Ludwigsburg – Ein Abend in Ludwigsburg mit Verkehrsminister Winfried Hermann offenbart nicht nur seine verkehrspolitischen Visionen, sondern auch die vielseitigen Interessen eines Mannes, der seit über einem Jahrzehnt die Mobilität in Baden-Württemberg prägt. Im exklusiven Interview mit Ludwigsburg24 spricht der ehemalige Lehrer über die Besonderheiten der Barockstadt, die Herausforderungen der Verkehrswende und seine Leidenschaft für Bildung und Aufklärung. Besonders aufschlussreich sind Hermanns Einblicke in das kontroverse Großprojekt Stuttgart 21 sowie die aktuellen Schwierigkeiten beim Thema Elektrofahrzeuge.
Ein Interview von Ayhan Güneş
Ludwigsburg24: Was fällt Ihnen zu Ludwigsburg ein?
Winfried Hermann: Ludwigsburg hat sehr innovative Stadtwerke, wie ich heute bei meinem Besuch erfahren durfte. Die Stadt kenne ich aus Besuchen von zahlreichen Veranstaltungen. Beim Thema Verkehr denke ich sofort an die B27, aber auch an die Bemühungen um den Bau einer Stadtbahn. Ludwigsburg zeichnet sich als Kulturstadt durch ihre besondere Architektur und durch vielfältige Aktivitäten wie die Ludwigsburger Schlossfestspiele oder die venezianische Messe aus. Die Stadt gehört zu den leistungsstarken Städten in der Region Stuttgart, die von ihrem eigenständigen Profil und von Kooperation profitiert haben. Diese Mischung aus Innovation und Kultur macht Ludwigsburg für mich zu einer spannenden Stadt, die im Bereich Mobilität noch nachhaltiger werden sollte.
Was ist der Grund für Ihren Besuch in Ludwigsburg?
Ich war von der Abgeordneten Silke Gericke zu einer Podiumsdiskussion im Central-Union Kino zum Thema „Nachhaltig Mobil in Ludwigsburg“ eingeladen. Solche Gelegenheiten nutze ich gerne für einen informativen Vor-Ort-Besuch, wie heute bei den Stadtwerken Ludwigsburg-Kornwestheim (SWLB). Deren klimafreundliche Initiativen und kreative Lösungen haben mich besonders beeindruckt.
Sie sind seit 13 Jahren in der Regierung von Baden-Württemberg aktiv. Auf welche Erfolge in dieser Zeit sind Sie besonders stolz?
Als ich 2011 anfing, war die Verkehrspolitik in Baden-Württemberg stark auf den Straßenverkehr ausgerichtet. Beim Öffentlichen Nahverkehr sowie in der Rad- oder Fußverkehrspolitik gab es großen Nachholbedarf. Die Elektromobilität wurde nur in einem einzigen Projekt gefördert. Damit gab es die Notwendigkeit und die Chance angesichts der Herausforderungen durch den Klimawandel, all diese Themen mit Nachdruck zu entwickeln und voranzubringen. Seit 1996 gab es kein eigenes Verkehrsministerium und die Aufgaben wurden oft zwischen verschiedenen Ministerien hin- und hergeschoben und verschoben.
Heute kann ich mit Stolz sagen, dass Baden-Württemberg eine Vorreiterrolle bei der Verkehrswende zu nachhaltiger Mobilität einnimmt. Andere Länder schauen mit großem Interesse, wie wir beispielsweise unsere ÖPNV- und Radverkehrspolitik umsetzen. Darüber hinaus sind wir beim Thema Elektromobilität mit an der Spitze der Republik. Den ÖPNV haben wir in Stadt und Land erheblich verbessert. All das ist das Ergebnis einer ambitionierten, kontinuierlichen und strategischen Arbeit, die im Verkehrsministerium in den vergangenen 13 Jahren geleistet wurde.
War es schon immer Ihr Ziel, Verkehrsminister zu werden?
Ein solches Amt steuert man nicht gezielt an. Es gab aber wohl etliche Gründe dafür, dass ich im Zuge der Regierungsbildung ernannt wurde. So sprach einiges dafür, dass die Grünen den Verkehrsminister stellen. Dazu zählte auch das Projekt Stuttgart 21. Ich war damals seit 13 Jahren im Bundestag mit dem Schwerpunkt Verkehrspolitik und zuletzt Vorsitzender des Verkehrsausschusses. Das dürfte dazu beigetragen haben, dass ich für dieses Ressort in Frage kam.
Was sind Ihre wichtigsten Ziele für die noch laufende Legislaturperiode?
Wir haben langfristig angelegte Pläne, wie die ÖPNV-Strategie 2030, die auf ein gutes Angebot auch in der Fläche setzt. Dazu gehört eine Mobilitätsgarantie von für morgens bis spät abends. Mit einem Landesmobilitätsgesetz wollen wir unter anderem den Kommunen die Möglichkeit eröffnen, einen Mobilitätspass einzuführen und sich damit eine Finanzierungsquelle zum Ausbau des ÖPNV zu erschließen. Bis 2026 sollen in einigen Regionen im Land Radschnellwege gebaut werden, bis 2030 sollen es 20 werden, um vor allem für Pendlerinnen und Pendler den Umstieg auf eine gesunde und klimaschonende Mobilitätsform attraktiv zu machen. Bei der Elektromobilität richtet sich der Blick nun insbesondere auch auf die E-Lkw-Ladeinfrastruktur und die Flottenelektrifizierung. Wir müssen uns um alle Bereiche der Verkehrspolitik kümmern, nicht nur um Radverkehr und ÖPNV, sondern auch um den Straßenverkehr, die Sanierung der Infrastruktur und die Transformation der Automobilwirtschaft.
Wäre es nicht in Ordnung, ein Lieblingsthema zu haben, für das man sich besonders einsetzt?
Das wäre grundsätzlich nicht schlimm, aber für eine innovative Verkehrspolitik ist es wichtig, alle Bereiche miteinander zu verbinden – Mobilität ist vernetzt. Für diesen umfassenden, multimodalen Ansatz in der Mobilität arbeiten mein Haus und ich mit großer Leidenschaft. Man muss dafür insgesamt eine positive Einstellung haben, um langfristig erfolgreich zu sein.
Das heißt, das Feuer brennt weiterhin in Ihnen?
Ja, das wird auch weiter brennen.
Auch 2026?
Ja. Wer sich über viele Jahre mit viel Energie für politische Ziele einsetzt, schaltet nicht einfach ab.
Und auch danach?
Ja. Eine politische Überzeugung ist auch nicht von Ämtern oder Mandaten abhängig.
Stuttgart 21 war und ist ein großes Thema. Hätten Sie sich den Verlauf und die Entwicklung dieses Projekts so vorstellen können?
Wir wussten schon, dass es teuer und komplex werden wird, aber dass es bis 2025 nicht fertig wird und 10 Milliarden Euro nicht reichen, hätte ich nicht gedacht. Wir haben immer gesagt, dass das Projekt äußerst komplex ist und dass es sehr viel teurer wird und sehr viel länger dauern wird.
Mahnende Hinweise zum drastischen Anstieg der Kosten gab es wiederholt auch vom Bundesrechnungshof. Trotzdem wurden die Skeptiker und Gegner des Projektes als Lügner, Pessimisten und Fortschrittsfeinde hingestellt.
Sie haben kürzlich in Berichten der Berliner Zeitung angedeutet, dass das gesamte Projekt scheitern könnte. Können Sie das näher erläutern?
Ich habe nie gesagt, dass das Projekt komplett scheitern wird. Vielmehr habe ich betont, dass es sich stark verändert hat. Nach dem Volksentscheid war klar, dass das Land als Projektpartner Stuttgart 21 begleiten muss. Das Land ist nicht der Bauherr, das ist die Deutsche Bahn, aber unsere Aufgabe war es, das Projekt kritisch und konstruktiv zu begleiten. Diese Rolle haben wir genutzt, um gemeinsam mit den Projektpartnern viele Schwachstellen zu korrigieren. Die größte Herausforderung bestand darin, dass das Projekt mit herkömmlicher analoger Signaltechnik geplant war. Zehn Jahre nach Baubeginn haben wir in intensiven Verhandlungen mit allen Beteiligten einen Umstieg auf digitale Zugsteuerung und damit einen Zuwachs bei der Kapazität der neuen Infrastruktur erreicht. Zugleich wird Stuttgart zum ersten digitalen Bahnknoten bundesweit. Derzeit geht es darum, dass Bund und Bahn die finanziellen Mittel nicht nur für den engeren Bereich des Tiefbahnhofs sondern auch für die Außenbereiche und damit für das in die umliegenden Regionen reichende S-Bahnsystem bereitstellen. Andernfalls wäre die Digitalisierung des gesamten Knotens sowie die baldige Fertigstellung des gesamten Projekts gefährdet.
Die Kosten für Stuttgart 21 haben sich von anfänglich 2,5 Milliarden Euro auf über 10 Milliarden Euro erhöht. Was sagen Sie dazu?
Das tut natürlich weh. Mit den 10 Milliarden Euro hätten man den alten Bahnhof, den Bahnknoten und das übrige Netz im Lande sanieren können. Es gab damals Alternativpläne, die etwa 2 Milliarden Euro für die Modernisierung des alten Bahnhofs und die Umgestaltung zu einem modernen Kopfbahnhof veranschlagten. Stuttgart 21 wurde ursprünglich mit zweieinhalb bis drei Milliarden Euro kalkuliert. Allerdings sind alle Großvorhaben mit Kostenrisiken behaftet, das Alternativkonzept möchte ich hier ehrlicherweise nicht ausnehmen, aber das ist hypothetisch und Vergangenheit.
Heute ist das gesamte Bahnnetz sanierungsbedürftig. In den vergangenen 30 Jahren wurde im Stuttgarter Knoten kaum etwas saniert. Das hat dem Netz und der Technik extrem geschadet und die Fahrgäste leiden tagtäglich darunter. Heute sind zahllose Baustellen, Unterbrechungen und Verspätungen die Folge.“
Sie waren früher Lehrer. Verfolgen Sie die Bildungspolitik noch und haben Sie eine Meinung dazu, wie sie verbessert werden könnte?
Ja, ich war vor vielen Jahren Lehrer an einem Stuttgarter Gymnasium und nach meiner ersten Landtagsperiode Fachbereichsleiter an der Volkshochschule in Stuttgart. Die Zeiten haben sich geändert, aber die Grundprinzipien guter Bildung für alle bleiben. Die Offenheit von damals für Neues ist heute nicht mehr so stark ausgeprägt. Viele Lehrerinnen und Lehrer sind durch die hohe Belastung ermüdet und zum Teil frustriert. Meine Generation von Lehrern ging nach dem Studium mit großem Elan und Optimismus in den Beruf.
Heute ist das anders. Die hohe Belastung über Jahre, auch durch schwierige Klassen sowie Schülerinnen und Schüler hat dazu geführt, dass viele Lehrerkräfte ihre Arbeit mehr als anstrengende Pflicht denn als erfüllende Berufung sehen. Das wirkt sich natürlich auch auf die Schüler aus. Früher hatten wir eine gewisse Unbeschwertheit und einen gemeinsamen Geist zur Veränderung. Heute sehe ich mehr Sorge und Unsicherheit, was die Zukunft betrifft. Es ist wichtig, dass wir Wege finden, diese Herausforderungen anzugehen und sowohl Lehrerinnen und Lehrer als auch Schülerinnen und Schülern mehr Unterstützung zu bieten. Daran arbeiten wir.
Was hat sich bei den heutigen jungen Leuten im Vergleich zu früher geändert?
Die Offenheit, der Optimismus von damals ist etwas verflogen. Man sieht heute vor allem die Probleme. Früher hatten wir eine gewisse Unbeschwertheit und die Haltung, Probleme muss man angehen. Ich unterrichtete Politik, Sport und Deutsch, und die Begeisterung der Schülerinnen und Schüler für neue Unterrichtsformen und Themen ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Damals war die Oberstufe fast dieselbe Generation wie die Lehrer, mit ähnlichem sozialem und politischem Hintergrund.
Ein Beispiel aus meiner Zeit als Lehrer ist, dass wir mit der gesamten Oberstufe bei der Menschenkette für Frieden teilgenommen haben, natürlich als freiwilliges Engagement. Das war der Geist der Zeit – viele haben mitgemacht. Heute sind Diskussionen über Demokratie in Gefahr, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit präsent, was damals weniger der Fall war.
In Untertürkheim habe ich die Klassen übertragen bekommen, die anderen Schwierigkeiten bereitet haben. Meine Vision war, den Schülern Spaß am Unterricht zu vermitteln, und das ist mir auch gelungen. Ich bin mir sicher, dass junge Menschen auch heute mit einem guten Unterricht zu begeistern sind und auch vielfältig engagiert sind.
Die Zahl der Neuzulassungen von Elektroautos ist zuletzt deutlich zurückgegangen. Was sind die Hauptursachen dafür?
Der Rückgang hat mehrere Gründe. Ein Hauptgrund ist das abrupte Ende der Umweltprämie. Außerdem hatte die deutsche Automobilindustrie lange Zeit keine bezahlbaren Elektrofahrzeuge im Angebot, fast alles war im Hochpreissegment. Jetzt kommen nach und nach günstigere, vor allem ausländische Fahrzeuge auf den Markt.
Hinzu kommt eine starke Lobby für den Verbrenner, vor allem durch FDP, Teile der CDU und AfD. Das führt zu Unsicherheit bei den Konsumenten, ob Elektroautos wirklich die Zukunft sind.
Es gibt auch eine gesellschaftliche Trägheit nach dem Motto: ‘Uns geht es so gut, warum sollen wir etwas ändern?’ Viele verstehen nicht, dass wir in einer innovativen Zeit leben und weltweit eine Transformation im Verkehr und in den Technologien stattfindet. Sie ist auch dringend notwendig, weil der Verkehrssektor derzeit für einen beträchtlichen Teil der CO2-Emissionen verantwortlich ist. Wer glaubt, er könne mit der Vergangenheit die Zukunft gewinnen, wird verlieren. Das haben auch die meisten großen Autokonzerne erkannt und die Umstellung in Angriff genommen. Wichtig ist jetzt, dass die Politik dafür verlässliche Rahmenbedingungen schafft.
Ist Verkehrsminister Ihr Traumjob?
Verkehrsminister ist ziemlich nahe dran. Mich haben auch andere Berufe gereizt, wie zum Beispiel Lehrer bzw. Hochschullehrer und Autor. Ich war und bin begeisterter Abgeordneter. Als Verkehrsminister hat man ein sehr breites Feld an Gestaltungsmöglichkeiten. Schließlich wollen wir alle mobil sein. Dass wir dabei nicht unsere Lebensgrundlagen zerstören, ist die große politische Aufgabe, die mir immer wieder Freude macht.
Herr Minister Hermann, wir danken Ihnen für das Gespräch!