„Jens Spahn hat für mich jegliche Reputation verloren“ – Konrad Seigfried im Interview mit Ludwigsburg24

Der Countdown läuft für Konrad Seigfried, denn am 30. April feiert der Erste Bürgermeister der Stadt Ludwigsburg seinen Abschied aus dem Amt. Nach 45 Jahren Berufstätigkeit und davon 15 Jahre erfolgreiches Wirken in der schwäbischen Barockstadt, tritt er nun in den verdienten Ruhestand. „Mal schauen, was der 1. Mai so für mich bereithält“, sagt er schmunzelnd, denn gedanklich so richtig vorbereitet auf den neuen Lebensabschnitt hat er sich anscheinend noch nicht. Im Interview mit Ludwigsburg24 spricht er jedenfalls zum Abschluss seiner Diensttätigkeit nochmal richtig Klartext.

Ein Interview von Patricia Leßnerkraus und Ayhan Güneş

Herr Seigfried, freuen Sie sich auf den Ruhestand oder graut Ihnen eher davor?
Weder freue ich mich, noch graut mir davor. Ich bin noch voll im Arbeitsprozess und werde dies auch bis zum letzten Arbeitstag bleiben. Für Vorfreude oder Trauer habe ich keine Zeit. Ich merke aber, dass die Zeit langsam knapp wird, denn auf meinem Schreibtisch liegt noch so viel, was ich erledigen möchte, weil ich gerne eine solche Aufgabe geordnet übergebe. Allerdings ist das Ende schon spürbar eingeläutet. Gestern bin ich vom Integrationsrat verabschiedet worden. Auf meinem Tisch steht das Abschiedsgeschenk – ein großer Korb, der von allen Mitgliedern des Integrationsrates mit schönen Kleinigkeiten, die jeweils ihr eigenes Land repräsentieren. Das finde ich richtig schön und hochinteressant. Ich liebe den Austausch und bin den Menschen von jeher sehr zugewandt. Von daher war der Bürgermeister-Job für mich immer ideal.

Haben Sie sich mit dem Ruhestand gedanklich überhaupt schon auseinandergesetzt?
Vor einiger Zeit habe ich mich durchaus mit diesem Umstand beschäftigt und mich mit dieser Tatsache vertraut gemacht, wobei ich jetzt mal gespannt bin auf die Realität. Meine ganze private Umgebung hat Sorge, was nach dem 30. April passiert und fragt sich: Kommt er damit zurecht? Ich selbst bin optimistisch.

Wie stellen Sie sich die Zeit ab Mai vor?
Ich habe noch gar keine Pläne, sondern möchte künftig die Dinge tun, die ich bislang auch gerne mache. Ich werde weiterhin meinen Interessen frönen, nur jetzt eben ohne den Druck eines Terminkalenders. Ich fahre beispielsweise gerne Rennrad. Derzeit muss ich das immer irgendwo dazwischen quetschen, entweder Indoor nachts oder je nach Gelegenheit eben am Wochenende draußen. Demnächst fahre ich Rad, wenn ich Lust dazu habe.

Gibt es weitere Hobbys oder Interessen für den Zeitvertreib?
Ich bin historisch sehr interessiert, bin unternehmungslustig, reise gerne und werde mich auch weiterhin mit unserem Förderkreis für Burkina Faso engagieren. Außerdem nehme ich noch das eine oder andere ehrenamtliche Engagement wahr. Ich habe das Gefühl, einerseits viel Zeit dazu zu gewinnen für meine Familie, meine Frau und mich, und auf der anderen Seite bin ich jemand, der gerne etwas zurückgibt. Meine Aufgaben und die Gesellschaft haben mir sehr viel gegeben, um sie werde ich mich auch in der Zukunft kümmern, nur eben aus einem anderen Blickwinkel heraus und mit weniger Verpflichtungen.

Welche ehrenamtlichen Engagements liegen Ihnen neben Burkina Faso besonders am Herzen?
Das wären die Themen ‚Fairer Handel oder ‚Synagogenkreis‘. Den Rest lasse ich auf mich zukommen.

Denken Sie nicht doch manchmal mit ein bisschen Magengrummeln an den Ruhestand?
Solche Momente gibt es natürlich gelegentlich. Ich blicke auf 45 Jahre Berufstätigkeit zurück, 25 Jahre davon als Dezernent und Bürgermeister, in denen ich sehr eingebunden war und viel öffentliche Aufmerksamkeit hatte. Das war manchmal lästig, oft aber auch schön, deshalb bin ich selbst mal gespannt darauf, ob mir etwas fehlen wird.

Bleiben Sie als Privatmann in Ludwigsburg wohnen?
Prinzipiell bin ich immer dorthin gezogen, wo ich gearbeitet habe. Ich wollte immer den Ort spüren, in dem ich eine Aufgabe wahrnehme. Vor Jahren schon haben wir unser Haus im Bonner Raum verkauft und wohnen jetzt in Pflugfelden. Dort werden wir auch bleiben.

Es zieht Sie also nicht ins Rheinland zurück?
Es gibt nur wenige Regionen in Deutschland, in denen ich gerne wohnen würde. Das Rheinland gehört dazu, ich habe nur positive Erinnerungen daran. Mir wurden dort gute berufliche Perspektiven geboten und es ist eine Region, in der Menschen sehr gut ankommen können und bestens aufgenommen werden. Wir haben den Karneval dort kennen und lieben gelernt und wir lieben auch das etwas leichtere Leben im Rheinland. Es ist eine Gegend, die mir vertraut bleibt, da ich auch noch viele, viele Freunde dort habe und auch meine Tochter, eine Richterin, lebt mit ihrer Familie dort. Somit bleiben wir dem Rheinland verbunden, aber unsere Heimat ist Ludwigsburg.

Wechseln wir mal zum aktuellen Thema Corona-Politik: Was geht Ihnen als Erstem Bürgermeister und Bürger unserer Stadt durch den Kopf, wenn Sie die Diskussion und Beschlüsse rund um den Oster-Lockdown verfolgen.
Man sollte nicht in elend langen Nachtsitzungen irgendwelche Beschlüsse fassen, die man nicht zu Ende gedacht hat. Mein Credo lautet bei allem, was ich tue: Bedenke das Ende! Und wenn ich mitkriege, dass dieser Gründonnerstag geplant wurde, ohne zu wissen, wie man ihn rechtlich umsetzt, dann nenne ich das eine klassische Fehlleistung, ein absolutes No-Go. Das führt zu Irritationen und ist nicht zu verantworten. Bislang habe ich die verfolgte Pandemie-Strategie immer mitgetragen und hier vor Ort umgesetzt. Den Low Down im Herbst fand ich zu wenig, da hätte man meiner Meinung nach härter einsteigen sollen. Aber was ich überhaupt nicht verstehen kann ist diese ständige Kakophonie, die man uns bietet. Damit meine ich diese ständig unterschiedlichen Botschaften. Irgendwann kann ich sie meinen Bürgern auch nicht mehr vermitteln und sie fürs Mitziehen gewinnen.

Wo genau liegt da das Problem? Ist es eher inhaltlich bedingt oder liegt es daran, wie es kommuniziert wird?
Beides trifft zu. Wir haben keine klar erkennbare Strategie, was sich daran erkennen lässt, dass es ständig Ankündigungen gibt, die entweder nicht umgesetzt werden oder nicht umsetzbar sind. Denken wir nur mal an die Problematik mit der Impfstrategie, in der sich Bund und Länder in nichts nachstehen. Wenn ich ankündige, dass es ab einem bestimmten Zeitpunkt Tests gibt, dann muss ich entsprechend vorher was dafür tun oder ich sage es erst gar nicht. Dazu kommt ein doppeltes Kommunikationsproblem. Heutzutage habe ich doch sofort eine Schlagzeile, wenn ich irgendwas raushaue. Und auf dieser Klaviatur spielen im Moment alle. Um 7.30 Uhr äußert sich Herr Lauterbach, um 7.35 Uhr der Vertreter der Intensiv-Ärzte, um 7.40 Uhr hat der Nächste was Schlagzeilenverdächtiges zu verkünden. Und die Medienwelt reagiert auf das alles prompt und trägt jede Information sofort nach außen. So kann man keine Bevölkerung informieren. Die Hauptverantwortung für die schlechte Kommunikation liegt jedoch klar bei den Verantwortlichen in der Politik. Ich sage aber auch: Ohne jemandem zu nahe zu treten, möchte ich den Kindergarten der Ministerpräsidenten nicht hüten müssen.

Woran liegt es, dass Deutschland gefühlt nichts geregelt bekommt. Sind unsere Politiker unfähig, sind sie einfach nur überfordert oder ist die Problematik so komplex, dass es gar nicht funktionieren kann? Wo liegt die Ursache für dieses Chaos?
Wir haben die Pandemie lange in einer Art und Weise bewältigen können, dass bei uns eben kein Bergamo entstanden ist, dass bei uns keine Triage wie in Straßburg durchgeführt werden musste, dass bei uns kein Massensterben eingesetzt hat und dass selbst die vulnerablen Gruppen relativ gut durchgekommen sind. Das ist die positive Seite. Die negative ist die, dass für eine Pandemiesteuerung der Föderalismus schädlich ist. Wir brauchen rechtlich eine andere Pandemieregelung, denn die aktuelle macht keinen Sinn. Es geht beispielsweise nicht, dass die Kulturhoheit hochgehalten wird, denn es geht hier nicht um Schulpolitik, sondern um Pandemiebekämpfung. Und da kann man nicht in sechzehn Bundesländern sechzehn unterschiedliche Strategien fahren. Pandemiebekämpfung ist Notstand und Notstand bedarf anderer Regeln als fröhliche Tänze auf der Kulturhoheit über Schulschließungen oder Maskenpflicht zu führen. Wir sprechen über einen Virus und der treibt in jedem Bundesland gleichermaßen sein Unwesen. Für solche Katastrophen brauchen wir andere Instrumente.

Haben Sie noch weitere Kritikpunkte?
Weg muss auch der Verlautbarungspolitikstil, damit man nicht irgendwelche Botschaften einfach nur raushaut. Für diesen Stil steht Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der für mich jegliche Reputation verloren hat, aber auch viele andere Ministerpräsidenten und Politiker stehen für diesen Stil. Ein weiterer Punkt, der sich jedoch nur schwer erklären lässt, ist der Unterschied zwischen Recht und Gerechtigkeit. Warum dürfen die Menschen nach Mallorca in Urlaub fliegen, aber bei uns im eigenen Land ist Urlaub verboten. Wir sind ein Rechtsstaat, in dem man auf bestimmte Dinge klagen kann. Und rein rechtlich ist es eben nicht möglich, jemandem zu verbieten, ins Ausland zu fliegen, denn dafür gibt es keine Rechtsgrundlage. Aber ich kann dagegen bestimmte Regelungen im eigenen Land schaffen und die Öffnung der Gastronomie und Hotellerie verbieten. Das hat mit Gerechtigkeit nichts zu tun und ist natürlich schwer vermittelbar.

Haben Sie Mitleid mit der Kanzlerin?
Ja, denn eigentlich hatte sie immer recht. Frau Merkel hatte eine Strategie, die deutlich schärfer war und wir alle, mich eingeschlossen, haben uns von dem Sommer blenden lassen, der super verlief. Wir alle wussten doch, dass wir es mit einer Pandemie zu tun haben und dass Pandemien einen deutlich längeren Verlauf haben. Wir hätten auf die Erfahrungen früher Pandemien wie die Spanische Grippe zurückgreifen müssen. Frau Merkel wollte das.

Ärgern Sie sich, dass Sie als Kommune ausbaden müssen, was Bund und Länder falsch machen, wie z.B. leere Impfzentren, weil nicht genügend Impfstoff beschafft wurde?
Da bin ich zurückhaltender in der Kritik, denn ich weiß auch, wo wir mal Fehler gemacht haben, und ein Dritter sagt, dass hätten die aber früher wissen müssen. Nehmen wir das Beispiel Impfstoff. Es ist doch unglaublich, was Firmen in so kurzer Zeit geleistet haben, um Impfstoff zu besorgen. Und jetzt im Nachhinein zu sagen, da hätte man früher größere Mengen bestellen müssen oder Optionen bei Impfstoffen, die noch in der Entwicklung waren, das finde ich schwierig. Heute würde ich dem natürlich zustimmen, aber der Prophet ist immer dann am klügsten, wenn Ereignisse eingetreten sind.

Was bedeutet denn die ganze Situation für Ludwigsburg?
Wir sind nicht nur abhängig davon, was der Bund beschließt und das Land letztlich in die Corona-Verordnung schreibt, wir sind immer auch noch abhängig von dem, was der Landkreis tut. Wir sind keine kreisfreie Stadt. Wenn wir beispielsweise ein Maskengebot in der Innenstadt verhängen wollen, dann können wir das nicht ohne die Zustimmung vom Kreis. Wir sind somit fast ein rein ausführendes Organ und unsere Möglichkeiten für eine eigene Strategie sind sehr, sehr gering.

Dennoch bekommen Sie die Wut der Bürger zu spüren. Wie gehen Sie damit als Politiker und Mensch um?
Das gehört zu einem solchen Job dazu. Ich bekomme diese Wut ab, wenn Kindergartenplätze fehlen, wenn etwas in einem meiner Ämter schiefläuft und kann damit professionell umgehen.

Aber momentan wird die Wut der Menschen sehr viel schärfer, persönlicher und durchaus auch gefährlicher…
Das erlebe ich im Augenblick so unmittelbar nicht. Da habe ich schon Härteres erlebt, nehmen Sie nur mal die Flüchtlingskrise, als wir die Unterbringung von Flüchtlingen umgesetzt haben. Da habe ich geschätzt bis zu 25 Bürgerversammlungen gemacht, auf denen ich härter, direkter und menschenverachtender angegangen wurde.

Wo sehen Sie momentan die größten Herausforderungen für die Stadt Ludwigsburg?
Die Pandemiebekämpfung wird uns noch einige Monate beschäftigen. Unsere massivsten Herausforderungen der nächsten Jahre in Ludwigsburg liegen darin, dass wir einen Neustart hinkriegen für den gewonnenen Vorsprung auf diversen Feldern, auf denen wir gute Qualität entwickelt haben wie beispielsweise im Ausbau des Bildungs- und Betreuungssystems, in der Kultur, beim wirklichen herausragenden bürgerschaftlichen Engagement in unserer Stadt. Soweit es möglich ist, arbeiten wir in der Vorbereitung bereits daran. Und an den anderen Aufgaben hat sich nichts verändert: Kampf um die Innenstadt, Förderung des Einzelhandels, Rückgewinnung der Urbanität, das Thema der Mobilität und des knappen Wohnraums. Auch da arbeiten wir beständig im Hintergrund an der Vorbereitung und Durchführung. Wir haben unter anderem noch ein gigantisches Schulbauprogramm vor uns, wir stehen vor einem Stadtumbau an mehreren Stellen wie dem Bahnhof oder der ZOB. Da liegen große Aufgaben vor uns bei gleichzeitig schwieriger werdenden finanziellen Rahmenbedingungen. Da beneide ich meine Nachfolgerin nicht. So ein bisschen Lust daran mitzuwirken, hätte ich durchaus noch, aber ich werde lernen, diese Lust zu zügeln.

Seit August 2006 sind Sie in Ludwigsburg Bürgermeister. Blicken wir mal in die Vergangenheit, auf was sind Sie besonders stolz?
Da gibt es große und kleine Dinge. Für mich war der Ausbau der schulischen und frühkindlichen Bildung ein Riesenthema. Eigentlich war meine Zeit hier ein riesengroßes Bauprogramm mit diversen Schulen. Was mir richtig am Herzen lag war die frühkindliche Bildung und da bin ich richtig stolz auf unser Konzept der Kinder- und Familienzentren, auf unsere Kindernester, unser Sprachförderprogramm und so ein richtiger Schlüssel war direkt in meiner Anfangszeit die Erschließung in der Weststadt mit der MHPArena. Wir haben damals das ganze Areal aufgeschlossen, haben den Bahnhofsdurchbruch, der über 20 Jahre gewünscht war, geschafft und haben neue Gewerbeoptionen eröffnet. Mit einem damals wirklich sehr dynamischen und inspirierenden OB, einer klasse aufgestellten Bauabteilung, mir als Sportdezernenten und den MHP-Riesen haben wir innerhalb kürzester Zeit ein Projekt auf die Beine gestellt. Das war genial und hat richtig Spaß gemacht.

Zu Ihrem alten Chef Werner Spec sollen Sie mal gesagt haben: „Werden Sie eigentlich nie müde?“ Sie sollen ihm geraten haben, gelegentlich innezuhalten, damit andere aufschließen können. Wo sehen Sie die Unterschiede zwischen dem damaligen und dem heutigen Oberbürgermeister?
Das ist eine schwierige Frage. Werner Spec war ein unglaublich dynamischer OB, der aus der Verwaltung kam und die Klaviatur der Verwaltung und Steuerung einer Stadt hervorragend beherrschte. Dabei hat er viel Reibung erzeugt, die letzten Endes trotz hervorragender Leistungen in der Bevölkerung zu seiner Abwahl geführt hat. Der neue OB Matthias Knecht ist ein unglaublich kommunikativer Mensch, ein guter Oberbürgermeister, der aber einen ganz anderen Ansatz hat, ganz andere Voraussetzungen mitbringt und daher einen ganz anderen Stil prägen wird.

Sie kamen bzw. kommen mit beiden klar?
Ja, ich kann mit beiden gut. Wenn ich schon einen Chef habe, dann will ich ihn auch respektieren können und Werner Spec konnte ich respektieren. Und Dr. Knecht kenne ich ja schon lange als Stadtverbandsvorsitzenden, insoweit war auch das Vertrauen da. Eines ist mir sehr wichtig: Ich lege großen Wert auf gegenseitige Loyalität. Die stimmte bei Spec – anders, und die stimmt auch bei Knecht.

Sie sagten eben: „Wenn ich schon einen Chef habe…“ Hat es Sie nie gereizt, selbst einmal die Number One zu sein?
Ja, ich habe tatsächlich einmal darüber nachgedacht, aber ich bin auch Familienernährer. Das klingt jetzt komisch, hat aber etwas mit den Eigentümlichkeiten der Versorgung von Wahlbeamten zu tun. Konkret bedeutet das: Wäre ich irgendwo als Oberbürgermeister angetreten und nach einer Amtsperiode nicht wiedergewählt worden, wären mir meine Jahre davor nicht angerechnet worden und ich hätte keine Versorgungsansprüche mehr gehabt. Das wollte ich meiner Familie nicht antun.

Was macht für Sie als Privatmann Ludwigsburg so lebens- und liebenswert?
Aufgewachsen bin ich im Großraum Ludwigshafen-Mannheim und wurde dann zum Zivildienst in eine Kleinstadt geschickt. Das habe ich damals als unglaublich bereichernd für mich erlebt, weil ich diese Kleinstadt komplett erfassen konnte. Ludwigsburg bietet mir diese Wahrnehmbarkeit ebenfalls. Ludwigsburg hat kleinstädtische Züge, zum Beispiel wenn ich samstags auf den Markt gehe, und bietet mir aber gleichzeitig ein Angebot wie in einer viel, viel größeren Stadt – kulturell, von der Urbanität her, von den vielen verschiedenen Möglichkeiten hier. Das hat mich von Anfang an fasziniert. Als ich anfangs hier noch allein gelebt und meinen Kindern von Ludwigsburg erzählt habe, sagten sie, ich wäre regelrecht verknallt in die Stadt. Und diese Liebe hat bis heute gehalten. Zum Einstieg in die Rente gönne ich mir deshalb einen kleinen Elektroroller eines Berliner Startup-Unternehmens. Ich freue mich schon drauf, mit diesem Roller auf den Marktplatz zu fahren und dort die Urbanität zu genießen, wenn man dann hoffentlich wieder draußen sitzen kann.

Der Marktplatz ist also einer Lieblingsecken der Stadt?
Absolut, denn auf dem Marktplatz kann man Stadtleben sehen. Der Markt selbst und wenn Sie zu bestimmten Zeiten hingehen, haben Sie auf der einen Seite des Brunnens eine italienische Fraktion, auf der anderen Seite eine türkische, dazwischen je nach Tageszeit junge Familien, Mütter oder Väter mit ihren Kindern, junge und alte Menschen. So stelle ich mir Urbanität vor. Aber ich entdecke auch noch immer neue Stellen der Stadt, die mir bislang noch nicht so bekannt waren. Ludwigsburg ist eine Stadt mit sehr vielen Nischen. Sie glauben gar nicht, wie viele Glaubensgemeinschaften es bei uns gibt, oder wie viele migrantische Vereine, die nochmal kleine Welten in der großen Welt sind. Das ist total interessant und hochspannend.

Eine letzte Frage zum Abschluss: Lassen Sie sich impfen?
Ja, ich werde mich impfen lassen, auch mit AstraZeneca, da habe ich keine Bedenken.

Herr Seigfried, wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen Ihnen für Ihren Ruhestand alles Gute.

“Man schläft nicht mehr so tief wie früher und man macht sich viele Gedanken” – Volker Schoch im Interview

Volker Schoch ist als Geschäftsführer der Bietigheim Steelers GmbH in Zeiten von Corona mehr gefordert denn je. Im Interview mit Ludwigsburg24 spricht der 55-Jährige über die sportliche Situation der Steelers und die großen Herausforderungen in der aktuellen Saison.

Ein Interview von Ayhan Güneş

Wie sehr werden Ihre sportlichen Erwartungen in der laufenden Saison vom Team erfüllt?
Wir sind absolut voll im Soll. Unser vorgegebenes Saisonziel war unter die ersten vier zu kommen und dort haben wir uns in den letzten Wochen etabliert. Man gewinnt in Frankfurt, wenn alle voll dabei sind. Man verliert in Landshut, wenn man nicht mehr hundert Prozent bringt und mit dem Kopf nicht mehr ganz dabei ist. Wir sind körperlich topfit und gut durch die Corona-Krise und aus der Quarantäne gekommen. Für das, was wir uns wirtschaftlich leisten können und vorgenommen haben, sind wir absolut im Soll.

Sehen Sie einen körperlichen Unterschied bei den Spielern vor und während Corona? Sind sie fitter oder weniger fit?
Unsere Spieler sind Profis, die haben sich alle ordentlich auf die Saison vorbereitet und wer keine Corona mit kritischem Verlauf hatte, ist genauso fit wie im Vorjahr. Ich würde sogar sagen, dass unsere Spieler noch fitter sind, weil wir im Sommer mehr Zeit hatten. Aber wie wir aus der Presse wissen, gibt es natürlich auch Fälle unter den Sportlern, die es richtig hart erwischt hat, die heftige Lungenprobleme haben.

Wie oft wird das Team auf Corona getestet?
Wir machen täglich eine Symptomabfrage, das bedeutet, dass jeder Spieler, bevor er zu uns in die Arena kommt, von zu Hause aus einen Onlinebogen ausfüllen muss. Wenn er Symptome hat, bleibt er zu Hause und wird getestet. Wenn er negativ ist, darf er kommen, fällt der Test positiv aus, muss er in Quarantäne. Dann werden alle anderen Spieler automatisch auch getestet.

Ligaverbleib, Aufstieg oder sogar Oberliga – wie lautet Ihre Prognose?
Unser Ziel ist es, wirtschaftlich zu arbeiten. Das bedeutet konkret, zu sparen und nur dort Geld auszugeben, wo es notwendig ist. Im Moment haben wir bei den Sponsoren ein Minus von 30 Prozent zum Vorjahr, dazu fehlen Zuschauereinnahmen aus VIP-, Dauer- und Tageskarten in Höhe von 1,27 Millionen Euro. Ich hoffe deshalb auf weiterhin positive Signale unserer Sponsoren, und darauf, dass sie ihre Verträge erfüllen, trotzdem wir leider im Gegenzug nicht viel an Werbemaßnahmen leisten können. Dann hoffen wir ebenso auf die staatlichen Unterstützungen, damit wir die Steelers am Ende dieser Saison in der Liga halten, alle Spieler und Rechnungen bezahlt haben und sauber aus der Saison gehen können. Der Aufstieg hängt davon ab, ob wir Meister werden, denn nur dann haben wir ja die Aufstiegsberechtigung. Den Lizenzantrag dafür haben wir gestellt und im Fall der Meisterschaft wird die DEL ihn dann prüfen, damit wir zur zugelassen werden. Wir werden dann ein Budget aufbauen, das zu uns passt. Es wird zwar nicht reichen, um sofort in der DEL Meister zu werden, aber wir werden ein Budget haben, um eine Mannschaft zu finanzieren, die in der Liga mitspielen kann.

Was ist, wenn Sie den Aufstieg nicht schaffen?
Wenn wir es nicht schaffen, dann verbleiben wir in der DEL 2 und versuchen den Aufstieg mit dem zweiten Anlauf.

Hand aufs Herz. Es muss doch Ihre oberste Priorität sein, für die Zuschauer sowie die Sponsoren aus finanziellen Gründen, den Aufstieg unbedingt jetzt schon zu schaffen.
Auf sportlicher Ebene lautet unsere Priorität, so lange wie möglich erfolgreich Eishockey zu spielen. Was am Ende dabei rauskommt ist das, was zu bewerten ist. Ich wiederhole nochmal: Wenn wir am Ende Meister sind, werden wir ein Budget aufstellen, das wir uns leisten können. Wird dieses anerkannt, steigen wir auf und dann werden wir mit diesem Budget wirtschaften müssen. Corona und die Reduzierung von Sponsorengelder betrifft ja nicht nur Bietigheim, sondern alle anderen Clubs gleichermaßen. Ebenso die Clubs, die in der DEL in der hinteren Hälfte stehen. Bei denen werden die Rosen auch nicht vom Himmel fallen. Jeder muss sich nach der Decke strecken. Wir werden die Decke so definieren, wie wir sie uns leisten können. Reicht es, ist es schön. Reicht es nicht, steigen wir wieder ab, aber so ist Sport. Wir werden zu keiner Zeit und in keiner Liga Harakiri betreiben.

Sie sind Mieter der EgeTrans Arena. Kommt die Stadt Ihnen hier entgegen?
Nein, das tut sie bislang nicht. Wir sind auch derzeit in einem ganz regulären Mietverhältnis, aber sind mit den Stadtwerken als Betreiber in Gesprächen darüber, wie wir uns gegenseitig unterstützen können, um diese schwierigen Zeiten zu überstehen.

Wie sehr belastet Sie persönlich die aktuelle Situation in der Halle?
Ein Spieltag ohne Zuschauer, ist ein besonderer Spieltag. Es fehlt die Stimmung, Emotionen finden nur noch auf dem Eis statt. Es fehlt der Geruch nach der Bratwurst oder dem verschütteten Bier, es fehlen die Menschenmassen, die sich durch die Halle schieben. Es ist niemand da, der einen in der Arena oder im VIP-Raum anspricht, es sind keine Menschen da, die einem Tipps geben, was man bessermachen muss. Es fehlt der direkte Kontakt zu Fans, Unterstützern und Kunden. Aber man gewöhnt sich sehr schnell daran. Man hält sich in der Drittelpause nicht durch eine Suppe oder ein warmes Getränk am Leben, sondern man dreht Runden durch die Halle, weil die einfach kalt ist. Es ist Eishockey einer ganz anderen Art, aber der Sport ist im Endeffekt der gleiche geblieben. Wir müssen uns sportlich so gut wie möglich präsentieren und den Menschen zeigen, dass wir auch in diesen schwierigen Zeiten den Sport ernstnehmen. Und wir müssen es wirtschaftlich darstellen können und hoffen, dass wenn sich alles wieder Richtung Normalität entwickelt, wir die Zuschauer dazu bewegen können, sich wieder Karten zu kaufen und die Sponsoren zu halten, damit es weitergeht.

Können Sie als Geschäftsführer der Steelers bei den fehlenden finanziellen Mitteln noch ruhig schlafen?
Man schläft nicht mehr so tief wie früher und man macht sich viele Gedanken, weil man Verantwortung hat für die Mitarbeiter und auch für den Standort. Man will das Eishockey weiterhin in Bietigheim etabliert haben, man will weiterhin Menschen haben, die einen zukünftig unterstützen. Deshalb muss man jetzt Zeichen setzen. Es ist uns trotz aller Auflagen bis zum heutigen Tag sehr gut gelungen, uns wirtschaftlich sauber darzustellen und die monatliche Prüfung, der wir unterliegen, immer positiv zu bestehen. Es gibt keine Mahnungen oder Anmerkungen, sondern es wird so gesehen, dass wir hier ordentlich arbeiten und den ganzen Apparat am Laufen halten. Im Moment habe ich keine Sorge, aber wir wissen natürlich nicht, was in Zukunft noch kommt. Wir müssen jeden Tag hoffen, dass die noch ausstehenden Fördermittel genehmigt und von der Regierung freigegeben werden und bei uns ankommen. Aber das betrifft nicht nur Eishockey, sondern auch Hand-, Basket- und Volleyball in ähnlichem Umfang. Aber Hoffnung ist keine Strategie. Unsere Strategie lautet ganz klar: Sparen, Kostenbewusstsein zeigen und den Kader so aufbauen, wie wir ihn uns leisten können. Wir nehmen nur das Geld für neue Spieler, das eh geplant war und versuchen dabei auch noch unter dem bereitgestellten Budget zu bleiben. Wir kaufen von dem Geld keine Spitzenspieler, sondern gehen lieber in die Breite, weil wir übers Kollektiv kommen wollen. Für uns sind Spieler interessant, die charakterlich zu uns passen und die Rolle annehmen, die wir ihnen geben. Wir haben gute Spieler und gute Trainer, die mit den Spielern und ihren Fähigkeiten umgehen können. Wir sind von unserer Mannschaft überzeugt und werden mit diesem Team die Saison beenden.

Woher nehmen Sie die Kraft, Energie und Motivation, die derzeit schwierige Situation zu stemmen?
Ich habe keine ausgefallenen Methoden, sondern versuche, die ganze Situation realistisch einzuschätzen. Ich bin mir meiner Verantwortung bewusst gegenüber allen Spielern und Mitarbeitern sowie deren Vertrauen in uns. Also motiviere ich mich darüber, die Verantwortung wahrzunehmen und daran zu glauben, dass wir auch die Verpflichtung haben, den Zweiflern an unserem Tun zu zeigen, dass wir mit unserem Handeln auf dem richtigen Weg waren. Wir haben viel Kritik kassiert die letzten zwei Jahre, weil wir mit einem jungen Trainer etwas versucht haben. Leider hat er die Erwartungen nicht erfüllt, aber dieses Risiko war uns bewusst. Wir sind also nicht sehenden Auges gegen die Wand gefahren, sondern an ihr entlang geschrammt. In dem Jahr, in dem es dann wirklich um was ging, haben wir entsprechende Maßnahmen eingeleitet, die, Stand heute, uns bestätigen. Wir haben immer noch Chancen, sportlich dabei zu bleiben und auch wirtschaftlich sind wir noch voll im Rennen. Es motiviert mich zu wissen, was wir tun und dass wir alles andere als im Sinkflug sind.

Wie schalten Sie ab, um mal nicht ans harte Tagesgeschäft denken zu müssen?
Nach einem langen Arbeitstag schaue ich im Internet, was über uns geschrieben wurde und wie die Versteigerung unserer Trikots lief. Nein, Spaß beiseite: Ich wohne auf dem Land, bin sofort in der Natur und gehe deshalb wann immer möglich an die frische Luft. Ich beschäftige mich viel mit meiner Familie und versuche dabei, an etwas anderes zu denken, was aber in diesen Zeiten extrem schwierig ist. Denn die Aufgaben, die Nöte und die Folgen hängt man nicht mit der Jacke an die Garderobe. Das alles blendet man nicht so einfach aus. Man ist in der Verantwortung und das beschäftigt einen Tag und Nacht. Du wachst nachts auf und überlegst: Mensch, habe ich auch an alles gedacht, sind alle informiert, wer könnte jetzt wieder beleidigt sein oder sich übergangen fühlen? Dann geht es um die Frage der Außenwirkung und vieles mehr. Aber wir sind eben auch nicht in voller Leistungsfähigkeit, haben Kurzarbeit und arbeiten in verminderter Mannschaftsstärke, dafür aber am Limit.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, wie würde der lauten?
Mein Wunsch wäre, dass morgen jemand sagt: „Corona ist vorbei, lebt euer Leben!“

Herr Schoch, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Wein ist seine Leidenschaft – Ludwigsburg24 im Gespräch mit Joachim Kölz

Wenn nicht jetzt, wann dann? Das dachte sich Joachim Kölz als er zum 1. Februar als Vorstandsvorsitzender zur Felsengartenkellerei wechselte. Dafür gab der 57-jährige Vater zweier Töchter nach über elf Jahren mitten in der Corona-Krise seinen krisenfesten Posten als Bürgermeister in Bietigheim-Bissingen auf. „Derzeit arbeite ich mich noch ein und lerne jeden Tag eine Menge dazu“, erzählt der begeisterte Weintrinker. Warum er diesen Schritt gewagt hat und was ihn an seiner neuen Aufgabe reizt, verrät Kölz Ludwigsburg24 in seinem ersten Interview nach Amtsantritt.

Ein Interview von Patricia Leßnerkraus und Ayhan Güneş

Herr Kölz, die wichtigste Frage in diesen Zeiten zuerst: Wie sind Sie bis jetzt durch die Pandemie gekommen?

Ich persönlich habe bislang alles ganz gut hinter mich gebracht. Allerdings gebe ich zu, dass je länger der Lockdown anhält, umso frustrierender empfinde ich die Situation. Auf all die gewohnten Dinge zu verzichten, wie sich mit anderen Menschen zu treffen, Veranstaltungen zu besuchen, Essen, Einkaufen oder zum Sport zu gehen, kann man mal locker für eine bestimmte Zeit einschränken, aber jetzt wird es langsam mit jedem Tag problematischer. Wenn ich derzeit am Wochenende mit offenen Augen durch meine Umgebung laufe, stelle ich fest, dass die Menschen nachlässiger werden und sich nicht mehr so an die Regeln halten. Beispielsweise im Bürgergarten in Bietigheim sammeln sich wieder Jugendliche, als wenn gar nichts wäre.

Wie kommt Ihr neuer Betrieb, die Felsengartenkellerei, mit den Folgen des Lockdowns zurecht?

Für den Betrieb hat die Pandemie natürlich sehr viele Nachteile. Ich nenne nur mal die Stichworte Veranstaltungen oder Gastronomie, denn beide sind wichtige Kundengruppen. Wenn diese über so einen langen Zeitraum wegfallen, dann fällt auch bei uns einiges an Umsatz weg. Der erfreuliche Umstand ist der, dass im Lebensmittelhandel und im Discount mehr läuft, denn sie sind ja der Krisengewinner. Das ist der einzige Vorteil für uns, so dass wir hier höhere Absatzzahlen in beiden Bereichen haben.

Machen diese Einnahmen den fehlenden Umsatz bei Veranstaltungen und Gastronomie wieder wett?

Nein, ganz können wir die Einbrüche dort nicht ausgleichen, aber wir können zumindest einen großen Teil des Rückgangs bei Veranstaltungen und Gastronomie auffangen. Somit leiden natürlich auch wir als Felsengartenkellerei unter der Pandemie.

Wie gehen Sie persönlich mit Ihrem Lockdown-Frust um?

Ich bin Ausdauersportler, also Läufer, und das ist ein Sport, den man sehr gut allein betreiben kann. Dann drehe ich eben für mich meine Runden als Ausgleich, um mal rauszukommen aus den eigenen vier Wänden. Ansonsten bin ich jetzt natürlich hier so eingebunden, dass Corona gedanklich auch mal ein Stück weiter weg ist.

Müssen Sie sehr viel Neues lernen?

Das muss ich durchaus, denn das ist ein doch recht großer Betrieb mit rund 110 festangestellten Mitarbeitern, zur Lese kommen dann noch zusätzlich viele Aushilfen. Auch betrete ich hier beruflich einen völlig neuen Bereich, den ich erstmal erfassen und auch verstehen muss. Daran arbeite ich jetzt, aber ich denke, das geht ganz flott.

Seit 2009 waren Sie Bürgermeister in Bietigheim, also in einem krisensicheren Job. Jetzt sind Sie als Endfünfziger in die Privatwirtschaft gewechselt, dazu gehören Mut und Risikobereitschaft. Was hat Sie zu diesem Schritt motiviert?

Das Thema Wein ist für mich seit vielen Jahren ein Hobby, etwas, was mich immer interessiert hat. Als sich dann die Chance ergeben hat, mich hier für das Amt zu bewerben, habe ich erkannt, dass mich das Thema Wein auch beruflich reizen würde. Aber natürlich habe ich mir auch Gedanken darüber gemacht und erkannt, dass ich jetzt noch in einem Alter bin, in dem ich nochmal eine solche Herausforderung suchen kann und ich aufgrund der guten Voraussetzungen auch bereit bin, dieses Risiko einzugehen. Deshalb habe ich diesen Schritt tatsächlich gewagt. In vier, fünf Jahren gehe ich einen solchen Schritt sicher nicht mehr. In der Abwägung der Summe von Vor- und Nachteilen war es am Ende für mich klar, dass ich einen zwar riskanten, aber zugleich klugen Schritt wage, der mir viel Spaß und Freude machen wird.

Wie lange haben Sie für Ihren Entscheidungsprozess gebraucht.

Alles in allem hat es bestimmt drei Monate gedauert, beginnend vom ersten Gespräch mit den Akteuren hier bis zur finalen Entscheidung. Es mussten auf beiden Seiten viele Fragen geklärt werden. Unter anderem musste ich die Auswirkungen auf meinen Beamtenstatus klären. Das ist ein sehr komplexes Thema, das ich erstmal in allen Facetten klären musste, weil ich mich zuvor noch nie damit auseinandergesetzt hatte. Ich musste sichergehen können, dass ich nicht ohne alles dastehe für den Fall, dass das hier schiefgeht. Die Klärung all dieser Dinge brauchte Zeit und parallel dazu lief mein gedanklicher Prozess mit der Überlegung: Was verlasse ich dort, wie verläuft es hier. Aber am Ende war es eine gute und richtige Entscheidung.

Wie hat denn Ihre Frau auf Ihren möglichen Jobwechsel reagiert?

Meine Frau war zunächst genauso überrascht von der neuen Möglichkeit wie ich und wir haben dann auch ein paar Abende darüber gesprochen. Aber sie war von Anfang an mit dabei und fand die Wechselidee gut.

Wo sehen Sie Ihre Vorteile durch den Wechsel?

Die Chance, nochmals in einem ganz neuen Bereich tätig sein zu dürfen und das noch in einer verantwortungsvollen Tätigkeit und mit einem Produkt, das ich selbst liebe, ist natürlich der wesentliche und positive Aspekt bei diesem Wechsel. Meine Frau erhofft sich von meinem neuen Job, dass vielleicht weniger Abend- und Wochenendtermine als bisher anfallen werden. 

Was ist der größte Unterschied vom jetzigen Amt zur letzten Tätigkeit?

Der größte Unterschied ist wahrscheinlich nicht das tägliche Doing, da gibt es viele Überschneidungen. Der Unterschied ist vielmehr inhaltlicher Art insofern, als dass die ganze andere Welt des Weins mit all ihren Facetten sowie deren Vermarktung und Absatzfrage in einem genossenschaftlichen Konstrukt etwas ganz Neues, aber auch sehr Kreatives ist. Deshalb befinde ich mich momentan auch in einem unglaublichen Lernprozess, der sehr schnell stattfinden muss. Die Überschneidungen liegen beispielsweise im Bereich Finanzen, für die ich als Erster Bürgermeister bei der Stadt ebenfalls verantwortlich war. Ich war Geschäftsführer bei den Stadtwerken und bei der städtischen Holding. Die grundsätzlichen Themen einer GmbH berühren auch unsere Genossenschaft. Die Gremienarbeit, die hier in der Felsengartenkellerei ebenfalls eine sehr wichtige Rolle spielt, die kenne ich aus dem Effeff.

Mal ganz frech gefragt: Hier sind sie selbst der Chef. Wie sehr hat das Ihre Entscheidung beeinflusst?

Das hat sicher auch eine Rolle gespielt, aber das war nicht der Hauptgrund für meinen Wechsel.

Wie lauten Ihre Ziele und Visionen für die Felsengartenkellerei?

Mein Anspruch und damit eines meiner Ziele ist, die Weingeldauszahlungen an die einzelnen der 1.400 Mitglieder unserer Winzergenossenschaft nach Möglichkeit wieder zu erhöhen, da diese in den letzten Jahren kontinuierlich abgenommen haben. Das geht allen Genossenschaften derzeit so, was mit dem schwierigen Weinmarkt zusammenhängt. Um die Situation wieder zu verbessern, benötigen wir einige strategische Entscheidungen.

Inwiefern?

Wir sind hier wie ein großer Gemischtwarenladen mit 750 Hektar Fläche, der abhängig vom Jahrgang bis zu 10 Millionen Liter Wein jährlich produzieren und vermarkten möchte. Das ist allerdings zunehmend schwieriger, weil uns durch Corona jetzt einige Geschäftsfelder fehlen und weil der Weinmarkt inzwischen ein sehr internationaler geworden ist. Die Weintrinker von heute bestehen nicht mehr auf den heimischen Wein, sondern sind international orientiert. Deutschland ist auch das europäische Land, in dem der meiste Wein-Absatz über den Lebensmitteleinzelhandel läuft. In Frankreich, Italien oder anderen Ländern kaufen die Menschen viel mehr direkt beim Winzer oder der Genossenschaft. Deshalb stehen wir hier in einem unglaublichen Wettbewerb zur ganzen Welt des Weins. Da weltweit mehr Wein produziert als getrunken wird und dadurch die Preise enorm unter Druck geraten sind, macht es uns das Geschäft schwieriger als früher. Der Preis pro Flasche Wein hat sich nach unten entwickelt, während die Produktion sich verteuert hat. An dieser Herausforderung müssen wir arbeiten.

Wie lautet also Ihre Strategie?

Wir werden sehr stark auf das Thema Qualität setzen. Das heißt, wir werden unsere Marke, die einen sehr guten Ruf hat und Jahr für Jahr sehr viele Auszeichnungen erhält, in den Vordergrund stellen. Es wird auch sehr wichtig sein, noch andere Vertriebskanäle zu erschließen, so wollen wir zum Beispiel den Online-Verkauf stärken. Dann wollen wir noch mehr auf das Thema Regionalität setzen und die lokale Vermarktung und die lokalen Veranstaltungen weiter ausbauen. Und wir wollen im Kreis der Genossenschaften gegenüber den Lebensmittelhändlern und Discountern gemeinsam eine gute Position erreichen. Um die Wirtschaftlichkeit zu stärken, wird es künftig wahrscheinlich weitere Fusionen sowie Kooperationen der einzelnen Genossenschaften geben.

Als Vorstandsvorsitzender setzen Sie also mehr auf Qualität und somit auf einen höheren Preis oder wollen Sie lediglich den schon guten Standard halten?

Qualität ist für uns ein Schwerpunkt und sehr wichtig, denn sie ist eines von wenigen Unterscheidungsmerkmalen im Vergleich zu anderen Erzeugern von Württemberger Weinen und derer gibt es viele. Wir müssen einfach über die Qualität und unsere Marke kommen und dort punkten, anders hat man sonst keine Chance. Würden wir nur auf die Masse setzen, stünden wir in Konkurrenz zur ganzen Welt, wo in den meisten Ländern die Weinproduktionskosten viel günstiger sind als bei uns.

Wagen Sie doch mal einen Vergleich: In der Autowelt gibt es die Top-Marken wie Bentley, Porsche und andere sowie die günstigeren Marken wie Kia, Hyundai etc. Bei welcher Marke würden Sie denn die Felsengartenkellerei positionieren?

Nachdem wir inzwischen Bad Cannstatt in unserer Genossenschaft dabeihaben, kann es eigentlich nur der Mercedes Benz sein. Das ist aber auch unser Anspruch. Wir wollen im Kreis der Genossenschaften an der Spitze stehen und haben dafür in den letzten Jahren sehr viel dafür getan. Bei allen Preisverleihungen und Vergleichstests sind wir immer vorne mit dabei. 2020 waren wir Deutsches Rosé-Weingut des Jahres und wir haben die Auszeichnung für die beste deutsche Rotwein Cuvée erhalten.

Als Sie uns vor zwei Jahren einen sehr persönlichen Fragebogen ausfüllten, wollten wir wissen, welchen privaten Lebenstraum Sie aufgegeben haben. Ihre Antwort lautete: einen Landsitz in der Toscana zu besitzen.

Jetzt habe ich dafür meinen beruflichen Landsitz hier am Wurmberg, das ist doch auch sehr schön. Aber an meiner Antwort von damals können Sie ja ablesen, dass das Thema Wein und Weinbau schon immer eine große Rolle bei mir spielt. Die Toscana ist eine Wein-Gegend, die mich von jeher fasziniert hat.

Heißt das, Sie sind mehr der Italiener als Franzose?

Der Landsitz in der Provence wäre ebenfalls okay. Da mache ich wenig Unterscheide. Wenn Sie allerdings auf den Wein anspielen, dann kann dieser aus allen Ecken der Welt kommen – sofern er gut ist. Beruflich schaue ich auf den Württembergischen Wein, aber privat schaue ich durchaus über den Tellerrand hinaus. Schließlich muss man die Konkurrenz beobachten.

Welche internationalen Weine treffen Ihren Geschmack am ehesten?

Neben den Weinen aus Württemberg liebe ich spanische Weine. Ein langjähriger Freund von mir hat eine spanische Ehefrau, die aus dem Gebiet Rioja stammt. Wir haben deshalb schon sehr früh begonnen, im Freundeskreis spanischen Wein zu trinken, weil die beiden den immer mitgebracht haben. Somit ist der spanische Wein nicht nur für mein Geschmacksempfinden sehr gut, sondern auch emotional positiv besetzt.

Wie würden Sie den Satz beenden: Ein Leben ohne Wein ist….

… möglich, aber etwas trauriger.

Die Genossenschaft hat rund 60 verschiedene Weine im Angebot. Welche sind Ihre Favoriten?

Bei den Weißweinen mag ich einen trockenen Riesling, von dem wir einige gute Produkte haben. Was Rotwein anbelangt, bin ich ein Fan des Spätburgunders. Und auch hier habe ich genug Auswahl an guten Flaschen.

Sie leben weiterhin in Bietigheim. Kommen die Menschen dort weiterhin mit ihren Wünschen und Meinungen auf Sie zu?

Das wird wahrscheinlich nicht ausbleiben, aber ich werde mich ganz sicher nicht in das Geschäft dort einmischen, schon gar nicht, wenn mein Posten wieder besetzt ist. Ich hatte immer gern und viel Kontakt mit den Bürgern, das wird trotzdem bleiben, aber eben als Privatmann.

Könnten Sie sich eine Rückkehr nach Bietigheim als Oberbürgermeister vorstellen?

Die Amtszeit des amtierenden OBs dauert noch sieben Jahre, dann bin ich 64. Deshalb wird diese Frage für mich zu diesem Zeitpunkt keine Rolle mehr spielen.

Vermissen Sie etwas aus Ihrer letzten Tätigkeit?

Wir waren im Dezernat ein sehr gutes Team, weshalb ich die Kolleginnen und Kollegen vermissen werde. Hier muss ich erstmal alle Mitarbeiter kennenlernen, die Distanz ab- und die Nähe aufbauen, die ich mit meinem alten Team nach 12 Jahren Zusammenarbeit natürlich hatte. Sicherlich werden mir auch die Zusammentreffen und Gespräche mit den Bürgern fehlen.

Wie viel Genussmensch steckt in Ihnen?

Es steckt viel Genussmensch in mir, da ich jemand bin, der tatsächlich das Leben in vollen Zügen genießt, der gerne reist, gerne isst und trinkt. So koche ich auch gerne zusammen mit meiner Frau, denn Essen und den passenden Wein dazu zu trinken, war mir schon immer wichtig. Auch das war ein Aspekt, der mich zum Jobwechsel bewogen hat.

Ist das jetzt Ihr Traumjob?

Ja, sicher, sonst hätte ich nicht unterschrieben.

Was für ein Typ Chef sind Sie?

Ich denke, dass ich einen sehr kooperativen Führungsstil pflege, ich spreche und entscheide gerne im Team.

Sie wirken sehr ruhig und ausgeglichen. Was muss passieren, dass Sie explodieren?

Das kann schon mal vorkommen, aber es ist eher selten, weil ich auch in schwierigen Situationen versuche, ruhig zu bleiben. Aber wenn es wirklich erforderlich ist, kann ich auch laut und deutlich in der Ansage werden.

Sind Sie nachtragend?

Welcher Mensch ist nicht ein Stück weit nachtragend? Aber ich versuche, es möglichst wenig zu sein. Aber gänzlich ausschließen kann das wohl niemand für sich.

Was ist das Schlimmste, was Mitarbeiter Ihnen antun können?

Da ich versuche, meinen Mitarbeitern möglichst viel Vertrauen entgegenzubringen, mag ich es überhaupt nicht, wenn dieses Vertrauen nicht erwidert wird und der Mitarbeiter eventuell genau das Gegenteil mir gegenüber praktiziert. Das sind so Momente, die ich alles andere als gut finde und die mich regelrecht stören.

Aber Fehler verzeihen Sie?

Ja, natürlich, Fehler kommen immer vor. Hier wird sehr viel von den Mitarbeitern verlangt, Fehler passieren jeden Tag und man muss eben versuchen, dass sie so folgenlos wie möglich bleiben.

Herr Kölz, wir danken Ihnen für das Gespräch!  

Volker Zeh im Interview: „Nur einen Kandidaten aufzustellen ist kein demokratischer Prozess!“

Von Ayhan Güneş

Vom Vereinsbeirat des VfB Stuttgart gab es keine Begründung, warum er nicht für die Wahl nominiert wurde. Doch der Schorndorfer Volker Zeh will die vermeintliche Niederlage nicht akzeptieren und zeigt Kämpferherz. Der 56-Jährige will weiter um das Präsidenten-Amt beim VfB-Stuttgart fighten. “Die Mitglieder verdienen eine echte Wahl und die Möglichkeit, zwischen zwei Kandidaten zu entscheiden“, stellt er klar und verdeutlicht gegenüber Ludwigsburg24: So einen respektlosen Umgang habe ich im Geschäftsleben noch nie erlebt. Sollte ich ohne objektive Begründung nicht als Kandidat aufgestellt werden, spricht das allerdings nicht gegen mich.

Wie fühlen Sie sich persönlich nach der Entscheidung, dass nur Claus Vogt für die Präsidentschaftswahl nominiert wurde?
Zunächst war ich etwas enttäuscht, denn mit diesem Ausgang hatte ich nicht gerechnet, zumal mich der Beirat erst hingehalten und dann lediglich per Mail informiert hat. Ich bin zu hundert Prozent davon überzeugt, dass ich das Anforderungsprofil erfülle, um für das Amt des Präsidenten des VfB zu kandidieren, vor allem nach meinem langen Gespräch mit den Beiräten des Vereins am 11. Januar. Danach habe ich von ihnen nichts mehr gehört, weshalb ich mir eigentlich sicher war, von ihnen aufgestellt zu werden. 

Hat dieses Verhalten Sie verletzt?
Ich finde das Verhalten ziemlich stillos vom Beirat und muss sagen, dass er offensichtlich die demokratischen Regeln missachtet. Es wurden wohl auch Teile des Beirats unter Druck gesetzt. Es muss doch der Anspruch des VfB Stuttgart sein, für faire und demokratische Wahlen zu stehen. 

Werden Sie gegen diese Entscheidung konkret etwas unternehmen?
Nein, ich werde nichts unternehmen und denke, dass der VfB oder auch Claus Vogt Interesse daran haben müssen, dass es einen zweiten Kandidaten gibt. Nur so kann man nach der Wahl sagen, dass alle demokratischen Spielregeln beachtet worden sind. Das hat Herr Vogt im Vorfeld ja auch selbst gesagt, dass alles demokratisch ablaufen soll. Dazu gehören dann auch zwei Kandidaten. Was ist ein Wahlrecht ohne mindestens zwei Wahlmöglichkeiten.

Stichwort „ehrenamtlich“: Gerüchten zufolge will Claus Vogt für seine Tätigkeit künftig bezahlt werden. Sie hingegen würden laut einem BILD-Interview jedoch ehrenamtlich dieses Amt ausüben wollen. Stehen Sie auch weiterhin zu dieser Aussage?
Wie ich gehört habe, stellt sich Claus Vogt einen sechsstelligen Betrag als Ausgleich für seine Tätigkeit vor. Ich habe schon im Januar bei meiner Präsentation gesagt, dass ich das Amt ehrenamtlich ausüben würde. In der jetzigen Situation des Vereins halte ich es für unredlich, über hohe Vergütungen für den Präsidenten zu sprechen. Ich bin der Meinung, dass der zukünftige Präsident finanziell unabhängig sein muss, damit er das Amt auch richtig ausüben kann und nicht Gefahr läuft, in irgendwelche Verquickungen zu geraten oder Interessenskonflikte angedichtet zu bekommen. 

Was könnte der inoffizielle Grund für Ihre Nicht-Nominierung sein?
Wenn ich das wüsste. Tatsächlich habe ich keine Vermutung. Wie Sie wissen, habe ich erst letztes Jahr am 9. November meine Exequatur zum Honorarkonsul von Montenegro in Baden-Württemberg erhalten. Bevor einem diese Ehre zuteil wird, wird man von den Behörden auf Herz und Nieren überprüft und komplett durchleuchtet. Von daher kann ich mir nicht vorstellen, was gegen mich als Kandidat sprechen soll.

Hat sich in der Zwischenzeit ein Offizieller des VfB bei Ihnen gemeldet?
Nein, bis jetzt hat sich niemand bei mir gemeldet. 

Im Schreiben des Beirats wurde Ihnen lediglich mitgeteilt, dass Sie nicht nominiert werden für die Wahl, Gründe dafür hat man Ihnen aber nicht genannt. Fühlen Sie sich diskriminiert?
Ja, natürlich fühle ich mich diskriminiert und ich sage Ihnen nochmals: demokratisches Handeln sieht anders aus. Was spricht dagegen, mich ebenfalls als Präsidentschaftskandidat aufzustellen? Eine Wahl kann man verlieren. Doch unbegründet erst gar nicht antreten zu dürfen, ist im höchsten Grad unsportlich und für mich persönlich nicht akzeptabel. 

Möchten Sie trotz der Beiratsentscheidung noch immer Präsident dieses Vereins werden?
Ja, das will ich absolut. Ich kann mir sehr gut vorstellen, mit Thomas Hitzlsperger zusammenzuarbeiten, denn er macht nach meiner Ansicht einen großartigen Job und ist menschlich sympathisch. Thomas Hitzlsperger ist einfach ein guter Typ. Ich würde mich auf eine Zusammenarbeit wirklich sehr freuen. 

Eines ist mir aber für die Wahl noch wichtig: Es muss sichergestellt sein, dass die über 72.000 Mitglieder, egal ob sie mobil sind oder nicht, egal ob sie im Stuttgarter Umfeld oder sogar im Ausland leben, auch wirklich wählen dürfen. Wir leben in einer digitalisierten Welt, da darf es keine Frage sein, dass jeder von seinem Stimmrecht Gebrauch machen kann. Deswegen plädiere ich für eine Hybridveranstaltung, also eine Präsenz- und Online-Versammlung, soweit das in Bezug auf Hygiene-Regeln machbar ist. Mein Motto lautet: Das Wir schließt alle ein!

„So einen respektlosen Umgang habe ich im Geschäftsleben noch nie erlebt": Volker Zeh
Volker Zeh: “Eine Wahl kann man verlieren. Doch unbegründet erst gar nicht antreten zu dürfen, ist im höchsten Grad unsportlich und für mich persönlich nicht akzeptabel”

 

„Die Impfung allein macht nicht glückselig“ – Ludwigsburg24 im Gespräch mit OB Matthias Knecht

Der Lockdown trifft auch den Ludwigsburger Einzelhandel hart. Oberbürgermeister Matthias Knecht hofft nicht nur daher auf eine baldige Rückkehr zur Normalität. Auch weil er seine Pläne, mit denen er im September 2019 hoffnungsvoll sein neues Amt angetreten hat, endlich in die Tat umsetzen kann. Im Gespräch mit Ludwigsburg24 verrät das Stadtoberhaupt der Barockstadt, wie er beruflich und privat durch die Corona-Zeit gekommen ist, was er an der Corona-Politik von Bund und Ländern hält und mit welchen Maßnahmen die Stadtverwaltung den lokalen Einzelhandel unterstützt.

Ein Interview von Patricia Leßnerkraus und Ayhan Güneş

Herr Oberbürgermeister, zwei Tage vor Silvester haben Sie Ihren 45. Geburtstag gefeiert. Mit welchen Vorsätzen sind Sie sowohl ins neue Jahr als auch ins neue Lebensjahr gestartet?
Der dienstliche Vorsatz ist, dass wir den Strategieprozess, denn wir bereits im März 2020 beginnen wollten, wegen Corona nun mit einem Jahr Verspätung starten und konsequent durch- und umsetzen. Ich möchte auch unbedingt wieder stärker erlebbar und erreichbar sein für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt, was während des Lockdowns leider stark zurückgefahren werden musste und weitestgehend nur über die sozialen Medien, übers Telefon oder sonstige Kommunikationsmittel möglich war.

Privat habe ich mir fest vorgenommen, wieder mehr Sport zu treiben. Eigentlich habe ich in der Vergangenheit regelmäßig pro Woche dreimal Sport gemacht. Das ist natürlich einerseits mit dem neuen Amt eine zeitliche Herausforderung, andererseits konnte ich wegen der Corona-Maßnahmen meine beiden Lieblingssportarten Tennis und Basketball auch gar nicht ausüben.

Heißt das, dass Sie derzeit nicht fit sind?
Doch, selbstverständlich fühle ich mich fit, aber ich würde gerne mehr tun. Das ist für mich nicht nur eine Frage der Fitness, sondern auch der Freude und des Spaßes am Sport.

Fehlt Ihnen der Sport als Ausgleich zum Job?
Was die Work-Live-Balance während Corona anbelangt: Ich hatte viel weniger Veranstaltungstermine Zwar habe ich viel und intensiv Zeit im Rathaus verbracht, aber tatsächlich auch gelegentlich mal die Möglichkeit gehabt, abends um 19.00 Uhr mit meinem Sohn Lego zu spielen, zu malen oder ein Buch vorzulesen. Das war dann auch Ausgleich, weniger in körperlicher Betätigung, dafür im familiären Miteinander, was ich sehr genossen habe.

Sie können Corona also etwas Positives abgewinnen…
Auf mich persönlich trifft das tatsächlich zu. Für die Gesellschaft an sich ist der Corona-Lockdown eine dramatische Veränderung mit großen Einschränkungen, die für viele Menschen bedrohlich waren oder noch sind. Dabei denke ich beispielsweise an den Einzelhandel, die Gastronomie oder an alle Mitarbeiter im Gesundheitswesen. Aber für uns als Familie hatte der Lockdown durchaus auch positive Seiten.

Was vermissen Sie als Mensch denn am meisten durch die Pandemie?
Im Wahlkampf und während des ersten halben Jahres meiner Amtszeit habe ich über Bürgergespräche am Marktplatz, bei Besuchen von unglaublich vielen Veranstaltungen von Vereinen, von Kunst, Kultur und Sport wirken können als Person Matthias Knecht. Und diesen persönlichen Kontakt vermisse ich definitiv am meisten.

Als Belastung empfinde ich, dass uns als Stadtverwaltung oftmals die Hände gebunden sind. Nehmen wir nur mal als Beispiel die Themen Kreisimpfzentren, Impfstoff, Informationen über Impfkampanien. Da erleben wir vor Ort einen unglaublichen Handlungsbedarf, doch wir sind selbst oft nur Zuschauer. Zwar können wir über den Städtetag an Land und Bund unser Missfallen bekunden oder konstruktive Vorschläge machen, aber mehr können wir als Stadt leider nicht tun. Das ist deshalb belastend, weil man sich natürlich als OB verantwortlich fühlt für seine Stadt, seine Wirtschaft, seine Mitmenschen.

Haben Sie selbst belastende Einschnitte im persönlichen Bereich erlebt?
Direkt zu Beginn der Pandemie und des ersten Lockdowns ist die Mutter meiner Frau verstorben, allerdings nicht an Covid 19. Sie wurde mit einer Schultersprengung ins Krankenhaus eingeliefert und operiert. Im Anschluss mussten wir sie aufgrund ihres Krankheitsbildes in Pflege geben, was sehr schwierig für uns war, weil wir gezwungen waren, den direkten persönlichen Kontakt zu ihr aufzugeben. Das hatte zur Folge, dass sie an der Verletzung, den Schmerzen und dem Alleingelassensein innerhalb von wenigen Wochen verstorben ist. Das war ein schwerer familiärer Schlag. Und auch jetzt beim zweiten Lockdown fällt es uns sehr schwer, auf den persönlichen Kontakt zu Eltern und Großeltern zu verzichten, obwohl ich weiß, dass gewisse Maßnahmen notwendig sind, um die Welle der Pandemie zu brechen.

Es sind also die Menschen, die Ihnen fehlen. Sie klagen weniger über die fehlenden Friseur- und Restaurantbesuche oder vermissen sonstigen Lifestyle?
Wenn Sie jetzt auf meine Haarpracht anspielen, dann vermisse ich den Friseur wie alle anderen auch. Gestern sagte ein sehr enger Mitarbeiter im Scherz: “Herr Knecht, wenn das jetzt nochmal vier Wochen dauert, dann schneiden wir Ihnen notfalls die Haare.“ Natürlich würde ich gerne die Friseure unterstützen oder wieder mal essen gehen. Aber wenn man abwägt zwischen Todesfällen und familiären Schicksalsschlägen, dann kommen Bedürfnisse wie Friseur oder Restaurant erst im dritten Glied, selbst wenn eine Unterstützung aus der Sicht dieser Betroffenen existentiell wichtig wäre.

Die Corona-Anordnungen kommen aus Berlin bzw. von der Landesregierung, Sie setzen sie lediglich um. Was erwidern Sie wütenden BürgerInnen, die Ihnen vorwerfen, ihnen die Freiheit zu nehmen?
Egal ob Bund, Land, Kreis oder Stadt, wir alle haben die Notwendigkeit der Maßnahmen erkannt. Also Kontaktbeschränkungen, Maskenpflicht, Abstand halten, das alles haben wir mitgetragen und halten es für sinnvoll. Ich entgegne diesem Vorwurf, dass beispielsweise das Tragen der Maske oder der Verzicht auf persönliche Kontakte und vertrauliche Gesten wie Umarmungen zur Begrüßung für einen relativ kurzen Zeitraum eine geringe Einschränkung sind, verglichen damit, dass an anderer Stelle Menschen in Krankenhäusern um ihr Leben kämpfen, oder dass die Mitarbeiter im Gesundheitswesen täglich gefährlichen Ansteckungen ausgesetzt sind. Ich finde, eine Gesellschaft muss dies für einen begrenzten Zeitraum aushalten können, zumal es uns selbst mit den Einschränkungen noch deutlich besser geht als vielen anderen Ländern. Wobei ich selbstverständlich nicht ausschließe, dass diese Einschränkungen im Einzelfall schlimme Auswirkungen haben können.

Rechnen Sie denn mit einer weiteren Spaltung unserer Gesellschaft durch die erneuten Maßnahmen zur Corona-Bekämpfung?
Als Corona letztes Jahr bei uns angekommen war und wir Mitte März das erste Mal in den Lockdown gingen, gab es ein großes Einvernehmen im ganzen Land für diesen Schritt. Fast jeder hatte Angst und fühlte sich in seiner Gesundheit bedroht. Ab dem 4. Mai sind wir dann wochenweise in die Aufweichung dieser Einschränkungen gegangen. Im Juli/August gab es sogar eine Phase von zehn Tagen ohne neue Fälle und die Hoffnung, Corona im Griff zu haben. Seit wir im Herbst in den immer härteren Lockdown gehen, merken wir mit jeder Verschärfung und Verlängerung, dass der soziale Frieden und Zusammenhalt immer mehr gefährdet wird. Es gibt immer mehr Menschen, die beklagen diese Schere zwischen den verständlichen Maßnahmen zugunsten der Gesundheit aller und den massiven Auswirkungen im öffentlichen Leben wie Insolvenzen in der freien Wirtschaft, in der Gastronomie, im Einzelhandel oder den Einschränkungen im persönlichen Bereich zum Beispiel durch Homeschooling unter mittelmäßig guten Bedingungen in einer halbwegs digitalisierten Schulwelt. Bis 14. Februar kann man den Lockdown jetzt noch durchhalten, aber dann müssen wir übers Impfen, Maskenpflicht und disziplinierte Hygiene mit einer Exitstrategie wieder Stück für Stück in ein normales Leben zurückkommen, vorausgesetzt, es kommt, insbesondere wegen der Mutationen, keine neue Welle.

Was haben Sie selbst gefühlt, als Sie von der Lockdown-Verlängerung gehört haben und was bedeutet das für die Stadt Ludwigsburg, vor allem wenn dann der eigene Ministerpräsident zeitgleich zu der Verkündung der Bundeskanzlerin andeutet, eventuell eigene Wege zu gehen?
Wenn die Bundeskanzlerin einen gemeinsamen Beschluss für die Bevölkerung verkündet und zeitgleich einzelne Bundesländer wieder ausscheren, wird immer wieder die Glaubwürdigkeit solcher Entscheidungen infrage gestellt. Wir in Ludwigsburg hätten uns schon während der ganzen Pandemie gewünscht, dass bundesweit eine einheitliche Linie verfolgt wird. Ich bin ein großer Freund des Föderalismus. Aber in solchen Ausnahmesituationen, in denen wir als Gesellschaft in ganz besonderem Maße herausgefordert sind und wir in der Glaubwürdigkeit und Wirkung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern unbedingt Einheitlichkeit brauchen, sollten Entscheidungen vom Bund über das Land, über die Kreise bis zu den Kommunen gemeinsam getragen werden. Und so war auch mein Empfinden bei der Verkündung der Kanzlerin. Ja, wir brauchen diese zwei Wochen nochmal, um die Inzidenzwerte zu senken, um dann in kleinen Schritten wieder eine Lockerung einzuführen. Gleichzeitig habe ich mich dann aber beim Ausscheren der ersten Bundesländer gefragt, ob wirklich eine einheitliche Linie gefunden wurde und wir sie durchhalten. Und natürlich ist jede weitere Woche Lockdown nicht nur eine gesellschaftliche Herausforderung, sondern auch eine für uns als Stadt. Wir wollen wieder mit den Bürgern, den Unternehmen, den Mitarbeitern zusammenkommen, wir wollen Projekte auf den Weg bringen, diskutieren und im positiven Sinne streiten, was über die digitalen Wege weitaus schwieriger ist als in der persönlichen Begegnung.

Was würde passieren, wenn in Ludwigsburg der Inzidenzwert unter 50 fallen würde? Müssen Sie sich dann trotzdem an die Vorgaben halten oder haben Sie als Stadt bzw. Kreis die Möglichkeiten zur Lockerung der Auflagen?
Das ist ja der Hoffnungsschimmer, dass wir bei besseren Werten die Auflagen langsam lockern können. Im Kreis liegen wir bei ca. 90, als Stadt bei rund 110 (Anm. der Redaktion – Stand: 20.01). Seit mehreren Tagen sinken die Zahlen kontinuierlich. Bleibt dieser Trend stabil und die Zahlen verbessern sich weiter, muss damit einhergehen, dass die Verantwortlichen in der Politik den Menschen ein Licht am Ende des Tunnels zeigen. Doch auch hier müssen wir gemeinsam an einem Strang ziehen. Jedes Ausscheren, egal von wem, führt erneut zu sozialem Unfrieden und Ungleichheit.

Glauben Sie, dass die Impfung die Lösung sein wird in dieser Pandemie?
Zunächst herrscht große Frustration, dass wir gar nicht genügend Impfstoff zur Verfügung haben. Der Landrat und das Gesundheitsamt haben gute Arbeit geleistet und ein technisch absolut gut funktionierendes Kreisimpfzentrum in der Weststadt geschaffen. Wir hoffen, dass dort bald ausreichend Impfstoff zur Verfügung steht, damit wir wirklich 1.600 bis 2.500 Menschen am Tag impfen können. Trotzdem glaube ich, dass der Impfstoff allein nicht glückselig macht. Es wird eine Kombination sein aus Impfung und weiterer Zurückhaltung bei den Begegnungen im privaten wie öffentlichen Bereich. Aber auch die weitere Erforschung sowie die Weiterentwicklung der medizinischen Therapie gehören unabdingbar dazu.

Würden Sie sich selbst impfen lassen?
Ja, ich würde mich impfen lassen.

Wie würden Sie die Covid-19-Impfung für Ihren Sohn Jakob, der in die erste Klasse der Grundschule geht, entscheiden?
Die Impfung von Kindern ist ja noch nicht möglich. Wenn sie es wäre, würden wir einer Covid-19-Impfung aber zustimmen. Meine Frau und ich sind mit Impfen generell sehr vorsichtig und Jakob hat bislang nur die aus medizinischer Sicht notwendigen Impfungen bekommen.

Aus der Politik kommen immer wieder Stimmen, die sagen, dass geimpfte Menschen schneller wieder ins normale Leben zurückkehren sollten, sei es bei Restaurantbesuchen oder auch Reisen. Was halten Sie davon?
Diese Bevorzugung lehne ich ab, weil ich sicher bin, dass solche Unterscheidungen den sozialen Frieden und Zusammenhalt gefährden. Natürlich würde ich verstehen, wenn der Einzelhandel, die Gastronomie oder Friseure diese geimpften Menschen gerne als Kundschaft hätten, um endlich wieder Geld zu verdienen. Trotzdem glaube ich, dass wir bei einem solchen Zugeständnis auch in eine Diskussion geraten, die wir dann auch bei anderen Krankheiten führen müssten. Ich kann mir aus verfassungsrechtlichen Gründen auch nur in sehr eingeschränkten Bereichen einen Zwang vorstellen Die Arbeit im Gesundheits- und Schulwesen könnte z.B. an eine Impflicht gekoppelt werden. Vergleichbares haben wir beispielsweise für Kitas und Schulen mit einer Verpflichtung zur Masern-Impfung . Nur das halte ich rechtlich und moralisch für haltbar.

Der Einzelhandel tut sich sehr schwer, viele Geschäfte kämpfen um ihre Existenz. Wie kann die Stadt den Geschäften in Ludwigsburg konkret helfen?
Mit unserer Wirtschaftsförderung und dem Einzelhandelsverein LUIS haben wir zwei Akteure, die sich sehr um diese Problematik kümmern. Schon im letzten Jahr haben wir beispielsweise der Gastronomie ohne Gebührenerhöhung im Außenbereich mehr Fläche zur Verfügung gestellt. Wir haben im ersten Schritt unseren städtischen Mietern und Pächtern ihre monatlichen Zahlungen gestundet und im zweiten Schritt auf Beschluss des Wirtschaftsausschusses bei dramatischen Fällen Mieten und Pachten sogar erlassen. Im Einzelhandel haben wir im Herbst über vier Wochen die Parkgebühren zwischen 15.00 und 19.00 Uhr in unseren städtischen Parkhäusern erlassen. Gleichzeitig haben wir im Wert von 12.000 Euro LUIS-Einkaufsgutscheine verteilt. Wir haben jetzt versucht, die Aktionen ‚Call and Collect‘ sowie ‚Click and Collect‘ zu unterstützen. Außerdem überlegen wir gemeinsam mit den Stadtwerken, ob wir bei der Versorgung zusätzlich Reduzierungen anbieten können. Wir werden uns auf jeden Fall weitere Aktionen für die Geschäfte einfallen lassen. Auch das Märzklopfen soll nicht ersatzlos ausfallen, falls wir bis dahin noch nicht so weit sein sollten. Wir haben mit dem Gemeinderat beschlossen, dieses Event notfalls auf den Termin des Pferdemarktes zu verschieben.

Helfen Sie auch als Privatmann dem Ludwigsburger Einzelhandel?
Ja, gerade in den letzten Wochen haben wir als Familie darauf geachtet, ausschließlich über den Ludwigsburger Einzelhandel einzukaufen. Ich habe drei Paar Schuhe erstanden über ‚Call and Collect‘. Ich habe dort angerufen, der Einzelhändler hat mir dann über WhatsApp Bilder geschickt und ich habe dann drei verschiedene Modelle in Größe 11 bestellt und abgeholt. Wir haben auf diese Weise für Jakob Spielzeug gekauft, ein Wellholz für die Küche und Bücher. Ich kann das jedem nur empfehlen, das funktioniert wunderbar.

Bleibt es auch bei der Aussetzung der Kita-Gebühren während der Lockdown-Verlängerung?
Ja, da sind wir sehr konsequent, auch wenn wir vor Weihnachten im Gemeinderat beschlossen haben, grundsätzlich die Gebühren um drei bzw. fünf Prozent zu erhöhen, weil wir andererseits enorm in diesem Bereich investieren müssen. Dafür erstatten wir konsequent in dem Moment, in dem wir keine Leistungen erbringen können und das Kind nicht in der Notbetreuung ist. Das sind erhebliche Beträge. So ein monatlicher Ausfall kostet uns rund 700.000 Euro. Aber wir machen das jetzt wirklich jeden Monat und hoffen wieder sehr auf eine Gebührenrückerstattung von Bund oder Land. Im ersten Lockdown haben wir vom Land rund 2 Millionen Euro zurückbekommen für erlassene Kita-Gebühren. Doch momentan gehen wir für unsere Familien in Vorleistung, die noch nicht abgesichert ist.

Nach Gabriele Nießen verlassen nun weitere wichtige Mitarbeiter den Bürgermeisterstab wie Konrad Seigfried und Michael Ilk. Macht Ihnen das Sorge oder nehmen Sie es, wie es ist?
Als ich mich 2019 zur Wahl gestellt habe, wusste ich bereits, dass Konrad Seigfried aufgrund seines Alters und dem Gesetz nach bald in Ruhestand gehen würde. Das ist jetzt im April 2021 der Fall. Ich habe die gemeinsame Zeit mit ihm als Mentor und erfahrenem Ersten Bürgermeister sehr genossen. Ich habe immer gesagt, dass ich ein Jahr brauche, um mich in alles einarbeiten zu können. Dieses Jahr hatte ich und nun bin ich absolut in der Lage, meinen eigenen Weg mit der Stadt und der Stadtverwaltung zu gehen und darauf freue ich mich auch. Mit Frau Schwarz als Nachfolgerin von Frau Nießen habe ich eine tolle Kollegin dazubekommen. Die einzige Überraschung war, dass Michael Ilk, nicht wieder kandidiert. Ich bedauere dies sehr. Kann aber seine Entscheidung, die er nach reiflicher Überlegung getroffen hat, als Mediator in die Privatwirtschaft zu gehen, gut verstehen. Jetzt werden wir zunächst einen Nachfolger für Konrad Seigfried finden, danach einen für Michael Ilk. Für den Posten des Ersten Bürgermeisters liegen uns 33 Bewerbungen vor, davon zehn sehr gute – das zeigt, dass die Stadt interessant ist und etwas zu bieten hat. In zwei Schritten werden wir die Auswahl so reduzieren, dass sich am 24. März die besten Bewerber dem Gemeinderat vorstellen werden.

Würden Sie sagen, Sie gehen aus dem Krisenjahr 2020 gestärkt hervor und sind gewappnet für alles, was noch kommt?
Ja, definitiv würde ich sagen, dass nicht nur ich als Person, sondern wir als Stadt gestärkt hervorgehen, weil wir einiges gelernt haben in der Krise. Wir müssen uns im Bereich Digitalisierung noch verbessern. Wir haben gelernt, wie wir uns im Bereich Notfallstrukturen richtig aufstellen müssen. Wir gehen also gestärkt als Stadt insgesamt hervor, wenn wir – und das ist die Bedingung – auch für die Innenstadtentwicklung, also für Einzelhandel, Gastronomie etc. die richtigen Weichen stellen. Unabhängig von Corona müssen wir jetzt wieder an die Zukunft denken und geplante Projekte endlich in die Hand nehmen.

Herr Dr. Knecht, wir danken Ihnen für das Gespräch.

“Würden Sie sich impfen lassen?” – Ludwigsburg24 im Gespräch mit Gesundheitsamtleiter Thomas Schönauer

Er ist der Chef des Ludwigsburger Gesundheitsamtes und hat in seinen 31 Berufsjahren schon jede Menge Krisensituationen gemeistert. Die aktuelle Corona-Pandemie jedoch fordert selbst dem erfahrenen Mediziner all sein Wissen und Können ab. Ende Januar geht Dr. Thomas Schönauer in den Vorruhestand und überlässt seiner Nachfolgerin ein gut bestelltes Feld.

Ein Interview von Ayhan Güneş

Dr. Schönauer, das Thema Impfung ist gerade sehr aktuell. Es gibt jetzt neben der klassischen Impfmethode auch die neue, revolutionäre Technologie mRNA. In England wurde jetzt als erste Patientin eine 90-jährige alte Dame geimpft. Würden Sie sich impfen lassen?
Das ist eine sehr provokative Frage und ich muss sagen: Zwei Seelen sind in meiner Brust. Die eine bejaht vor dem Hintergrund, nicht krank werden zu wollen, da ich Risikopatient bin. Ich gehe deswegen etwas früher in Rente, denn ich habe eine chronische Krankheit. Die Entwicklung des Impfstoffs ist unter hohem Druck entstanden, weshalb ich persönlich gerne noch ein bisschen abwarten möchte, bis sich im Feldversuch beim Impfen breiter Bevölkerungsschichten die Impfung mit ihrer Auswirkung etwas etabliert hat. Ich bin eigentlich ein Verfechter des Impfens und habe bis letzten Februar selbst eine Impfstelle für Auslandsreisende innegehabt. Seit Corona ist jedoch damit Schluss. Von daher bin ich auch ein Fachmann auf diesem Gebiet. Ich habe auch keine Angst vor der neuen Technologie, dass sich der Impfstoff ins Erbgut einlagert oder was sonst noch so alles kolportiert wird. Das ist alles weit hergeholt. Aber wie bei jedem anderen neuen Impfstoff auch, kennt man die seltenen Nebenwirkungen noch nicht. Ich hätte mir etwas mehr Ruhe gewünscht bei der Einführung in der Bevölkerung. Deswegen bin ich für mich noch nicht zu einer abschließenden Entscheidung gekommen. Ich bin noch keine neunzig und auch kein therapeutisch tätiger Mensch. Und wenn ich das Landratsamt verlasse, gehöre ich auch nicht mehr zum Schlüsselestablishment. Also kann ich mir meine Entscheidung in aller Ruhe überlegen. 

Noch sind Sie im Landkreis der oberste Gesundheitshüter. Was empfehlen Sie dem Bürger?
Wenn ich als Mensch, als Bürger in einer Funktion bin, in der ich gebraucht werde oder in der ich eine Weiterverschleppung verhindern kann, dann würde ich es ohne Kompromisse machen und mich der Verantwortung stellen, da ich sie durch den jeweiligen Beruf übernommen habe. Ich denke da beispielsweise an Ärzte, Krankenschwestern, Pflegepersonal. Sie alle sollten sich so schnell wie möglich impfen lassen. Erstens werden sie gebraucht und zweitens sollen sie geschützt sein und das Virus nicht weitertragen. Da ich aber nicht zu dieser Berufsgruppe gehöre, ist es für mich noch nicht so dringlich, dass ich mich für oder gegen eine Impfung entscheiden muss. Aber im Zweifelsfall entscheide ich mich dafür. Doch jetzt wird die Impfung zuerst den älteren Menschen angeboten und danach gibt es die verschiedenen Graduierungen. Ich finde diese Entscheidung ethisch sehr gut. 

Können Sie uns in wenigen Sätzen das Bahnbrechende an der neuen Impftechnologie mRNA erklären?
Normalerweise ist es so, dass man einen Bestandteil vom Virus oder einen abgeschwächten Virus oder einen Oberflächenteil vom Virus impft bis hin zum Lebendvirus bei Masern oder Gelbfieber. Bei mRNA impft man weder den Virus selbst noch irgendwelche Bestandteile, sondern man impft eine Erbinformation, die dazu führt, dass die Zellen im Körper es nicht mehr schaffen, Viren zu bauen. Normalerweise dockt so ein Virus an die Zelle an, gibt ihr seine Erbinformationen ab und zwingt sie, diese Viren zu bauen, bis die Zelle voll ist und platzt, dann kommt die nächste Zelle dran. Durch diesen Zelltod werden wir krank. Nach der Impfung kann das Virus zwar eindringen, aber dadurch, dass sie vorher durch eine Messenger (m)RNA vorgeimpft sind, können die Zellen keinen Virus mehr bauen und damit ist es beim ersten Mal schon vorbei. Ich bin kein Virologe, finde diese Technologie aber absolut bahnbrechend und toll. 

Verschiedene Firmen entwickeln gerade Impfstoffe sowohl in der herkömmlichen als auch in der neuen Variante. Wenn Sie die Wahl hätten, für welche Technologie würden Sie sich entscheiden?
Das ist mir völlig egal. Hauptsache, es wirkt! Das ist zwar etwas flapsig ausgedrückt, bringt es aber auf den Punkt. Ich würde mich für die Technologie entscheiden, die wirksamer ist. Bei den neuen Technologien spricht man von einer 95-prozentigen Wirksamkeit aufgrund von bislang lediglich wenigen 40.000 Probanden. Wenn wir mal bei einer Million angekommen sind, dann erst kann man wirklich konkrete Aussagen treffen. Bisher wissen wir auch über die Langzeitwirkung noch nichts Definitives, es sieht aber gut aus.

Seit Juni ist Testphase drei abgeschlossen, jetzt wird wohl auch bei uns eine Notfallimpfung zugelassen. Es werden Menschen indirekt zur Impfung gezwungen, weil es beispielsweise Fluggesellschaften gibt, die ohne Impfung die Leute nicht befördern. Was würde denn passieren, wenn innerhalb der nächsten zwölf oder achtzehn Monate tatsächlich schwerwiegende Nebenwirkungen entstehen?
Das wäre das Fatalste für den Impfstoff, was man sich überhaupt vorstellen kann. Das wäre das Aus, denn dann ließe sich keiner mehr impfen. Allein mit den klassischen Impfnebenwirkungen, die bei jedem Impfstoff beobachtbar sind, haben wir in der Argumentation schon genug zu tun. Wenn mehr dazukommen würde, müssten sich bestimmte Leute gut überlegen, wie sie das der Bevölkerung erklären. Medizinisch mag es zwar völlig irrelevant sein. Die Frage wäre dann aber, wie transportiert man das politisch und psychologisch. 

Wenn jetzt der Worst Case eintreten sollte, wer übernähme dann die Verantwortung?
Es gibt zwei Ebenen:. Die formale ist, der Staat übernimmt diese für die öffentlich empfohlene Impfung, deswegen würden dann mögliche Schäden durch den Staat ausgeglichen, d.h.. , man bekommt Versorgung nach dem Sozialgesetzbuch. Das alles übernimmt Vater Staat, so steht es im Infektionsschutzgesetz. Jedes Bundesland hat eine Verordnung, in der festgehalten ist, welche Impfungen öffentlich  empfohlen sind, meist auf Grundlage der STIKO (ständige Impfkommission am RKI). In Baden-Württemberg sind darüber hinaus beispielsweise die Influenza oder die FSME öffentlich empfohlen und von daher übernimmt der Staat die Folgekosten, wenn etwas schiefgeht. 

Die politische Verantwortung ist die zweite Ebene. Wer die dann übernähme, darüber lässt sich trefflich spekulieren. 

Das Thema Lockdown ist sehr umstritten, gerade für Weihnachten und Silvester. Was raten Sie den Menschen?
Auch da habe ich wieder zwei Seelen in meiner Brust. Ich bin Vater und Opa, das heißt, dass ich natürlich meine Familie an Heiligabend um mich haben möchte. Das gehört bei uns zur Tradition und zur Kultur und das würde ich mir auch nur ungern nehmen lassen. Silvester ist schon was anderes. Ich denke, man sollte das eine tun und das andere nicht lassen. Man sollte eventuell an Heiligabend die Beschränkungen lockern und dann einen deutlichen Lockdown anordnen. Aber speziell an Heiligabend ist es menschlich und politisch nicht vermittelbar, dass die Leute zu zweit vorm Christbaum sitzen und den Kerzen beim Brennen zuschauen. Aber vom 1. Weihnachtsfeiertag bis zum 6. Januar konsequent einen harten Lockdown durchziehen, damit hätte ich gar kein Problem. 

Warum sind Sie für einen knallharten Lockdown?
Meiner Meinung nach hat man bislang die falschen aus dem Verkehr genommen, nämlich die Gaststätten, die so viel in Hygiene- und Sicherheitskonzepte investiert haben. Die Leute treffen sich trotzdem, und zwar zu Hause. Die nächtliche Ausgangssperre aber verhindert, dass die Leute außerhalb der Arbeit zusammenkommen und bewirkt genau das, was man ursprünglich mit der Schließung der Gastronomie erzielen wollte. 

Kommen wir zur generellen Maskenpflicht in der Ludwigsburger Innenstadt – was soll die bringen?
Im Freien braucht man eine Maskenpflicht eher nicht. Aber die Leute sind nicht in der Lage, die Abstände korrekt einzuhalten, d.h., sieben bis zehn Quadratmeter um jede Person von anderen Menschen freizuhalten, funktioniert in der Innenstadt nicht. Also ist die Maskenpflicht ein guter Schutz und außerdem für sich selbst und die Mitmenschen ein Signal und eine Erinnerung, dass wir in einer Sondersituation leben, in der man sich entsprechend verhalten muss. Von daher ist die Maskenpflicht vielleicht weniger eine fachliche als eine psychologische Maßnahme. 

Bis 31. Januar sind Sie noch Chef des Ludwigsburger Gesundheitsamtes. Wie verbringen Sie Ihre Zeit ab 1. Februar?
Ich werde mich furchtbar ärgern, weil ich im Februar eigentlich nach Portugal wollte, um Abstand zu gewinnen. Das war schon so lange in meinem Kopf. Aber das funktioniert halt jetzt wegen Corona leider nicht. Von daher wird erstmal eine ziemlich langweilige Zeit auf mich zukommen. Man kann noch nicht in den Garten, man kann nicht Radfahren, weil das Wetter schlecht ist, man kann nicht ins Kino, darf keine Kontakte haben. Bei allem Komfort, den ich genießen werde, weil ich morgens nicht früh aufstehen und deshalb abends nicht früh ins Bett muss, werde ich mich trotzdem ziemlich ärgern, auch wenn’s wahrscheinlich ein zufriedener Ärger ist. 

Um es mal bildhaft auszudrücken: Sie leben gerade in Höchstgeschwindigkeit und legen Ende Januar quasi eine Vollbremsung hin…
Das mag von außen so wirken, aber ich habe mir den Antrag zu meinem Ausscheiden ja bereits im Sommer sehr wohlüberlegt und mit meinem Chef entsprechend kommuniziert. Da ich Landesbediensteter bin, musste mein Antrag weitergeleitet werden, so dass ich zwar formal schon noch die volle Verantwortung trage, aber trotzdem wurden intern bereits die Strukturen verändert. Ich habe viel Verantwortung an meine Stellvertreterin abgeben können, weshalb ich mich bereits im Bremsweg befinde und mein Ausscheiden im kommenden Monat nicht als Vollbremsung empfinde. 

So eine außergewöhnliche Situation wie Corona haben Sie in Ihrer Karriere wahrscheinlich noch nicht erlebt. Als Chef des Gesundheitsamtes sind Sie einer der Kapitäne auf dem Schiff. Wie fühlt man sich da, wenn man in so einer wichtigen Phase von Bord geht?
Ich fühle mich mies, habe ein schlechtes Gewissen, auch wenn ich meinen Abschied offen kommuniziert habe. Aber ich habe eine Grundkrankheit, die sich in diesem Jahr deutlich verschlimmert hat durch den Stress. Ich habe gemerkt, dass ich die Notbremse ziehen muss, sonst geht die Sache für mich schlimm aus. Ich hätte natürlich noch zwei weitere Jahre im Amt bleiben können, vielleicht hätte man mich dann jedoch mit den Füßen voran hier raustragen müssen. Aber ich möchte noch gerne ein paar Jahre haben. In diesem Fall muss ich jetzt auch ein bisschen an mich selbst denken und dafür bitte ich um Verständnis. Zum Glück habe ich eine Nachfolgerin, die ich sehr gut kenne und die diesen Job mindestens so gut macht wie ich, vielleicht sogar noch ein bisschen besser. 

Haben Sie in Ihrem Berufsleben denn schon ähnliche Situationen erlebt wie die aktuelle?
Insgesamt habe ich in meinem beruflichen Leben fünf oder sechs Mal solche Hypes hinter mich gebracht, Influenza-Pandemie, die keine war, Vogelgrippe, Sars 1, weißes Pulver, das den gefährlichen Milzbrand hervorruft, Pocken. Es ist jedes Mal mordsmäßig losgegangen, dann brach es relativ schnell wieder ein und das Interesse an diesen Themen versandete. Dementsprechend hat man im Land den Gesundheitsschutz heruntergefahren. Als Corona im Februar anfing, dachte ich mir: „Die Werkzeuge kennst Du, im Sommer ist die Sache wieder rum. Fang halt mal an.“ Und genauso entspannt bin ich an die Arbeit rangegangen und dabei ziemlich auf den Bauch gefallen. Die Werkzeuge sind wirklich die alten geblieben, aber die Manpower hat nicht mehr gereicht und dann ging es richtig zur Sache. Das hat echt keiner erwartet, dass es so dramatisch wird. Ich war mir auch sicher, dass eine zweite Welle kommen wird, aber dass sie in dieser Heftigkeit kommt, ist wirklich schlimm und hat uns dann doch überrascht. 

Wie sind Sie denn aktuell aufgestellt?
Wir haben ausreichend Menschen, die sich um  die Kontaktpersonenverfolgung kümmern, denn da werden wir zum einen durch recht viele Mitarbeiter des Landratsamtes unterstützt sowie zum anderen durch unseren Bürgern in Uniform. Ebenso haben wir genug Helfer, die Kontakt zu den Fällen aufnehmen. Aber wir haben zu wenig Menschen mit fundierter medizinischer Ausbildung, die sich zum Beispiel bei Erkrankungshäufungen in Altenheimen, in Schulen, in Firmen dieser Sache annehme. Wir haben zu wenig Ärzte, zu wenig medizinisch gebildetes Personal wie Krankenschwestern, MFAs oder sonstige Pflegerinnen und Pfleger. Diese fehlenden Menschen mit guter medizinischer Kompetenz werden wir leider auch nicht bekommen, denn die werden woanders ebenfalls gebraucht und…. besser bezahlt. Für diejenigen, die trotzdem zu uns wollen, drohe ich überspitzt mit : „Blood, sweat and tears, but no money“. Zum Glück lassen sich doch immer wieder ein paar gute Mediziner oder medizinisches Assistenzpersonal auf uns ein, weil sie einfach die Arbeit aus Sicht eines Gesundheitsamtes einmal miterleben wollen. Die meisten sind dann doch sehr überrascht über die Gradwanderung zwischen Medizin, Jurisprudenz und Presse, die wir bewältigen müssen.

Sie machen diese Arbeit nun seit 31 Jahren. Was werden Sie am meisten vermissen?
Am meisten werde ich viele gute, befreundete Kollegen vermissen. Natürlich werde ich versuchen, die Beziehungen aufrecht zu erhalten, aber es ist schwierig. Wenn man sich hier zum Mittagessen trifft, ist es einfach etwas anderes. Und auch wenn es jetzt arrogant klingen mag, sage ich es trotzdem: Meine Impfstelle werde ich ebenfalls vermissen. Ich habe reisemedizinische Impfberatung gemacht, war einer von wenigen Ärzten im Landkreis, die selbst die Zulassung des Landes hatte für die Gelbfieber-Impfungen. Die Menschen kamen vor ihrem Urlaub zu mir und ich habe sie beraten, was sie für das jeweilige Land an Impfungen benötigen. Einmal pro Woche, mittwochs ab 16.00 Uhr bis manchmal 222.00 Uhr abends, war ich noch richtiger Medizinier und zwar für Menschen, die nicht krank, sondern gesund und aufgrund der anstehenden Reise optimistisch gestimmt waren. Das war stressig, aber es hat mir riesigen Spaß bereitet. Ich hatte einen guten Ruf und darauf bin ich stolz. 

Haben Sie ein bisschen Bammel vor dem Ruhestand oder werden Sie nebenher beispielsweise als Gutachter noch tätig sein?
Fachlich werde ich nichts mehr machen können, denn wegen meines vorzeitigen Ruhestandes darf ich nur ein sehr kleines Kontingent dazu verdienen, deshalb würde sich der ganze Aufwand nicht lohnen. Außerdem ist es jetzt wirklich wichtig, einmal Abstand zu gewinnen von der Medizin und dem ganzen Drumherum. Ich habe eine Sch… Angst, das gebe ich offen zu. Aber ich muss es einfach durchstehen und muss mich dann mal konsolidieren. Zum Glück bin ich in meinem Heimatort gut vernetzt, habe gute Freunde, aber trotzdem habe ich Angst. Vor einem halben Jahr habe ich nicht geglaubt, dass es so sein wird. Doch jetzt steht der Abschied kurz bevor, da sieht es plötzlich ganz anders in mir aus. Natürlich ist es schön, mich morgens im Bett nochmal umzudrehen und weiterzuschlafen, obwohl der Wecker klingelt und meine Frau mir sagt, was alles erledigt werden muss. Da muss ich aufpassen, dass ich nicht in einen Müßiggang verfalle. Deswegen bin ich auch so sauer auf Corona, denn dadurch tue ich mich sehr schwer mit meiner Tagesstruktur. Aber ich werde relativ viel Sport machen und dadurch vieles kompensieren, was das Wetter und Corona verhindern. 

Ist Ihre Hoffnung, dass wir Corona mit einer Impfung in den Griff bekommen?
Es sind zwei Impfungen, aber ich habe eine eher distanzierte Hoffnung, weil ich meine Mitbürger und die Politik kenne. Dieses Thema ist gerade so etwas von ungeeignet, denn wir haben sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene Wahlkampf. Aber ich hoffe, dass der Impfstoff wirken und die Akzeptanz bei der Bevölkerung vorhanden sein wird. Und dass hier niemand durch politische Schnellschüsse das Thema Impfung kaputt macht, wie Putin das in Russland getan hat. Putin hat den Impfstoff bei seiner Bevölkerung falsch eingetütet nach dem Motto: „Hier ist Sputnik 5, wir sind die Allergrößten.“ Und dann hätte er sich z.B. selbst öffentlich zuerst impfen lassen müssen, um ein Signal zu setzen. Man muss einen Impfstoff so sensibel einführen, dass die Menschen sich aus innerer Überzeugung heraus impfen lassen wollen, sonst geht das daneben. 

Was glauben Sie, wie lange wird uns Corona noch begleiten?
Seien Sie sicher, dass es Sie und mich definitiv noch ein Leben lang begleiten wird. Wir werden uns mit Corona – so wie mit vielen anderen Viren auch im Rahmen  unseres Daseins abfinden müssen. Deswegen werden wir impfen. Sobald man weiß, ob und wie lange die Impfung hält, werden wir z. B nach fünf oder zehn Jahren erneut impfen, dann vielleicht nach zwanzig und mit Glück vielleicht dann nie wieder. Das wird sich alles zeigen, aber das Thema wird uns ein Leben lang erhalten bleiben, auch wenn es unser Leben nicht mehr so massiv bestimmen wird wie derzeit. Wir werden es in den Griff bekommen und uns daran adaptieren, so wie wir das aufgrund der Impfmöglichkeiten mit Hepatitis A und B, den Masern oder Polio (Kinderlähmung) geschafft haben. Letztere steht ja kurz vor der weltweiten Ausrottung und bei Masern arbeiten wir dran, wenn uns denn Corona eines Tages wieder lässt.

Auf welcher Stufe – eins gleich sehr gut, zehn totale Katastrophe – liegen wir bezüglich Covid-19 derzeit im Landkreis?
Derzeit liegen wir vielleicht bei Stufe sechs. 

Herr Dr. Schönauer, wir danken Ihnen für das Gespräch!

 

VfB-Legende Guido Buchwald im Interview – die wahren Gründe für seinen Rücktritt

Ein Interview von Patricia Leßnerkraus und Ayhan Güneş

Da kommen doch gleich Erinnerungen an längst vergangene Zeiten hoch, als sich VfB-Ehrenspielführer Guido „Diego“ Buchwald mit Ludwigsburg24 zum Interview im Schlosshotel Monrepos trifft. „Hier haben wir uns mit der Mannschaft Mitte der 80er vor jedem Heimspiel eingefunden und uns vorbereitet“, erzählt der sympathische Fußballer, der eine lebende Legende ist und sich bis heute bei den Fans allergrößter Beliebtheit erfreut. Im Interview beleuchtet er die gegenwärtige Situation des VfB und gewährt Einblick in seine ganz persönliche Gedankenwelt.

Herr Buchwald, die wichtigste Frage in dieser schwierigen Zeit ist: Wie geht es Ihnen?
Gesundheitlich geht es mir und meiner Familie zum Glück gut und wir tun alles, damit es so bleibt. Geschäftlich sieht es natürlich ein wenig anders aus. Alle meine Marketingveranstaltungen finden nicht statt. Unser Restaurant mussten wir wieder schließen. In unserer Tennishalle dürfen wir nur noch Einzel spielen lassen, was sich rein rechnerisch nicht wirklich lohnt. Kürzlich hatte ich sogar Spieler aus Ludwigsburg, die extra nach Reutlingen kamen, da hier in der Stadt wohl alle Hallen dicht sind. Das Problem ist, dass die Verordnungen alle so schwammig formuliert sind, dass jede Stadt etwas anderes daraus liest.

Sind Sie sauer auf die Regierung?
Momentan bin ich tatsächlich sauer, da die Regierungsverantwortlichen keine klare einheitliche Linie haben. Bei mir geht es vor allem ums Restaurant mit rund 60 Plätzen und um den Biergarten mit zirka 30 Plätzen. Es ist doch erwiesen, dass dort die Ansteckungsgefahr bei nur einem Prozent, während sie bei 30 Prozent in den eigenen vier Wänden liegt. Jetzt haben die Gastronomen viel investiert in Hygiene- und Sicherheitskonzepte, manche sogar in Heizstrahler für draußen, und jetzt ist wieder alles dicht und verboten.

Betreiben Sie Ihr Lokal selbst?
Ja, im Moment betreiben wir es selbst. Wir kümmern uns um alles Organisatorische und meine Frau steht sogar bisweilen mit unserem Koch in der Küche.

Haben Sie derzeit Existenzsorgen?
Nein, die ich habe ich zum Glück nicht. Wir sind nicht in der Existenz bedroht. Ich habe in der Vergangenheit nie schlecht verdient und auch nie viel Geld ausgegeben. Deshalb sage ich ja, dass es mir gut geht. Aber es ist einfach eine andere Welt geworden und man muss sich immer neu fragen, ob die Verhältnismäßigkeit noch stimmt. Ich persönliche finde die Maßnahmen für Restaurants unverhältnismäßig hart. Jetzt hoffen wir alle auf einen Impfstoff, der dem ganzen Spuk ein Ende bereiten könnte.

Werden Sie sich impfen lassen?
Anfangs werde ich mich wohl nicht gleich impfen lassen. Ich bin gesund, ernähre mich vernünftig, habe ein gutes Immunsystem. Was aber nicht heißen soll, dass ich das Covid 19-Virus unterschätze oder nicht ernst nehme. Einen Freund von mir hat es sehr schwer erwischt. Er lag drei Monate im künstlichen Koma und musste danach alles wieder neu erlernen.

Sie haben viele Jahre in Japan gelebt, wo das Virus lange nicht so verbreitet ist wie in anderen Ländern dieser Welt. Wie erklären Sie sich das?
Japan war früher dran als wir, aber das Land hat das Virus sehr gut im Griff, was auch an der dortigen Lebenskultur liegt. Schon zu meiner Zeit dort war es in Großstädten wie Tokio üblich, dass die meisten Japaner mit Beginn der Erkältungszeit Masken aufgesetzt haben, um sich und andere zu schützen. In Japan ist es zudem sehr sauber, die Menschen dort leben eher zurückhaltend, sind sehr diszipliniert und können sich für einen längeren Zeitraum extrem zurücknehmen und mal gar nichts unternehmen. Das ist etwas, was den Menschen hier bei uns eher schwerfällt.

Schlagen wir doch hier mal die Brücke zum Fußball. Die Profis dürfen spielen, allen anderen Ligen bis hinunter in den Jugendbereich ist es verboten. Gehen Sie mit dieser Entscheidung konform?
Dass der Amateurfußball mal für ein paar Wochen Pause macht, finde ich nicht so schlimm. Die Spieler verkraften das. Ich finde es aber furchtbar, dass Kinder und Jugendliche nicht mehr spielen dürfen. Warum lässt man die nicht trainieren. Sie müssen ja nicht in den Zweikampf, aber sie können doch Pässe üben und der Trainer passt auf, dass sie den nötigen Abstand halten. Ich verstehe dieses Verbot überhaupt nicht, zumal sie in der Schule im Sportunterricht in einer geschlossenen Turnhalle viel näher beieinander sind als draußen auf dem Trainingsplatz. Sport und Bewegung an der frischen Luft bringt Spaß und Freiheit. Das ist für Kinder enorm wichtig und all das stärkt doch das Immunsystem. Warum wird das dann unterbunden?

Warum finden Sie es gut und richtig, dass die Profis spielen dürfen?
Die Profis sind stets optimal getestet, von daher ist das Ansteckungsrisiko sehr gering. Während des ersten Lockdowns hat sich doch bei einem Großteil der Menschen Frust breitgemacht, dass außer Corona nichts mehr stattgefunden hat in unserer Welt. Als es dann mit dem Fußball wieder losging, konnten sich die Menschen wieder auf etwas freuen, waren abgelenkt. Fußball und der Mannschaftssport ist und bleibt auch ohne den Gang ins Stadion ein Stück soziales Miteinander, weil er emotional bewegt.

Durch Corona und das Zuschauerverbot in den Stadien kommen einige der Fußball-Bundesligisten, wie scheinbar Schalke 04, an ihre finanziellen Grenzen.
Schalke hätte auch ohne Corona Probleme gehabt und wäre ohne die Gelder, die Ex-Präsident Tönnies aus Liebe zum Verein privat reingesteckt hat, schon länger in großen Schwierigkeiten. Ich sage Ihnen: Mit den Proficlubs muss niemand Mitleid haben. Die sind heutzutage allein schon durch die Fernsehgelder gut aufgestellt.

Dem VfB fehlen derzeit bei jedem Heimspiel 2 Millionen Euro, das sind bei 17 Heimspielen 34 Millionen.
Klar, 34 Millionen sind viel, demgegenüber steht ein Etat von 120 Millionen. Ich frage mich jedoch, warum der VfB dann in diesen Zeiten über 30 Lizenzspieler hat. Warum holt man neue Spieler nach, ohne vorher Spieler abzugeben? Der VfB hat in der Sommerpause genau gewusst, dass dieses Jahr die Transferperiode anders läuft als sonst. Es ist viel weniger Geld auf dem Markt. Warum muss ich dann meinen Kader so aufblähen und kann nicht mit 25 Lizenzspielern in die Saison gehen? Das wären einige Millionen, die man einsparen könnte, und dann müsste man die anderen Mitarbeiter des Vereins nicht belasten. Und wenn die Spieler in einer so schweren Zeit noch auf 10-15 Prozent ihres Gehalts verzichten würden, was ihnen wirklich nicht weh tut, dann wäre jeder gut aufgestellte Profiverein der 1. und 2. Liga in der Lage, bis zu zwei Jahren eine solche Krise durchzuhalten. Allerdings müssten sich in diesem Punkt die Vereine untereinander absolut einig sein. Wenn die Spieler nicht mitziehen wollen, muss man den Spielbetrieb dann halt eben wieder schließen.

Die Gehaltsobergrenze ist ja wieder ein Thema…
Ja, darüber sollte man nachdenken, ist aber in unserer freien sozialen Marktwirtschaft momentan nicht umsetzbar.

Wie sehen Sie die aktuelle Entwicklung beim VfB – sportlich und als Unternehmen?
Sportlich entwickelt sich der VfB positiv. Die Mannschaft ist mit Glück aufgestiegen. Momentan sieht man Fortschritte in der Mannschaft, sie spielt schöneren Fußball und für die Zielsetzung Klassenerhalt ist sie auf einem guten Weg. Mittelfristig muss man dennoch versuchen, mehr Kontinuität reinzukriegen, um in der Bundesliga wirklich zu bestehen und zurück in die Top sechs zu kommen.

Was ist aus Ihrer Sicht zu tun?
Der Trainer rotiert derzeit viel, was die Mannschaft ganz gut verkraftet. Wichtig ist auch, dass die älteren Führungsspieler wie Castro oder Didavi momentan ihre Leistung bringen, aber man muss darüber hinaus planen, denn ein Castro ist schon 33 Jahre alt, Didavi ist 30. Der Kader muss deshalb weiter ausgebaut und mit jüngeren Leistungsträgern um die 25 aufgebaut werden, die dann vier, fünf Jahre beim Verein spielen, die Mannschaft führen und bestimmend sind im Team. Wir haben viele Talente, mit denen muss man intensiv weiterarbeiten und sie entsprechend an den Verein binden.

Wie zufrieden sind Sie mit der Jugendarbeit des VfB?
Sagen wir so: Mir persönlich kommen zu wenig unserer Nachwuchsspieler in die Top-Mannschaft rein. Da werden 19-, 20- oder 21-Jährige von überall hergeholt und die bekommen ihre Chancen noch vor dem eigenen Nachwuchs, obwohl der nicht schlechter ist. Das sind doppelte Kosten. Auch diese Nachwuchs-Neuzugänge kosten viel Geld und man braucht viel mehr Zeit, um sie zu integrieren. Der eigene Nachwuchs ist dagegen schon integriert, weiß wie es läuft, spricht die gleiche Sprache und identifiziert sich ganz anders. Deswegen würde ich die eigenen Leute noch stärker fördern.

Wie beurteilen Sie den Verein als Unternehmen?
Im Marketing sowie im Finanzbereich ist der Verein mit guten Leuten sehr ordentlich aufgestellt.

Vor gut einem Jahr hatten Sie Ambitionen, neuer VfB-Präsident zu werden, was allerdings von der Vereinsspitze vereitelt wurde. Sie wollten damals Geld fürs Präsidentenamt. War das ein Fehler?
Geld war nicht das Thema. Die Frage ist doch, wie man ehrenamtlich definiert. Der Präsident hat die riesige Verantwortung für den 120 Millionen Euro-Etat, denn er vertritt im Aufsichtsrat für die über 70.000 Mitglieder knapp 90 Prozent der Anteile. Er muss neues Geld generieren, Verhandlungen führen, er muss an allen Stellen unterstützend tätig sein. Er muss den Verein überall repräsentieren. All das geht nicht mit nur ein paar Stunden, dafür ist der Präsident bestimmt fast 60 Stunden pro Woche unterwegs. Selbst bei den Spielen im Stadion. Ein Präsident muss immer für den Verein da sein, das kann man nicht rein ehrenamtlich machen. Deshalb ist es nur rechtens, wenn er dafür ein Gehalt von 10.000 bis 20.000 Euro monatlich bezieht.

Ist das Tischtuch zwischen Ihnen und dem VfB komplett zerschnitten?
Ich habe 11 Jahre beim VfB gespielt, bin Ehrenspielführer, bin zum Jahrhundertspieler gewählt worden, da bleibt der VfB immer mein Verein.

Ihr Ärger ist also weitgehend abgeklungen?
Ich habe mich damals beworben, weil ich etwas im Verein verändern wollte, doch der Vereinsbeirat wollte mich nicht und hat meine Kandidatur erst gar nicht zugelassen. Das ist auch das, was mich am meisten ärgert. Auf der Hauptversammlung wäre ich der Kandidat aus dem sportlichen Bereich gewesen. Hätten die Mitglieder dennoch Claus Vogt oder Christian Riethmüller gewählt, dann wäre das völlig okay gewesen. Wahlen kann man verlieren, aber wenn man ohne wirkliche Begründung nicht zur Wahl zugelassen wird, dann ist für mich das Thema mit den Entscheidern erledigt. Mit solchen Leuten kann ich nicht arbeiten.

Ihr Hauptgegner soll Wilfried Porth, stellvertretender VfB-Aufsichtsratsvorsitzender und Daimler Personalvorstand, gewesen sein. Sie sollen sich sogar gegenseitig vor Publikum angebrüllt haben…
Ich muss klarstellen, dass die Kandidaten vom Vereinsbeirat aufgestellt werden und nicht vom Aufsichtsrat. Also hatte Herr Porth da keinen Einfluss. Ursprünglich kam ich mit Sportvorstand Michael Reschke nicht klar, der ja inzwischen bei Schalke ist. Ich hatte im Abstiegskampf in einem BILD-Interview meine Meinung über sportliche Fehler geäußert, was im Verein kritisiert wurde. Wir haben uns dann ausgesprochen und ich habe mich für meine öffentliche Kritik entschuldigt. Monate später erzählte Thomas Berthold nach einem Spiel im TV, ich hätte ihm mal gesagt, als Aufsichtsrat mit sportlicher Kompetenz hätte ich nichts zu sagen, was Wilfried Porth maßlos erzürnte. Wir waren zu diesem Zeitpunkt im vollen VIP-Raum des VfB, wo alle mit Rang und Namen anwesend waren, von den Aufsichtsräten über den Präsidenten bis hin zu Norbert Haug und anderen geladenen Gästen. Die Stimmung war schon nicht besonders, weil der VFB nicht gewonnen hatte.

Was passierte dann?
Daraufhin ging Herr Porth vor allen Leuten auf mich los und schrie mich an: „Du bist an allem schuld, nur weil Du den Reschke wieder kritisiert hast.“ Niemand hat mehr etwas gesagt, weil es eine peinliche Situation war, dass da ein Aufsichtsrat in der Öffentlichkeit auf den anderen losgeht. Als sich die Gemüter wieder etwas beruhigt hatten, ging ich auf ihn zu und wollte draußen mit ihm reden. Er wurde erneut wütend und donnerte los: „Mit Dir spreche ich überhaupt nicht mehr, von Dir will ich alles nur noch schriftlich, Du kannst mich mal“. Da ich von niemandem Hilfe bekommen habe in diesem Moment, bin ich auch laut geworden und sagte: „Wenn das so ist, bin ich hier der falsche Mann und trete zurück“. Danach bin ich gegangen.

Ihnen ist damals niemand zur Seite gesprungen?
Nein, keiner hat etwas gesagt. Auf der Heimfahrt rief mich Präsident Wolfgang Dietrich an und wollte mich von meinem Rücktritt abhalten. Ich sagte ihm, dass Wilfried Porth sich bei mir melden kann und wir dann in Ruhe darüber reden. Dietrich sagte, dass er nicht glaube, dass Porth sich bei mir meldet, auch wenn seine Reaktion überzogen gewesen war. Ich habe bis zum nächsten Abend gewartet. Als bis dahin kein Anruf von Porth kam, habe ich meinen Rücktritt schriftlich verfasst und öffentlich gemacht.

Bereuen Sie heute Ihren Rücktritt?
Nein, da gibt es nichts zu bereuen. Ich baue immer Brücken, versuche Menschen zusammenzuführen. Wird das nicht angenommen, ist die Sache für mich erledigt. Ich lasse mich nicht verbiegen.

Gehen Sie noch ins Stadion und wo sitzen Sie dann?
Klar gehe ich zu den Spielen, sofern Zuschauer wieder erlaubt sind. Gelegentlich bin ich in einer der Logen der Sponsoren, aber meistens sitze ich bei der Traditionsmannschaft.

Wie verstehen Sie sich mit Thomas Hitzelsperger?
Wir haben ein offenes, ordentliches und ich denke auch ehrliches Verhältnis. Wir kennen uns natürlich über den VfB.

Können Sie sich vorstellen, dass es eines Tages ein Zurück für Sie in die Vereinsetage gibt oder bleiben Sie lieber Edel-Fan?
(schmunzelt) Eigentlich ist es erledigt. Um mich umzustimmen, müsste der Verein schon auf mich zukommen und mir signalisieren, dass er mich wieder einbinden möchte. Mein Herz schlägt immer noch für meinen Heimatverein, sonst würde ich auch nicht mehr ins Stadion gehen.

Sie werden im Januar 60 und haben ein spannendes Fußballerleben inklusive Weltmeistertitel hinter sich. Wer ist denn für Sie persönlich der beste Spieler der Welt?
Puh, das ist schwierig, denn jede Dekade hat einen oder zwei Superfußballer. Zu meiner Zeit war es ganz klar Diego Maradonna. Vor ihm waren es Franz Beckenbauer und Pelé, den ich sogar mal persönlich kennenlernen durfte. Heute sind Messi und Ronaldo die Topspieler. Vom Einzelkönnen sehe ich Ronaldo sogar noch vor Messi, weil er Fußball lebt und eben alles beherrscht – vom perfekten Freistoß über den Kopfball bis hin zum Fallrückzieher. Er ist schnell, hat eine gute Technik. Ronaldo ist für mich ein kompletter Fußballer, gegen ihn hätte ich in meiner besten Zeit auch gerne gespielt.

Wie werden Sie Ihren 60. Geburtstag feiern?
Meine Frau hatte auch einen runden Geburtstag und eigentlich wollten wir unsere Geburtstage zusammen schon groß feiern und später noch mit der Familie verreisen. Aber ob das alles so klappen wird, bezweifele ich. Dann feiern wir halt den 61 ganz groß.

Manche hadern mit dem Alter 60, Sie auch?
Zum Glück denke ich nicht so oft daran. Aber wenn ich mal tiefer drüber nachdenke, dann ist es schon eine Zahl, mit der man früher ein alter Mann war. Man muss halt akzeptieren, dass man nun langsam ins Rentenalter kommt, auch wenn man sich noch nicht entsprechend fühlt. Dafür hat man mit 60 auch nicht die Sorgen um die eigene Zukunft wie als 20-, 30- oder 40-Jähriger.

Wie würden Sie denn Ihr Leben in wenigen Sätzen beschreiben?
Ich habe bis heute ein unheimlich erfülltes Leben, für das ich sehr dankbar bin. Ich gehöre zur ersten Generation, die keinen Krieg erlebt hat, es ging wirtschaftlich immer bergauf, mir geht es gesundheitlich mein Leben lang gut, ich habe mit meiner Frau zwei tolle Söhne. Ich kann dem lieben Gott nur dankbar sein, dass er es so gut mit mir gemeint hat.

Wenn man vom Leben so verwöhnt wurde wie Sie, macht da die momentane Corona-Krise etwas mit Ihnen?
Ja, die macht schon etwas mit mir, vor allem, weil ich anfangs die Situation gar nicht richtig greifen konnte und mir erstmal klarmachen musste, dass dies alles wirklich reell ist. Ich mache mir deshalb auch viele Gedanken über unsere Wirtschaft, Umwelt, überlege, ob wir alles richtig machen oder was wir in Zukunft besser machen müssten.

Blicken Sie positiv oder skeptisch in die Zukunft?
Ich blicke positiv in die Zukunft. Es gibt immer wieder mal solche Wellen, wo es den Menschen allgemein etwas schlechter geht. Aber wir in Europa sind schon sensibler geworden, vor allem die jüngere Generation, und ich denke, dass wir noch rechtzeitig die richtigen Schlüsse daraus ziehen und dem Leben gegenüber wieder etwas demütiger werden. Das ist vielleicht auch das einzig Positive an Corona, dass diese Pandemie uns wieder zurück auf den Boden, vom Alltagsstress weg zu den wirklich wichtigen Dingen des Lebens bringt.

Herr Buchwald, wir danken Ihnen für das Gespräch!

„In der Politik menschelt es wie überall“ – Ludwigsburg24 trifft Eberhard Gienger

Für Eberhard Gienger wird das nächste Jahr ein besonderes: Der ehemalige Olympia-Turner feiert seinen 70. Geburtstag und scheidet nach19 Jahren aus dem Deutschen Bundestag aus. Im Gespräch mit Ludwigsburg24 blickt der CDU-Abgeordnete aus Bietigheim-Bissingen nicht nur auf seine politischen Jahre zurück, er spricht ebenfalls über die aktuellen Probleme mit sowie durch Corona und verrät seine Pläne für den neuen Lebensabschnitt.

Ein Interview von Patricia Leßnerkraus und Ayhan Güneş

Herr Gienger, Ihr letztes Jahr in Berlin ist angebrochen. Welches Gefühl überwiegt – Freude oder Wehmut?

Natürlich ist nach so einer langen Zeit ein bisschen Wehmut dabei, aber die Jugend scharrt und will zurecht auch mal ran. Aber ich habe es mir vorgenommen und auch meiner Frau versprochen, nach dieser Legislaturperiode aufzuhören. Das bedeutet aber nicht, dass ich zugleich aus der CDU ausscheide. Selbstverständlich bleibe ich interessiert an dem, was meine Partei zukünftig macht.

Fiel Ihnen die Entscheidung schwer?

Nein, die fiel mir überhaupt nicht schwer. Als ich vor knapp zwei Jahrzehnten für die Bundestagkandidatur angefragt wurde, dachte ich, ich wäre eine Übergangslösung, bis man einen erfahrenen Politiker gefunden hat. Nachdem ich tatsächlich nominiert und gewählt wurde, habe ich mich in die ganze Thematik eingearbeitet und viel Spaß an der Arbeit entwickelt. Freude hatte ich vor allem dann, wenn man anderen Menschen hat helfen und Dinge beeinflussen können. Mittlerweile hat sich die Stimmung in Berlin aber etwas verändert. Durch die AFD ist der Ton innerhalb des Parteienspektrums viel rauer, zum Teil sogar im negativen Sinne persönlich geworden. Und auch in der Bevölkerung stelle ich ein Auseinanderdriften fest. Meinungen prallen öfter unversöhnlich aufeinander, Argumente zählen weniger, die Ich-Gesellschaft wird stärker und größer. Dagegen arbeiten zu müssen, ist wirklich schwierig, weshalb ich meinen Nachfolger nicht beneide.

Blicken Sie aus heutiger Sicht mit Sorge in die Zukunft unserer Gesellschaft?

Sagen wir mal so: Ich habe mal den Blick weit in die Vergangenheit gewagt und versucht, herauszufinden, ob es vor 20, 50, 100 oder 500 Jahren besser. Nein, war es nicht. Ebenso habe ich mir die Frage nach der besten Staatsform gestellt. Ist eine Diktatur, in der eine Gesellschaft auch zusammenleben kann, aber in der die persönliche Freiheit eines jeden Menschen beschnitten ist, besser? Nein, für mich nicht. Wie sagte schon Churchill: „Demokratie ist eine schlechte Gesellschaftsform, aber die beste, die ich kenne.“ Auch ich möchte in dieser leben, sage dennoch, dass es schwierig geworden ist, sie am Leben zu erhalten, weil diese Staatsform viel Kraft erfordert von denjenigen, die sie leben wollen. Unter einer Demokratie verstehe ich nämlich, selbst wenn ich eine andere Meinung vertrete als die Mehrheit, dann muss ich mich weitestgehend der Mehrheit anschließen, um die Gesellschaft nicht zu spalten, so wie es momentan immer öfter geschieht.

Ist unser föderatives System momentan ein Bremsklotz, weil jeder Ministerpräsident im Kampf gegen Corona sein eigenes Ding durchziehen will?

In Frankreich gibt es die zentralistische Gesellschaftsform, da ist auch nicht immer alles Gold, was glänzt. Föderalismus hat tatsächlich seine Vorteile. In der Corona-Krise jedoch entstand in den letzten Wochen leider ein Flickenteppich, weil jeder Ministerpräsident aufgrund unterschiedlicher Ausgangslagen für sein Land anders entschieden hat. Da wünscht man sich natürlich eine klare Aussage, die für alle Bürger gleichermaßen gilt und auch nachvollziehbar ist.

Die Kanzlerin reibt sich auf in der Corona-Krise, wird sie am Ende zerrieben zwischen all den unterschiedlichen Meinungen und politischen Kräften?

Das möchte ich so nicht unterschreiben, denn sie ist ja nicht die Einzige, die gegen Corona kämpft, wir tun es ja alle. Denken Sie zurück an die Zeit März, April, und was die Kanzlerin oder Jens Spahn damals zum Thema Corona gesagt haben. Das ist diametral fast entgegengesetzt zu dem, was sie heute sagen. Das heißt, dass wir mit dem Coronavirus lernend vorangehen. Anfangs wussten wir doch gar nicht, wie schwerwiegend das Virus ist. Wenn man inzwischen die Entwicklung sieht, dann stellt man fest, dass das, was wir vor vierzehn Tagen entschieden haben, mit dem, was wir heute machen, schon nicht mehr so viel zu tun hat. Man entwickelt sich doch mit dem Problem weiter und sucht nach Lösungen, im besten Fall eben auch regional, um einen bundesweiten Lockdown möglichst zu vermeiden. Das Virus verändert sich, wir verändern uns, wir verändern die Maßnahmen im Umgang mit dem Virus. Das wird uns noch lange beschäftigen, weil ich nicht glaube, dass das Thema nur allein durch einen Impfstoff erledigt sein wird.

Für wie gefährlich halten Sie persönlich das Virus?

Diejenigen, die noch nichts damit zu tun hatten, halten das Virus für nicht so gefährlich, weil es ihnen gut geht. Wer aber daran erkrankt war, schätzt die Gefährlichkeit anders ein. Einer meiner Freunde steckte sich in Ischgl an und kam wegen deutlicher Symptome ins Krankenhaus. Er erzählte mir, dass es ihn so dermaßen erwischt hatte, dass er sich auf einer Skala von ein bis zehn auf elf befunden hätte. Er wurde zwar geheilt, aber er hat einen Finger verloren, weil die Durchblutung nicht mehr funktionierte. Das hatte zwar jetzt mit der Lunge nichts direkt zu tun, aber die Erkrankung hat auf Blut und Sauerstoff ausgestrahlt. Also ich habe durchaus Respekt vor dem Virus, halte es für gefährlich und nehme es nicht auf die leichte Schulter.

Der Kreis Ludwigsburg ist mittlerweile Risikogebiet. Was bedeutet das für die Menschen, die Unternehmen, wenn das hier so weitergeht?

Ich kann Ihnen nur so viel sagen: Es besteht durchaus die Möglichkeit, sich vor dem Virus zu schützen, wenn wir entsprechend mit den Regeln arbeiten, also mit Mundschutz, Abdeckungen, Plexiglas, Handschuhen, Desinfektionsmitteln. Diese Mittel müssen wir ausnutzen. Ich trage die Maske auch nicht gerne, aber ich weiß, sie tut mir und anderen gut. Sollten unsere bisherigen Maßnahmen nicht greifen, muss gegebenenfalls in bestimmten Regionen zu härteren Maßnahmen gegriffen werden, beispielsweise wie in Frankreich, wo in zwei Drittel des Landes Ausgangssperre verordnet wurde. Aber ich sage auch, dass unsere Vorgaben ausgewogen sein müssen und den Menschen geholfen werden muss, die in ihren Existenzen bedroht sind.

Die politischen Zeiten sind schwierig, ist da das Ausscheiden eines erfahrenen Mannes wirklich richtig?

Ein junger Politiker kann ebenso nach der besten Lösung suchen wie ein alteingesessener, erfahrener Politiker. Wenn mein Nachfolger einen Rat braucht, wird er den von mir jederzeit bekommen. Aber ich werde mich nicht von mir aus in seine Arbeit einmischen, habe aber kein Problem damit, auf Wunsch meine Meinung als MdB a.D. kund zu tun. Jetzt werde ich Fabian Gramling erstmal so unterstützen, dass er den Sprung in den Deutschen Bundestag schafft. Er ist durchaus ein erfahrener Landtagsabgeordneter, der zunächst keine Ratschläge von mir braucht, der seinen Weg gehen und eigene Fußstapfen hinterlassen wird.

Würden Sie mit den Erfahrungen von heute nochmals den Weg als Seiteneinsteiger in die Politik wagen?

Doch, ich würde es wohl wieder machen, allerdings mit der Erkenntnis, dass ich mich viel früher für Politik und die politische Arbeit hätte interessieren sollen. Als ich anfing, hatte ich ja quasi null Ahnung und musste mir das erst alles hart erarbeiten.

Was werden Sie denn künftig als Polit-Pensionär vermissen?

Vermissen werde ich sicherlich die Gespräche mit den Kollegen insbesondere in der Landesgruppe Baden-Württemberg, denn sie haben mir immer sehr viel Freude gemacht. Mir werden auch die abendlichen Termine fehlen, zu denen beispielsweise Unternehmen oder Verbände zu Informationsveranstaltungen eingeladen haben, wo man sehr interessante Gespräche führen konnte und einen Blick in die Entwicklung der Zukunft bekam, sei es in Energiefragen oder in den Bereichen Gesundheit, Forschung, Robotik, künstliche Intelligenz. Das war sehr spannend und faszinierend zu sehen, was sich da demnächst alles noch auftut. Allerdings macht es auch ein bisschen Angst, wenn ich so an 5G, Huawei, Wahlkampfbeeinflussung USA oder Überwachungsstaat denke. Da mache ich mir schon so meine Gedanken, dennoch lässt sich die Entwicklung nicht aufhalten.

Sie machen einen extrem nachdenklichen Eindruck…

Das stimmt und ist bedingt durch den Wahlkampf 2017 und das Erstarken der AFD. Wenn ich auf meinen Facebook-Account schaue und die Kommentare lese, in denen man anonym aufs Gröbste beschimpft wird, dann frage ich mich schon, wie man damit umgehen und wohin das noch führen soll. Deswegen muss es fürs Internet Regeln geben, die bei Nichteinhaltung nachverfolgt sowie bestraft werden müssen.

Was nehmen Sie aus Ihrer Zeit als Bundestagsabgeordneter persönlich mit?

Ich konnte unheimlich viel für mich selbst lernen, viel Wissen aufnehmen. Aber ich habe auch erkannt, dass die Politik nur ein Teil der Gesellschaft ist und es dort genauso menschelt wie überall. Deswegen finde ich die Ansprüche an Politiker sehr hoch und die Gefahr von Fehltritten sehr groß. Jeder Fehltritt wird sofort mit Rücktritt bestraft. Ich halte es für jeden Politiker für wichtig, Integrität für sich mit auf den Weg zu nehmen und seine Arbeit entsprechend zu verrichten. Das ist übrigens das, was Angela Merkel seit jeher ausgezeichnet hat und noch auszeichnet. Sie hat diese Integrität durch und durch und spielt sie auch aus. Wobei sie da durchaus auch mal diktatorische Töne an den Tag legen kann, die sie dann allerdings argumentativ gut untermauert.

Wie ist Ihr persönliches Verhältnis zur Kanzlerin?

Ich mag sie, denn sie ist eine beeindruckende Persönlichkeit. Allerdings bin ich seit der Flüchtlingskrise nicht mehr ganz ihrer Auffassung. Da hätte ich mir ein bisschen mehr und schneller eine klarere Position gewünscht in Fragen der Zuwanderung. Dennoch ist sie eine Politikerin, die ihre Sache beherrscht und gut macht. Wenn man in der Auseinandersetzung mit ihr keine guten Argumente hat, kann sie einen durchaus klein mit Hut werden lassen. Sich als Frau über diesen langen Zeitraum durchzusetzen gegen eine Korona von Männern, die ebenfalls an ihrer Position Interesse gehabt hätten, das ist schon eine große Leistung von ihr.

Wer kann Ihrer Meinung nach aus der CDU die Kanzlerin ersetzen?

Da sage ich sofort und eindeutig Friedrich Merz. Er hat eine große Wirtschaftskompetenz, sowohl aus seiner politischen Arbeit heraus als auch aus seinem beruflichen Wirken. Aus diesem Grund ist er der Mann, den wir für die Zukunft brauchen und dem ich es auch zutraue, diese Ich-Gesellschaft ein Stück weit wieder zu einem größeren Miteinander zu formen. Ich bin ein Anhänger von ihm und wünsche ihn mir als Parteivorsitzenden und als Kanzlerkandidaten, denn ich finde, beides gehört in eine Hand, da klare Regeln und Wege die richtige Richtung sind für die Zukunft.

Mit Friedrich Merz soll die CDU also wieder konservativer werden?

Konservativ heißt bewahrend. Das heißt aber nicht, dass wir nicht auch ein gewisses Maß an Liberalität mitschwingen lassen dürfen und es heißt vor allem auch nicht, dass wir die Zukunft deswegen verschlafen. Friedrich Merz ist offen für neue Wege und besitzt dazu diese hohe Wirtschaftskompetenz, deshalb ist er der richtige Mann.

Was war Ihr bewegendster Moment der letzten neunzehn Jahre?

So richtig bewegende Momente hatte ich in Berlin bei den Feierstunden, insbesondere im Zusammenhang mit der Pogromnacht oder mit dem Umgang der Nationalsozialisten mit den Juden. Jeden Januar gibt es eine Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus, auf der die Vertreter dieser Zeit in Reden über sich, ihre Familien und Freunde berichten. Das macht mir jedes Mal zu schaffen, wie eine Gesellschaft so in ein Fahrwasser geraten konnte, wo ein Menschenleben plötzlich nichts mehr wert ist, bloß weil er einen anderen Glauben oder ein anderes Aussehen hat.

Sie haben in Ihrem Leben viele Persönlichkeiten kennenlernen dürfen. Wer hat Sie am meisten beeindruckt?

Während meiner jungen Jahre im Sport war es für mich ein Erlebnis, mit meinen sportlichen Vorbildernzusammen zu treffen, deren Namen ich als junger Bursche mit Wasserfarben bei uns an die Hauswand gemalt hatte. Darunter waren die Fußballer Fritz Walter und Franz Beckenbauer oder die Turner und Olympia-Teilnehmer Willi Jaschek, der Held von Mexiko, oder Philipp Fürst. Letzterer war später sogar mal mein Bundesjugendtrainer. Sie waren meine Helden.

Auf der politischen Ebene möchte ich Wolfgang Schäuble, Helmut Kohl, Angela Merkel und auch Friedrich Merz nennen, allesamt großartige Persönlichkeiten, die nachhaltig beeindrucken. International hat mir der Dalai Lama sehr imponiert. Dieser Mann ist in einer sehr schwierigen politischen Situation, dennoch hat er eine tolle kämpferische Ausstrahlung, ist nicht bereit, sein Land und seine Ideale aufzugeben und ist trotzdem dabei eine lustige Natur geblieben.

Herr Gienger, am 3. November wählt Amerika einen neuen Präsidenten. Wen wollen Sie, Trump oder Biden?

Biden natürlich, denn ich halte Trump für keinen guten Präsidenten und für eine Gefahr, da er spaltet statt zu einen. Der ist für das wichtige Amt eines amerikanischen Präsidenten, das wichtigste der westlichen Welt, kein guter Vertreter. So lange wie dieser Mann im Amt ist, werde ich als persönliche Konsequenz nicht mehr nach Amerika reisen.

Nach der Bundestagswahl beginnt für Sie ein neuer Lebensabschnitt. Wird es der Ruhestand oder eher ein Unruhestand?

Es wird natürlich ein Unruhestand. Ich will ja nicht aufhören, sondern will mich weiter politisch interessieren und – wenn nötig – auch engagieren. Ich würde gerne hier im Kreisvorstand dabeibleiben, um auch die Region nicht ganz zu verlassen.

Heißt das, Sie ziehen um?

Ja, ich will wieder in meine eigentliche Heimat Künzelsau im Hohenloher Kreis zurück. Wir haben in Kocherstetten ein schönes Grundstück inmitten der Natur mit Blick ins Tal, wo einem das Herz aufgeht. Dort wollen wir unser erstes Haus von Grund auf selbst planen und bauen.

Wie stellen Sie sich Ihr neues Zuhause vor?

Wir stellen uns ein Haus mit schlichten, klaren Strukturen vor, eher modern und sachlich von der Bauweise, nichts Verwinkeltes. Wir wollen ein großes Wohnzimmer und eine große Wohnküche mit einem Kochblock in der Mitte und genügend Platz für eine Essecke. Ich bin ein Mensch, der gerne in der Küche isst.

Kochen sie auch gerne?

Nein, ich bin ein lausiger Koch, aber ein fantastischer Esser. Meine Frau kocht, ich bringe dafür den Müll weg, räume gerne die Küche auf, räume die Spülmaschine ein und bin ein begeisterter Staubsauger. Das Geräusch, wenn der Dreck das Rohr hochwandert, das ist sowas von toll. Wenn ich dann anfange, mit dem Handstaubsauger zwischendurch noch die Kleinigkeiten wegzumachen, sagt meine Frau oftmals: „Ich glaube, es ist therapierbar!“

Sind sie also pedantisch?

Ja, ich fürchte schon. Wenn ich am Tisch sitze und sehe Krümel auf dem Boden, sauge ich sie weg. Das Auge isst schließlich mit.

Was wollen Sie in Ihrem angekündigten Unruhestand so alles anstellen? Gibt es Wünsche, die Sie sich noch erfüllen wollen?

Nein, ich habe vieles, was ich in meinem Leben machen wollte, tatsächlich schon gemacht. Gerade beim Fallschirmspringen habe ich schon die verrücktesten Sachen umgesetzt. Ich habe sogar mal meine zwei Lieblingssportarten kombiniert, indem ich die Idee hatte, an den Kufen eines Hubschraubers ein Reck zu installieren, damit aufzusteigen und in 2.000 Metern Höhe Riesenfelgen zu turnen sowie einen zehnfachen Salto als Abgang. Ich will springen, turnen und fliegen solange es mir möglich ist und gemeinsam mit meiner Frau nach Corona die eine oder andere Reise unternehmen. Und vielleicht komme ich dann häufiger zu einer Runde Skat.

Wollen Sie beruflich noch aktiv sein?

Ja klar, ich unterstütze auch künftig die seit der Wiedervereinigung in Cottbus jährlich stattfindende Turn-Veranstaltung ‚Turnier der Meister‘. Dafür suche ich Sponsoren und sonstige finanzielle Unterstützung. Die Veranstaltungen und Incentive-Aktionen mit meiner Firma mache ich natürlich ebenfalls weiter.

Sie sind über vierzig Jahre verheiratet, wie lautet Ihr Rezept für eine glückliche Ehe?

Jeder von uns beiden hatte immer seine eigenen, erfüllenden Aufgaben und Arbeitsbereiche. Wie das jetzt im Ruhestand wird, muss sich noch zeigen. Wir sind durchaus unterschiedlich und auch nicht immer einer Meinung. Deswegen ist es wichtig, dass wir uns auch künftig beide neue Aufgaben suchen. Meine Frau beschäftigt sich mit Psycho-Onkologie, ich mich mit meinen Aufgaben. Wenn man sich nicht anödet auf dem Sofa, sondern sich immer noch etwas zu sagen hat, dann funktioniert das wunderbar.

Sie sind dreifacher Vater…

… und dreifacher Großvater. Mein letztes Enkelchen kam vor gut einem Monat auf die Welt. Ich bin zwar nicht der klassische Opa, der seine Enkel auf den Schoß setzt und abküsst, aber ich bin trotzdem total begeistert von den dreien. Wenn sie mich brauchen, bin ich für sie da.

Weder Söhne noch Enkel sind in Ihre Turnerfußstapfen getreten?

Nein, sind sie nicht und das ist auch gut so. Sie wären sonst immer mit mir verglichen worden. Aber alle meine drei Söhne beherrschen den Salto rückwärts vom Reck, mein Jüngster mit 36 Jahren kann sogar Riesenfelgen. Meine Enkelin ist 14 Jahre alt und schon mehrfache Bayerische Jugendmeisterin im Eiskunstlauf. Sie trainiert fleißig und muss jetzt vielleicht von Regensburg wegziehen in ein Leistungszentrum, was meinem Sohn natürlich bei so einem jungen Mädchen nicht leichtfällt.

Wie oft treiben Sie selbst noch Sport?

Sportlich betätige ich mich fast täglich. In meinem Büro steht mein Fahrradergometer, auf dem ich jeweils eine Stunde strampele, sowie eine Kraftbank. Ich habe eine Turnmatte ausgelegt, Handstandklötze und Gewichte sind auch vorhanden. Genau gesagt, habe ich mein Büro zu einem „Leistungszentrum“ ausgebaut. Wenn ich ab Frankfurt nach Berlin fahre oder fliege, gehe ich auch gern in die Halle beim Deutschen Turner-Bund und turne Riesenfelgen und Doppelsalti vom Reck. Das macht mir alles große Freude.

Herr Gienger, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Frank Nopper: „Stuttgart muss der leuchtende Stern des deutschen Südens sein“

 Von Patricia Leßnerkraus und Ayhan Güneş

Der Terminkalender bis zur Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart am 8. November ist prall gefüllt bei Frank Nopper. Der Noch-OB von Backnang und CDU-Kandidat fürs Rennen um den Rathaussessel gibt alles für den Sieg. Dabei legt der agile 59-Jährige nicht allein ein hohes Tempo vor. Unterstützt wird der studierte Jurist von seiner Ehefrau Gudrun, 51, einer gelernten Wirtschaftskorrespondentin, und den Söhnen Carl, 22, und Franz-Ferdinand, 18. „Die Jungs unterstützen ihren Vater freiwillig und mit großem Spaß an der Sache“, verrät Gudrun Nopper mit Stolz beim Familieninterview in Stuttgart. „Franz kümmert sich um Social Media und Carl, der extra dafür ein Semester mit seinem Jura-Studium pausiert, fährt seinen Vater im E-Auto zu den Terminen.“ Dabei achten die Söhne pingelig darauf, dass der Vater sich zeitlich nicht verzettelt, sondern pünktlich zum nächsten Termin aufbricht. Im Gespräch mit Ludwigsburg24 stellte sich die Familie geschlossen und bestens gelaunt unseren Fragen.

 

Herr Dr. Nopper, Sie sind seit 2002 Oberbürgermeister in Backnang und absolvieren gerade Ihre dritte Amtszeit. Sie könnten dort gemütlich alt werden. Warum zieht es Sie jetzt in die Großstadt Stuttgart?

Stuttgart ist meine Geburts- und Heimatstadt, deswegen empfinde ich es als ganz besondere Herausforderung und Verpflichtung, hier anzutreten.

In Stuttgart mit über 600.000 Einwohnern weht jedoch nochmals ein ganz anderer Wind als in Backnang mit knapp 40.000 Bürgern.

Das ist natürlich eine riesige Herausforderung und Aufgabe für jeden, der in dieses Amt kommt. Mich hat übrigens in meinem Leben nie das Bequeme und Einfache gereizt, sondern immer das Herausfordernde. Das war schon so, als ich meine Doktorarbeit zum Thema Finanzverfassungsrecht geschrieben habe. Da sagten viele zu mir: „Das ist eines der schwersten Themen.“ Darauf habe ich geantwortet: „Dann ist es genau das richtige!“

Sie sind also bereit, demnächst eine riesige Last zu tragen?

Erstens trage ich sie nur, wenn ich auch gewählt werde, aber ich bin bereit dazu. Und vor allem ist das Amt des Oberbürgermeisters in Stuttgart doch eine großartige Aufgabe mit enormen Gestaltungsmöglichkeiten! Das ist nicht der Weg des geringsten Widerstands und das ist auch nicht jedermanns Sache. Es gibt durchaus Kollegen, die während ihrer dritten Amtszeit sagen, jetzt genieße ich das. Es gibt auch Menschen, die mit 59 Jahren sagen würden, ich ziehe mich ins Privatleben zurück. Der Typ bin ich aber nicht.

Wie lange haben Sie überlegt, ob Sie antreten werden?

Gar nicht, das war mir sofort klar, dass ich das mache. Ich hätte es nicht für eine andere Stadt gemacht, nur für Stuttgart. Ich bin Stuttgart so nah, habe nie den Kontakt hierhin verloren. Meine mittlerweile 90-jährige Mutter habe ich fast jedes Wochenende besucht, mein Bruder ist Mitglied des Gemeinderats in Stuttgart, mein verstorbener Vater war hier Stadtrat, meine beiden Söhne sind hier zur Schule gegangen. Mein Urgroßvater war Stadtschultheiß im damals noch selbständigen Cannstatt, mein anderer Urgroßvater hat 1816 die spätere Eisenwarenhandlung Zahn & Nopper gegründet, im Stuthaus direkt neben der Stiftskirche. Meine Stuttgarter Wurzeln sind kilometertief. Auch deswegen stelle ich mich der Herausforderung und Verantwortung.

Sie haben bislang jede OB-Wahl und auch jede Kreistags- und Regionalwahl sehr souverän gewonnen. Sind Sie ein Siegertyp?

Bisher war ich es und ich hoffe natürlich, dass ich es bleibe.

Ihr Vater hat 1966 gegen Arnulf Klett bei der OB-Wahl verloren. Ist das für Sie Antrieb, es jetzt selbst besser zu machen?

Vielleicht spielt dieser Gedanke ein klein bisschen mit rein, aber man kann das nicht vergleichen. Mein Vater ist unter ganz anderen Bedingungen ins Rennen gegangen. Er war erst 43 Jahre alt, kam aus dem freien Beruf des Rechtsanwaltes und nicht aus einer OB-Position in einer Kreisstadt. Er hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine Erfahrung in der Kommunalverwaltung und in der Kommunalpolitik. Und er ist zudem auch noch gegen den Amtsinhaber angetreten.

Für Sie spricht sicher Ihre langjährige Erfahrung, Ihr Alter könnte jedoch ein Nachteil sein.

Nein, denn im Vergleich zu unserem Ministerpräsidenten bin ich – mit Verlaub – noch ein Jüngling.

Frau Nopper, waren Sie mit seiner Kandidatur sofort einverstanden?

Ich wollte damals zunächst nicht mit nach Backnang und bin jetzt sehr gerne in Backnang. Ich sage mir immer: Man muss halt das Beste draus machen im Leben. Wir sind schließlich eine Familie und wenn das der Herzenswunsch meines Mannes ist, dann stehe ich unterstützend hinter ihm.

Sie haben sich in Backnang sehr stark ehrenamtlich eingebracht. Würden Sie das in Stuttgart ebenfalls tun?

In Backnang habe ich einen Verein gegründet, der Kinder im Bildungsbereich unterstützt u.a. mit Englisch im Kindergarten, mit Lesepaten, mit der Kinder-Uni Plus und dem Forscherteam, wo besonders begabte Kinder thematisch richtig in die Tiefe gehen können und gefördert werden. Ich habe sogar für Backnang ein eigenes Wimmelbuch kreiert, das vor allem für Kinder mit Migrationshintergrund sehr hílfreich ist. Für Stuttgart würde ich wieder etwas mit und für Kinder tun wollen. Ideen hätte ich genug und Arbeit gäbe es ausreichend.

Herr Nopper, was liegt Ihnen thematisch für Stuttgart besonders am Herzen?

Da gibt es gleich mehrere Tätigkeitsfelder, auf denen man dringend aktiv werden muss. Was mich besonders beschäftigt, ist, dass Stuttgart in den letzten Jahren ein Negativimage bekommen hat. Es ist das Image der Problemstadt, der Stillstandstadt, der Proteststadt, der Verbotsstadt, und seit den Ausschreitungen im Juni leider auch das Image der Krawallstadt. Wir müssen mit vereinten Kräften dafür sorgen, dass Stuttgart wieder mehr leuchtet in der Region, in Deutschland und in Europa. Stuttgart muss der leuchtende Stern des deutschen Südens sein – mindestens auf Augenhöhe mit München und Frankfurt am Main.

Das heißt also, dass Sie mit der Arbeit von OB Fritz Kuhn nicht zufrieden sind?

Ich gebe keine Bewertungen über die Arbeit von Fritz Kuhn ab, weil ich weder der Lehrer noch der Vorgesetzte von ihm bin.

Sollten Sie in Rathaus einziehen, wo werden Sie mit Ihrer Arbeit zuerst ansetzen?

Meine fünf Kernthemen lauten: Wir brauchen eine starke Wirtschaft und sichere Arbeitsplätze, gerade während und nach Corona. Wir brauchen eine sichere und eine saubere Stadt. Wichtig ist Mobilität für alle und wir müssen verhindern, dass die verschiedenen Verkehrsteilnehmer nicht länger in einem Konflikt miteinander stehen. Ebenso wichtig ist eine Sanierungs- und Digitalisierungsoffensive an den Schulen und wir brauchen deutlich mehr Wohnraum, mehr Mut und Ideen für mehr Wohnraum. Wohnen darf kein Luxus sein.

Wo sind denn Ihre Lösungsansätze für die Probleme?

Schauen wir uns mal den Einzelhandel in der Innenstadt an, der unter dem doppelten Druck des immer weiter wachsenden Online-Handels und von Corona steht. Wenn man jetzt auch noch das Auto mehr und mehr aus der Innenstadt verdrängt, dann werden wir mehr Geschäftsaufgaben bekommen als die, die durch die Strukturkrise unabwendbar sind. Deswegen würde es mit mir keinen Weg in eine völlig autofreie Innenstadt geben, weil ich ihn für falsch halte. Ältere Menschen und Mobilitätseingeschränkte, Dienstleister-, Liefer- und Handwerksverkehre, sie alle sind auf das Auto angewiesen. Auch die Anwohner in der Innenstadt wollen nicht alle auf das Auto verzichten. Und denken Sie auch an die Menschen, die mit dem PKW zum Einkaufen oder Feiern in die Innenstadt kommen, weil sie nicht zu später Stunde mit den öffentlichen Verkehrsmitteln wieder nach Hause wollen. Das Auto wird aber mittelfristig in der Innenstadt an Bedeutung verlieren, zu Gunsten von ÖPNV und Fahrrad

Gerade für unsere heimische Automobilwirtschaft und alles, was an ihr dranhängt, gilt, dass die Kommune infrastrukturelle Rahmenbedingungen auf Schiene und Straße setzen kann oder bei Glasfaser- und 5G-Anbindung. Über dies muss man eine aktive Standortpolitik betreiben und auch andere Unternehmen der Spitzentechnologie nach Stuttgart zu lotsen. Man kann Cluster und Vernetzungen bilden. Und ich glaube, dass die Atmosphäre einer Stadt ganz wichtig ist, dass die Wirtschaft sich willkommen fühlt und dass sie sich unterstützt fühlt. Gerade unsere Automobilwirtschaft müssen wir bei dem Innovations- und Transformationsprozess flankierend unterstützen – mit dem Rückenwind eines Heimspiels und nicht mit dem Gegenwind eines Auswärtsspiels.

Es würde mit Ihnen also einen Richtungswechsel geben?

Ja, insoweit, dass die Wirtschaft starke Beachtung finden würde. Wir sind in Zeiten, wo Wirtschaft nicht mehr von selbst funktioniert. Wir müssen ganz stark den Fokus auf das Florieren der Wirtschaft legen, dürfen aber deswegen trotzdem dabei nicht den Umwelt- und Klimaschutzgedanken aus dem Auge verlieren. Wir brauchen die Versöhnung von Ökonomie und Ökologie, wir brauchen eine starke Wirtschaft und eine intakte Umwelt, sie bedingen sich wechselseitig.

Die Söhne drängeln und ermahnen den Vater, zum nächsten Termin aufzubrechen. Es geht in den Stuttgarter Westen. Eigentlich war Frank Nopper gerade so richtig in Erzähllaune, doch die Söhne achten streng auf den Zeitplan und der Vater fügt sich ohne Widerstand. Gudrun Nopper bleibt allein zurück und plaudert stellvertretend für Ihren Mann noch ein bisschen aus dem Familien- und Wahlkampf-Nähkästchen.

Frau Nopper, Ihr Einsatz und auch der Ihrer Jungs für den Vater ist enorm. Das spricht für ein funktionierendes Familienleben.

Ja, das stimmt. Wir halten alle zusammen und reden nicht nur von familiären Werten, sondern leben sie auch. Deshalb stehen wir auch alle hinter meinem Mann, jeder hat eine wichtige Aufgabe übernommen. Ich organisiere die großen Events und sorge durch die Spenderessen dafür, dass genügend Geld in die Wahlkampfkasse kommt. Das macht mir richtig Spaß. Carl fährt seinen Vater und Franz übernimmt vorwiegend die Social Media-Arbeit. Dazu kommt noch meine in der Medien Arbeit erfahrene Cousine, die die Pressearbeit übernommen hat. Müssten wir das alles in fremde Hände legen, würde das eine Unmenge an Geld kosten.

Wie und wo haben Sie Ihren Mann kennengelernt?

Das war 1995 beim Sommerfest der CDU-Gemeinderatsfraktion in Stuttgart. Seitdem sind wir zusammen. Geheiratet haben wir dann mit einer kleinen Feier im Stuttgarter Teehaus, das heute noch zu unseren Lieblingsplätzen gehört. Kurz nach der Geburt von Franz im Jahr 2001 begann dann schon der Wahlkampf in Backnang.

Was macht Frank Nopper als Ehemann und Partner aus?

Frank ist einfach super. Er hat unglaublich viel Energie, er ist unheimlich geduldig, ausgleichend, harmonisch. Ich kann mich auf ihn verlassen, habe noch keine Sekunde an ihm gezweifelt. Was er verspricht, das hält er.

Was für ein Vater ist er?

Als die Jungs klein waren, da war er jetzt nicht unbedingt der Schmuse- oder Rauf-Papa, der Supervater, der mit in die Wilhelma ist, Geschichten vorgelesen oder im Urlaub Sandburgen gebaut hat. Aber je älter unsere Söhne wurden, umso wichtiger wurde er für sie als Leitfigur, als Gesprächspartner, als Ratgeber. Dafür war er in vielen Sachen nachsichtiger, während ich strenger war.

Sind Sie der Chef daheim?

So würde ich meine Rolle nicht beschreiben. Ich bin diejenige, die dafür sorgt, dass der Rahmen stimmt, dass alles passt. Aber am Ende entscheiden wir schon zusammen.

Sind Sie Ratgeberin für Ihren Mann?

Schon, aber nicht in jeder Frage. Er sucht sich immer seine Leute für die unterschiedlichen Fragen heraus. Wissen Sie, wir sind ja auch sehr unterschiedlich. Er ist der rationale Kopf in unserer Beziehung, ich dagegen das Herz, manchmal der Bauch.

Womit machen Sie Ihrem Mann eine Freude?

Er freut sich sehr, wenn ich ihm einen schönen Pullover oder ein Buch kaufe. Aber am meisten schätzt er ein schönes, gemütliches Essen mit der Familie oder guten Freunden bei uns zu Hause.

Werden Sie bei einem Wahlsieg nach Stuttgart ziehen?

Im Stuttgarter Osten steht das Elternhaus meines Schwiegervaters. Das ist zwar derzeit noch vermietet, aber da würden wir dann langfristig einziehen.

Warum wäre Ihr Mann der Beste für Stuttgart?

Ich kenne niemanden auf der Welt, der etwas so kritisch prüfen kann und selbst den kleinsten Fehler im Getriebe findet, wie mein Mann. Er ist sehr analytisch, sehr erfahren, er hat bundesweit ein riesiges Netzwerk, er hat einen guten Kontakt nicht nur zu den großen Unternehmen, sondern auch zum wichtigen Mittelstand. Und er hat durch seine unglaubliche Bürgernähe immer das Ohr am Volk.

Liebe Familie Nopper, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Newcomer schlägt Landtagsabgeordneten bei den Grünen in Bietigheim-Bissingen

Ein Interview von Patricia Leßnerkraus

Das Ergebnis war denkbar knapp, sorgte aber für eine Sensation bei den Grünen: der junge Überraschungskandidat Tayfun Tok wurde mit 50 Stimmen zum nächsten Landtagskandidaten für Bietigheim-Bissingen gewählt. Der 50-jährige Amtsinhaber Daniel Renkonen, der zuletzt sogar mit einem Direktmandat in den Stuttgarter Landtag gezogen war, erhielt dagegen nur 47 Stimmen. „Mit diesem Ergebnis habe ich niemals gerechnet“, gesteht der 16 Jahre jüngere Sieger Tok noch sichtlich überwältigt von seinem Erfolg. Eigentlich habe er mit seiner Kandidatur nur ein Angebot an die Partei machen wollen, erzählt er glücklich, aber erschöpft im Gespräch mit Ludwigsburg24.

Herr Tok, haben Sie schon eine Erklärung für Ihren Sieg über Daniel Renkonen?

Ich habe jetzt sechs Monate parteiinternen Wahlkampf hinter mir. Darauf habe ich mich intensiv vorbereitet, habe mich überall vorgestellt und erzählt, was mir wichtig ist, habe an Radtouren teilgenommen und auf anderen Wegen den Kontakt zu den Mitgliedern gesucht. Während des Lockdowns habe ich beispielsweise einen digitalen Stammtisch ins Leben gerufen und aufgebaut. Dort konnten sich grüne Mitglieder anmelden, mit denen ich über akute Themen diskutiert habe. Das kam gut an, weil die Mitglieder gemerkt haben, dass ich jemand bin, der Lösungen für die heutige Zeit anbietet. Außerdem habe ich versucht, inaktive Mitglieder direkt vor ihrer Haustür anzusprechen und sie zu motivieren, am 15. September zur Abstimmung zu kommen. Sie könnten das Zünglein an der Waage gewesen sein.

Kann auch der Wunsch nach einem Generationswechsel bei den Grünen das Geheimnis Ihres Sieges sein?

Nein, das glaube ich weniger. Ich denke, dass es eher eine Frage des Politikstils war und ist. Herr Renkonen, der bislang sehr gute Arbeit geleistet hat, ist ein ganz anderer Typ als ich. In meiner Vorstellungsrede habe ich auf Emotionen gesetzt und Politik mit meiner eigenen Biografie verknüpft, dabei gleichzeitig praktische Lösungen für Probleme angeboten. Dadurch habe ich das Herz der Mitglieder angesprochen und gepunktet. Daniel Renkonen ist eher der sachliche Typ, der sich bestens auskennt in seinen Kernthemen Verkehr und Klima. Ich schätze ihn sehr. Aber die Art und Weise wie er Politik macht, ist nicht meine. Ich will raus zu den Menschen aller Altersklassen. Mit meiner Biografie spreche ich auch Menschen aus bildungsfernen Schichten oder welche mit Zuwanderungs-Hintergrund an, die wir als Volkspartei alle genauso mitnehmen müssen. Ihnen möchte ich gerne Vorbild sein. Das ist meine Botschaft, die anscheinend gut angekommen ist.

Was überwiegt jetzt bei Ihnen – die Freude über Ihre Nominierung oder der Respekt vor der Verantwortung Ihrer voraussichtlich künftigen Aufgabe als Landtagsabgeordneter?

Ganz ehrlich: es überwiegt der Respekt vor der Aufgabe und der damit verbunden Verantwortung, die ich deutlich auf meinen Schultern spüre. Es sind schließlich große Fußstapfen, in die ich als Nachfolger von Herrn Renkonen trete. Entsprechend habe ich eine gewisse Demut gegenüber der Aufgabe, aber ich werde mich da reinfuchsen.

Als erstes muss ich jetzt ein Team aufbauen, das mich unterstützt. Auch möchte ich ein Wahlkreisbüro einrichten, an das sich die Bürger wenden können, um Kontakt zu mir aufzunehmen. Der direkte Austausch zwischen den Bürgern und mir ist für mich ein ganz wesentlicher Bestandteil meiner Politik. Genauso wichtig ist, dass ich mich in alle wichtigen Themen vertiefe und auch diejenigen überzeuge, die mich bei der Nominierung nicht gewählt haben.

Wie ist jetzt der Umgang zwischen dem unterlegenen Daniel Renkonen und Ihnen?

Herr Renkonen hat sich als sehr fairer Verlierer gezeigt, hat mir die Hand gereicht, gratuliert und mir seine Unterstützung angeboten, wenn Fragen auftauchen. Das finde ich wirklich toll. Das Direktmandat von Herrn Renkonen möchte ich natürlich unbedingt verteidigen und auch mit dafür sorgen, dass der neue Ministerpräsident wieder Kretschmann heißt.

Sie fahren jetzt direkt nach diesem Interview in den Urlaub. Hat der unerwartete Erfolg Sie so geschafft?

Die letzten Monate waren tatsächlich sehr anstrengend, das gebe ich zu. Jetzt möchte ich mit meiner Frau und meinem einjährigen Sohn einfach nur abschalten, den Erfolg verarbeiten und ein bisschen genießen. Bis Mitte Oktober bin ich noch in Elternzeit. Die verbleibenden Wochen bis dahin werde ich nutzen und mich schon für den baldigen Wahlkampf vorbereiten.

Sie haben es von der Hauptschule in Steinheim übers Abitur auf dem Wirtschaftsgymnasium zum Lehramts-Abschluss für Politik- und Wirtschaft geschafft. Jetzt machen Sie politisch Karriere. Macht Sie Ihr Werdegang stolz?

Meinen Werdegang nutze ich gerne als Botschaft. Er steht dafür, dass alles möglich ist. Ich komme aus sehr einfachen Verhältnissen und bin das Kind einer alleinerziehenden Mutter, einer türkischen Frau. Ich war sechs oder sieben, als sie sich trennte. Damals war es verpönt, sich scheiden zu lassen. Von daher musste sie damals auch schon Kämpfe ausfechten. Meinen Vater kenne ich gar nicht mehr, habe keinen Kontakt zu ihm, obwohl er noch hier lebt. Meine Mutter musste sich als Frau durchboxen, sie war und ist sehr empanzipatorisch und beharrt auf ihre Rechte. Als Bäckergehilfin war sie gewerkschaftlich engagiert. Das hat mir alles schon als Kind sehr imponiert.

Was haben Sie denn von Ihrer Mutter für Ihr eigenes Leben und Ihr politisches Denken mitgenommen?

Von ihr habe ich zum Beispiel schon früh gelernt, dass ich mehr leisten muss als andere Kinder, deren Eltern vielleicht Abitur haben oder Akademiker sind. Ein Beispiel: Ich bekam daheim auch kein richtiges Deutsch beigebracht, deswegen habe ich mir immer selbst Bücher ausgeliehen, viel gelesen und mir Worte rausgeschrieben, die ich nicht verstanden habe. Die habe ich nachgeschlagen, weil ich wissen wollte, was das jeweilige Wort genau bedeutet. So habe ich mir immer mehr Deutsch angeeignet.

Sind Sie sehr ehrgeizig?

Natürlich habe ich einen Ansporn, der durch meine Mutter in mir drinsteckt. Wenn ich etwas mache, will ich es richtig machen. Ich war schon als Kind sehr neugierig auf die Welt, auf die Menschen. Ich habe mich immer interessiert und nachgefragt, wenn ich etwas nicht verstanden habe. Und dieses Feuer, diese Neugier habe ich heute immer noch. Meine Mutter ist jetzt mächtig stolz und kann meinen Erfolg noch gar nicht richtig fassen. Jetzt will sie, dass ich richtig Gas gebe und am 14. März den Sprung in den Landtag schaffe.

Gab es ein Schlüsselerlebnis für Ihr politisches Interesse?

Das waren die Anschläge auf die Twin Towers am 11. September 2001, damals war ich selbst 15 Jahre alt. Da ich selbst einen muslimischen Hintergrund habe, fand ich es nicht nur schrecklich, was dort passiert war, sondern fand es furchtbar, dass im Namen meiner Religion Menschen umgebracht wurden. Als ich dann im Jahr 2002 mitbekam, dass ein Attila Tür in Bietigheim-Bissingen als Grüner für den Bundestag kandidierte, dachte ich, da ist jemand mit einem ähnlichen Namen wie Du und der kandidiert. Mit ihm konnte ich mich identifizieren. Ich fand es sehr sympathisch, dass die Grünen solchen Menschen auch eine Chance gaben. Seinetwegen bin ich dann also zu einem Ortsvereinstreffen der Grünen in Steinheim gegangen und bin bis heute dabeigeblieben. Im Nachhinein stellte sich dann heraus, dass mein ursprüngliches Interesse an den Grünen auf einem Missverständnis basierte, denn Attila Tür hatte gar keine türkischen Wurzeln, sondern ungarische.

Haben Sie noch andere politische Vorbilder?

Ja, ein großes Vorbild ist mein politischer Ziehvater Rainer Breimaier. Er ist Stadtrat in Steinheim und kennt mich seit meinem 16. Lebensjahr. Er ist ein ehrlicher, authentischer Typ und steht in der Politik für Integrität. Er hat mich sehr geprägt, mir immer kritisches, aber konstruktives Feedback gegeben. Vor ihm habe ich hohen Respekt. Mein anderes Vorbild ist Cem Özdemir. Für ihn habe ich zwei Jahre in seinem Wahlkreisbüro gearbeitet. Er ist ein cooler Typ, verbindet sein selbstverständliches Deutschsein gut mit seinen anatolischen Wurzeln, ist immer offen gegenüber anderen Meinungen. Von ihm habe ich gelernt, wie Politik funktioniert und wie man Menschen für sich gewinnen kann.

Sollten Sie in den Landtag gewählt werden, beginnt für Ihre Familie auch ein neuer Lebensabschnitt. Was sagt Ihre Frau zu Ihren politischen Plänen?

Sie steht voll und ganz hinter mir. Anfangs war sie nicht so ein politisch interessierter Mensch, aber inzwischen kennt sie sich sehr gut aus. Wir reden auch viel über das, was ich tue und wie ich denke. Wir haben auch schon sehr früh darüber gesprochen, dass es eventuell sein kann, dass wir aufgrund unserer türkischen Wurzeln bedroht werden, wenn ich mehr in der Öffentlichkeit stehe. Ich werde wahrscheinlich für viele Rechtspopulisten ein Feindbild sein. Wie das ist und wie sehr das eine Familie belasten kann, habe ich damals bei Cem Özdemir schon mitbekommen.

Hat Ihre Religion Einfluss auf Ihr politisches Denken und Handeln?

Nein, meine Religion spielt dabei überhaupt keine Rolle. In der letzten Zeit wurde ich immer wieder in die Nähe von DITIB gerückt und in die religiöse Ecke abgestempelt, was völlig falsch ist. Ganz im Gegenteil – ich möchte nicht, dass auf Moscheen politisch Einfluss genommen wird wie zum Beispiel in der Türkei. Und von Islamismus und Fanatismus distanziere ich mich ganz klar. Ich bin ein ziemlich liberaler Muslim. Aber mein Glaube ist doch kein Widerspruch zu meiner Nationalität und meiner Politik. Für mich spielt Religion eine untergeordnete Rolle. Im Ramadan faste ich zum Beispiel nicht täglich, sondern einmal im Monat. Ich mache da eher symbolisch mit, weil ich es einfach interessant finde. In die Moschee gehe ich ein- bis zweimal im Jahr, aber auch nur, um dort abzuschalten. Ich bin kein praktizierender Moslem und meine Frau trägt auch kein Kopftuch.

Wie wollen Sie Ihren Sohn erziehen, welche Werte sind Ihnen wichtig?

Alle demokratischen Werte sind mir wichtig, vor allem das Thema Gleichberechtigung. Er soll integer sein, soll neugierig sein und bleiben und seinen eigenen Weg gehen. Dabei muss er es nicht jedem recht machen wollen und schon gar nicht den Leuten nach dem Mund reden, sondern zu seinen eigenen Überzeugungen stehen und sie vertreten. Das habe ich im Laufe meines Lebens ebenfalls lernen müssen. Ansonsten soll er wie jedes andere schwäbische Kind hier ganz normal aufwachsen, Sport treiben und unbeschwert sein.

Wie viel Schwabe steckt in Ihnen?

Davon steckt sehr viel in mir, inklusive des schwäbischen Dialektes, den ich sprechen kann und auch gar nicht unterdrücken will. Ich bin wie mein Sohn in Ludwigsburg geboren und stolz drauf, Schwabe zu sein. Mir gefallen die regionalen Bräuche, ich stehe auf Kässpätzle und Maultaschen, genieße den guten Wein und liebe die wunderschöne Landschaft. Gelegentlich grüße ich sogar mit einem freundlichen Grüß Gott!

Was an Ihnen ist türkisch?

Die meisten bezeichnen mich als sehr deutsch, weil ich ein sehr strukturierter Mensch bin, der früh aufsteht und direkt zum Schwimmen geht und danach einen festen Plan für den Tag hat. Aber was ist türkisch an mir? Vielleicht ist meine emotionale Seite eher türkisch. Ich spreche die Leute persönlich und emotional an, umarme auch gerne mal andere Menschen. Der herzliche Körperkontakt ist tatsächlich eher südländisch.

Herr Tok, wir danken Ihnen für das Gespräch!

 

 

 

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