation verlegt wurde, ist nachmittags um 15.00 Uhr folgendes passiert: Ich hatte ständig eine Person um mich, die kontinuierlich damit beschäftigt war, die Geräte und Aufzeichnungen meiner Werte zu beobachten. Plötzlich wurde ich wach und sah fünf Leute um mich herum, die mich reanimierten.

LB24: Haben Sie sofort verstanden, was da mit Ihnen geschah?

Sage: Was geht hier vor, habe ich wohl gefragt und bekam folgende Antwort: „Wir haben Sie zurückgeholt, Sie waren 8 Sekunden weg. Sie hatten einen Herzstillstand. Seien Sie froh, dass das hier im Krankenhaus passiert ist, wären Sie woanders gewesen, wäre das fatal ausgegangen.“ Ab diesem Moment war mir der Ernst der Lage sehr bewusst.

LB24: Welche Gedanken sind Ihnen in diesem Moment durch den Kopf gegangen?

Sage: Ich dachte an meine Frau, an die Familie, ans Haus und an so viele Dinge in meinem Leben…auch dass ich mein Magazin fertigstellen muss. Da ging im Kopf alles durcheinander, aber gleichzeitig war mir auch alles egal. Man fällt kurzzeitig in ein Loch und verabschiedet sich und denkt dann im nächsten Moment, dass man vieles regeln muss, wenn man doch wieder nach Hause kommen sollte. Das sind alles Themen, an die ich vorher überhaupt nie gedacht hatte. Nach so einem Vorfall weiß man, dass man dringend alles im Vorfeld regeln und privat aufräumen sollte. Dieses Thema schieben die meisten Menschen gerne vor sich her, so auch ich. Aber es ist tatsächlich wichtig, die Dinge rechtzeitig zu regeln.

LB24: Sind Sie beruflich wieder ganz der Alte oder haben Sie Nachwirkungen und müssen sogar Ihr Leben umstellen?

Sage: Nein, es ist nichts zurückgeblieben, ich bin wieder ganz der Alte. Allerdings bin ich etwas ruhiger geworden und vertrete inzwischen die Meinung, dass ich nicht mehr auf allen Hochzeiten tanzen muss. Ich suche mir meine Termine gezielt aus und habe mir selbst den Druck genommen, irgendwas, irgendwo zu müssen. Nein, ich muss gar nichts, lasse mich von niemandem mehr zu etwas überreden oder gar drängen. Ich selektiere und entscheide spontan nach meinen ganz persönlichen Bedürfnissen und Empfindungen. So habe ich mich vor drei Wochen zum Beispiel entschieden, eine Einladung nach Tunesien anzunehmen, da ich Lust hatte auf Ablenkung außerhalb von Zuhause. Einen Vorteil hat der Herzschrittmacher übrigens: Ich muss auf dem Flughafen nicht mehr durch die Sicherheitsschranke.

LB24: Beeinflusst der Herzinfarkt Ihr Privatleben?

Sage: Nein, schon seit meine Frau Bärbel vor einigen Jahren in mein Leben getreten ist, gehe ich beispielsweise nicht mehr ans Telefon bei einem Anruf, dessen Nummer unterdrückt wird oder ich sie nicht kenne. Gleiches gilt für allgemeine Emails, in denen ich nicht persönlich angesprochen werde. Solche Mails sortiere ich sofort aus, früher hätte ich diese auch noch bearbeitet bzw. hätte auch jeden unbekannten Anruf entgegengenommen. Gleiches gilt für Freundschaften. Neue, tiefere Freundschaften baue ich kaum mehr auf und bei den bestehenden suche ich mir gezielt aus, mit wem ich wirklich regelmäßig Zeit verbringen will. Ich will privat einfach keinen Stress mehr, das muss alles nicht mehr sein, denn ich kann das alles gar nicht mehr verarbeiten.

LB24: Mitten in der Pandemie haben Sie einen mutigen Schritt gewagt und Ihr eigenes Hochglanz-Lifestyle-Magazin “Sage” auf den Markt gebracht, nachdem Sie 20 Jahre lang das Gesicht für Stuttgarts Feine Adressen waren. Wie kam es dazu?

Sage: Als die Corona-Welle im letzten Jahr anrollte, merkte ich, wie mühsam es in diesem Metier ist, Akquise zu machen, da es dieses Heft schon seit 40 Jahren gibt und die Kunden die Lust verloren haben, Anzeigen zu schalten. Es ist halt alles etwas veraltet. Da habe ich zu meiner Frau gesagt, dass wir nach der Sommerausgabe Schluss damit machen, weil ich den Druck von jährlich vier Ausgaben nicht mehr haben wollte. Dann gab es zwei Möglichkeiten: Entweder wir gehen in den Ruhestand oder wir machen etwas ganz anderes. Als ich mit Freunden über meine Gedanken sprach, rieten mir alle dazu, aufgrund meines Namens und großen Netzwerks unbedingt mein ganz eigenes Magazin mit dem Titel „Sage“zu machen. Joachim Fischer kreierte sofort ein Layout für mich. Und weil ich ein Menschen-Fotograf bin, heißt jetzt der Titel meines eigenen Magazins ‚Sage – Magazin für Menschen und Momente‘. Das hat mir sehr gut gefallen, denn ich liebe die Menschen, ich liebe die Momente. Da wegen Corona sämtliche Fotoaufträge weggebrochen waren, habe ich zu meiner Frau gesagt: Komm, lass uns das neue Magazin machen. Im Herbst 2020 haben wir dann losgelegt und siehe da, es hat funktioniert und wir sind direkt mit 342 Seiten gestartet. Ich hätte nie damit gerechnet, dass es so einschlägt.

LB24: Corona hatte in diesem Fall für Sie also seine guten Seiten…

Sage: Corona hat unser Leben sehr verändert und uns zum Umdenken gebracht – Ruhestand oder etwas Neues. In dem Fall ist etwas Neues entstanden, weil ich jetzt selbst Herausgeber und Verleger bin. Und da kann ich ganz anders arbeiten als vorher, als ich nur Lizenznehmer war.

LB24: Aber der Schritt war gewagt oder haben Sie mit diesem Erfolg wirklich gerechnet?

Sage: Nein, damit habe ich überhaupt nicht gerechnet, im Gegenteil. Doch das Magazin war tatsächlich wahnsinnig schnell vergriffen, weil ich es in die Welt hinaustrage und verteile. Dazu kommt, dass mich die BILD-Zeitung mit einem großen Artikel und der Schlagzeile „Sage bringt sein 1,6 Kilo-Baby raus“ unglaublich gepusht hat, was mich natürlich zusätzlich angespornt hat, mit dem Magazin weiterzumachen. Das alles zusammen ist vielleicht auch das Geheimnis des Erfolgs.

LB24: Wie oft kommen Sie damit auf den Markt?

Sage: Ursprünglich wollten wir 3 Hefte pro Jahr rausbringen, doch das ist in der Größenordnung viel zu aufwendig. Jetzt haben wir eines im Frühjahr und ein zweites im Herbst auf den Markt gebracht.

LB24: Werden Sie nach Ihrer Genesung 2022 wieder richtig angreifen?

Sage: Jetzt werden wir drei Monate einfach mal alles ruhen lassen und erst im Februar wieder mit der Arbeit beginnen. So haben wir es auch allen unseren Kunden, Bekannten und Freunden geschrieben. Die Resonanz war positiv und alle haben gesagt, dass sie wieder mit an Bord sind, egal, wann das nächste Heft kommt. Alles andere wäre gesundheitlich nicht machbar gewesen.

LB24: Als Society-Fotograf kennen sie die nationale wie internationale Welt der VIPs wie kein Zweiter. Was macht Corona mit einem Menschen, dem wie Ihnen von heute auf morgen der berufliche Nährboden entzogen wird, weil keine Preisverleihungen, keine glamourösen Events und interessante Reisen mehr stattfinden?

Sage: Mir persönlich hat das beruflich nicht geschadet, wie man an unserem neuen Heft sieht. Es gibt noch so viele andere Themen, mit denen wir das Magazin füllen können. Es hat mir auch ansonsten nichts ausgemacht, weil ich die letzten 30, 40 Jahre nur Vollgas gegeben habe und nur unterwegs gewesen bin. Manchmal war ich innerhalb einer Woche auf drei verschiedenen Kontinenten. Mir fehlt also nichts. Die Zeit des ersten Lockdowns habe ich genutzt, um mal das Büro gründlich aufzuräumen, habe an die 100 Aktenordner sortiert, vernichtet und entsorgt. Das war eine Bereicherung für mein Leben, weil ich hinterher sagen konnte, mich von dem ganzen Ballast befreit zu haben.

LB24: Aber hat Ihnen dieses plötzliche Runterfahren aller Aktivitäten nicht auch wehgetan?

Sage: Finanziell war es natürlich ein Desaster, aber beruflich man hat ja alles hinter sich und konzentriert sich auf die Zeit, die noch kommt. So war das jedenfalls bei uns. Ich blicke jetzt auf das Jahr 2022 und suche mir die Aufgaben raus, auf die ich wirklich noch Lust habe.

LB24: An Ihrer Wohnungswand hängen von Ihnen geschossene Fotos von Persönlichkeiten der Zeitgeschichte aus mehr als vier Jahrzehnten, darunter Michail Gorbatschow, Jassir Arafat, aber auch Künstler wie Roland Kaiser und andere. Fehlt Ihnen eigentlich noch jemand in Ihrer Liste?

Sage: Ja, der Kaiser von Japan fehlt mir noch, den habe ich noch nicht live erleben dürfen. Kürzlich hatte ich den CDU-Politiker Wolfgang Bosbach zu Besuch, er schaute sich die Fotowand an und sagte: ‚Gott sei Dank, da hänge ich noch nicht.‘ Ich fragte ihn, warum er so etwas sagt. Er zeigte auf Udo Jürgens und meinte, er sei tot, er verwies auf das Bild von Drafi Deutscher und stellte fest, dass er ebenfalls nicht mehr lebt. ‚Bitte häng‘ mich jetzt noch nicht dorthin.‘ Das ging mit rund 30 Fotos so und da verstand ich ihn. In der Tat sind leider viele dieser Persönlichkeiten bereits verstorben im Laufe der Zeit. Aber ich werde sie trotzdem nicht abhängen, denn die Menschen auf den Fotos sind ein Teil meines Lebens. Aber ich bin sicher, es kommen noch neue Fotos der aktuellen oder nächsten Generation dazu.

LB24: Sie sind im Sommer 68 Jahre alt geworden, sind weit gereist, Sie haben viel gesehen und erlebt. Hat man da noch Ziele und Träume?

Sage: Ein Ziel wäre, dass ich das neue Magazin noch ein paar Jahre so erfolgreich machen darf. Unter Träume nehme ich den Wunsch, dass ich gesund bleibe, dass die Familie intakt bleibt und ich mein Leben weniger rasant verbringen kann als in der Vergangenheit.

LB24: Als Promi-Fotograf hatten Sie fast jeden vor der Linse, als Unternehmer sind Sie ebenfalls sehr erfolgreich. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis?

Sage: Ich habe immer versucht, authentisch zu bleiben, mich so zu zeigen, wie ich bin. Ich habe die Menschen nie angelogen, sondern bin immer ehrlich geblieben. Egal auf welchem Erdteil man sich befindet, merken die Menschen, ob man sie anlügt oder ehrlich ist. Auf dem Boden zu bleiben ist ebenfalls ein wichtiger Faktor. Man sollte nicht versuchen, mit den Großen mitzuschwimmen, weder finanziell noch in anderer Hinsicht. Man muss seine Grenzen kennen, muss immer wissen, woher man kommt und was man zur Verfügung hat und darf nicht über seine Möglichkeiten leben. Aber man darf Ziele haben, die man sich erarbeiten muss.

LB24: Was waren Ihre Ziele und was ist aus ihnen geworden?

Sage: Da ich aus einfachen Verhältnissen komme, habe ich als 18-Järhiger davon geträumt, mit spätestens 60 einmal ein eigenes Haus zu haben und einen Porsche zu fahren. Beide Ziele habe ich erreicht.

LB24: Sie haben eine 28-jährige Tochter namens Natascha. Was haben Sie ihr als Vater für Leben mit auf den Weg gegeben?

Sage: Ich glaube, dass Natascha mir in vielen Punkten sehr ähnlich ist. Sie ist bodenständig, überhaupt nicht aufs Materielle aus, sie braucht kein tolles Auto, kein großes Haus, diese Dinge sind ihr alle nicht wichtig. Sie ist Mensch geblieben, hat sich vom Püppchen zur sympathischen, eleganten jungen Frau entwickelt, die man am liebsten ständig in den Arm nehmen würde. Ich glaube, dass Geborgenheit mit das Wichtigste ist, was wir ihr vermittelt haben. Ich bin total stolz auf meine Tochter. Sie hat ihren Immobilienwirt gemacht und arbeitet in dieser Branche. Zur Zeit befindet sie sich nebenbei in einem Studium und möchte noch ihren Bachelor machen. In meine Fußstapfen wird sie definitiv nicht treten.

Herr Sage, wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen Ihnen alles Gute!

Welchen Superstar würden Sie gerne nach Ludwigsburg holen ? – Interview mit Schlossfestspiele-Intendant Jochen Sandig

Er kehrte Berlin den Rücken, um als neuer Intendant die Ludwigsburger Schlossfestspiele für ein breiteres Publikum noch attraktiver zu gestalten. Kaum hatte Jochen Sandig jedoch die Stelle angetreten, zwang ihn die Corona-Pandemie zu einer schmerzhaften Vollbremsung. Seine angestrebte Mission steht seither unter keinem guten Stern. Doch Sandig ist ein Überlebenskünstler und will sich weder von Corona noch dem Ukraine-Krieg oder der aktuellen Wirtschaftskrise in die Knie zwingen lassen. Im Interview mit Ludwigsburg24 erzählt der 54-jährige gebürtige Esslinger ausführlich über die derzeit finanziell angespannte Situation der Schlossfestspiele und seinen Plan C, wie er das Festival für ein jüngeres Publikum öffnen will und welchen internationalen Superstar er sofort nach Ludwigsburg holen würde, wenn er das nötige Geld dafür hätte.

Ein Interview von Ayhan Güneş

LB24: Herr Sandig, Sie sind seit 2019 Intendant der Schlossfestspiele. Viele fragen sich, was macht ein Intendant eigentlich, was hat er für eine Aufgabe?

Jochen Sandig: Den Begriff Intendanz kennt man eher aus dem Bereich der Oper oder des Rundfunks. Intendanten sind diejenigen, die die Verträge verantworten mit Mitarbeitern und Künstlern. Sie verkörpern die höchste Ebene der Leitungshierarchie. Sie haben in der Regel sehr viel Macht. Allerdings versuche ich in meiner Funktion, die Hierarchie horizontaler und für mein Verständnis kollegialer zu halten. An meiner Tür hängt das Schild: „Bitte nicht stören“. Wenn meine MitarbeiterInnen ein Problem oder eine Frage haben, wünsche ich mir, dass sie zu mir kommen. Meine Tür steht immer offen, eine Hinterzimmerpolitik ist mir fremd. Jede und jeder kann sich einbringen, Konzepte mit Künstlerinnen und Künstlern entwickeln wir häufig gemeinsam. Als Gastgeber der Schlossfestspiele ist es mir immer wichtig, dass sich nicht nur unsere Gäste, sondern auch unser ganzes Team hier wohlfühlen. Meine Hauptaufgabe jedoch liegt in der finalen Entscheidung der Projekte und Programme. Ich trage dabei die Verantwortung für die Kunst und die Finanzen gleichermaßen. In letzter Instanz bin ich als Geschäftsführer gerade auch für den wirtschaftlichen Erfolg zuständig.

Was muss man für diese Aufgabe an Eigenschaften mitbringen, damit der Spagat zwischen Künstlern und Politik klappt?

Hilfreich ist sicherlich ein diplomatisches Geschick. Ich bin offen und ein Menschenfreund, scheue aber dennoch Konflikte nicht und gehe kreativ und selbstbewusst damit um. Während meines inzwischen 35-jährigen Berufslebens als Kulturmanager habe ich schon einige, teils auch existentielle Krisen erlebt, bei denen die Dinge mit sehr heißer Nadel gestrickt waren. Ich bin nicht verwöhnt, habe teilweise unter ganz schlechten Bedingungen gearbeitet wie beispielsweise in unbeheizten, bisweilen heruntergekommenen Räumlichkeiten ohne Strom und mit sehr wenig Geld. Ich kann also einiges aushalten und bin immer um einen offenen Austausch bemüht, sei es mit den Künstlerinnen und Künstlern oder den Verantwortlichen in der Kommunal- sowie Landespolitik. Inzwischen habe ich auch sehr gute Kontakte in die Bundespolitik, die mit Sicherheit für meine Arbeit hier in Ludwigsburg von Vorteil sind, da wir gerne unsere überregionale Rolle wieder aktiv stärken wollen. Die „Internationalen Festspiele Baden-Württemberg“ haben es verdient, weit über Ludwigsburg hinaus wahrgenommen zu werden. Deswegen war es mir wichtig, so viele finanzielle Ressourcen wie möglich heranzuholen, damit wir stärker ausstrahlen können.

Was hat Sie konkret an dem Job gereizt, dass Sie sich beworben haben?

Die Intendanz der Schlossfestspiele empfinde ich als eine sehr herausfordernde Aufgabe u. a. mit der Frage, wohin die Reise dieser seit 90 Jahren existierenden Institution der Schlossfestspiele von der Gegenwart in die Zukunft geht. Mein Ziel ist es, die Schlossfestspiele auch für ein etwas jüngeres Publikum attraktiv zu gestalten. Mit meiner Bewerbung hatte ich ein entsprechendes Konzept eingereicht, das die Findungskommission offenbar überzeugt hat, mich für fünf Jahre als Intendant auszuwählen. Vorher habe ich vorwiegend in Berlin gewirkt und vor allem neue Kultur-Orte mitgegründet, darunter drei größere, die auch überregionale Bedeutung erlangt haben – das Kunsthaus “Tacheles”, die “Sophiensæle” und das “Radialsystem”. Allerdings war ich eher unternehmerisch unterwegs und habe dabei sehr unter der Mangelwirtschaft gelitten. Wir haben dort in sehr prekären Verhältnissen gearbeitet und mit wenigen Mitteln viel bewegt. Das war jedoch auch in einer Zeit des Umbruchs und des Wandels der 1990er- und frühen 2000er-Jahre. Das wäre heute auch in Berlin mit so wenig Kapital nicht mehr möglich. Und mit dem Wechsel nach Baden-Württemberg ging die Hoffnung einher, in das Land meiner Herkunft zurück zu kehren, in dem dank einer starken Wirtschaft „Milch und Honig“ fließen.

Doch statt Milch und Honig bekamen Sie Corona und den Lockdown, was all Ihre Hoffnung und Pläne zunichtemachte. Wie sehr sind Sie in diesem Zusammenhang von der Politik enttäuscht worden?

In Hamburg beispielsweise haben die politisch Verantwortlichen jede Kultureinrichtung persönlich angerufen und gefragt, was sie unterstützend tun können. Hier bei uns war der Reflex der Politik: „Wir haben jetzt Corona, wir müssen ganz viel sparen.“ Bei den Schlossfestspielen ging es statt mit Hilfsmitteln direkt mit einer Einsparmaßnahme von 20 Prozent los, 2021 waren es 10 Prozent. Das hat uns sehr hart getroffen, zumal sich die öffentliche Förderung für die Festspiele seit 15 Jahren nicht mehr erhöht hat. Außerdem ist es so, dass die Mittel, die wir von der Stadt bekommen, in gleicher Höhe vom Land fließen. Durch diese Komplementärfinanzierung hatten wir somit in den beiden ersten Jahren meiner Intendanz insgesamt 480.000 Euro weniger zur Verfügung. Geld, das eigentlich fest eingeplant war. Ich gehe jetzt davon aus, dass es bei diesen zurückliegenden Kürzungen bleibt und keine weiteren vorgenommen werden.

Warum war das für Sie schlimm? Sie konnten doch eh nicht aktiv werden durch den Lockdown.

Das stimmt, wir hatten auch weniger Ausgaben. Aber hätten wir zumindest einen Teil dieser 480.000 Euro bekommen, wären wir in der Lage gewesen Rücklagen zu bilden für noch schwierigere Zeiten, in denen wir uns jetzt befinden. Die Schlossfestspiele haben keine Reserven, um längere Durststrecken zu überbrücken. Nach zwei Jahren Pandemie sind viele Menschen, vor allem die älteren, die im Schwerpunkt unser Stammpublikum bilden, immer noch sehr vorsichtig. Sie haben ihr Sozialverhalten komplett umgestellt, weil sie Angst vor einer Ansteckung haben. Dazu kommen seit 24. Februar 2022 der Krieg und die steigende Inflation sowie wachsende Energie- und Heizkosten. Das alles führt zu einer großen Verunsicherung sowie einer wirtschaftlich sehr schwierigen Situation.

Wie schaffen Sie es, sich trotz dieser widrigen Umstände weiterhin zu motivieren?

Als hätte ich es geahnt, schrieb ich in meiner Begrüßung in unserem ersten Fest Spiel Buch: „2020 – eine neue Dekade hat begonnen, in der Gesellschaft wächst das Bewusstsein, dass wir uns in einer Zeitenwende befinden. Die Kunst will von uns, dass wir nicht stehenbleiben – das forderte schon Ludwig van Beethoven.“ Deswegen war es für mich keine Frage der Motivation, denn wir mussten ja auf die Situation reagieren, als die Menschen nicht wie gewohnt zusammenkommen konnten. Also haben wir mit der Unterstützung u. a. von Porsche und MHP eine Digitale Bühne gegründet. Mein Team und ich hatten alle Hände voll zu tun und haben gefühlt doppelt so viel gearbeitet wie in einem normalen Jahr. Sowohl in der Kultur als auch der Wirtschaft geht es ab sofort nicht mehr nur um Wachstum, also höher, schneller, weiter, sondern vorrangig auch um Qualität, weshalb sich alle Beteiligten konstant in einer Transformation befinden. Auch wir als Kulturbetriebe müssen uns durchaus fragen, wie können wir uns weiterentwickeln – auch gemeinsam mit einem neuen Publikum. Was sind zukünftige künstlerische Prozesse, Produktionen und Projekte, in denen auch ein traditioneller Betrieb wie die Schlossfestspiele eine besondere Dringlichkeit bekommt? Die Dringlichkeit beschäftigt mich eigentlich am meisten.

Was schwebt Ihnen da vor?

Ich bin ein großer Fan neuer Formate und suche neben den traditionellen Konzerten Projekte, bei denen sich das Publikum frei bewegen kann, bei denen man nicht an seinem Platz festgenagelt ist, bei denen man eine gewisse Freiheit in der Partizipation und Wahrnehmung erleben kann. Ein Beispiel ist das „human requiem“ mit dem Rundfunkchor Berlin, das wir im Sommer 2022 in der Liederhalle Stuttgart zu Gast hatten, meine Inszenierung des „Deutschen Requiems“ von Johannes Brahms, bei dem die Grenzen zwischen Chor und Publikum komplett aufgelöst werden. Oder wir zeigten ein Konzert mit Videoprojektionen eines bedrohten Planeten zu dem Werk „Das Lied von der Erde“ von Gustav Mahler.

Hat die Pandemie quasi ungewollt die Veränderungsprozesse beschleunigt?

Ja, das hat sie unbedingt. Die Pandemie ist ein Katalysator. Mein Lebensmotto lautet: Suche nach dem Plan C. Einen Plan A oder einen alternativen Plan B zu haben, bedeutet lineares Denken. Komplexes Denken bedeutet jedoch, den dritten Weg, den Ausweg zu suchen. Wenn es wirklich eng wird, dann hilft kein Plan B, denn der ist nur die Variation von Plan A. Der Plan C muss komplett neu entwickelt werden und in dieser Situation befinden wir uns jetzt in einer Welt des Wandels.

Vertragen sich Kunst und Kultur mit der Digitalisierung?

Das verträgt sich absolut. Ich bin ein großer Fan von Livekonzerten, aber das Digitale bietet eine interessante parallele Welt. Wir haben eine digitale Bühne entworfen, die wir gerne noch weiterentwickeln möchten. Dass digital funktioniert, beweist unser Konzert mit Vitali Alekseenok, das ARTE aufgezeichnet hat. Das haben wir Maria Kolesnikowa gewidmet, der belarussischen Freiheits- und Demokratieaktivistin. Wir nannten dieses Konzert „Die unvollendete Revolution“, und es war lange noch auf ARTE Concert nach zu erleben. Unser Eröffnungskonzert 2023 wird für ein analoges Publikum im Forum mit bis zu 1.200 Plätzen aufgeführt, in der Planung ist aber auch wieder, dass es die Web-Community live und darüber hinaus noch ein halbes Jahr weiterhin anschauen kann. Natürlich werden wir weiterhin so viele analoge Veranstaltungen wie möglich machen vor realem Publikum. Unser Motto: Erfüllte Seelen in gefüllten Sälen. Aber Veranstaltungen aufzuzeichnen, nachhaltig zu bewahren oder reproduzierbar zu machen hilft, uns von überall auf der Welt erreichbarer zu machen.

Kommen wir mal zu den harten Fakten. Wie haben sich seit Ihrem Amtsantritt die Besucherzahlen entwickelt?

Leider haben wir unsere Planzahlen nicht erreicht. Wir hätten im letzten Jahr gerne viel mehr Menschen hier begrüßt. Wir hatten lediglich eine Auslastung von ca. 50 Prozent und haben rund 20.000 Besucherinnen und Besucher erreicht. Das sind nicht mehr die goldenen Zeiten von Wolfgang Gönnenwein, allerdings ging das Festival damals länger als drei Monate. Dazu kommt, dass unser Platzangebot in den Räumlichkeiten reduziert wurde. Früher durften in den Ordenssaal 400 Zuhörer, inzwischen sind es nur noch 280.

Woran liegt der Besucherrückgang noch. Sparen die Menschen an der Kultur?

Wir wollen uns nicht nur als Festspiele der klassischen Musik weiter etablieren, sondern wollen moderner werden, zeigen beispielsweise auch mehr zeitgenössischen Tanz als früher. Aber das dafür notwendige Mehr-Generationen Publikum muss sich erst noch entwickeln, das braucht einfach seine Zeit. Und das tradierte Publikum entscheidet sich heute kurzfristiger und stürmt nicht mehr wie früher mit Listen an Veranstaltungswünschen den Vorverkauf. Inzwischen spielen Corona, Inflation und die gesamte wirtschaftliche Situation eine Rolle. Häufig überwiegen Urlaubswünsche oder diverse Anschaffungen die Sehnsucht nach kulturellen Veranstaltungen. Und wir haben als Festival anders als die meisten Opern- und Konzerthäuser überhaupt keine klassischen Abonnenten.

Wie wollen Sie neben einem moderneren Programm-Angebot noch ein jüngeres Publikum gewinnen?

Das wollen wir schaffen, indem wir familienkompatibler werden. So haben wir z.B. unser Kartensystem für Schüler, Auszubildende und Studierende attraktiver gestaltet. Früher konnte sie vergünstigte Karten nur an der Abendkasse kaufen, wenn die Veranstaltung nicht ausverkauft war. Jetzt bekommen sie auch schon im Vorverkauf auf allen Plätzen diese Tickets für 15 Euro. Das macht uns für das junge Publikum natürlich sehr viel attraktiver.

Wie viel finanzielle Unterstützung bekommen Sie in normalen Zeiten von Stadt und Land und reicht das Geld, um Ihre künstlerischen Pläne umzusetzen?

Wir bekommen von Stadt und Land pro Jahr je 800.000 Euro. Eigentlich benötigen wir deutlich mehr, damit das, was wir hier machen wollen, dauerhaft funktioniert. Deswegen bin ich dankbar, dass wir insgesamt drei Millionen Euro an Bundesmitteln für drei Jahre bewilligt bekommen haben für unseren modellhaften Transformationsprozess in ein „Fest der Künste, Demokratie und Nachhaltigkeit“. Aktuell rechne ich nicht damit, dass wir von Stadt und Land mehr bekommen. Wir müssen mit den bestehenden Mitteln klarkommen, auch wenn die Kosten überall extrem wachsen. Wir haben Preissteigerungen bei Mieten, Neben- oder Personalkosten – falls man überhaupt Personal bekommt – von bis zu 40 Prozent. Der gesamte Veranstaltungssektor ist sehr hart davon betroffen. Leider haben wir keine Gelddruckmaschine, und die Preise können wir auch nicht erhöhen. Wir haben hier zwar tolle Künstler, Weltstars oder „Rising Stars“, doch es soll bitte möglichst wenig kosten. Die Sparsamkeit und die Kurzfristigkeit der Kaufentscheidung machen uns allen zu schaffen. Hier sitzen alle Kulturschaffenden in einem Boot.

Inwieweit wirkt sich die finanzielle Situation auf Ihr künstlerisches Angebot aus? Müssen Sie deshalb mit den Künstlern noch härter verhandeln?

Leider mussten wir unser Programmangebot in der Quantität reduzieren, was sehr wehtut. In der Qualität machen wir keine Kompromisse. Für die Künstler gilt, dass sie alle innerhalb Europas möglichst CO2-freundlich anreisen, vorzugsweise mit der Bahn. Zum Glück denken die meisten Künstler sehr nachhaltig und verhalten sich entsprechend umweltfreundlich und kostengünstig. Wir zahlen gute Honorare, aber es sind uns Grenzen gesetzt, wir suchen daher eher die Weltstars der Zukunft und halten Ausschau nach jungen hochtalentierten Künstlerinnen und Künstlern, deren Gagen noch bescheidener sind. Somit arbeiten wir nicht nur ökologisch, sondern ebenfalls sehr ökonomisch, ohne dass die Qualität dabei leidet.

Wenn Geld keine Rolle spielen würde, und Sie dürften sich einen Megastar für Ludwigsburg wünschen, wer wäre das?

Da brauche ich nicht lange überlegen. Ich würde sofort Billie Eilish engagieren. Sie ist ein absoluter Stadion-Act, der die Massen anlockt. Eine tolle Sängerin mit einer Botschaft und ohne Starallüren, die ein junges bis mittelaltes Publikum anzieht. Doch für so einen Stargast bräuchte ich tatsächlich einen großen Geldgeber, der die Finanzierung übernimmt.

Fakt ist, Ludwigsburg hat ein eher konservatives Publikum und keine hippen Veranstaltungsorte. Dazu eher unbekannte Künstler, die für das bestehende Publikum nicht wirklich ziehen. Eigentlich klingt der Konflikt schier unlösbar…

Es klingt nach der Quadratur des Kreises, dennoch glaube ich an eine Lösung des Problems. Gerade in der Klassik gibt es unheimlich viel Bewegung durch sehr gute junge Künstler. Ich selbst komme eher von der elektronischen Musik, habe früher Keyboard gespielt in zwei Esslinger Bands, und stehe dieser Musik und ihren Künstlern sehr nahe. Ich glaube auch fest an die Open-Air-Konzerte im Monrepos. Das Klassik-Open-Air muss selbstverständlich bestehen bleiben, aber wir müssen das ausweiten mit anderen attraktiven Acts und in einer Größenordnung von Billie Eilish würde ich auf den größtmöglichen Veranstaltungsort zurückgreifen und das wäre dann eine Location in Stuttgart. Denn als internationale Festspiele von Baden-Württemberg bin ich auch in der Pflicht, überregionale Veranstaltungen zu machen.

Empfinden Sie Ludwigsburg als zu klein für so große Namen?

Nein, überhaupt nicht. Mir fehlt es eher an attraktiven Veranstaltungsorten. In Ludwigsburg gibt es das Franck-Areal, es könnte sich noch zu einem kreativen Knotenpunkt entwickeln. Das Wüstenrot-Hochhaus soll als Projekt für die IBA 2027 ausgeschrieben werden. Das könnte ein Inkubator für Kreative werden. Da können Studios entstehen für Startups aber auch für Film-, Musik- und Kunstschaffende. Ich sehe in Ludwigsburg durchaus Potentiale, die es so in Stuttgart immer seltener gibt. Dort ist alles noch teurer. Die Band „Die Nerven“ sind hier gegründet worden und ich halte sie für eine der bedeutendsten neuen Bands in Deutschland. Wir haben hier eine sehr lebendige HipHop-und Rap-Szene. Auch da gibt es Entwicklungspotential, vielleicht wird auch bald ein neuer Musikstil erfunden.

Kommen wir mal zu Ihnen persönlich. Sie wurden in Esslingen geboren und sind mit Anfang 20 für viele Jahre nach Berlin.

Das ist richtig und ich pendele auch immer noch zwischen Berlin und Ludwigsburg. Ich habe hier einen zweiten Wohnsitz, verbringe die Hälfte der Zeit hier und die andere Hälfte in Berlin.

Verglichen mit Berlin, was macht Ludwigsburg aus künstlerischer Sicht so besonders?

Ich kenne Ludwigsburg noch aus meiner Kindheit. Meine frühen Erlebnisse waren natürlich das Blühende Barock mit dem Märchengarten. Meine Frau Sasha Waltz hat hier 1995 in der Karlskaserne mit großem Erfolg ihre erste Choreographie aufgeführt. Als mich der damalige OB Werner Spec das erste Mal wegen der Intendanz anrief, habe ich zunächst abgewunken. Ich konnte mir den Job zu dem Zeitpunkt nicht vorstellen, da ich auch noch nicht weg wollte aus Berlin. Er blieb aber hartnäckig und zwei Jahre später dachte ich dann: „Warum eigentlich nicht.“ Statt wieder etwas Neues in Berlin zu gründen, konnte ich mir dann doch vorstellen, für ein Festival Verantwortung zu übernehmen und meiner alten Heimat auf diesem Weg etwas zurückzugeben. Als Stadt ist Ludwigsburg auch deshalb interessant, weil sie im Ballungsraum Mittlerer Neckar mit 2,8 Millionen Menschen liegt – Kultur und Wirtschaft blühen hier. Diese beiden durchaus gegensätzliche Welten stärker zu vernetzen, betrachte ich als meinen Auftrag.

Wohnen Sie in Ludwigsburg?

Ja ich wohne im Landkreis, in Bietigheim-Bissingen, wo wir übrigens die Alte Kelter bespielen. In Ludwigsburg selbst habe ich bislang keine Wohnung gefunden, die für mich gepasst hat. Aber das schöne Umland mit seiner herrlichen Natur begeistert mich genauso wie die Stadt. Meist fahre ich von meiner Wohnung mit dem Fahrrad zur Arbeit. Dabei bekommt man dann den Kopf schön frei. Mein Hauptbezugspunkt in meinem Leben ist aber schon viele Jahre eher New York, weil ich häufig dort war und viele Produktionen nach Berlin eingeladen habe. Auch in Ludwigsburg setze ich dies fort und hole einige Ensembles aus dieser kulturellen Weltmetropole hierher, wie 2022 die Wooster Group oder 2023 Brooklyn Rider.

Derzeit suche ich den Kontakt zu Pfizer in New York, und hoffe, dass daraus etwas entsteht. Der Gründervater Karl Pfizer wurde vor knapp 200 Jahren als Sohn der Stadt in Ludwigsburg geboren und wanderte mit jungen Jahren nach Williamsburg aus, wo er sein Pharmaunternehmen gründete, das u.a. jüngst zusammen mit BioNTech aus Mainz einen sehr erfolgreich Covid-Impfstoff entwickelte. Ich bin immer kreativ auf der Suche nach Firmen, die zu uns passen, wie Porsche, MHP, Mann + Hummel, Trumpf und Stihl. Sie engagieren sich alle und fördern uns, wollen mit dabei sein, weil sie alle an die Zukunft der Schlossfestspiele glauben. Deshalb bin ich auch davon überzeugt, dass uns Stadt und Land als öffentliche Träger weiterhin treu unterstützen. Aber das Geld, das wir zusätzlich benötigen, können wir uns im Moment nur bei der Wirtschaft oder Stiftungen holen. Mit dem Thema Drittmittelakquise verbringe ich wirklich viel Zeit.

Sie sind international gut vernetzt, kennen sich weltweit bestens aus. Welches Festival steht für Sie auf Platz eins?

Das bedeutendste Festival im klassischen Kulturbetrieb sind die Salzburger Festspiele. Sie sind herausragend und solitär, wurden 1920 von Max Reinhardt gemeinsam mit Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss zwei Jahre nach dem Ersten Weltkrieg als humanistisches Festival in einer relativ kleinen Stadt gegründet. Damals schon haben die Festspielgründer dafür gesorgt, dass es möglichst viele Nachahmer gibt. Nur zwölf Jahre später wurde daraufhin in Ludwigsburg die Mozart-Gemeinde mit ersten Schlosskonzerten ins Leben gerufen. Deshalb wurde Ludwigsburg früher gerne als kleine Schwester von Salzburg bezeichnet. Finanziell gesehen sind wir allerdings eine sehr kleine Schwester. Der Etat der Salzburger Festspiele dürfte mittlerweile das Fünfzehnfache von unserem Etat betragen. Es ist ein Festival von nationalem Rang, was die Förderung betrifft, und international das Festival mit Tourismusfaktor schlechthin, für das die Menschen aus der ganzen Welt anreisen und viel Geld ausgeben.

In Deutschland ist das wichtigste spartenübergreifende Festival aus meiner Sicht die Ruhr-Triennale in Nordrhein-Westfalen an alten Industriestandorten. Deren Etat ist zirka fünfmal größer als unserer, und die können dadurch viel Musiktheater und Uraufführungen auf die Beine stellen.

Wo liegt Ludwigsburg deutschlandweit im Ranking?

Das ist schwer zu sagen. Es gibt noch die Bayreuther Festspiele, die allerdings nur Werke von Richard Wagner auf die Bühne bringen. In Baden-Württemberg gibt es mit dem Heidelberger Frühling für Kammermusik und mit den Schwetzinger SWR Festspielen noch zahlreiche andere Festivals u.a. in Baden-Baden. Ich mache mir über ein Ranking keinen großen Kopf. Ich würde sagen, wir liegen im Mittelfeld. Für alles andere fehlt uns das Budget. Dennoch ist es wichtig, dass Ludwigsburg auch durch uns ein qualitativ sehr hochwertiges Kulturangebot vorweisen kann. Wir befinden uns in einer Region, die einen hohen Bedarf an gut bezahlten Fachkräften hat. Um diese Menschen hier in die Region zu holen, muss man ihnen einen gewissen Standard bieten, und da gehört eine breitgefächerte wie hochwertige Kulturlandschaft eindeutig mit dazu, die sich übrigens eindeutig vom benachbarten Stuttgart unterscheiden sollte.

Wie wollen Sie das erreichen?

Das hat beispielsweise Sasha Waltz 2021 mit einem großartigen Open Air geschafft, als sie das gesamte Blühende Barock inklusive des Schlosshofs mit ihrem internationalen Tanzensemble und bewegtem Publikum bespielt hat. Wir setzen auf Vielfältigkeit, auf die ganze Bandbreite der Weltmusik, haben gute Ideen und trauen uns Neues. Wir wollen nicht exklusiv, sondern inklusiv sein, sozusagen Glamour für Alle! Diese Öffnung stellen wir immer wieder her, 2023 durch das 17 Ziele Camp in der Karlskaserne und die populäre Frei Luft Musik-Reihe auf dem Marktplatz oder in den vergangenen Jahren durch unseren Residenzkünstler Brad Hwang, den Klangkreis im Schlosshof und Kooperationen wie das Straßen Musik Festival im BlüBa. Aber um für diese tollen und außergewöhnlichen Projekte das Publikum zum Kartenkauf zu animieren, benötigen wir neben den Printmedien ebenso dringend die Unterstützung von TV-, Radio- sowie Onlinemedien. Ich bin guter Dinge für die Zukunft, wir vertrauen auf die Neugier des Publikums. Wir glauben an das, was wir tun, und geben die Hoffnung nicht auf.

Herr Sandig, wir danken Ihnen für das Gespräch! 

Info der Redaktion: Das Interview wurde Anfang Dezember geführt.

Die Spielzeit der Schlossfestspiele 2023 findet vom 11. Mai bis zum 22. Juli statt.

Der Vorverkauf der ersten Höhepunkte hat begonnen.  Weitere Infos finden Sie hier.