Der Bahnhof bleibt ein Dauerthema: Ludwigsburg24 im Gespräch mit Axel Müller

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Im Mai vergangenen Jahres trat Axel Müller als neuer Bahnhofsmanager bei der Stadt Ludwigsburg an, um das von Ex-Oberbürgermeister Werner Spec vor sieben Jahren ausgerufene Projekt „Wohlfühlbahnhof“ endgültig umzusetzen. Doch was macht ein Bahnhofsmanager überhaupt jeden Tag, wo liegen seine Herausforderungen und was hat er seit seinem Amtsantritt bereits geschafft. Im Gespräch mit Ludwigsburg24 spricht Axel Müller über seinen Arbeitsalltag voller Herausforderungen und seine Chancen auf Erfolg.

Ein Interview von Patricia Leßnerkraus

Herr Müller, Sie haben einen Einjahresvertrag unterschrieben, der Mitte Mai bereits wieder ausläuft. Die wichtigste Frage deshalb zuerst: Gehen Sie als Bahnhofsmanager in die Verlängerung?
Es gibt zwar Signale, dass es mit mir als städtischem Bahnhofsbeauftragten – so ist die offizielle Bezeichnung – weitergehen soll, doch aufgrund der Haushaltslage ist noch nichts entschieden.

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Warum wäre es aus Ihrer Sicht gut, wenn es auch weiterhin einen Bahnhofsbeauftragten geben würde?
Solange wir einen Bahnhof haben, haben wir auch ein Aufgabengebiet im Bahnhofsumfeld. Diese Aufgaben sind so mannigfaltig, dass wir nicht von einem Projekt sprechen können, sondern von einer großen Aufgabe, die uns dauerhaft beschäftigen wird.

Was macht denn ein Bahnhofsbeauftragter den ganzen Tag? Wie sehen Ihre Aufgaben und Ihre Tagesabläufe aus?
Man muss wissen, dass der Bahnhof nicht im städtischen Eigentum ist. Mein Job sieht vor, dass ich Mittler der Anrainer und der Nutzer bin. Das Bahnhofsgebäude gehört beispielsweise einem Immobilienfonds. An der Anlage der Deutschen Bahn sind wiederum drei unterschiedliche Partner beteiligt: die DB Netz, die die reinen Schienen und Gleisanlagen betreibt, die DB Service, die die Station betreut, und die DB Vertrieb mit dem Fahrkartenverkauf. Das Westportal hingegen gehört einem weiterem Investor. Neben diesen Eigentümern gibt es weitere Partner, zum Beispiel für die Radstation den ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrradclub Anm. d. Red.) und das Sozialunternehmen Neue Arbeit. All diese Parteien, aber auch die Nutzer der jeweiligen Einrichtungen, haben in irgendeiner Art und Weise Bedürfnisse. Meine Aufgabe sieht somit vor, zwischen den einzelnen Interessen so zu vermitteln, dass für alle Beteiligten aus Problemen gute Lösungen entstehen.

Können Sie mal ein Beispiel nennen?
Nehmen Sie das Konzept „Reinigung aus einer Hand“, das ich von meinem Vorgänger übernommen habe. Früher hatten dies unterschiedliche Unternehmen für die jeweiligen Eigentümer übernommen, nun soll die Zuständigkeit nur noch bei einer Firma liegen. Dazu haben wir uns alle an einen Tisch gesetzt. Alle Interessen wurden konkretisiert und zusammengeführt, so dass wir nun im Frühjahr gemeinsam ausschreiben können.

Das klingt aber alles ziemlich langwierig…
Ja, so ist das, aber nur so kommen wir zu guten Lösungen.

Was würden Sie als wichtigste Eigenschaften bezeichnen, die Sie für Ihren Job mitbringen müssen?
Ich muss alle Beteiligten auf einen gemeinsamen Nenner bringen, ohne einem von ihnen auf die Füße zu treten. Dafür muss ich gut zuhören, verstehen, moderieren, motivieren, muss manche Partner regelrecht für ein Thema begeistern, von dem sie vielleicht der Meinung sind, dass es auf ihrer Prioritätenliste nicht ganz weit oben
steht.

Und für welche Personengruppen am Bahnhof sehen Sie sich außerdem als Mittler?
Natürlich vor allem für die An- und Abreisenden. Aber da der Bahnhof auch Scharnier zwischen der Weststadt und der Innenstadt ist, sind auch Personen, die den Bahnhof durchqueren, eine wichtige Zielgruppe. Dazu kommen die Schülergruppen, die das Areal vom Schulcampus her als erweiterten Aufenthaltsraum sehen oder dort die
eine oder andere Freistunde verbringen. Wir haben Obdachlose, die dort immer wieder Zuflucht suchen, wir haben die Trinkerszene und auch vereinzelt Asylsuchende, die sich am Bahnhof aufhalten. Nicht zu vergessen die Menschen, die am Bahnhof ihre Einkäufe erledigen. Aus dieser bunten Mischung heraus ergeben sich meine Herausforderungen.

Welches der derzeit anstehenden Probleme zeichnet sich als Ihre größte Herausforderung ab?
Das ist schwer zu sagen. Wir wollen beispielsweise ein neues Sicherheitskonzept, für das wir ein einheitliches Videoüberwachungssystem installieren wollen. Da gibt es ganz andere Herausforderungen als wiederum beim Reinigungskonzept.

Wo liegen denn beim Sicherheitskonzept konkret die Herausforderungen?
Nehmen wir nur den Teilbereich Videoüberwachung: Hier gilt es, vom Datenschutz über mögliche neue Standorte bis hin zur Einbeziehung der Bestandkameras verschiedener Eigentümer ein tragbares Konzept herbeizuführen.

Wie gehen Sie mit der Trinkerszene am Bahnhof um?
Wir haben dazu demnächst mit der Wohnungslosenhilfe einen Gesprächstermin, um mögliche Lösungsansätze für die unterschiedlichen Gruppierungen innerhalb dieses Milieus zu besprechen.

Wenn Sie einen guten Ansatz finden, haben Sie dann als Bahnhofsmanager eigene Kompetenzen, um konkrete Entscheidungen zu treffen oder müssen Sie prinzipiell immer alles mit den Partnern absprechen?
Da meine Hauptaufgabe das Vermitteln ist, ist die Abstimmung der Schlüssel zum Erfolg. Bei der Stadt bin ich dem Dezernat Mobilität, Sicherheit, Tiefbau von Bürgermeister Michael Ilk zugeordnet. Wenn es jedoch um Abstimmungen im sozialen Bereich geht, ist Erster Bürgermeister Konrad Seigfried mein Ansprechpartner. Denn eines ist klar: Alle Konzepte sind am Ende des Tages nur so gut, wie sie auch politisch getragen werden. Betrifft eines meiner Konzepte die Belange eines bereits erwähnten privaten Eigentümers, dann hole ich diesen ebenso ins Boot. Das geht aber noch weiter. Beim Thema Busbahnhof beziehungsweise ÖPNV sind etwa noch LVL Jäger, die
unsere Buslinien betreiben, und der städtische Fachbereich Nachhaltige Mobilität einzubeziehen.

Gibt es neben den vielen unterschiedlichen Interessensvertretungen noch weitere Probleme, denen Sie sich stellen müssen?
Typisch für unser Bahnhofsareal ist, dass es löchrig ist wie ein Schweizer Käse, denn es gibt unglaublich viele verschiedene Zugänge. Das ist positiv, weil der Bahnhof dadurch für Fußgänger perfekt erreichbar ist. Es hat allerdings den Nachteil, dass durch das Verwinkelte sich mancher unsicher fühlt. Das ist mit ein Grund dafür, warum der Ruf des Bahnhofs so schlecht ist. Es ist über die Jahre ein negatives Bild entstanden, das sich festgesetzt hat und nur schwer aus den Köpfen der Menschen wieder rauszubekommen ist. Hier gilt es, sich diesem Gefühl des Unbehagens und den realen Problemen, die wir uns mit jedem Bahnhof in Deutschland teilen, ehrlich zu stellen.
Ein weiteres Thema, das wir auf der Agenda haben, ist unser Busbahnhof. Er ist in die Jahre gekommen, hat Schlaglöcher, und erfüllt nicht mehr die heutigen Anforderungen. Ein weiterer Punkt ist unsere zweite Unterführung. Wer versucht, während der Rush Hour gegen den Strom zu laufen, weil er einen Zug erreichen muss, hat kaum eine Chance. Auch hier müssen wir baulich dringend ran. Nun ist aber die Erschließung der Gleisanlagen nicht originär die Aufgabe der Stadt Ludwigsburg, sondern die der Betreiber der Bahnanlagen. Deshalb kann die Stadt hier auch nicht die Kosten tragen.

Macht Ihnen angesichts der vielen Problematiken Ihr Job überhaupt Spaß?
Er macht mir Spaß, weil auf der einen Seite bei allen Partnern ein Verbesserungswunsch nicht nur spürbar ist, sondern er auch ganz klar gezeigt und gelebt wird. Der Kontakt zu den Nutzern des Bahnhofs ist mein Antrieb, denn deren Frust beispielsweise wegen defekter Aufzüge oder sonstiger Ärgernisse formuliert letztendlich meine Aufgaben. Nimmt man sie mit, bindet sie ein, wie zum Beispiel über den wiederbelebten Fahrgastbeirat, kann man auch hier Kräfte bündeln. Der Dialog mit den Bahnhofsnutzern führt langfristig dazu, dass wir den Ort gemeinsam
täglich verbessern.

Hört sich aber unterm Strich alles nach einer Jobgarantie für Sie an…
Wenn Sie so wollen, ja. Der Bahnhof ist ein fortdauerndes Thema und das 365 Tage, 24 Stunden täglich und dafür benötigt man für die unterschiedlichen Beteiligten unbedingt einen Mittler, der alle zusammenführt. Es ist aber ein Job, den man nicht 20 Jahre ausüben kann. Sie müssen als Person zu hundert Prozent motiviert sein und auch eine Leistung bringen wollen. Sobald sich ein Frustpotential spürbar macht, tut es der Sache keinen Gefallen mehr.

Im Frühjahr ziehen Sie mit Ihrem Büro in den Bahnhof. Was versprechen Sie sich davon?
Wir werden Montag bis Donnerstag von 16.00 bis 18.00 Uhr geöffnet haben, so dass auch Pendler die Chance bekommen, mich direkt mit ihren Anliegen anzusprechen. Durch diese Art des Beschwerdemanagements verspreche ich mir nochmals eine ganz andere Zusammenarbeit mit den Bahnhofsnutzern. Außerdem bekomme ich die einzelnen Probleme des Bahnhofsareals hautnah mit, wenn ich persönlich vor Ort bin. Bin ich selbst Teil des Geschehens, kann ich besser agieren. Ich sehe das als Ehrlichkeitsoffensive, die Vertrauen schafft. Gleichzeitig möchte ich die Räumlichkeiten auch den Partnern zur Verfügung stellen, zum Beispiel für Vorstellungsgespräche mit möglichen Zugbegleitern oder für andere Dienstgespräche. So bekommt das Thema Bahn, Bahnhof, Bahnnutzung, ÖPNV eine zentrale Anlaufstelle.

Auf welche Ihrer Leistungen im vergangenen halben Jahr sind Sie besonders stolz?
Es sind zwei Dinge, die sich für Außenstehende vielleicht banal anhören, die aber immens wichtig sind: Das eine ist, das Vertrauensverhältnis der Partner herbeigeführt zu haben und das zweite ist, auf der anderen Seite das Vertrauensverhältnis mit der Bevölkerung, mit den Nutzern, die jeweils mit mir in Kontakt getreten sind, aufgebaut
zu haben. Das ist die Grundlage für die erfolgreiche Umsetzung der angedachten Konzepte. Das hat natürlich alles etwas Zeit gebraucht, weil ich mich zunächst in die Thematik einarbeiten musste, um zu wissen, was läuft wie und warum. Ich musste verstehen, wo die Zuständigkeit des einen Partners aufhört und die des anderen beginnt. Und erst mit dem hundertprozentigen Verstehen des Areals, der Nutzer und der Anrainer konnte ich Konzepte entwickeln und angehen, deren Umsetzung jetzt im Jahr 2020 beginnt.

Inwieweit kommt dabei der Input der Anrainer und Nutzer bei den Konzepten zum Tragen?
Es muss abgewogen werden, ob es sich um Einzelbedürfnisse handelt oder um welche, bei denen es ganz klar um einen Mehrwert für eine größere Anzahl von Menschen geht. Wenn der Mehrwert erkennbar ist, fließt er bestenfalls 1:1 ins Konzept ein. Wenn die Menschen mit ihrer Idee gehört werden, sind sie bereit, ein Multiplikator zu sein. Übersetzt in die moderne Mediensprache sollte jeder Bahnhofsnutzer am Ende des Tages ein positiver Influencer sein.

Haben Sie während Ihrer Tätigkeit noch Problematiken entdeckt, die Ihnen bei Amtsantritt gar nicht klar waren?
Der Bahnhof der Zukunft ist weit mehr als Bus und Bahn. Wir müssen rund um den Bahnhof mehr für die Radfahrer tun, wir müssen das Thema Carsharing am Bahnhof besser platzieren, wir haben den Umbau des Busbahnhofs. Dafür müssen wir die Bevölkerung mitnehmen, damit sie Lust auf Zukunft bekommen. Diese Dinge waren mir vorher in diesem Umfang nicht bewusst.

Eine letzte Frage: Kann der Bahnhofsmanager eigentlich noch in der Freizeit durch Ludwigsburg laufen, ohne die Bahnhofswut der Bürger abzukriegen?
In meinem letzten Job als Citymanager von Ludwigsburg ist mir das deutlich häufiger passiert. Jetzt ist es doch wesentlich ruhiger geworden. Wenn mich jemand samstags auf dem Markt anspricht und fragt, warum der Fahrstuhl nicht funktioniert, dann sehe ich das nicht als Belästigung. Das ist Teil meiner Arbeit. Und ähnlich wie der Bahnhof, der 365 Tage 24 Stunden täglich für die Öffentlichkeit zugänglich ist, definiere ich meinen Job. Natürlich habe auch ich mal Feierabend und sollte abschalten, das ist keine Frage. Aber wenn ein Bürger ein Bedürfnis hat, dann sollte er es auch loswerden dürfen. Und wenn er es – so ist es zumindest in der Regel – in einer anständigen Art und Weise macht, dann ist das für mich kein Thema, ob er das während der Dienstzeit oder während meiner Freizeit macht.