Von Uwe Roth
Die Studie der Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart zur Situation des Einzelhandels kann als Warnruf verstanden werden. Noch profitieren die lokalen Geschäfte von den hohen Einkommen der Bewohnerschaft von Stuttgart und der fünf Landkreise im Umkreis der Landeshauptstadt. Aus den IHK-Zahlen lässt sich jedoch ableiten, dass der klassische Einzelhandel am Scheidepunkt steht: Schafft er es, die Kundschaft dauerhaft zu binden und nicht an den überregionalen Einzelhandel zu verlieren? Für die IHK ist „die Erosion der Nahversorgung bereits an Kennziffern erkennbar.“
Die Kammer sieht die Kommunen vor großen Herausforderungen: „Es bedarf schon enormer Anstrengungen, um den Prozess zum Stillstand zu bringen.“ Noch größter müssten die Anstrengungen werden, wollte man den Trend wieder umkehren. Es sei wichtig zu handeln, „bevor der Schaden einen größeren Umfang annimmt oder er gar unumkehrbar geworden ist“.
Mietpreise für Ladengeschäfte stagnieren oder sinken sogar
Einen Hinweis auf die Situation des Einzelhandels gibt der jüngste Immobilienbericht der Kreissparkasse Ludwigsburg, der in dieser Woche veröffentlich wurde: Demnach stagnieren die Mietpreise für Einzelhandelsflächen im Ludwigsburger Stadtkern größtenteils. Bei Objekten, die sich nicht in den Top Lagen befinden, sind die Mieten teilweise sogar rückläufig. Insbesondere in kleineren Gemeinden im Landkreis steigt die Leerstandquote. Dies spiegelt sich auch bei der Entwicklung der Mietpreise bei Neuvermietungen wider.
Der Lockdown während der Corona-Pandemie hat den Internet-Shops steil ansteigende Umsätze beschert. „Der Internet-Handel erreicht inzwischen einen Anteil von rund 15 Prozent des gesamten Volumens“, stellt die Studie für den Einzelhandel in der Region Stuttgart fest. Per Saldo sind dies fast fünf Milliarden Euro an Einzelhandelskaufkraft, die an den Versandhandel und das Internet verloren gehen.
„Am Vertrieb auch über das Internet führt kaum noch ein Weg vorbei“
Die Läden sind wieder regulär geöffnet. Die Besitzer hoffen nun, dass die Umsätze das Niveau der Zeit vor Corona wieder erreichen. Die IHK empfiehlt ihnen, in jedem Fall einen Online-Ableger zu erwägen oder einen vorhandenen Internetshop auszubauen. „Am Vertrieb auch über das Internet führt kaum noch ein Weg vorbei“, sagt die Studie. Es ist die klare Botschaft, dass die Internetkonkurrenz nicht mehr aus der Welt zu schaffen ist, sondern an Dynamik zunehmen wird.
Neben der Internetkonkurrenz stehen die Kommunen untereinander im Wettbewerb. Gemeinden mit wenig Einzelhandel geht Kaufkraft an die Städte in der Umgebung verloren. Das führt zu noch mehr Ladenschließungen. Der städtische Einzelhandel konkurriert mit den Einkaufszentren auf der grünen Wiese. Der Ludwigsburg Einzelhandel konkurriert nicht nur mit dem Breuningerland, sondern auch mit der Landeshauptstadt im Zentrum der Region. „Die Landeshauptstadt belegt beim regionalen Vergleich auf Kreisebene mit rund 4,8 Milliarden Euro die Spitzenposition in Bezug auf das absolute einzelhandelsrelevante Kaufkraftvolumen“, stellt die Studie fest. Mit Summen von etwa 4,1 beziehungsweise 4 Milliarden Euro folgen die Landkreise Ludwigsburg und Esslingen.
Region Stuttgart verliert in Bezug auf den Einzelhandel an Kaufkraft
Die IHK-Zahlen bilden die Situation in Ludwigsburg jedoch nur unzureichend ab. Die Studie der IHK stellt fest: „Einzelhandelsstandorte auf der grünen Wiese sind häufig die Ursache für hohe Umsatzzahlen.“ Bekannte Beispiele seien Sindelfingens Osten mit den großen Einkaufszentren und Fachmärkten oder Ludwigsburg mit dem Tammer Feld. Es gibt keine Zahlen, die sich ausschließlich auf den innerstädtischen Handel beziehen. Wo stünde der Innenstadthandel in Ludwigsburg, gäbe es das Breuningerland nicht?
Die aktuelle Situation ist im Bundesvergleich noch komfortabel: Mit einer einzelhandelsrelevanten Kaufkraft von 20,8 Milliarden Euro gehört die Region Stuttgart zusammen mit den Großräumen München und Rhein/Main zu den attraktivsten Standorten für Einzelhandelsunternehmen in Deutschland. Im Vergleich zu 2019 hat die Region Stuttgart jedoch etwa 930 Millionen Euro an Kaufkraft verloren. Mehr als ein Viertel des Kaufkraftpotenzials von Baden-Württemberg ist in der Region zu finden.
Umsätze im Ludwigsburger Einzelhandel unter Bundesdurchschnitt
Mit Verwunderung stellt die Studie fest: „Beeindruckende Umsatzmagneten“ unter den Städten wie Ludwigsburg, Backnang oder Göppingen konnten ihren Landkreisen nicht zu einer dreistelligen Umsatzkennziffer verhelfen. Nur Stuttgart und der Landkreis Böblingen weisen Pro-Kopf-Umsätze über dem Bundesdurchschnitt auf. Von der Landeshauptstadt abgesehen sind die Umsätze des stationären Einzelhandels je Einwohner damit in allen Landkreisen deutlich geringer als das Nachfragepotenzial der jeweiligen Bevölkerung. Das heißt, der Einzelhandel in Ludwigsburg bleibt unter seinen Möglichkeiten.
Das Fazit der IHK enthält keine kreativen Empfehlungen. So heißt es allgemein: „Die Entscheidungsträger in den Kommunen haben die Pflicht, die Bedingungen im Auge zu behalten, unter denen Handelsbetriebe agieren müssen.“ Die Anliegen der Händler müssten von ihnen genauso berücksichtigt werden wie die Anliegen anderer Branchen und gesellschaftlicher Gruppen. Wenig innovativ ist die Einschätzung, dass „Fahrverbote und unverhältnismäßige Beschränkungen des Kunden- und Lieferverkehrs selten hilfreich“ seien, „ebenso wenig wie schlecht geplante Einschränkungen für das Parken“. Sicherheit und Sauberkeit seien „Pflichtaufgaben für alle Standorte“. Und „eine ungeordnete Ansiedlung vor allem großflächiger Einzelhandelsbetriebe in Randlagen“ schade langfristig dem gesamten Stadtgefüge – auch dem der Nachbargemeinden. Kommunen sollten dringend Einzelhandelskonzepte erstellen, um Ansiedlungsvorhaben optimal in die funktionale Stadtstruktur einzuordnen.