MEINUNG: “Vertrauensverlust in der Politik: Maut-Debakel und die Suche nach Gerechtigkeit”

Eine Meinung von Ayhan Güneş

Die jüngste Entscheidung des Verkehrsministeriums, auf eine Klage gegen Ex-Minister Andreas Scheuer im Zusammenhang mit dem Maut-Debakel zu verzichten (wir berichteten), wirft wichtige Fragen auf. Das in Auftrag gegebene Gutachten betont die “komplexe und nicht eindeutige Rechtslage” und weist auf ein “erhebliches Prozessrisiko” hin.

Diese Entwicklung könnte das wachsende Vertrauensdefizit in die politische Führung weiter nähren, besonders wenn Menschen das Gefühl bekommen: Die Kleinen werden geschnappt und zur Rechenschaft gezogen, während die Großen davonkommen! Die öffentliche Verantwortlichkeit bleibt unbestritten, doch die Entscheidung, keine Klage zu erheben, wirft die Frage auf, ob hier die Chance auf ein starkes Signal an die Bürgerinnen und Bürger verpasst wurde.

In einer funktionierenden und lebendigen Demokratie müssen die Menschen, die dieses komplexe Konstrukt maßgeblich tragen, gehört und ernst genommen werden.

Angesichts des Schadens von 243 Millionen Euro durch das Maut-Debakel und der Forderung nach Transparenz in der politischen Führung stellt sich die grundlegende Frage: Wo liegt die Grenze zwischen einem erheblichen Prozessrisiko und dem dringenden Bedürfnis, Verantwortlichkeit zu betonen?

Es erfordert Mut, Risiken einzugehen, wenn es darum geht, politische Verantwortlichkeit durchzusetzen. Der Bürger muss sich gerecht behandelt fühlen, und unabhängig von Status oder Beruf sollten alle vor dem Gesetz gleich sein.
Ob Politiker, Banker, Milliardär, Fußballprofi, Promi oder Bäcker, Maler, Handwerker oder Pflegekraft: Jeder sollte gleich behandelt werden. Nur so kann das Vertrauen in unsere Institutionen und die Integrität unserer Demokratie gestärkt werden. Dieser Grundsatz ist unerlässlich, um sicherzustellen, dass niemand das Gefühl hat, dass die “Großen” privilegiert sind und die “Kleinen” zur Rechenschaft gezogen werden.

Eine Meinung von Ayhan Güneş – Chefredakteur von Ludwigsburg24

Zwischen Religion und Konflikt: Ein Gedankensplitter von Ludwigsburgs Pfarrer Martin Wendte

Inmitten der aktuellen unübersichtlichen und aufgewühlten Situation, geprägt von den jüngsten terroristischen Angriffen der Hamas und den möglichen militärischen Reaktionen Israels:

Ein Gedankensplitter von Pfarrer Dr. Martin Wendte:

“Diese Gedankensplitter formuliere ich in eine zutiefst unübersichtliche und aufgewühlte Situation hinein. Unübersichtlich und aufgewühlt im äußeren Sinne, weil noch unklar ist, welche weitergehenden Militäraktionen Israel nach den terroristischen Angriffen der Hamas starten wird. Unübersichtlich und aufgewühlt aber auch im inneren Sinne, weil die Angriffe auf Israel mich sehr beschäftigen. Teils schlecht schlafen lassen. Denn diese Attacken sind nicht nur furchtbare Menschenrechtsverletzungen und grausamste antisemitische Taten. Sondern von ihnen sind auch wir Christinnen und Christen im Kern unserer Identität betroffen.

Bei aller Unübersichtlichkeit möchte ich drei bleibende Einsichten darlegen. Erstens: In ihren wichtigsten Auslegungen zielen Judentum, Christentum und Islam auf Frieden, nicht auf Krieg. Auf einen Frieden, der mehr ist als die bloße Abwesenheit von Krieg. Es ist ein Frieden, der aktive, positive Beziehungen zu anderen Menschen innerhalb und auch außerhalb der eigenen Glaubensgemeinschaft mitumfasst. „Shalom“ oder „Salam“ – also: das hebräische und arabische Wort für Frieden – hat genau diese Bedeutung.  Auch wenn es innerhalb der großen Religionen faktisch immer wieder andere Auslegungen und Handlungen gibt, gilt: In ihrem Kern zielen alle Religionen auf umfassenden Frieden. Der aktuelle Konflikt ist damit im Kern auch kein Konflikt zwischen den Religionen. Vielmehr geht er gegen ein wesentliches Ziel der großen Religionen.

Entsprechend fühle ich mich verbunden mit vielen Stimmen aus allen großen Religionen, die die Terrorattacken der Hamas scharf verurteilen. Sie alle trauern um die Opfer der Gewalt. Sowohl um die Opfer, die auf israelischer Seite zu beklagen sind, als auch um die Opfer auf Seiten derjenigen Palästinenser, die die Angriffe der Hamas ablehnen. Sie alle wissen zugleich, dass ein zukünftiger Frieden dem Sicherheitsbedürfnis Israels, aber auch der anderen Seite Rechnung tragen muss.

Zweitens: Gemeinsam mit allen Religionen setzt sich das Christentum für den Frieden ein und trauert um die Opfer beider Seiten. Doch zugleich hat es eine ganz besondere Beziehung zum Judentum und damit auch zu Israel. Denn der Gott, zu dem Jesus gerufen hat, ist zugleich der Gott des Judentums. Der Gott, den Jesus „Vater“ nannte und den wir Christinnen und Christen auch „Vater“ nennen, ist zugleich der Gott des Judentums. Der Gott, den wir im „Vaterunser“ anrufen mit der Bitte, dass sein Reich des Friedens komme, ist zugleich der Gott des Judentums. Er war es und ist es und wird es immer sein.

Und daher gilt: Die Terrorattacken gegen Israel erschüttern auch unsere eigene Identität als Christinnen und Christen. Denn die, die unseren Gott auch Gott nennen, werden zu Geiseln genommen, gefoltert und ermordet. Bei aller denkbaren Kritik an den verschiedenen Regierungen Israels in den letzten Jahren führt diese theologische Grundeinsicht zu einer einzigartigen Nähe des Christentums zum Judentum. Sie ist gerade jetzt zu betonen. Und wir müssen ihr in Taten entsprechen.

Drittens: Durch die Terrorattacken werden grundlegende politisch-militärische Fragen zur Zukunft Israels und des Nahen Ostens ebenso aufgeworfen wie grundlegende theologische Fragen zum Verständnis des Friedens und der Zuordnung von Christentum und Judentum. Wir sollten uns von der Größe dieser Fragen aber nicht lähmen lassen. Vielmehr sollten wir vor Ort dasjenige für den Frieden tun, was wir können. Das heißt vor allem: dass wir unseren jüdischen Brüdern und Schwestern Hilfe anbieten, wo es geht. Und dass wir zusammenstehen für den Frieden und gegen Hass und Gewalt. Das gelingt uns in Ludwigsburg recht gut. Am Sonntag, den 08. Oktober, organisierten wir ein spontanes Friedensgebet auf dem Marktplatz, an dem neben Christen nicht nur Buddhisten, sondern auch Muslime teilnahmen – ein starkes Zeichen. Das wurde ermöglicht durch viele Kontakte und Beziehungen, die in den letzten Jahren im „Dialog der Religionen“ und an vielen anderen Begegnungsorten zwischen Vertretern verschiedener Religionen entstanden. Diese Beziehungen sollten wir nun an vielen Orten weiter gestalten. Egal, ob Muslim, Jüdin oder Christ, egal, ob Buddhistin oder Nicht-Gottgläubig: Helfen wir unseren jüdischen Geschwistern, wo es geht. Und: Leben wir am Arbeitsplatz und in der Familie, in Diskussionen in der Öffentlichkeit und unter Freunden gerade in dieser unübersichtlichen und aufgewühlten Situation denjenigen Frieden, der mehr ist als die Abwesenheit von Krieg und der uns als Ziel alle verbindet!”

Dr. Martin Wendte

Pfarrer der Friedenskirche in Ludwigsburg und Citykirchenpfarrer

“Schatz, ich bin jetzt Bundestrainer” – Ein Gedankensplitter von Klinsmann-Berater Roland Eitel

Der Rasen ist sattgrün, die Fans meistens in Ekstase, und der deutsche Fußballzirkus tanzt – vor allem aktuell – im grellen Scheinwerferlicht! Doch was passiert, wenn der Vorhang fällt und der Applaus verstummt? Tauchen wir ab in die Welt hinter den Glitzer und Glamour der letzten Tage und Monate, in eine Welt, die mehr verbirgt, als sie preisgibt.

In Ludwigsburg, wo einige Geheimnisse des Fußballs in den Windungen der Geschichte ruhen, lebt Roland Eitel. Er ist nicht nur ein ausgewiesener Fußball-Experte, sondern auch der Berater von Ex-Bundestrainer Jürgen Klinsmann und früher Joachim Löw. Er kennt den Fußball von innen und außen wie kein anderer und enthüllt die Geheimnisse, Kuriositäten und Leidenschaften, die die deutsche Fußballszene prägen.

In einem exklusiven Beitrag für Ludwigsburg24 öffnet Roland Eitel das Buch seiner persönlichen Reflexionen und beleuchtet die aktuellen Ereignisse im deutschen Fußball aus seinem speziellen Blickwinkel.

 

“Schatz, ich bin jetzt Bundestrainer” – Ein Gedankensplitter von Roland Eitel

“Kennen Sie noch das Jackett von Uli Stielike, das er trug als er gemeinsam mit Erich Ribbeck am 9. September 1998 als Bundestrainer vorgestellt wurde? Kurz nachdem 17 Stunden lang Paul Breitner Bundestrainer war und man ihm nach seinem ersten Interview sagte, dass er es jetzt doch nicht wird?

Oder erinnern sie sich noch an den Abend im Jahr 2000, als der DFB wegen der Drogenprobleme des potenziellen neuen Nationaltrainers Christophs Daum eine Krisensitzung zuhause bei Reiner Calmund abhielt und weil das in Leverkusen war, hatte man auch den damaligen Bayer-Manager Rudi Völler auch eingeladen? Und ein paar Stunden später der Gast Rudi Völler plötzlich Bundestrainer war? Wie stellt man sich das vor? Als er geht, sagt er zuhause: „Ich muss da zu so einer Sitzung des DFB, die haben mich eingeladen.“ Und ein paar Stunden später kommt er heim und sagt: „Schatz, ich bin jetzt Bundestrainer.“  

Oder 2004, als die TFK (Trainer-Findungs-Kommission) des DFB wochenlang einen Bundestrainer suchte, eine Absage nach der anderen erhielt, dann in Kalifornien Jürgen Klinsmann aufstöberte, der bis zu diesem Tag kein einziges Spiel oder eine Trainingseinheit als Trainer absolviert hatte – und uns dennoch zwei Jahre später das legendäre „Sommermärchen“ beschert hat?

Jetzt ist wieder Unterhaltung garantiert, der DFB sucht einen Bundestrainer. Spätestens, als man Ausschnitte der DFB-Dokumentation aus Katar sah, Trainer-Beispiele von „Graugänsen“ und Spieler, die zu spät zu langatmigen Besprechungen kamen – also das genaue Gegenstück vom „Sommermärchen“ – war klar: Das geht keine Woche mehr gut.

Und katastrophale Kommunikation ist beim DFB fast immer inclusive. Wer die Meldung der Freistellung des Bundestrainers mittenrein in das Endspiel um die Basketball-Weltmeisterschaft veröffentlicht, der zeigt auch das Hauptproblem: Die Bodenhaftung, der Respekt vor der Leistung anderer, das Gefühl für die Fans ist irgendwo zwischen Moskau und Katar verloren gegangen.

Dabei ist die Ursachenforschung gar nicht so kompliziert. Oder wie motiviert sind Sie, wenn ihr Chef Tag für Tag nur übelgelaunt auftritt, ohne jegliche Energie, ohne jegliche Dynamik, ohne Vision, ohne Überzeugungskraft – und es am Ende nur Negativ-Erlebnisse gibt. Den Profifußball Fußball auf seinen Beruf zu übertragen – was ja auch der Realität entspricht – hilft immer weiter. Und dabei sollte man noch berücksichtigen, dass es sich beim Fußball um einen Beruf handelt, in dem Emotionen die entscheidende Rolle spielen.

Wie kann man drei Tage nach dem 1:4 gegen Japan 2:1 gegen Frankreich gewinnen? Wenn bei der einen Mannschaft alles stimmt, bringen die Spieler schon mal 120 Prozent – und wenn bei der anderen halt gar nichts mehr stimmt, bleibt`s bei denen bei 80. Wie im Beruf: Wenn dem Chef die Glaubwürdigkeit, die Kompetenz und die Energie fehlt, gehen die Mitarbeiter halt auch mal zehn Minuten vor Feierabend heim. Und das alles ist dann keine Frage des monatlichen Verdienstes.

Da braucht man nur auf die Ostalb schauen. Da kriegen die Spieler auch Geld für ihren Beruf. Im üblichen Rahmen. Aber Frank Schmidt ist jetzt seit 16 Jahren Trainer beim 1. FC Heidenheim und somit ab sofort der dienstälteste Coach im deutschen Profifußball. Er hat alleine mehr Leidenschaft und Energie als der gesamte Trainerstab der deutschen Nationalmannschaft zusammen. Auch nach so vielen Jahren brennt er für seinen Verein und steckt damit seine Spieler an.

Und es kommt auch nicht von ungefähr, dass der einzige Trainer, der Frank Schmidt diesen Rekord irgendwann mal abnehmen könnte, Christian Streich ist, inzwischen seit zehn 10 Jahren Cheftrainer des SC Freiburg. Alle Vereine wollen immer sein wie der SC Freiburg – aber wenn es zum ersten Mal ernst wird, handeln sie eben doch wie Schalke 04 oder Hertha BSC Berlin. Auch der VfB Stuttgart hat in der gleichen Zeit, in der Frank Schmidt Trainer in Heidenheim war, sage und schreibe 23 Trainer verpflichtet. Da kann sich Holger Sanwald gemütlich zurücklehnen und sagen: „Ich habe in meiner ganzen Zeit beim FC Heidenheim noch keinen einzigen Euro Abfindung an einen Trainer bezahlt.“ Und da kommen bei anderen Vereinen in ein paar Jahren schnell mal eine zweistellige Millionen-Zahl zusammen. Selbst beim Deutschen Fußball-Bund kann man da seit diesen Tagen nachfragen.”

 

Wer ist Roland Eitel?

Roland Eitel, leidenschaftlicher Bewohner Ludwigsburgs, trägt seit 1990 die Kappe des Sportberaters und hat im Laufe seiner Karriere prominente Persönlichkeiten wie Jürgen Klinsmann, Joachim Löw und Mario Götze betreut. Seine Expertise war bei sieben Fußball-Weltmeisterschaften, sechs Europameisterschaften und sogar vier Olympischen Spielen gefragt. Doch Roland Eitel ist mehr als nur ein Berater – er ist auch ein veröffentlichter Buch-Autor, Dozent an renommierten Hochschulen und ein gefragter Redner, der seine Leidenschaft für den Sport in inspirierenden Vorträgen teilt.

“Es ist Eure Wahl” – Ein Kommentar von Ayhan Güneş

Die erste Runde der Präsidentschaftswahl in der Türkei am 14. Mai 2023 ist vorbei, und am 28. Mai steht die Stichwahl bevor. Im Vorfeld dieser Wahlen haben sich zahlreiche führende Politikerinnen und Politiker aus Deutschland deutlich gegen die aktuelle türkische Regierung positioniert und für einen Machtwechsel plädiert. Dieses Eingreifen in den Wahlkampf eines anderen souveränen Landes wirft wichtige Fragen auf und erfordert eine sorgfältige Betrachtung.

Spulen wir kurz zurück: Vor dem eigentlichen Wahldatum wurden türkische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, die in Deutschland leben, dazu aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Die Wahlbeteiligung war hoch, und laut den vorläufigen Zahlen der türkischen Wahlbehörde gaben rund 730.000 Personen in Deutschland ihre Stimme ab. Die Wahlbeteiligung bundesweit lag bei etwa 48,8 Prozent.

Nachdem knapp 98 Prozent der Wahlurnen geöffnet wurden, steht laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu fest: Der amtierende Präsident konnte in Deutschland mehr als 65 Prozent der Stimmen für sich verbuchen, was mehr als 460.000 Wahlberechtigten entspricht. Auf den Herausforderer entfielen knapp 33 Prozent der Stimmen.

Das Eingreifen ausländischer Politiker in die Wahlen anderer Länder ist eine kontroverse Angelegenheit. Befürworter argumentieren, dass politische Akteure ihre Meinung frei äußern können sollten, insbesondere wenn es um Menschenrechte, Demokratie oder andere grundlegende Werte geht. Sie könnten behaupten, dass das Eingreifen in den türkischen Wahlkampf eine Möglichkeit für deutsche Politiker war, ihre Unterstützung für Oppositionskandidaten zum Ausdruck zu bringen und sich für ihre politischen Überzeugungen einzusetzen.

Auf der anderen Seite könnten Kritiker argumentieren, dass ausländische Politiker sich nicht in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes einmischen sollten. Einige könnten dies als Einmischung in die Souveränität und die demokratischen Prozesse des Landes betrachten. Darüber hinaus könnte argumentiert werden, dass das Eingreifen ausländischer Politiker die innenpolitische Dynamik und den Wahlprozess eines Landes beeinflussen könnte.

Es ist verständlich, dass politische Akteure ihre Unterstützung für demokratische Werte und Menschenrechte zum Ausdruck bringen möchten. Insbesondere in Fällen, in denen grundlegende Prinzipien und Freiheiten in Frage gestellt werden, verspüren politische Führungspersonen den Drang, ihre Stimme zu erheben und Solidarität mit der Opposition zu zeigen. Dies könnte als Ausdruck des Glaubens an universelle Werte und des Engagements für eine gerechtere Zukunft betrachtet werden.

Dennoch ist es wichtig, die möglichen Auswirkungen einer solchen Einmischung zu bedenken. Wahlempfehlungen aus dem Ausland könnten zu Reaktionen bei den Wählerinnen und Wählern führen, die sich von den politischen Entscheidungsträgern in Deutschland bevormundet fühlen könnten. Der Widerstand aus Trotz oder der Wunsch nach Unabhängigkeit könnten dazu führen, dass einige Wählerinnen und Wähler bewusst das Gegenteil von dem tun, was empfohlen wurde.

Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass eine starke Einmischung aus dem Ausland die innenpolitische Dynamik eines Landes beeinflusst und das Vertrauen der Wählerschaft untergräbt. Die Souveränität eines Landes sollte respektiert werden, und die Entscheidungen über politische Führungspersonen sollten vor allem von den Wählerinnen und Wählern im Inland getroffen werden.

Es ist daher wichtig, dass politische Mandatsträger die Balance zwischen dem Ausdruck ihrer Überzeugungen und dem Respekt vor den demokratischen Prozessen anderer Länder finden. Die Meinungsfreiheit ist ein grundlegendes Recht, aber auch die möglichen Konsequenzen einer Einmischung in einen Wahlprozess müssen bedacht werden. Eine verantwortungsvolle und respektvolle Herangehensweise ist erforderlich, um das Vertrauen in demokratische Prozesse zu wahren und den Wählern die Freiheit zu lassen, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen – unabhängig davon, wie diese aussehen mögen.

Gerichtsentscheidung stärkt kommunale Wohnungsgesellschaften im Kampf für bezahlbaren Wohnraum – Ein Kommentar von Ayhan Güneş

Ein Kommentar von Ayhan Güneş

In einer Zeit, in der bezahlbarer Wohnraum zur Mangelware geworden ist und viele Menschen sich keine Wohnung mehr leisten können, ist die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs in Mannheim ein wichtiges Signal. Denn sie stärkt nicht nur die Position der städtischen Wohnungsbaugesellschaft in Ludwigsburg, sondern setzt ein starkes Zeichen für alle Städte und Kommunen in Deutschland.

Es ist höchste Zeit, dass bezahlbarer Wohnraum wieder zu einer Selbstverständlichkeit wird. Denn Wohnen ist ein Grundrecht, das für alle Menschen erschwinglich sein muss. Die politischen Maßnahmen der Vergangenheit haben bislang nicht ausreichend gewirkt, um die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt zu entspannen. Daher müssen alle Akteure im Wohnungsbau zusammenarbeiten, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen – sei es durch den sozialen Wohnungsbau, durch die Mietpreisbremse oder auch durch den Verkauf von Eigentumswohnungen.

Es bleibt jedoch eine Herausforderung, genügend bezahlbaren Wohnraum in Städten und Gemeinden zu schaffen. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs ist nur ein Teil der Lösung. Es ist wichtig, dass alle Akteure im Wohnungsbau zusammenarbeiten, um innovative Lösungen zu finden, die bezahlbaren Wohnraum schaffen. Hier sind auch die privaten Bauträger gefragt, die sich an der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum beteiligen können.

Letztlich muss aber auch die Politik handeln. Es braucht eine bundesweite Strategie, um den Wohnungsmarkt zu entlasten und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Die Mietpreisbremse, der soziale Wohnungsbau und der Verkauf von Eigentumswohnungen sind nur einige Instrumente, die eingesetzt werden können. Aber es braucht auch Mut zu innovativen Konzepten und eine gemeinsame Anstrengung aller Beteiligten, um bezahlbaren Wohnraum wieder zur Selbstverständlichkeit zu machen.

Die Frage, ob kommunale Bauträger Eigentumswohnungen selbst verkaufen dürfen, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, ist nicht nur legitim, sondern auch von großer Bedeutung. Die klare Antwort: Sie dürfen! Das ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung und ein Signal für alle, die sich für bezahlbaren Wohnraum engagieren.

Das Urteil gibt den kommunalen Bauträgern die Möglichkeit, aktiv gegen Wohnungsnot vorzugehen. Gerade in Zeiten, in denen bezahlbarer Wohnraum immer knapper wird und sich Wohnungen zu einem Luxusgut entwickeln, ist es wichtig, dass kommunale Bauträger wie die WBL preisgünstigen Wohnraum schaffen und sich hierfür auch durch den Verkauf von Eigentumswohnungen refinanzieren können. Eine gute Zusammenarbeit zwischen kommunalen Bauträgern und privaten Bauherren ist dabei unerlässlich, um mehr Wohnungen im Stadtgebiet zu bauen und die Wohnungsnot zu bekämpfen

Der Energiemarkt ist kaum mehr zu verstehen: Ein Fachbeitrag von Ebru Yilmaz

Der Strom- und Gasmarkt schlägt aktuell Kapriolen. Für Verbraucher ein fast unmögliches Unterfangen da den Überblick zu behalten. Schuld daran ist auch die Politik. Unsere Gastautorin Ebru Yilmaz mit dem Versuch etwas Licht ins Dunkel zu bringen.

Ein Gastbeitrag von Ebru Yilmaz:

Der russische Angriff und damit einhergehend der Krieg in Ukraine hat eine Dekade der zuverlässigen und bezahlbaren Erdgasversorgung bzw. Import, anhaltend beendet. Zudem kommt der steigende Bedarf nach Erdgas aus Asien. Bislang war es leider so, das gut 90% des Erdgas Jahresaufkommens vornehmlich aus Russland, Norwegen und Niederlande importiert wurde. Der Löwenanteil stammte aus Russland. Der weitaus bedeutendste Markt für Erdgas war bislang der Wärmemarkt. Gas wird allerdings gegenwärtig nicht nur für die Erzeugung von Wärme genutzt, sondern spielte für den Strombereich ebenso eine zentrale Rolle. Bislang hatte das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz in Erdgas im Vergleich zu anderen fossilen Energieträgern Vorteile gesehen und diese auch als klimafreundlicher eingestuft. Aufgrund der jüngsten Ereignisse ist es jedoch nicht mehr länger möglich auf Erdgas zu setzen. Knappheit ist da, Preise sind explodiert. So suchen Experten nach Alternativen für Erdgas sowohl im Bereich der Verstromung als auch im Bereich der Wärmegewinnung.

Das aktuelle Wärmeproblem, löst gleichzeitig auch eine Herausforderung in der Stromversorgung aus. Denn Erdgaskraftwerke werden sowohl für Strom- als auch für die Wärmeproduktion eingesetzt. Wenn es an einer Stelle für die eine Energieart fehlt, fehlt es gleichzeitig auch an anderer Stelle für die andere Energieart. Des Weiteren kann eine steigende Elektrifizierung im Wärmemarkt das Stromsystem zusätzlich aus- und belasten. Mitunter auch aus diesen Überlegungen heraus sollen für die Stromnetzstabilisierung die drei am Netz verbliebenen Atomkraftwerke vorübergehend weiterbetrieben werden. Denn Erdgas soll aus der Verstromung raus und diese Lücke muss gefüllt werden.

Die beschriebenen Umstände haben in den letzten Monaten die Strom- und Erdgaspreise rasant in die Höhe getrieben. Um die Kostenbelastung der Bürgerinnen und Bürger zu reduzieren, hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz eine  ExpertInnen-Kommission Gas und Wärme gegründet. Nachfolgend werden eine Auswahl der Entlastungspunkte erläutert.

Entlastungen im Wärmesegment:

Wie bekannt, hat die Bundesregierung Ende September die angekündigte Gasumlage gestoppt und wird diesen nicht auf die Gaspreise aufschlagen. Parallel dazu wurde beschlossen, die Umsatzsteuer bis März 2024 für den ganzen Gas- und Fernwärmeverbrauch von 19 auf nun 7 Prozent zu senken.

Der Bericht der ExpertInnen-Kommission Gas und Wärme sieht im Entlastungspaket zusätzlich nachfolgende Maßnahmen vor:

Einmalzahlung im Dezember:

  • Der Staat wird die Dezember Abschlagszahlung aller Gas Haushaltskunden, sowie aller Gewerbekunden mit einem Jahresverbrauch von unter 1,5 Mio kWh und auch aller Fernwärmekunden übernehmen (außer Industriekunden und Stromerzeugungskraftwerke).
  • Im Rahmen der Dezember Abschlagszahlung kann folgende Berechnung eine einfache Orientierung darstellen:

Bei einem Jahresverbrauch von bspw. 12.000 kWh, wäre der Monatsverbrauch im September 1.000 kWh. Bei einem Vertragspreis von 18 ct/kWh beläuft sich die Einmalzahlung für Dezember auf 180 EUR.

  • Bei Wohnungseigentümergemeinschaften wird die Gutschrift im Rahmen der Nebenkostenabrechnung gem. dem Verteilungsschlüssel auf die Wohnungen verteilt.

Gaspreisbremse:

  • Voraussichtlich für den Zeitraum 01.03.2023 – bis 30.04.2024 soll für 80% des Jahresverbrauches, der Grundkontingent genannt wird, ein Brutto Gaspreis von 12 ct/kWh angesetzt werden. Dieser Preis beinhaltet alle Umlagen, Abgaben, Steuern und Netznutzungsentgelte.

Beispiel: Für ein Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 12.000 kWh wäre das Grundkontingent 9.600 kWh welches mit der Preisobergrenze von 12 ct/kWh bewertet werden soll, (anstelle des Vertragspreises von bspw. 18 ct/kWh). So wäre das Ersparnis für ein Abrechnungsjahr ca. 816 EUR. Wenn der Verbraucher weniger Erdgas verbraucht als der Berechnung zugrunde gelegt wurde, muss es die Differenz nicht zurückzahlen, sondern erhält im Rahmen der Jahresabrechnung eine entsprechend, zusätzliche Rückzahlung. Die beschriebene Gaspreisbremse bezieht sich auf den Arbeitspreis eines Gasliefervertrages. Der Grundpreis, der  verbrauchsunabhängige Kosten beinhaltet, soll in ihrer jeweiligen Höhe aus September 2022 eingefroren und wenn möglich nicht weiter erhöht werden. Preisanpassungen am Grundpreis sind jedoch nicht ausgeschlossen.

  • Analog zum Gaspreis soll für Fernwärme ebenso ein Brutto-Preis von 9,5 ct/kWh eingeführt werden.

Die entstandenen Preisrabatte müssen bei der Einkommenssteuererklärung angegeben werden.

  • Zusätzlich beschreibt die Kommission einen Hilfefonds für besonders betroffene Härtefälle mit zinsloser Liquidität Hilfe. Die Definition des Härtefalls ist noch nicht abschließend bestimmt.
  • Wohngeldempfänger sollen ab Januar 2023 zusätzliche Heizkostenzuschüsse erhalten.

Weitere Entlastungsmaßnahmen sind im nachfolgenden Link abrufbar.

Entlastung für Industriekunden:

  • Für Großverbraucher aus der Industrie soll für 70% des Jahresverbrauches (Grundkontingent) aus 2021 ein Erdgas Beschaffungspreis von 7 ct/kWh netto gelten (anders als bei Privathaushalten wie oben beschrieben, ist dieser Preis zuzüglich aller Umlagen, Abgaben, Steuern und Netznutzungsentgelte). (Für energieintensive Industriekunden die mit beachtlichem Erdgaseinsatz Dampf herstellen, beläuft sich die Preisdeckelung auf 10 ct/kWh netto). Diese soll lt. Kommission vom 01.01.2023 – 30.04.2024 gelten. Um Missbrauch zu vermeiden plant die Bundesregierung stringente Prüfungen.

Strompreisbremse:

Neben den genannten Maßnahmen in Bezug auf Wärme, hat der Europäische Rat Ende September Notfallmaßnahmen unter anderem zur Senkung der Strompreise und auch zur Reduzierung der Stromnachfrage beschlossen. Dabei sollen Unternehmen die fossile Brennstoffe herstellen und aufgrund der Marktsituation zusätzliche Übergewinne/Zufallsgewinne erwirtschaften konnten, einen Teil der überschüssigen Einnahmen an stark betroffene Endverbraucher (Privathaushalte und Unternehmen) transferieren. In diesem Zusammenhang wird zum 01. Januar 2023 die Strompreisbremse eingeführt.

Haushalte und Unternehmen aus dem kleinen und mittleren Segment werden mit einer Preisdeckelung von 40 ct/kWh entlastet. Bei einem angenommenen Durchschnittspreis im Jahr 2023, in Höhe von ca. 70 ct/kWh und einem Jahresverbrauch von 5.000 kWh beläuft sich die Entlastung auf ca. 1.500 EUR innerhalb eines Abrechnungsjahres. Der Strompreis für das Kalenderjahr 2023 ist jedoch abhängig von der Beschaffungsstrategie des Energielieferanten, so dass der in diesem Artikel prognostizierter Preis nur eine allgemeine Annahme darstellen kann.

Exkurs Energiepreiszusammensetzung:

Der Erdgaspreis

Der nackte Großhandelspreis für Erdgas am Terminmarkt* notiert derzeit für das Lieferjahr 2023 zwischen 13 ct/kWh – 19 ct/kWh und für das Lieferjahr 2024 bei ca. 9 ct/kWh – 12 ct/kWh. Hinzu kommen regulierte Netznutzungsentgelte, staatlich festgelegte Steuern sowie die CO2 Abgabe die seit 2021 auf alle Endverbraucher umgelegt wird. Der Erdgaspreis für ein Privathaushalt mit ca. 20.000 kWh/p.a. liegt derzeit für das aktuelle Lieferjahr 2022 bei knapp 15,29 ct/kWh. Für Folgezeiträume ab 2023 und fortfolgende Lieferjahre wird der Erdgaspreis einen deutlichen Sprung verzeichnen, denn Energieversorger die jetzt Erdgas für die nächsten 2-3 Jahre beschaffen, sind mit den aktuell historisch gestiegenen Preisen konfrontiert. Die Bundesregierung will dem mit den oben erwähnten Maßnahmen gegensteuern und eine temporäre Abfederung ermöglichen.

Die nachfolgende Grafik des Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft veranschaulicht die Erdgaspreisentwicklung. Die Erdgaspreise am Großhandelsmarkt (fällt in den Bereich Beschaffung und Vertrieb) sind extrem Volatil und verändern sich an der Börse mehrmals am Tag. Die Sprünge innerhalb eines kurzen Zeitraums, beispielsweise einer Woche, sind enorm. Die Auswirkungen der gegenwärtigen extremen Preisniveaus werden Verbraucher somit aufgrund der aktuellen Einkäufe der Energieversorger für die nächsten Kalenderjahre, erst zeitversetzt zu spüren bekommen. Es sei denn, die Entlastungen der ExpertInnen Kommission werden zeitlich verlängert. 

Das gleiche gilt auch für Strom. Die derzeitigen Strompreise für die Kalenderjahre 2023 und 2024 bewegen sich am Terminmarkt seit Juli ungefähr zwischen 35 ct/kWh und 90 ct/kWh. Dies ist der reine Großhandelspreis, hinzu kommen alle Umlagen, Abgaben, Steuern und Netznutzungsentgelte die in der nachfolgenden Grafik zu sehen sind. Dort ist zu sehen, dass der aktuelle Strompreis für ein Privathaushalt bei rund 18 ct/kWh liegt, dies ist der Preis der 1-3 Jahre im Voraus am Großhandelsmarkt für das aktuelle Jahr 2022 gesichert wurde. So wird deutlich, in welchem Ausmaß die gegenwärtige Preisrally ist. Analog zu Erdgas, werden auch im Strombereich die Auswirkungen der derzeitigen Preisextreme in den nächsten Perioden, respektive Liefer- bzw. Kalenderjahren zu spüren sein, ausgenommen die politische Gegensteuerung wird für weitere Zeiträume ausgedehnt.

Studien gehen davon aus, dass Energiepreise noch länger schnellen und sehr starken Preisänderungen unterworfen bleiben werden – auch nach der derzeitigen Energiekriese. Dieser finanzieller Umstand macht Effizienz, neben der Motivation für den Klimaschutz, zusätzlich lohnender. Eine zielgenaue Entlastung von Betroffenen mit den genannten Maßnahmen gestaltet sich in der praktischen Umsetzung verteilungspolitisch und administrativ als eine Mammutsaufgabe. Zugleich ist sie eine Symptombekämpfung. Die europäische Union arbeitet mit den Maßnahmen aus dem Paket „Fit für 55“ für die Erreichung der Klimaneutralitätsziele, nämlich die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55% gegenüber 1990 zu senken. Eine hohe Unabhängigkeit in der Energieversorgung muss jedoch deutlich früher erreicht werden.

Der Gebäudesektor kann und wird in diesem Zusammenhang einen gravierenden Beitrag zur Dekarbonisierung und dem Nachfragerückgang nach fossilen Energieträgern leisten, da der gebäuderelevante Endenergieverbrauch am gesamten Endenergieverbrauch bei 44 Prozent liegt. Deshalb arbeiten Experten an Kombilösungen. Dabei geht es darum, strombasierte Lösungen wie Wärmepumpen mit klimafreundlichen Gasen und Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen zu verbinden, um zum einen den Strombedarf nicht zu überstrapazieren und gleichzeitig den Bedarf nach fossilen Energieträgern maßgeblich zu senken.

Je höher der Anteil von Energie aus regenerativen Quellen, desto geringer die Abhängigkeit von externen Marktakteuren in Bezug auf die Energieversorgung.

Infos zur Autorin: Ebru Yilmaz ist Akademikerin mit Schwerpunkt Energie und Umwelt. Derzeit ist sie im Bereich technische Energiedienstleistungen sowie Nachhaltigkeitsmanagement tätig.

 

Quellen:

www.bundesregierung.de

www.bmwk.de

www.bdew.de

www.umweltbundesamt.de

www.consilium.europa.eu

Glossar: Terminmarkt: Handel von Energielieferungen für die Zukunft. i.d.R. von 5 Wochen bis zu 4 Jahren im Voraus.

Im Ukrainekrieg braucht es wieder Diplomatie

Nur Waffen zu liefern führt in eine gefährliche Sackgasse! Ein Gastbeitrag von Konrad Seigfried – ehemaliger Erster Bürgermeister der Stadt Ludwigsburg.

Der menschverachtende Angriffskrieg von Russland gegen die Ukraine hat eine riesige Welle der Hilfsbereitschaft ausgelöst: die Aufnahme von mittlerweile rund einer halben Million geflüchteter Menschen allein in Deutschland, humanitäre Hilfe und jede Menge bürgerschaftliches Engagement, wirtschaftliche Unterstützung und auch die Bereitstellung von Waffen und Munition. Alles geleitet von humanitären Überlegungen und der klaren Überzeugung, dass ein Land seine Souveränität verteidigen darf und muss. Das ist allemal unsere Unterstützung wert, ob auf privater oder staatlicher Ebene.

STOP WAR, STOP PUTIN, stand with Ukraine“ lautete die große gemeinsame Botschaft. Jetzt ist der Krieg aber bereits im dritten Monat und zunehmend stellt sich mir die Frage: was ist denn im Augenblick das Ziel unserer Unterstützung? Moralisch ist das eindeutig, politisch sehe ich aber derzeit keine Initiative. Was sind die Ziele unseres Landes und der westlichen Alliierten? STOP WAR braucht doch erreichbare Ziele, braucht Gespräche, braucht vor allem Verhandlungsgrundlagen. Über was soll verhandelt werden? Waffenstillstand? Der vollständige Rückzug Russlands aus der Ukraine, also auch von der Halbinsel Krim? Wenn ich mir die Verlautbarungen der ukrainischen Regierung anschaue ist das wohl das Ziel. Aber was ist unser Ziel?

Deutschland ist jetzt die Zielscheibe geworden für immer umfassendere Forderungen nach schweren Waffen, also Panzer und Artillerie. Der unsägliche ukrainische Botschafter Andrej Melnik (Ist er eigentlich Botschafter oder Waffenlobbyist, Chefankläger oder Stichwortgeber für geneigte Medien?), der den Präsidenten des Landes in dem er akkreditiert ist, beleidigt, sich über den Bundeskanzler lustig macht, läuft mit einer ganzen Bestellliste an Waffen umher, die wir der Ukraine angeblich schulden.

Während jetzt (fast) alle Politiker/innen von einem Zeitenwechsel sprechen und sich für die Politik der letzten Jahrzehnte entschuldigen, freue ich mich über Stimmen, wie die des Publizisten Theo Sommer. In einer Kolumne für die Wochenzeitung Die Zeit schreibt er unter anderem: “Die Entspannungspolitik war keine Lebenslüge. Außerdem ist Diplomatie, obwohl keine Friedensgarantie, nie eine Zeitverschwendung. Schließlich war Putin nicht von Anfang an der „nihilistische Desperado“ und: „Die Kombination von Abschreckung und Diplomatie hat uns fünf Jahrzehnte Frieden beschert.“

An diplomatischen Impulsen fehlt es zur Zeit völlig. Putin und Russland wollen die Ukraine „entnazifizieren“, was nichts anderes bedeutet, als zumindest zum Teil zu erobern. Die Ukraine möchte die vollständige Wiederherstellung seiner Souveränität, was nichts anderes heißt, als die Krim und die Ostprovinzen. Das wird nicht funktionieren. Hier wird einer verlieren.

Wer den Krieg jetzt wirklich stoppen will, braucht Vorschläge, wie die aktuell ausweglos scheinende Situation befriedet werden kann. Das ist eigentlich die Stunde der Diplomatie. Stattdessen reisen immer mehr westliche Politiker/innen ziemlich zweckfrei nach Kiew, um sich vor Ort vom Schrecken des Krieges zu überzeugen. Solidarität ist wichtig, aber ist das Solidarität oder nicht eher die medienwirksame Produktion von Bildern? Den Schrecken des Krieges kann man an vielen Stellen der Welt erleben. Wer hat zuletzt die Kurdengebiete im Irak oder Syrien besucht, wenn unser NATO-Partner Türkei mal wieder dort einmarschiert ist oder bombardiert hat?

Außenpolitik ist leider, wie es Willy Brandt einmal klug bemerkte:“ der illusionslose Versuch zur friedlichen Lösung von Problemen“ Genau diese illusionslosen Versuche braucht es weiter.

Wenn die Ukraine nach immer mehr und besonders nach schweren Waffen ruft, dann müssen wir klar machen, dass es dafür Bedingungen gibt: nämlich die Bereitschaft zu Verhandlungen mit Russland, der Verzicht darauf diese Waffen für Angriffe in Russland einzusetzen und eine Rückgabeverpflichtung nach Beendigung des Krieges*. Und gegenüber Russland muss klar gemacht werden, dass wir die Ukraine mit schweren Waffen unterstützen, wenn die Angriffe fortgesetzt werden.

Direkte Gespräche führen, verhandeln, Kompromisse suchen, Interessen ausgleichen, Vertrauen aufbauen waren die Erfolgsfaktoren, um den kalten Krieg zu überwinden. Das ist die Aufgabe unserer Regierungen und Diplomaten. Nur mehr Waffen zu liefern ist keine Lösung.

Bei allem was wir heute wissen, ist doch eines klar: Russland wird die Krim nicht mehr aufgeben (die dortige Bevölkerung will auch mit großer Mehrheit zu Russland, wie wir aus unserer Partnerstadt Jewpatoria leider schon lange wissen) und für die östlichen Provinzen der Ukraine, braucht es ein Mandat, dass einen dauerhaften Waffenstillstand (wenn nicht Frieden) sichert. Das könnte zum Beispiel ein UN-Mandat mit einer Volksabstimmung nach 10 oder 15 Jahren sein.

Wenn nicht endlich wieder Diplomatie in den Vordergrund tritt und Lösungen – so schwierig sie auch sind – gesucht werden, steuern wir nahezu ungebremst in einen großen Krieg, vielleicht in einen atomaren oder Weltkrieg. Und sage keiner, das hätte man nicht voraussehen können!

Russland und die Ukraine müssen jetzt an den Verhandlungstisch gezwungen werden. Waffenlieferungen allein sind keine Lösung!

* Unter den europäischen Staaten belegen laut Transparency international in 2019 Russland dicht gefolgt von der Ukraine die Spitzenplätze mit der höchsten Korruption. Was passiert eigentlich mit Waffen und Munition, wenn diese nicht mehr gebraucht werden?

 

Ukraine-Krieg: Unsere Freunde – wo sind sie geblieben? Ein Gastbeitrag von Dr. Rainer Haas

Bis zum 24. Februar dieses Jahres waren wir nur von Freunden umgeben – und jetzt ist Krieg! Über Jahrzehnte hatten wir uns an den Frieden gewöhnt. Der Zweite Weltkrieg lag über 75 Jahre zurück, Europa gewährte uns ein Leben in Freiheit, die Mauer fiel, in der Europäischen Union stritt man sich über Schulden, Brexit, Flüchtlingsverteilung und Corona, und die Nato wurde als hirntot bezeichnet. Das alles hat uns blind gemacht, vor allem auch die politischen Ebenen bis hin zur Europäischen Union. In Deutschland wurden die Verteidigungsausgaben heruntergefahren und die “Wehrpflicht” abgeschafft. Die Wirtschaft florierte und trieb Handel weltweit. Produktion und Fertigung lebenswichtiger Medikamente und zentraler Komponenten unserer Industrie wurden in Länder außerhalb Europas verlagert, wo die Löhne am niedrigsten und die Preise am günstigsten waren, und die für einen Wirtschaftsstandort à la Bundesrepublik dringend notwendige Energie wurde zu einem immer größeren Teil aus Russland bezogen. Heute ist es fast nicht mehr vorstellbar, dass unsere Abhängigkeit von russischem Gas bis noch vor wenigen Wochen durch Nordstream II weiter zementiert werden sollte und dies bedeutende Politiker/innen standhaft als rein wirtschaftliches Projekt bezeichnet hatten. Deutschland bemühte sich darin, allen zu gefallen und entgegenzukommen. Es war die Zeit der “Appeasement-Politik”.

Was für ein böses Erwachen! Niemand auf der politischen Ebene, aber offensichtlich auch nicht in den maßgeblichen Wirtschaftskreisen hatte der Tatsache, dass der russische Präsident die Milliarden-Einnahmen aus dem Verkauf von Kohle, Erdöl und Gas an Deutschland und andere Staaten der Europäischen Union besonders gerne in Waffen und seine Armee investierte, die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt. Seine “militärischen Operationen” in Tschetschenien, Georgien waren zu weit weg, um bei uns größere Aufmerksamkeit zu erregen, der gelegentliche “Todesfall” eines Regimekritikers eher unbedeutend, und nicht einmal die Besetzung der Krim stand dem Nordstream II- Projekt entgegen!

Doch jetzt hilft es wenig, über die in der Vergangenheit gemachten Fehler zu lamentieren. Nach der nun eingetretenen “Zeitenwende” können wir nur nach vorne blicken und rasch die notwendigen Konsequenzen ziehen.

Ganz Europa befindet sich im Krieg! Der russische Präsident hat unserer europäischen, freiheitlich-demokratischen Grundordnung, der Art, wie wir leben, den Kampf angesagt. Diesen Kampf führen für uns die Ukrainerinnen und Ukrainer unter der Führung von Präsident Wolodymyr Selenskyj. Wenn sie den Krieg verlieren sollten, weiß niemand, was der russische Präsident als nächstes plant zur Umsetzung seiner auf langer Hand geplanten Großmacht-Phantasien. Neben der Aufnahme von ukrainischen Kriegs-Flüchtlingen sind wir Europäer auch im eigenen Interesse zu konsequenten Sanktionen gegenüber Russland und Waffenlieferungen an die Ukraine verpflichtet. Es ist zu hoffen, dass beides erfolgt und nicht zu viel davon in politischen Debatten zerredet wird.

Deutschland kann nicht umhin, wieder einen deutlich größeren Verteidigungs-Beitrag zu leisten. Auf Amerika können wir uns nicht mehr verlassen. Das wissen wir seit der Amtszeit von Präsident Trump, aber wir wissen nicht, wie es in Amerika nach Präsident Biden weitergehen wird. Wir sollten – nicht nur deshalb – auch die Situation bei uns in Deutschland überdenken. Die Einführung eines sozialen Jahres für alle jungen Menschen – in einer sozialen Einrichtung in Deutschland, einem europäischen Mitgliedstaat oder aber in der Armee – sowie die stärkere Thematisierung der Bedeutung unseres Staatswesens und Europas im Schulunterricht würden die Verbindung zwischen Bürger und Staat/Europa stärken. Die Politik sollte auch im Übrigen nicht davor zurückschrecken, ihren Bürger/innen außer Ansprüchen und Rechten gelegentlich auch Pflichten aufzuerlegen. Und anstatt in immer größerem Maße Partikularinteressen Beachtung zu schenken, sollte dem Interesse der Allgemeinheit wieder mehr Bedeutung zugemessen werden. Dies ist für die Handlungsfähigkeit eines Staates unabdingbar. Dazu gehört auch die ehrliche Ansage an die Bevölkerung, dass der Krieg in der Ukraine Folgen haben wird für Deutschland und die Staaten der Europäischen Union – nicht nur in emotionaler und politischer Hinsicht, sondern auch wegen seiner finanziellen Konsequenzen. Dies wird auch Einschränkung und Verzicht bedeuten. Man sollte den Menschen nicht vorgaukeln, der Staat könne alles bezahlen und alles laufe weiter wie bisher.

Die letzten Skeptiker müssen endlich erkennen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht weiter auf die lange Bank geschoben werden darf! Als wäre die drohende Klimakatastrophe nicht schlimm genug, ist jetzt hoffentlich die geo-strategische Bedeutung der Energiegewinnung allen Verantwortlichen klar vor Augen geführt worden. Durch den Kauf fossiler Energien über zu viele Jahre haben wir totalitäre Staaten stark gemacht. Deutschland – und in der Folge Europa – muss energetisch autark werden. Der Ausbau von Windkraft und Photovoltaik muss konsequent und energisch vorangetrieben und darf nicht länger in politischen Hinterzimmern verzögert werden. Parallel dazu müssen wir auch in die Datensicherheit investieren. Spätestens die Abstimmung bei den Briten über den Brexit und die Trump-Wahl in den USA haben uns deutlich gemacht, dass heute von außen versucht wird, auf Abstimmungen und Wahlen auf digitalem Weg Einfluss zu nehmen. Schon lange ist im Netz ein Cyber-Krieg in vollem Gange. Auch sollte es nicht sein, dass die großen Provider vor allem in Amerika sitzen!

Wir alle in Europa müssen uns wieder auf die politisch-strategische Bedeutung der Europäischen Union und der Nato zurückbesinnen! Die Situation in einer von Großmächten dominierten globalen Welt, die drohende Klimakatastrophe, Corona und jetzt der Angriffskrieg auf die Ukraine haben uns eindrücklich vor Augen geführt, welche Rolle Deutschland, aber auch die übrigen europäischen Mitgliedstaaten – jeder für sich – spielen würden ohne das Gewicht der europäischen Gemeinschaft. Deutschland muss bereit sein, in der Europäischen Union mit Freunden und bewährten Partnern, wie den großen EU-Gründerstaaten Frankreich und Italien, eine Führungsrolle zu übernehmen. Mehr Mehrheitsentscheidungen sind das Gebot der Stunde, um Blockaden durch einzelne Mitgliedstaaten zu verhindern. Die Weiterentwicklung der Europäischen Union im Sinne einer immer engeren Zusammenarbeit, wenigstens im Rahmen eines “Europas der zwei Geschwindigkeiten”, ist heute wichtiger denn je – allerdings auch eine klare Kante gegenüber jenen Staaten, die von der Rechtsstaatlichkeit und anderen europäischen Werten abweichen. Europäisches Geld darf es hier nicht geben!

Der Angriffskrieg des russischen Präsidenten auf die Ukraine kann – neben allem furchtbaren menschlichen Leid – auch eine Chance sein. Nutzen wir sie mit unseren europäischen Freunden!

 

„Alle die zur Freiheit nicht die Unfreiheit der anderen brauchen, sollen aufstehn“

Am Sonntag fallen die Masken – geht’s noch? Ein Gastbeitrag von Konrad Seigfried – ehemaliger Erster Bürgermeister der Stadt Ludwigsburg.

Am 2. April enden fast alle Beschränkungen, die mit der noch immer grassierenden Corona-Pandemie zusammenhängen. Nur für Kranken- und Pflegeeinrichtungen gelten noch besondere Regeln und nur noch im öffentlichen Personennahverkehr sind Masken noch Pflicht.

Ich reibe mir die Augen. Hat die aktuelle Infektionswelle nicht gerade ihren Höhepunkt erreicht? Stecken sich nicht gerade immer mehr Menschen an, auch die, die sich immer vorsichtig verhalten haben? (1.800 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner).

Sterben nicht noch täglich mehr als 300 Menschen an oder mit Corona? Seit dem Beginn der Pandemie sind es bereits 130.244 (Quelle: Zeit Online).

Sind die Infektionszahlen nicht so hoch, wie noch nie in dieser nun schon zwei Jahre andauernden Pandemie?

Nun haben glücklicherweise die beiden Omikron-Varianten leichtere Verläufe, als anfangs erwartet. Eine Überlastung der Intensivstationen ist nicht, wie befürchtet, eingetreten. Aber ist das Grund genug (fast) alle Vorsichtsmaßnahmen aufzuheben?

Ehrlich, ich versteh das nicht. Abstand halten und Masken tragen ist nun wirklich keine allzu große Belastung. Warum warten wir mit der Aufhebung dieser Regeln nicht bis die aktuelle Welle abgeflaut ist? Vielleicht noch vier Wochen.

Manche feiern jetzt gar einen Freedom-Day, einen Tag der Freiheit. Welche Hybris! Ich finde das nachgerade schamlos, angesichts eines parallel stattfindenden brutalen Eroberungskrieges von Russland (oder Putin) gegen die Ukraine, angesichts von Menschen in vielen Staaten (ich nenne nur China, Afghanistan, Saudi-Arabien …), die wirklich und unter massiven Bedrohungen für ihre Freiheit kämpfen. Freedom-Day – so verkommen Begriffe.

In welcher Blase leben wir eigentlich? Wir können es uns erlauben, den Wegfall von vernünftigen Maßnahmen zur Bekämpfung einer Pandemie, wie dem Abstandsgebot und der Pflicht zum Masken tragen, als Wiedergewinn unserer Freiheit zu feiern. Absurd! Ich habe in der letzten Woche das Kino besucht, vor zwei Wochen ein Basketballspiel angeschaut, im Restaurant gesessen und Kultur genossen. Immer unter Beachtung der erforderlichen Regelungen. Meine Freiheit war jedenfalls nicht besonders eingeschränkt.

Und die Leidtragenden? Unsere Pandemiebekämpfung hat sich in den zurückliegenden beiden Jahren immer an den besonders Schutzbedürftigen ausgerichtet. Alte Menschen und Vorerkrankte haben und hatten das höchste Risiko lebensbedrohlich zu erkranken. Für sie und natürlich zu unserem eigenen Schutz und zur Bekämpfung einer weltweiten Pandemie haben wir viele Einschränkungen ertragen. Die Lockdowns waren die schlimmsten. Das bisherige Verhalten und die Impfungen habe dazu beigetragen, diese Pandemie ziemlich gut zu bewältigen. Für diese besondere gefährdeten Menschen wird es jetzt darum gehen sich noch mehr selbst zu schützen. Sie sind es jetzt, die beim Einkaufen zusätzlich gefährdet werden. Sie sind es, die jetzt nicht mehr an Veranstaltungen teilnehmen können und Sie sind es, die sich auch privat noch mehr einschränken müssen!

Wie hat der österreichische Sänger Georg Danzer in seinem Lied „Morgenrot“ schon vor vielen Jahren geschrieben: „Alle die zur Freiheit nicht die Unfreiheit der anderen brauchen, sollen aufstehn“. Die neue große Freiheit von Beschränkungen bedeutet für viele alte Menschen und Menschen mit einer Vorerkrankung einen Verlust ihrer Freiheit.

Warum wir jetzt diesen Öffnungsschritt machen, weiß wohl nur die FDP. Die Bundesregierung hat auf ihr Betreiben das Infektionsschutzgesetz so geändert, dass kaum noch Auflagen möglich sind. „Eigenverantwortung“, ist jetzt das Zauberwort. Das Freiheitsverständnis der Liberalen ist nicht geprägt von Verantwortung, denn Freiheit ohne Verantwortung belastet immer andere. Hoffentlich fällt uns das jetzt nicht auf die Füße und wir stehen bald wieder vor härteren Einschränkungen.

Alle ernst zu nehmenden Virologen sagen deutlich: die Pandemie ist nicht vorbei. Und spätestens im Herbst ist wieder mit einer erneuten bedrohlichen Welle zu rechnen. Wer jetzt zu früh lockert und damit falsche Signale versendet, ist mit dafür verantwortlich, wenn die Impfpflicht nicht kommt und wenn wir im Herbst wieder neue Einschränkungen erleben. Was bleibt ist nichts als Hoffnung.

 

Zum Protest gegen den Ukraine-Krieg – raus aus der Komfortzone

Ein Gedankensplitter von Uwe Roth

An diesem Donnerstag haben sich erneut ein paar Hundert Menschen auf dem Ludwigsburger Marktplatz versammelt. Sie zeigten – auch in Gebeten – Solidarität mit der Bevölkerung in der Ukraine. Solche friedlichen Aktionen gegen Russland sind wichtig. Auch wenn man davon ausgehen kann, dass dies die Verantwortlichen im Kreml in keiner Weise beeindruckt. Putin schonmal gar nicht. Den Menschen im Kriegsgebiet hilft es wenig, wenn Eltern und ihre Kinder mit Ökokreide Friedenszeichen auf öffentliche Flächen in Ludwigsburg malen und danach die Bilder in den sozialen Netzwerken verteilen. Ein solcher Aufruf war in Facebook zu lesen.

Die Lage hat sich in dieser Woche dramatisch zugespitzt, dass man diese provokante Frage stellen darf: Wer will mit seinem Handeln tatsächlich etwas ändern? Oder wem geht es nur darum, mit den eigenen Ängsten vor einem möglichen Krieg klarzukommen. Helfen, ohne die geliebte Komfortzone zu verlassen, bringt in diesem Stadium der Krise nur noch wenig. Dazu zählt beispielswiese das Spenden von Klamotten, die man sowieso nicht mehr tragen will. Ein Helfer an der polnisch-ukrainischen Grenze hat flehentlich in die Kamera gesagt, wir sollen keine Textilien mehr schicken… Wer helfen will, der soll Geld an Organisationen überweisen, die dafür kompetent sind. Wer Flüchtende ein Zuhause gibt, zeigt seine Bereitschaft, die Wohlfühlzone zu verlassen.

Es gibt drei Formen des Handelns: Aktionen, die symbolischer Natur sind und letztlich nichts verändern. Da sind zum anderen humanitäre Hilfen aller Art für die ukrainische Bevölkerung und zum dritten der persönliche Verzicht, der in der Summe Putin schwächen kann. Man darf gespannt sein, wer alles bereit ist, freiwillig seine Komfortzone zu verlassen, wenn die Verbraucherkosten weiter durch die Decke gehen. Es ist nicht nur fehlendes Erdgas, das unser Leben verteuert, sondern auch ausbleibendes Getreide aus Russland und der Ukraine.

Echter Verzicht darf ruhig wehtun. Muss wehtun. Am 25. November 1973 hat es wegen der damaligen Ölkrise den ersten autofreien Sonntag gegeben. Die Straßen waren vollkommen leer! Gut, es war eine staatliche Anordnung. Aber die Autofahrer*innen haben diese ohne Murren befolgt. Es wäre ein öffentlich wahrnehmbares Zeichen gegen Putin, wenn wir ihm Bilder von leeren Straßen senden könnten. Wir brauchen dein blutgetränktes Gas nicht! Wir finanzieren nicht deinen Krieg an unseren Tankstellen! Oder über horrende Gasrechnungen, weil immer noch zu vielen glauben, jeden Tag duschen zu müssen und kuschelig in der Wohnung beginnt bei weit über 20 Grad.

Wenn es darum geht, sich wesentlich einzuschränken (was immer noch ein Klacks im Vergleich zu dem wäre, was die ukrainische Bevölkerung aushalten muss), kommen weinerliche Mimimi-Ausreden. Das Fernsehen zeigt Autofahrer, für die das Vehikel aus beruflichen Gründen unverzichtbar ist. Es zeigt Politiker, die eine Senkung der Energiesteuer fordern. Medien berichten über den Autokorso, der durch Ludwigsburg fährt, um gegen Corona-Regeln zu protestieren. Das Auto ist für viele zur Droge geworden, von der sie nicht so leicht loskommen.

In Baden-Württemberg hat die Umweltministerin einen autofreien Sonntag ins Gespräch gebracht. Doch ein solcher wäre im März 2022 im Gegensatz zu dem vor 50 Jahren alles andere als autofrei. Schließlich will man auf die Sonntagsbrötchen nicht verzichten. Dabei wäre es so wichtig, aus eigenem Antrieb die eigene Komfortzone zu verlassen und nicht darauf zu warten, bis einen die äußeren Zwänge (zum Beispiel staatliche Anordnungen) aus dieser verdrängen. Das schafft nur weiteren Frust und bringt neue Querdenker hervor.

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